Leitartikel

Verkaufte Freiheit

Es war ein Paukenschlag. Dass die ING den unabhängigen Hypothekenbroker Interhyp aus München übernimmt, war von den Wettbewerbern nicht erwartet worden. Dabei liegt es nahe, dass die Niederländer auf die deutlichen Einbußen ihrer deutschen Direktbanktochter ING-Diba im Hypotheken-Neugeschäft reagieren müssen. Denn mittlerweile leidet das Geschäft nicht nur unter der hiesigen Baukonjunktur und der schwachen Eigenheimnachfrage. Zunehmend machen dem einstigen Senkrechtstarter die etablierten Filialbank-Konkurrenten mit teils günstigeren Angeboten sicher geglaubtes Terrain erfolgreich streitig. So reichte der Direktbank im Baufinanzierungsneugeschäft auch der Zukauf eines Altportfolios der Hypo Real Estate in Höhe von vier Milliarden Euro nicht, um an das Neugeschäftsvolumen des Vorjahres von elf Millliarden Euro heranzukommen. Auch die diesjährigen Sonderboni, wie sie aktuell Anschlussfinanzierer beim Wechsel zur ING-Diba erhalten, sind offensichtlich notwendige Investitionen, um den Hypothekenbestand nicht sinken zu lassen.

Die Chance, sich einen der erfolgreichsten Hypothekenvertriebe preisgünstig einzuverleiben, konnte und durfte sich die ING deshalb nicht entgehen lassen. Denn seit einer Gewinnwarnung im vergangenen Herbst war die Interhyp-Aktie relativ niedrig bewertet. Und kaufen konnte fast nur die niederländische Großbank, weil sie zu den Wenigen gehört, an denen die Subprime-Krise bislang vergleichsweise schadlos vorübergegangen ist. Reserven für Zukäufe waren und sind demnach vorhanden.

Bemerkenswert an der Interhyp-Transaktion ist jedoch, dass hier gelang, was heute bei börsenbeachteten Gesellschaften kaum noch für möglich gehalten wird - nämlich eine Übernahme zu schmieden, von der bis zum offiziellen Kaufangebot keiner im Markt etwas ahnte. Diese Meisterleistung der Diskretion verdient Bewunderung. Ob sich jedoch die Erwartungen der Beteiligten erfüllen, ist in höchstem Maße fraglich.

Sollte die ING-Offerte Erfolg haben - woran kein begründeter Zweifel besteht - verliert der führende deutsche Hypothekenbroker sein wichtigstes Asset: die Bankenunabhängigkeit. Denn dass die Holländer keine Finanzbeteiligung planen, ist offensichtlich. Mit Sicherheit dienten die Interhyp-Gründer Robert Haselsteiner und Marcus Wolsdorf ihre jeweiligen 16,1-prozentigen Beteiligungen nicht ohne Absprache und Zustimmung der übrigen Großaktionäre, Capital Group und Amiral Gestion, an. Klugerweise wird sich die ING vorab versichert haben, dass auch diese beiden Fonds ihre Anteile von 10,4 beziehungsweise 5,9 Prozent veräußern werden. Denn wer ein Drittel über Kurs bietet, begnügt sich nicht mit halben Sachen, der will das Ganze. Dieser Preis ist ein strategischer. Die übrigen Aktionäre - große wie kleine - dürften mit dem aufgerufenen Gebot zufrieden sein. Wer auf mehr hofft, muss spekulieren und das Risiko in Kauf nehmen, beim Squeeze-out abgefunden zu werden. In der bisherigen M&A-Logik der ING muss dieser kommen, um das Unternehmen schließlich ganz von der Börse nehmen zu können. Die damit verbundenen, lästigen Transparenzvorschriften hätten sich dann auch erübrigt.

Den produktliefernden Bankpartnern der Interhyp - derzeit über 50 - kann diese "Blackbox" nicht schmecken. Doch womöglich ist der Broker bis dahin sowieso ein reiner ING-Diba-Vertrieb. Denn die Übernahme des Brokers durch die ING, deren deutsche Direktbanktochter der am zweithäufigsten auf der Interhyp-Plattform vermittelte Baufinanzierer ist, wird nicht ohne Folgen bleiben. Immerhin erreicht der Münchener Vermittler mit einem Volumen von 5,6 Milliarden Euro in einem hoch kompetitiven Markt einen beachtlichen Anteil von mehr als drei Prozent. Dabei wird etwa ein Fünftel der Interhyp-Abschlüsse - also schätzungsweise 1,2 Milliarden Euro - an die ING-Diba vermittelt, deren gesamtes Neugeschäft in der privaten Baufinanzierung im Vorjahr 10,4 Milliarden Euro betrug.

Nicht sofort, aber schleichend dürfte der ING-Diba-Anteil am Interhyp-Umsatz in den nächsten Jahren steigen. Dabei braucht es noch nicht einmal eine holländische Direktive. Es genügt die Psychologie. Denn wer über die Zukunft des Unternehmens und die Vergütung des Vorstands bestimmt, lenkt auch das Handeln. Solange die Ergebnisse der Interhyp exzellent sind, behält sie ihre Freiheiten. Doch mit dem Eindrehen in Regionen des verlangsamten Wachstums und unerfüllter Absatzerwartungen, wie zuletzt gesehen, wächst die Verführung, die Konzernschwester ING-Diba zu begünstigen - selbstverständlich nur solange die Preis- und Produktqualität wettbewerbsfähig bleibt. Denn auf diese Weise ließe sich der ungenügende Gesamtumsatz gegenüber der holländischen Zentrale damit relativieren, dass das Vermittlungsgeschäft für die konzerneigene Direktbank zugelegt habe.

Ohnehin sind die Beruhigungspillen, die dem Markt von der ING verabreicht werden, kaum wirkungsvoll. So solle mit der IT und dem Geschäftsmodell der Interhyp das europäische Direktgeschäft der ING weiterentwickelt werden. Allerdings verweist die ING auf die "Sondierungen" ausländischer Märkte durch die Interhyp, während diese lediglich von "Überlegungen" spricht, die durch die europäische Position der ING vielleicht zu einer konkreteren Idee werden könnten. Auch die Begründung, mit der Interhyp solle das Provisionsergebnis des ING-Konzerns gestärkt werden, ist wenig glaubhaft. Zumindest in der Baufinanzierung dürfte derzeit kein Anbieter großes Interesse verspüren, einen direkten Wettbewerber mit dem Vertrieb der eigenen Produkte zu beauftragen und ihm dafür auch noch den Großteil der Marge als Provision zu überlassen.

Allerdings müssen sich einige Baufinanzierer tatsächlich fragen, welche Alternativen sie angesichts der großen Abhängigkeit von der Interhyp haben. Dabei dürften die DKB die stärksten Bauchschmerzen quälen, ist doch die Tochtergesellschaft der Bayern-LB mit schätzungsweise 25 Prozent gemessen am Kreditvolumen das am häufigsten von Interhyp vermittelte Institut. Dass die in Berlin ansässige Direktbank bislang als einzige der betroffenen Institute zur Übernahme schweigt, offenbart die Ratlosigkeit angesichts der Tatsache, dass der Hauptwettbewerber demnächst einen der wichtigsten Vertriebskanäle der DKB kontrollieren wird.

Doch nicht nur die externen Wirkungen des ING-Coups könnten negativ sein, auch konzernintern entstehen Probleme. Weil Interhyp und ING-Diba auch Wettbewerber sind, ergeben sich zwar beachtliche Synergien, doch können diese nicht genutzt werden, wenn die Interhyp tatsächlich das Provisionsergebnis des ING-Konzerns stärken soll. So wird eine Frage lauten, welches IT-System künftig gemeinsam genutzt werden soll. Zudem besitzen beide Unternehmen eigene Callcenter. Deren Zentralisierung würde aus Kostengründen Sinn machen, doch wäre damit die Trennung zwischen beiden Unternehmen aufgehoben, was konzernfremde Bankpartner wenig begeistern wird. Intern weit schwieriger dürfte die Betreuung der Vertriebspartner zu regeln sein. Denn einerseits bedient sich die ING-Diba in ganz erheblichem Maße freien Finanzmaklern, andererseits setzt die Interhyp etwa ein Drittel ihres vermittelten Volumens über die Partner auf der Prohyp-Plattform ab. Hier mit zwei konkurrierenden Betreuungsteams unterwegs zu sein, wäre eine nicht zu rechtfertigende Kannibalisierung, die unter den aktuellen Margenbedingungen zudem höchst ineffizient ist. Gleichzeitig werden sich die bisher auf Prohyp tätigen Finanzvertriebe und die Kooperationspartner MLP und Comdirect fragen müssen, ob sie ihren Kunden mit einer Vermittlung über die Interhyp-Plattform noch ein unabhängiges Angebot mit den besten Konditionen machen können. Und den bisher für die ING-Diba akquirierenden freien Vermittlern könnte der Verdacht kommen, dass künftig die Interhyp bevorzugt werde, da dort die fälligen Provisionen im Konzern verbleiben.

Die Interhyp-Wettbewerber werden diese Zweifel zu nutzen wissen. So darf sich die mit der Europace-Plattform arbeitende Hypoport inzwischen genüsslich jenes Unabhängigkeits-Arguments bedienen, das der Münchener Konkurrent jahrelang stolz für sich reklamierte und das er dem Berliner Unternehmen absprach. Denn auch die Hypoport hat mit der Postbank einen bedeutenden Lieferanten zum Aktionär - allerdings nur mit knapp zehn Prozent, während die Mehrheit vom Management gehalten wird. Gleichwohl auch hier der Markt seinerzeit fürchtet, dass dem Minderheitserwerb die Komplettübernahme folgen könnte - wie beim BHW geschehen. Die strategische Weitsicht des Engagements zeigt sich freilich erst heute. Zwar rangiert die Postbanktochter DSL Bank mit 15 bis 20 Prozent auf Rang drei der Interhyp-Partner, doch stellt die Hypoport den wichtigeren Vertriebskanal dar. Demzufolge beugt diese Beteiligung einem möglichen Kontrollverlust durch eine

"feindliche" Übernahme des Vertriebspartners vor, wie jetzt bei der Interhyp geschehen. Diese "Versicherung" ist wohl auch einer der Gründe, warum die Volksbanken und Raiffeisenbanken mit der Hypoport eine Antwort auf den hohen Wettbewerbsdruck der Direktbanken suchen und im April dieses Jahres die Plattform Genopace aufsetzten, die seitdem im Pilotverfahren getestet wird.

Wie ING und Interhyp den Bedenken des Marktes begegnen und wie behutsam sie bei der Zusammenführung vorgehen, wird wesentlich darüber entscheiden, ob sich die Niederländer den Marktführer unter Deutschlands Hypothekenbrokern und dessen beachtliches Wachstumspotenzial zu einem günstigen Preis einkauften oder ob sie am Ende nicht sehr viel Geld für einen zusätzlichen Vertriebsapparat bezahlt haben. Ersteres erhöht die Unabhängigkeit der ING im deutschen Baufinanzierungsmarkt, letzteres wäre ein Verlust - für die ING, den Wettbewerb und den Kunden. L. H.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X