Im Blickfeld

Unverständliche Mindestbesteuerung

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes muss man respektieren, aber man muss sie nicht immer gutheißen. Sowohl für Kapitalanleger wie auch für den Bundesfinanzhof (BFH) ist die soeben veröffentlichte Entscheidung der Karlsruher Richter eine herbe Enttäuschung. Das Bundesverfassungsgericht hielt eine Vorlage des Bundesfinanzhofes, in welcher dieser die Verfassungsmäßigkeit der im Jahre 1999 beschlossenen "Mindestbesteuerung" bezweifelt hatte, schlichtweg für "unzulässig".

Worum ging es? Am 4. März 1999 hatte der Bundestag im Zusammenhang mit dem "Steuerentlastungsgesetz" eine Änderung des Einkommenssteuergesetzes beschlossen. Die damalige rotgrüne Mehrheit im Bundestag beschloss auf Initiative des damaligen Finanzministers Oskar Lafontaine eine sogenannte Mindestbesteuerung (§ 2 Abs. 3 EStG). Nach dieser Mindestbesteuerung konnten Verluste im Gegensatz zu früher nicht mehr unbeschränkt mit positiven Einkünften ausgeglichen werden. Ledige konnten Verluste nur noch bis zu einer Höhe von 51 500 Euro unbeschränkt ausgleichen, für Verheiratete galt der doppelte Sockelbetrag. Darüber hinausgehende Verluste durften nur noch bis zur Höhe der Hälfte der verbleibenden positiven Einkünfte ausgeglichen werden. Danach noch verbleibende Verluste konnten für ein Jahr zurück- oder unbeschränkt vorgetragen werden. Freilich liefen diese Verluste dann oft praktisch ins Leere.

Die Regelung richtete sich gegen vermeintliche "Abschreibungskünstler", die insbesondere die Sonderabschreibung des Fördergebietsgesetzes in den neuen Bundesländern nutzten und dort in Immobilienprojekte investierten. Die Verluste, mit denen man sie zuvor gelockt hatte, nahm man ihnen zwar nicht direkt, aber indirekt, indem man die Ausgleichsfähigkeit beschränkte.

Die Regelung war im Detail äußerst kompliziert, und zwar insbesondere dann, wenn der Investor verheiratet war und mehrere Einkunftsarten hatte. Es gab zahlreiche Klagen gegen das Gesetz und schließlich kam die Sache im Jahre 2006 zum Bundesfinanzhof. Dieser vertrat die Meinung, das Gesetz verstoße gegen den "Grundsatz der Normenklarheit", denn die Regelungen seien "unverständlich, widersprüchlich, irreführend, unsystematisch aufgebaut und damit in höchstem Maße fehleranfällig". Das höchste deutsche Finanzgericht kritisierte eine "gehäufte Verwendung sprachlich kaum abgrenzbarer unbestimmter Rechtsbegriffe, eine umfangreiche Textlänge" sowie einen "unübersichtlichen Gesetzesaufbau, unklaren Satzbau, eine Häufung und Stufung von Regel-Ausnahme-Techniken, Mehrfachverweisungen und widersprüchlichen Rechtsfolgeanordnungen".

Das heißt: Mit der Regelung wurde ein Komplexitätsgrad überschritten, der dazu führte, dass sie weder für die Finanzverwaltung noch für den Steuerpflichtigen verständlich und auf Anhieb anwendbar war. Dies ist übrigens einer der entscheidenden Gründe, warum die Regelung letztlich wieder abgeschafft wurde.

Das Bundesverfassungsgericht, das nunmehr über den Vorlagebeschluss des BFH entschieden hat (2 BvL 59/06), kam zu dem Ergebnis, dass dieser "unzulässig" sei. Auf 13 Seiten wurde dies begründet, doch die Begründung vermag nicht zu überzeugen. Es wird versucht, den Nachweis zu führen, der BFH habe den einen oder anderen Fachaufsatz nicht berücksichtigt, der zur Aufhellung des Inhaltes des Paragrafen hätte beitragen können. Ganz gleich, ob diese Kritik berechtigt ist oder nicht, sie führt in jedem Fall am Kern der Sache vorbei: Denn wenn eine Regelung im Einkommensteuerrecht nur unter Zuhilfenahme interpretierender wissenschaftlicher Fachliteratur annähernd verständlich wird, dann ist das vom BFH geforderte Prinzip der Normenklarheit so oder so verletzt.

Für Steuerbürger und Investoren ist die Entscheidung umso enttäuschender, weil in letzter Zeit zahlreiche weitere Gesetze hinzukamen, die ebenso unklar und unverständlich sind - nicht nur für Laien, sondern auch für Fachleute. Man denke nur an die im Zusammenhang mit der Unternehmenssteuerreform eingeführte Zinsschranke.

Wolfgang Schmidt-Gorbach, Managing Partner, Optegra:hhkl GmbH & Co. KG, Köln

Noch keine Bewertungen vorhanden


X