DIGITALISIERUNG

"Wir möchten unser Kerngeschäft ergänzen" / Interview mit Elke Lück

Elke Lück, Foto: Western Union

Das Geldtransfer-Geschäft soll auch weiterhin das Kerngeschäft von Western Union bleiben, sagt Elke Lück. Die ersten Schritte auf dem Weg zur Plattform sind mit WU+ jedoch bereits gemacht. In der App werden nun ein Konto, Karten oder auch Sparprodukte angeboten, in erster Linie zur Förderung der Kundenbindung der Bestandskundschaft. Zugleich wird die Differenzierung zum Wettbewerb ausgebaut, der in Sachen Omnikanal-Angebot noch deutlich zurückliegt. Dass der Start des neuen Angebots gerade in Deutschland erfolgte, so Elke Lück, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass Deutschland beim Geldtransfer einen der wichtigsten Märkte des Unternehmens darstellt. Red.

Wie hat sich in den letzten Jahren die Nachfrage nach Geldtransfer entwickelt?

Im deutschen Markt ist die Nachfrage sehr stabil. Im digitalen Bereich ist sie sogar extrem gewachsen und im Bereich Retail, also über das Agentennetzwerk im Bargeldversand, ist sie recht stabil. Unter dem Strich sehen wir nicht nur eine Migration in den digitalen Bereich, sondern ein Wachstum.

Gab es dabei einen "Corona-Knick" - etwa, weil die Menschen weniger Geld zur Verfügung hatten?

Corona hat zweierlei Effekte ausgelöst. Das Retailgeschäft war durch die Lockdowns weniger stark, weil die Agenten zeitweise nicht verfügbar oder auch die Kunden in Quarantäne waren. Dafür haben wir ein enormes Wachstum im Digitalbereich gesehen.

Aus Deutschland heraus sind die größten Sendekorridore als Senderland und Empfängerland die Türkei, Rumänien und die Balkanstaaten Serbien und Bosnien-Herzegowina. Migranten, die aus diesen Ländern zum Arbeiten nach Deutschland kommen, nehmen Bargeld mit nach Hause, wenn sie ihre Familien besuchen. Gelder, die über diese informellen Kanäle, wie wir sie nennen, transportiert werden, sehen Unternehmen wie Western Union üb licherweise nicht. Durch die Lockdowns waren diese informellen Kanäle nicht aktiv, sodass mehr Geld über formelle Kanäle, also Unternehmen wie uns, verschickt wurde. Deshalb haben wir in der Corona-Zeit nicht darunter ge litten, dass Menschen kein Geld mehr verdient haben.

Haben Sie unter dem Strich also eher von Corona profitiert?

Konkrete Zahlen kann ich leider nicht nennen. Wir haben jedoch während der Lockdowns immer einen Anstieg der Transaktionszahlen gesehen und danach wieder eine Entspannung.

Werden Sie einen Teil der Kunden, die Sie in der Pandemie gewonnen haben, dauerhaft halten können?

Die informellen Kanäle haben natürlich Vor- und Nachteile. Das Mitführen von Bargeld ist kostenlos, birgt aber dafür auch immer ein gewisses Risiko. Das werden die Menschen, die informelle Kanäle nutzen, natürlich abwägen. Weil das Mitführen von Bargeld ein über lange Zeit hinweg genutzter Weg war, die Familie zu unterstützen, müssen wir damit rechnen, dass zumindest ein Teil der Menschen diesen Weg wieder nutzen wird. Ein Teil wird aber sicher auch die Vorteile sehen, kein Bargeld mitzuführen und der Familie unabhängig von Reiseterminen über formelle Kanäle Geld zukommen zu lassen.

Welchen Stellenwert hat der deutsche Markt für Western Union?

Deutschland ist im weltweiten Vergleich der Märkte für Geldtransfer, im Fachjargon Remittance, der fünftgrößte Markt mit einem Versendevolumen von 22 Milliarden Euro im vergangenen Jahr nach Zahlen der Weltbank. Diese Bedeutung spiegelt sich auch bei Western Union wider.

Weltweit geht der Trend weg vom Bargeld. Was heißt das für Ihr Geschäftsmodell?

Es ist kein Geheimnis, dass der welt weite Trend in Richtung Digitalisierung geht. Es gibt eine große Anzahl neuer Marktteilnehmer, die versuchen, neue Produkte anzubieten und sich in Nischen zu etablieren. Das heißt: Der Wettbewerb im digitalen Bereich ist groß. Wir sind jedoch seit vielen Jahren im digitalen Geschäft sehr gut aufgestellt. Im deutschen Markt wird mittlerweile ein Drittel der Transaktionen über digitale Kanäle abgewickelt - und das, obwohl Deutschland sicher nicht der digital-affinste Markt auf der Welt ist. Mit einer innovativen digitalen Lösung haben wir eine sehr gute Basis dafür geschaffen, um Kunden beides anbieten zu können.

Gegenüber rein digitalen Spielern haben wir den Vorteil, dass wir ein globales Netzwerk von Filialen haben und auf diese Weise über ein Omnichannel-Angebot verfügen. Das sollte man nicht unterschätzen. Denn bei allen Digitalisierungstrends gibt es immer noch viele Kunden, die auf diesem Weg erst am Anfang oder in der Mitte stehen. Unsere Strategie ist es, den Kunden diejenigen Produkte anzubieten, die sie auf ihrem jeweiligen Standort auf der Digitalisierungsroute haben möchten. Millionen von Kunden haben traditionell nur das Agentennetzwerk genutzt und sind mit dem Fortschreiten der Digitalisierung diesen Weg mitgegangen. Wir richten uns nach ihren Bedürfnissen und bieten sowohl rein digitale Produkte an als auch jede Mischung zwischen digital und physisch.

Deshalb ist das Omnichannel-Angebot Kern der Strategie von Western Union. Wir haben Hunderttausende Filialen, in denen man Bargeld ein- oder auszahlen kann. Und wir haben mit unserer neuen App WU+ die Möglichkeit, Bargeld ein- oder auszuzahlen oder das Geld von einer Karte oder einem Konto einzuzahlen oder auch digital auf eine Wallet, eine Karte oder ein Konto auszuzahlen.

Wie hat sich die Anzahl der Filialen in Deutschland entwickelt?

Wir haben über 5 000 Filialen in Deutschland, und das seit sehr langer Zeit. Aktuell nutzen noch sehr viele Kunden das Retail-Netzwerk. Und solange sie es nutzen möchten, werden wir versuchen, es vorzuhalten. Trotz des Trends zur Digitalisierung werden in Deutschland immer noch zwei Drittel der Transaktionen darüber abgewickelt.

Dieses Netzwerk setzt sich wie folgt zusammen: Wir haben große Partner im Bankbereich, wie die Postbank und die Reisebank. Bis vor kurzem hatten wir eigene Filialen, die wir jetzt verkauft haben. Und daneben gibt es eine große Zahl an Unternehmen, die wir "independent" nennen. Das sind in der Regel Einzelunternehmer, die sehr häufig einen Migrationshintergrund haben. Sehr häufig sind es Handy-Shops oder Kioske. Die Zahl dieser independent-Partner schwankt immer einmal ein bisschen, ist im Großen und Ganzen aber relativ stabil. Das liegt nicht zuletzt daran, dass unsere Agenten nur in den seltensten Fällen allein vom Geldtransfer leben. Sondern häufig ist das Geldtransfer-Geschäft ein Zusatzangebot zum eigentlichen Produktportfolio.

Welche Erfahrungen haben Sie mit der Postbank gemacht? Auch die hat ja Filialen geschlossen ...

Die Postbank ist einer unserer stabilsten und besten Partner. Mit der Postbank haben wir jetzt auch eine digitale Lösung eingeführt. Das heißt Geld transfer mit Western Union ist jetzt auch über die Postbank-Website möglich.

Geht beim Geldtransfer der Trend auch in Richtung hybrider Nutzung - also beispielsweise Anstoß der Transaktion auf digitalem Weg, Auszahlung bei einem Agenten vor Ort?

Bisher gibt es noch nicht viele hybride Lösungen auf dem Markt. Die traditionellen Money-Transfer-Anbieter bieten in der Regel entweder eine Website an, auf der Geld digital versendet werden kann, oder sie bieten ein Retail-Netzwerk an.

WU+ ist ein echtes Omnichannel-Produkt, bei dem der Kunde individuell wählen kann, ob er Retail oder digital auf der Einzahlseite und Retail oder digital auf der Auszahlseite benutzt. Um ein solches Produkt anbieten zu können, braucht man natürlich ein riesiges Ein- und Auszahl-Netzwerk und eine digitale Lösung. Bisher gibt es nur sehr wenige Anbieter, die diese beiden Lösungen verknüpfen können. Insofern haben wir hier eine echte Alleinstellung. Wir haben diese beiden Welten in einem Produkt vereint.

Deutschland und Rumänien sind die beiden ersten Märkte, in denen WU+ angeboten wird. Das ist insofern bemerkenswert, da Deutschland nicht gerade als Markt bekannt ist, in dem Innovationen im Zahlungsverkehr besonders früh an den Markt kommen. War hier die Bedeutung des deutschen Marktes im Geldtransfer-Geschäft ausschlaggebend?

Das war sicher einer der Aspekte. Wir wollten das Produkt in einem Senderund einem Empfängermarkt pilotieren und mit einem großen Korridor (einem Paar von Sender- und Empfängerland) starten. Und Rumänien ist für Deutschland der zweitgrößte Korridor nach der Türkei.

Mit der App können Nutzer jedoch sowohl aus Rumänien als auch aus Deutschland Geld in alle Länder senden. Wird jedoch Geld aus Deutschland nach Rumänien (oder umgekehrt) aus der App versendet, werden keine Gebühren fällig. Mit Deutschland und Rumänien sind wir gestartet. Weitere Länder auf der Liste sind Polen, Italien und weitere europäische Länder. Das Ziel ist natürlich ein globaler Rollout.

Ist Deutschland beim Geldtransfer eigentlich auch ein Zielland, in das Geld versendet wird?

Oh ja. Deutschland ist ein sehr großer Empfängermarkt, etwa aus der Türkei, Polen und Deutschland. Der überwiegende Teil der Transaktionen erfolgt jedoch aus Deutschland heraus.

Wie sieht das Geschäftsmodell aus, wenn innerhalb des Korridors Deutschland - Rumänien keine Gebühren anfallen?

Wir sehen die WU+-App beziehungsweise das Konto als Basis für unseren Ökosystem-Ansatz. Das ist vermutlich derzeit einer der am häufigsten gebrauchten Begriffe in unserer Industrie und bedeutet, dass auf einer Plattform Dienstleistungen und Produkte verschiedener Anbieter kombiniert werden, um eine Erlebniswelt für den Kunden zu schaffen, in der online Produkte gekauft werden können.

WU+ ist in diesem Ansatz ein Girokonto, mit dem traditioneller Geldtransfer abgewickelt werden kann, was traditionell unser Kerngeschäft ist. Aber wir bieten dort erstmals auch Sparkonten an, die verzinst werden. Wir bieten Zielkonten an, auf denen für bestimmte Zwecke gespart werden kann. Und es ist ein Mehrwährungskonto. Unser Geschäftsmodell sieht vor, dass wir an Gebühren und Fremdwährungsaufschlägen verdienen. Und wir planen, weitere Produkte auf der Plattform zu integrieren, die dann auch Teil des Geschäftsmodells sein werden.

Geht das Geschäftsmodell also weg vom klassischen Kerngeschäft hin in Richtung Plattform?

Ich würde nicht sagen, dass wir uns von unserem Kerngeschäft wegentwickeln. Dafür ist es zu substantiell. Sondern wir möchten unser Kerngeschäft ergänzen. Das hat nicht zuletzt etwas mit Kundenbindung zu tun, da solche Produkte für Kunden einen höheren Mehrwert haben, als wenn man lediglich Geld verschicken kann.

Bieten Sie eigene Sparprodukte an oder arbeiten Sie hier mit Partnerbanken zusammen?

Mit der Western Union International Bank in Wien besitzen wir eine eigene Bank und sind deshalb in der Lage, die eigene Banklizenz für die Produkte nutzen zu können. Auch das WU+ Girokonto ist ein Produkt unserer eigenen Bank. Das gleiche gilt für alle Services, die aktuell auf dieser App verfügbar sind.

Wir planen aber natürlich, auch Produkte von Drittanbietern auf die Plattform zu nehmen - von Banken, aber auch von anderen Partnern. Ein Ökosystem-Ansatz bedeutet ja immer, dass man mit mehreren Partnern zusammenarbeitet, um Mehrwerte zu schaffen.

Bisher sind wir allerdings noch nicht so weit, was mit dem kurzen Zeitraum zusammenhängt, in dem das Produkt am Markt ist. In Deutschland gab es im letzten Quartal 2021 eine Pilotierungsphase, um sicherzustellen, dass alles funktioniert. Mit dem eigentlichen Rollout haben wir erst im Mai begonnen. Deshalb sind Stand heute alle Produkte unsere eigenen. Einer der nächsten Schritte wird aber sicher sein, weitere Produkte anzubieten.

Verändern sich mit der Aufstellung als Plattform auch Ihre Zielgruppen?

Der erste Ansatz von WU+ ist es natürlich, unseren Bestandskunden, ein Produkt anzubieten, das sie auf dem Weg der Digitalisierung begleitet und ihnen dann auch Mehrwerte bietet. Die erste Zielgruppe sind deshalb unsere Bestandskunden. Doch natürlich ist das Produkt auch für Kunden interessant, die unsere Services heute noch nicht nutzen, weil es eine größere Leistungspalette umfasst - vom Mehrwährungskonto über die Visa-Debitkarte bis hin zum Sparen. Mit diesem Produktmix lassen sich auch Neukunden ansprechen.

Einer der wichtigsten Use Cases sind Menschen, die nach Deutschland kommen und ihre Familie daheim versorgen wollen. Ein weiterer sind junge Menschen, die zum Studieren ins Ausland gehen. Das ist aber sicher nicht der wichtigste Use Case.

Welchen Stellenwert wird das Geschäftsfeld Money Transfer in fünf Jahren noch für Western Union haben?

Immer noch eine große. Es gab schon immer mehrere Wege, die Bedürfnisse von Kunden zu befriedigen, die Geld versenden wollen. Die wird es auch weiterhin geben, auch wenn sich die Art und Weise verändert, wie man das tut. Vielleicht wird auch das Thema Kryptowährungen eine Rolle spielen.

So wie Westen Union jetzt aufgestellt ist - wen sehen Sie da als wichtigsten Mitbewerber?

Das ist eine sehr gute Frage. Um darauf die richtige Antwort zu geben, müsste man erst einmal den Begriff Wettbewerber in diesem Kontext definieren. Da es den traditionellen Retail Money Transfer gibt, den digitalen Money Transfer und wir uns im Bereich Omnichannel positionieren, sehe ich keinen Wettbewerber, der ein vergleichbares Angebot hat.

Die internationalen Karten-Schemes oder auch Paypal bieten mittlerweile alle die Möglichkeit, Geld innerhalb des jeweiligen Netzwerks zu versenden. Inwieweit stellen solche P2P-Lösungen eine Konkurrenz zum klassischen oder auch digitalen Geldtransfer dar?

Es ist richtig, dass diese Unternehmen ebenfalls Angebote im Bereich Remittances haben. Wie erwähnt, sehen wir in unserem Omnichannel-Angebot jedoch ein Alleinstellungsmerkmal.

Elke Lück , Vice President Central Europe; CEO Western Union Northern Europe GmbH, Frankfurt am Main , Western Union

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