Im Blickfeld

Bewerterstreit eskaliert

Unter deutschen Immobilienbewertern herrscht alles andere als Eintracht. Vielmehr pflegen die Gutachter eine bemerkenswerte Streitkultur, bei der sich längst nicht nur wegen methodischer Feinheiten duelliert wird. Mitunter geht es um Grundsätzliches wie die Frage, ob nur die getätigten Transaktionen den Markt abbilden oder ob nicht auch berücksichtigt werden müsse, wenn Angebot und Nachfrage nicht zueinander finden. Aber auch im Detail besteht häufig Uneinigkeit. So wird nicht selten - wie bei der aktuellen Änderung der Verordnung zur Immobilienwertermittlung - um Begrifflichkeiten wie "nachhaltig" oder "marktüblich" gefeilscht. Aber eigentlich versucht die Diskussion nur endlich das alte Dilemma aufzulösen, wie Preis und Wert in Übereinstimmung gebracht werden können. Vieles erscheint Außenstehenden dabei wie eine Glaubensfrage. Und vielleicht ist es das auch. Wohl auch deshalb haben die Bewerter inzwischen neue Konfliktfelder erschlossen. Richtig in Rage geraten sie beim Thema Qualifizierung. Da prallen die zertifizierten auf die öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen sowie die nationalen auf die internationalen Gutachter. Gestritten wird um Grundsätzliches: die Kompetenz. Dabei geht es weniger darum, welche Prüfung zu bestehen ist, sondern vielmehr darum, wie oft. An dieser Frage scheiden sich die Geister. Reicht es - wie bei anderen Berufsgruppen -, einmal geprüft zu werden, um einen schmückenden "Titel" tragen zu dürfen oder muss sich dafür regelmäßig weitergebildet und das Fachwissen periodisch nachgewiesen werden? Und wer prüft und wie oft muss der Qualifikationsnachweis erbracht werden? Ermittelt ein zertifizierter Sachverständiger tatsächlich präziser und marktnäher? Erwartungsgemäß unterstellt jede Seite der jeweils anderen, dass diese weniger an tatsächlicher Bewertungsqualität, sondern vielmehr an möglichen Geldeinnahmen interessiert sei - ob als Beitrag für die Vereins- und Verbandsmitgliedschaft oder als Seminar- und Prüfungsgebühr. Mittlerweile erreichen die atmosphärischen Verstimmungen auch internationale Bewertergremien. So verließen der Bundesverband der Immobilien-Invest-ment-Sachverständigen e. V. (BIIS), Frankfurt am Main, und der Verband deutscher Pfandbriefbanken e. V. (vdp), Berlin, das International Valuation Standards Committee (IVSC). Offiziell begründen beide Verbände die Kündigung mit der Neuausrichtung des Standardsetzers. Dieser, so der Vorwurf, konzentriere sich nur noch auf die bilanzielle Bewertung von Immobilien, nicht aber auf die Bewertung zu Beleihungszwecken und bei Transaktionen. Geärgert haben dürfte beide deutschen Verbände aber auch, dass sie ihre Vertreter nicht mehr in die relevanten Gremien entsenden konnten. Zudem wird eine wachsende Dominanz der Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS) im internationalen Standardsetzer gesehen. Doch auch innerhalb der RICS schwindet der deutsche Einfluss. Denn im Zuge der Neuorganisation des Verbandes wurde der deutsche Arm, der 1993 gegründete RICS Deutschland e. V., Frankfurt am Main, aufgelöst. Zwar soll es auch in Zukunft eine deutsche Sektion geben, doch wird diese künftig von RICS Europe aus Brüssel geführt. In Deutschland wird RICS demnach nur noch mit einer Niederlassung und einem National Board vertreten sein, um die 2 300 Mitglieder zu betreuen. Wie viel Eigenständigkeit und internationalen Einfluss die deutschen Chartered Surveyors dann noch haben werden, ist offen. Für die Gralshüter deutscher Bewertungspraxis dürfte die RICS-Entscheidung einerseits den lange gehegten Verdacht bestätigen, dass die angelsächsischen Bewerter ihre Methodik international ohne deutsche Störgeräusche durchsetzen wollen. Andererseits könnte die geschwächte Organisation der RICS in Deutschland deren bisherige Erfolge gefährden. Welche Folgen sich daraus für die deutsche und internationale Bewertungspraxis ergeben, ist heute noch nicht abschätzbar. Ein Ende der gutachterlichen Streitkultur ist jedenfalls nicht in Sicht. Zumindest das muss für den Fortschritt in der Immobilienbewertung keine schlechte Nachricht sein. (Red.)

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