Im Blickfeld

Vorfahrt für Fußgänger

Sind autofreie Innenstädte ein Auslaufmodell? In Schleswig-Holstein machten dieser Tage Itzehoe und Neumünster von sich reden, als sie eine um die andere Fußgängerzone für den Pkw-Verkehr freigaben. Der örtliche Handel ist begeistert, die Anwohner sind es weniger. Städte und Einzelhändler versprechen sich von den Maßnahmen eine höhere Kundenfrequenz, dadurch mehr Umsatz und schließlich auch höhere Gewerbesteuereinnahmen. Schon sehen einige Marktexperten in der jüngsten Entwicklung eine Trendwende, an deren Ende die autofreie City passé ist.

Dabei waren doch Stadtplaner und Händler jahrzehntelang davon überzeugt, dass Fußgängerzonen ein maßgeblicher Attraktivitätsfaktor der Innenstädte seien. "Je mehr, desto besser" war vielerorts das Motto. So wurden vom Fahrzeugverkehr weitgehend ungestörte Flaniermeilen geschaffen, die ein entspanntes Einkaufen ermöglichen. Das hat auch über viele Dekaden hervorragend funktioniert.

Doch wie heißt es so schön: Handel ist Wandel. Sich auf diesen Wandel einzustellen, haben viele Kommunen und Einzelhändler versäumt. Konkret wurden zwei Entwicklungen unterschätzt: Dazu gehört, zum einen der zunehmende Online-Handel. Zum anderen ist seit Jahren ein Trend zu gemanagten Einzelhandelskonzepten wie Shoppingcentern, Factory Outlet Centern, Fachmarkt- und Stadtteilzentren zu erkennen. Beide Entwicklungen hängen zusammen, weil sie beide die Bequemlichkeit der Menschen wunderbar bedienen. Längst kann so gut wie alles über das Internet bestellt werden, doch es bleibt das Problem, dass der Kunde dabei keine Beratung erfährt und die Ware nicht vorab anfassen kann. Centerkonzepte werden von den Kunden als komplementäre Einkaufsform zum Online-Einkauf wahrgenommen, weil auch sie auf engem Raum viele Anbieter mit relativ großer Auswahl vereinen.

Das Nachsehen haben die Innenstädte. Hier bieten die verfügbaren Ladenflächen vielen Filialisten in der Regel zu wenig Platz, um das Produktangebot in ausreichender Breite zu präsentieren. Innerstädtische Shoppingcenter und Kaufhäuser können hier eine Alternative bieten, doch hält das die Verödung der bisherigen Einkaufsstraßen nicht auf. Zuweilen beschleunigen die Center sogar das Ladensterben in der Umgebung. Neumünster und Itzehoe haben das Problem, dass ihre Bürger bei einem Einkaufsbummel im nahegelegenen Kiel oder in Hamburg ein abwechslungsreicheres Angebot vorfinden als in ihren jeweiligen Innenstädten.

Daran wird jedoch auch die Abschaffung der Fußgängerzonen nichts ändern. Natürlich möchte keiner eine Kiste Mineralwasser mit dem Bus nach Hause transportieren, aber dafür in die Innenstadt fahren, nach einem Parkplatz suchen und hierfür auch noch extra Gebühren zahlen, will ebenfalls keiner. Dafür gibt es die Nahversorger im Stadtteil oder die großen Discounter am Stadtrand - die beide jeweils kostenlose, gut erreichbare Parkplätze in ausreichender Zahl bieten. Wer Innenstädte neu beleben möchte, sollte nicht (nur) Verkehrsschilder austauschen, sondern intensiver über die Etablierung und Stärkung einzigartiger gastronomischer und kultureller Angebote nachdenken - um vielleicht auch Gäste aus den umliegenden Städten anzulocken. Dann funktioniert auch innerstädtischer Einzelhandel wieder. Red.

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