Im Blickfeld

Neue Regeln, alte Zwänge

Nie wieder, so ist aus Brüssel und Berlin zu vernehmen, solle der Steuerzahler für strauchelnde Banken "bluten". Dieses Ansinnen verbindet Europas Politiker wie kaum ein anderes Thema. Entsprechend schnell einigten sich die Finanzminister der EU-Mitgliedsstaaten Ende Juni auf die Eckpunkte einer künftigen Richtlinie zur Abwicklung und Sanierung von Finanzinstituten. Kern der neuen Regelung ist eine Haftungskaskade, die einsetzt, wenn ein Kreditinstitut in Schieflage gerät. Demnach sollen künftig zuerst die Eigentümer und Aktionäre die Bank rekapitalisieren, danach die Gläubiger von Junior Bonds und Senior Bonds herangezogen werden und schließlich auch die ungesicherten Einleger haften, sofern sie mehr als 100 000 Euro auf Konten der Bank haben. Von dem Bail-in explizit ausgenommen werden Sparer, wenn sie natürliche Personen sind und ihre Einlagen nicht den Grenzwert übersteigen.

Der Ansatz ist grundsätzlich richtig: Chancen und Risiken sind wieder enger zusammenzubringen. Denn Gewinne zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren, ist mit nachhaltigem Wirtschaften unvereinbar. Doch geht es den Finanzministern wirklich darum? Die teils wütenden Proteste in Europa richten sich zwar auch gegen spekulierende Banken, doch vor allem haben sie die Politiker im Fokus, die den Steuerzahlern jetzt höhere Abgaben für weniger staatliche Leistungen abverlangen müssen, um den heimischen Bankensektor oder zumindest einzelnen Institute zu stützen. Solche Maßnahmen "verkaufen" sich im Wahlkreis ausgesprochen schlecht und bergen tatsächlich auch ein erhebliches Risiko für die politische Stabilität der europäischen Staaten.

Allerdings ist es fahrlässig, den Wählern und Steuerzahlern vorzutäuschen, sie wären durch die neue Regelung aus dem Schneider. Dem ist mitnichten so und das muss auch deutlich gesagt werden. Zwar gelten die Deutschen als Aktienmuffel, doch sind die privaten Haushalte dennoch mit Milliarden Euro über Fonds an börsennotierten Unternehmen - unter anderem Finanzinstituten - beteiligt. Noch gravierender könnten die Folgen für die Altersvorsorge sein. Versicherungen, Versorgungswerke und Pensionskassen sind in dem anhaltenden Niedrig zinsumfeld zunehmend gezwungen, den Aktienanteil im Portfolio zu erhöhen, wozu auch Bankwerte gehören.

Doch gerade in der Finanzwirtschaft hat sich immer wieder gezeigt, dass es zwar detaillierte Regelungen für die Abwicklung eines Instituts geben kann, doch vor deren "Erprobung" zurückgeschreckt wird. Erinnert sei hier nur an die Pfandbriefbanken. Gerade für diese Institutsgruppe hat der Gesetzgeber ausgefeilte Prozeduren im Falle einer Insolvenz vorgeschrieben. Nur: Zur Anwendung kamen sie bislang nie, weil schließlich doch andere Maßnahmen ergriffen wurden. Das lag auch daran, dass es eben nicht nur um ein Unternehmen ging, das im Feuer stand, sondern immer auch um das Vertrauen in dessen Produkt und die gesamte Branche. Ob der Steuerzahler auch in Zukunft strauchelnde Unternehmen der Finanzwirtschaft stützen muss, wird deshalb maßgeblich davon abhängen, wie niedrig die volkswirtschaftliche und die politische Schmerzgrenze ist, im Zweifelsfall eine Insolvenz auszuhalten - aller nationalen und internationalen Regelungen zum Trotz. L.H.

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