Leitartikel

Risiko ohne Rendite

Für Kapitalanlagen ist die neuerliche Zinssenkung der Europäischen Zentralbank pures Gift. Da jedoch weltweit zwischen den großen Volkswirtschaften und Wirtschaftsräumen ein Wettlauf um die niedrigsten Zinsen und die schwächste Währung entbrannt ist, haben Sparer keine Chance, noch eine nennenswerte Rendite für ihr Anlagerisiko zu bekommen. Wer auf Tagesund Festgeldkonten Geld parkt, erleidet real einen Kaufkraftverlust. Aber Aktienanlagen scheuen viele Deutsche nach den Erfahrungen der Dotcom- und der Finanzmarktkrise. Zudem wächst in der aktuellen, liquiditätsgetriebenen Hochphase das Rückschlagpotenzial, während die Chance auf weitere, nachhaltige Kursgewinne sinkt. Rohstoffe und Edelmetalle sind vielen zu spekulativ. Also doch Immobilien? Auch hier purzeln die Renditen in den gefragten Lagen so stark, dass sie immer weniger den Risiken des Investments gerecht werden. Selbst die mancherorts beklagten Mietsteigerungen halten die Renditeerosion kaum auf.

In diesem Umfeld sollte Sparen weniger populär sein, der Konsum dagegen wachsen. Tatsächlich konstatiert das Statistische Bundesamt im dritten Quartal 2013 verglichen mit dem Vorjahr einen Rückgang der Sparquote um 0,3 Prozentpunkte auf 8,5 Prozent. Der Grund dafür ist jedoch, dass die Löhne und Gehälter und folglich die verfügbaren Einkommen der Privathaushalte deutlich weniger stark gestiegen sind als die Konsumausgaben. Nach wie vor legen 49 Prozent der Deutschen Geld auf die hohe Kante, wie Meinungsforscher von TNS Infratest herausfanden, die im Auftrag der privaten Bausparkassen dreimal jährlich eine repräsentative Umfrage zum Sparverhalten durchführen. Dabei steht die "Altersvorsorge" mit 64 Prozent an erster Stelle. Im Herbst 2013 wurde dieses Motiv trotz sinkender Zinsen und offenkundiger Anlageprobleme bei den Versicherern um drei Prozentpunkte häufiger als noch im Sommer genannt. Damit hat die Vorsorge inzwischen den "Konsum" als Sparziel Nummer eins abgelöst. Nur noch 58 Prozent schränken sich für größere Anschaffungen ein - vier Prozentpunkte weniger als im Sommer dieses Jahres. Unverändert legen 54 Prozent Geld für die eigenen vier Wände beiseite.

Sind die Deutschen doof? Angesichts der offenkundig hohen Nachfrage nach Wohneigentum wäre zu erwarten, dass intensiver für die eigenen vier Wände gespart und stattdessen eher die Altersvorsorge eingeschränkt wird. Eine mögliche Erklärung, warum dem nicht so ist, liefert eine Studie des IMWF Institut für Management und Wirtschaftsforschung im Auftrag von Interhyp. Demnach wünschen sich zwar etwa 60 Prozent der Deutschen eine eigene Wohnung, doch glauben 52 Prozent, dass die Kaufpreise zu hoch sind. Zudem fürchtet ein Drittel der Befragten, dass am Markt überhaupt nicht das von ihnen gewünschte Produkt angeboten wird. In den großen Ballungszentren meinen das rund 60 Prozent. Zudem bezweifeln 51 Prozent, dass sie keine Finanzierung bekommen. Im Grunde funktioniert der Markt also: Wo die Grundstückspreise steigen, hemmen sie die weitere Eigentumsbildung.

Trotzdem ziehen die Wohnungspreise weiter an. Laut Bundesbank verteuerten sich die Wohnungen in Gesamtdeutschland zwischen den Jahren 2009 und 2012 um gut acht Prozent, im ersten Halbjahr 2013 aber zwischen drei und vier Prozent. In Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, München und Stuttgart stiegen die Wohnungspreise zwischen 2009 und 2012 insgesamt um fast ein Viertel, und für 2013 werden rund neun Prozent erwartet. Für diese Metropolen gehen die Währungshüter inzwischen von Überbewertungen bis zu 20 Prozent aus. Preistreiber sind jedoch nicht die Selbstnutzer, sondern private Kapitalanleger. Baut sich dadurch eine zinsgetriebene Preisblase im Wohnungsmarkt auf? "Die niedrigen Zinsen haben sicherlich Anreize für Immobilieninvestitionen gesetzt, die bei normalen Zinsen nicht getätigt worden wären", räumt Bundesbankvorstand Andreas Dombret anlässlich der Vorstellung des Finanzstabilitätsberichts ein. Ist das das Eingeständnis, an der aktuellen Situation an den Renten- und Immobilienmärkten mitschuldig zu sein? Leider nur teilweise. Natürlich stehen die deutschen Vertreter in den EZB-Gremien der Niedrigzinspolitik kritisch gegenüber, doch Risiken möchte man aber auch nicht sehen. So sei die Finanzstabilität ungefährdet, weil die privaten Haushalte nach wie vor eine solide Schuldentragfähigkeit hätten und der Bestand an Hypothekenkrediten mit derzeit 2,2 Prozent moderat wachse. Da sind sie wieder: die Deutschen, die trotz historisch niedriger Zinsen lieber sparen, statt zu konsumieren und ihre Verschuldung auszuweiten. Im Übrigen trägt auch das seinen Teil zum international kritisierten Exportüberschuss dieses Landes bei. Die Deutschen wollen nicht Zahlmeister Europas sein, doch tatsächlich machen sie sich über den Abfluss von Kaufkraft dazu. Die Deutschen wollen sparen, um Sicherheit in unsicheren Zeiten zu haben, doch bei Lichte betrachten kaufen sie Risiko ohne Rendite.

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