PLATTFORMEN

Embedded Finance - wenn die Bank per API zum Kunden kommt

Paul Higgins, Foto: P. Higgins_Mendix

Bei Embedded Finance tritt die Marke der Bank, von der die Finanzdienstleistung kommt, oftmals völlig in den Hintergrund. Dennoch lohnt sich das Konzept für Banken, sagt Paul Higgins, ermöglicht es doch den Zugang zu völlig neuen Kundengruppen. Technische Grundlage für Embedded Finance sind Schnittstellen. Die Orchestrierung mehrerer solcher APIs kann dabei die Komplexität beträchtlich erhöhen. Hier können Low-Code-Plattformen ins Spiel kommen und sich als Mittler als eine Art Zwischenschicht auf veraltete oder wenig flexible Kernbankensysteme legen. Red.

Embedded Finance ist die derzeit dringlichste Herausforderung in der Digitalstrategie vieler Finanzinstitute. Anwendungsfälle, in denen Finanzdienstleistungen wie Zahlungen, Kreditvergaben oder Versicherungen in nicht-finanzielle User Experiences eingebettet sind, ermöglichen einfache und schnelle Transaktionen sowie Neugeschäft ohne Werbeausgaben. Veraltete und unflexible Kernsysteme von Banken stehen der Vernetzung mit passenden Partnern jedoch oft noch im Weg. Im Mittelpunkt des Angriffs vieler Fintechs auf etablierte Geldhäuser stand in den letzten Jahren die User Experience digitaler Bankdienstleistungen. Manchen Herausforderern ist es gelungen, mit attraktiven Apps Kunden für sich zu begeistern und junge, frische Marken aufzubauen. Viele etablierte Geldhäuser haben daraus längst gelernt und bieten zunehmend attraktive, kanalübergreifend vernetzte Kundenportale mit übersichtlicher Nutzerführung und vielfältigen Mehrwertfunktionalitäten an.

Low-Code beschleunigt die Transformation

Nicht selten setzen Geldhäuser zur Erstellung dieser User Experiences inzwischen Low-Code-Plattformen ein. Denn da vertiefte Programmierkenntnisse für die Mitarbeit auf Low-Code-Plattformen nicht unbedingt erforderlich sind, sondern die Apps und Services innerhalb einer visuellen Modellieroberfläche per Drag and Drop entworfen und zusammengebaut werden können, feilen IT- und Fachabteilungen, sowie oft auch externe Berater, gemeinsam an den Apps und Services, die sie immer weiter verbessern.

Die Rabobank IDB ist ein gutes Beispiel für die kontinuierliche Verbesserung der Customer Experience auf der Grundlage von Nutzerfeedback. Trotz knappen Budgets und Mangel an Programmierern erstellte ein kleines IT-Team der Rabobank auf der Low-Code-Plattform der Siemens-Tochter Mendix drei wesentliche Kunden-Touchpoints: Customer Onboarding, Onlinebanking und eine Mobile App. In kurzen Abständen veröffentlicht das Team neue und verbesserte Versionen. 4,7 Sterne-Bewertungen in den App Stores für Android und iOS zeigen, wie positiv die Nutzerinnen und Nutzer die Entwicklungen aufnehmen. Die gute Customer Experience zahlt hier direkt auf die Marke der Bank ein.

Neue Partnerschaften als strategischer Kern

Embedded Finance optimiert die Customer Experience dagegen bei weitgehendem Verzicht auf den Markenaufbau. Hier geht es um Partnerschaften mit anderen Anbietern zur Gewinnung von Marktanteilen. Eigene Services werden in bestehende Handels- und Dienstleistungsplattformen integriert.

Im Extremfall ist der Prozess so optimiert, dass Kunden gar nicht mehr unbedingt wahrnehmen, dass sie gerade Kunde einer Bank werden. Der Service der Bank ist vollständig in die Seite etwa eines Händlers oder Dienstleisters eingebunden. Der Kunde entscheidet sich für den Kauf eines Produktes und bekommt das Zahlungsmittel, vielleicht aber auch ein Kreditangebot automatisch mit dazu. Von welcher Bank das kommt, ist dabei möglicherweise gar nicht relevant. Die Kunden müssen ja weder eine eigene App herunterladen, noch sich in ihr Banking-Portal einloggen. Alles findet auf der Seite des Partnerunternehmens statt. Banken haben gleichwohl auch hier einen Mehrwert, denn anstatt zu warten, bis Kunden auf ihre Dienste stoßen, bieten sie diese über die Drittanbieter direkt am Point of Sale an.

Zwei unterschiedliche Customer Journeys, nämlich die Transaktion des Kunden mit dem Partner und seine Transaktion mit der Bank, werden in einem einzigen Kundenerlebnis zusammengefasst. Damit ist die Idee intuitiver, einfacher, schlanker Prozesse im Frontend über die eigenen Banking-Apps hinausgedacht.

Die Darstellung der eigenen Bankendienstleistungen muss dafür jedoch so flexibel sein, dass sie sich ideal in verschiedenste andere Umgebungen einpassen lassen. Selbstverständlich sollten die Prozesse End-to-End vollständig digital sein.

Banken können eine führende Rolle spielen

Banken bringen wichtige Vorteile mit, die ihnen eine führende Rolle in Embedded Finance ermöglichen:

  • umfassende Branchenkenntnisse,
     
  • ein hohes Maß an Vertrauen, das ihnen entgegengebracht wird,
     
  • einen großen Kundenstamm,
     
  • Liquidität und
     
  • direkten Zugang zu kostengünstigem Kapital.

In einer im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie stellte Juniper Research fest, dass sich das weltweite Volumen des Embedded-Finance- Marktes in den nächsten fünf Jahren mehr als verdreifachen und im Jahr 2026 138 Milliarden US-Dollar übersteigen wird. Es wird erwartet, dass Embedded Lending rund die Hälfte dieses Marktes ausmachen wird. Eine gemeinsame Studie der Solarisbank und des Handelsblatt Research Institute schätzt den weltweiten Embedded- Finance-Markt auf über 230 Milliarden Euro. In jedem Fall ist klar, dass sich hier enorme Potenziale bieten.

Der E-Commerce-Markt ist konstant und kontinuierlich gewachsen, seit der Pandemie sogar zwei- bis fünfmal schneller als zuvor. Das treibt die Verbreitung digitaler Geldbörsen und flexibler Finanzierungsmöglichkeiten voran.

Laut der genannten Studie des Solarisbank- und Handelsblatt Research Institutes sind 61 Prozent der Deutschen bereit, Finanzdienstleistungen in Online-Shops zu kaufen. Mehr als ein Viertel würde ein Girokonto bei Amazon eröffnen, gefolgt von Lidl und dm. Um an diesem Wachstumspotenzial teilzuhaben, müssen Finanzinstitute umdenken und sich an neue technische Infrastrukturen anpassen. Diese neuen Plattformen und Systeme müssen einfach aufzubauen und zu bedienen sein.

APIs als technische Grundlage

Im Spiel der Plattformen und Services können die Finanzinstitute Partnerschaften auf unterschiedlichen Ebenen eingehen.

  • Einerseits geht es darum, die eigenen Services in den digitalen Angeboten von Händlern, Dienstleistern und Intermediären zu platzieren.
     
  • Andererseits lässt sich das eigene Leistungsportfolio durch die Services von Start-ups und Drittanbietern anreichern. So erzeugen Banken hohe Reichweiten für innovative Angebote.

Die Embedded-Finance-Digitalstrategie setzt weniger auf klassischen Imageaufbau oder auf performanceorientiertes Suchmaschinenmarketing, sondern eben in erster Linie auf Kooperationen und möglichst reibungslose Datenflüsse zwischen diversen Playern. Dafür sind flexibel anpassbare IT-Anwendungen und vor allem Schnittstellen notwendig. APIs (Application Programming Interfaces) sind das Bindegewebe in den digitalen Ökosystemen und erlauben den Datenaustausch mit anderen Apps, ohne deren Inneres zu kennen.

Komplexität managen

Während die Bereitstellung eines Microservice als API für die meisten Banken keine große technische Herausforderung darstellt, erhöht die Orchestrierung mehrerer solcher APIs in einer sogenannten Produkt-API die Komplexität enorm.

Eine Produkt-API enthält je nach Funktion mehr oder weniger an Business- Logik. Die Komplexität steigt erheblich, weil ein Großteil der Funktionen, die normalerweise in eine APIs nutzende Anwendung integriert werden, nun in die API selbst integriert werden muss. Hierzu kann die Orchestrierung mehrerer API-Aufrufe mit unterschiedlichen Antwortzeiten gehören, zum Beispiel zur Eröffnung eines Kontos, zur Durchführung von KYC-, AML- und Kreditprüfungen sowie zur Ermittlung der korrekten Kreditkonditionen und schließlich der Rückmeldung dieser Konditionen als Angebot.

Dies erfordert Prozess- oder Workflow-Management, Datenpersistenz und sogar Frontends, die es der Fachseite ermöglichen, Anpassungen an den Parametern vorzunehmen sowie verschiedene Berichte zu erstellen und die Geschäftsleistung der API zu analysieren.

Vorgefertigte Funktionsblöcke

Low-Code ermöglicht die Erstellung und Verwaltung solcher APIs und der damit verbundenen Anforderungen auf eine wesentlich einfachere und effizientere Weise. Die APIs können als zusammensetzbare Funktionsblöcke aufgebaut werden, was die Möglichkeiten zur Wiederverwendung erhöht und Variationen zum Beispiel für verschiedene regionale Anforderungen ermöglicht.

Die visuelle Sprache von Low-Code erleichtert es Business-Analysten zu verstehen, was vorgeht, ohne dass sie Hunderte (wenn nicht Tausende) von Codezeilen durchlesen müssen. Die Zeitersparnis ist auch hier nicht zu unterschätzen.

Auch das Testen und Erweitern der Funktionalität ist extrem einfach. Out-of-the-Box-Funktionen können dabei unterstützen. So lässt sich mithilfe von künstlicher Intelligenz die Logik der erstellten Anwendung analysieren und sicherstellen, dass die Anwendung tatsächlich funktioniert. Selbstverständlich werden alle etablierten Best-Practice-Sicherheitsstandards dabei eingehalten.

Verteilte Daten effizient verwalten

Der Data Hub von Mendix ermöglicht darüber hinaus die sichere und datenschutzkonforme Kombination der hauseigenen Datenbestände mit den Daten aus den Apps des Partnerunternehmens und weiteren externen Datenbeständen. Das selbst definierte Sicherheitsniveau ist dabei zu jeder Zeit garantiert. So kann ein Anbieter beispielsweise schnell und einfach prüfen, welche Art von Angeboten einem bestimmten Kunden innerhalb einer Partner-App angezeigt werden, wie der Kunde angesprochen werden soll und vieles mehr. Darüber hinaus löst ein solcher Data Hub auch die Frage, wer welche Daten aus welchem Grund nutzt. Mit herkömmlichen API-Standards ist das nicht möglich.

Die Kombination aus einem hohen Vernetzungsgrad, hyperindividualisierter Kundenansprache, höchstem Sicherheitsniveau und der flexiblen, aber dennoch schnellen Erstellung digitaler Services kann entscheidende Wettbewerbsvorteile eröffnen.

Mittler zwischen neuen Services und Kernbankensystem

Über die Programmierung und das Management der Schnittstellen hinaus lässt sich die Entwicklungszeit der gesamten Nutzererfahrung für Desktop, Mobile Apps, Wearables und IoT durch Low-Code stark beschleunigen. Gleichzeitig führt Low-Code durch eine Zusammenarbeit von Spezialisten unterschiedlicher Abteilungen auf der Plattform zu besseren Ergebnissen als traditionelle Programmierung. Selbst externe Berater können über die Plattform Services beisteuern, ohne dass die Sicherheit oder gar die Funktionalität des Gesamtsystems in irgendeiner Weise gefährdet wäre.

Die Templates, Module und App-Bausteine lassen sich dann einfach in die eigene Infrastruktur einfügen und individuell anpassen. Dafür legt sich die Low-Code-Plattform wie eine Zwischenschicht über die teils veralteten oder unflexiblen Kernbankensysteme.

Innovation ermöglichen

Über die Programmierung und das Management der Schnittstellen hinaus lässt sich mit Low-Code-Multi-Experience-Entwicklungsplattformen die Entwicklungszeit für das gesamte Nutzererlebnis für Desktop, mobile Apps, Wearables und IoT erheblich vereinfachen und beschleunigen. Weder der Vernetzung mit anderen Partnern noch der Entwicklung eigener innovativer Services werden so Grenzen gesetzt. Innovative Technologien lassen sich auf Knopfdruck einfach zuschalten.

  • So lassen sich beispielsweise künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen einsetzen, um Produkte auszuwählen, die den Kunden angeboten werden sollen, oder um sie effizient durch den Onboarding-Prozess zu begleiten.
     
  • Texterkennung und Dokumentenverarbeitung erhöhen die Genauigkeit von Prozessen, die auf digitale Versionen von Papierdokumenten angewiesen sind.
     
  • Und die Bild- und Videoverarbeitung könnte beispielsweise bei einer Anlageninspektion eingesetzt werden, um den Standort und die Echtheit eines Leasingobjekts sicherzustellen und zu überprüfen.

Agile Entwicklungsstrategien stellen den Kunden und seine Nutzererfahrung in den Mittelpunkt, nehmen Feedback ernst und setzen auf eine ständige Optimierung von schnell erstellten Prototypen. Zusätzlich gewinnt die Vernetzung unterschiedlicher Services weiter an Bedeutung. Low-Code unterstützt diesen Kulturwandel, indem es allen beteiligten internen und externen Kräften eine gemeinsame Bildsprache und einen digitalen Arbeitsort zur Verfügung stellt.

Die Zeit von der Idee bis zum breiten Roll-out wird so enorm verkürzt von Monaten und Jahren auf Tage und Wochen. Eingebaute Sicherheitsleitplanken sorgen für ein gleichbleibend hohes Sicherheitsniveau, während Verbesserungen an der User Experience in regelmäßigen Iterationszyklen stattfinden. So können Banken schnell auf Marktveränderungen reagieren und den Kunden eine bestmögliche und optimal vernetzte digitale Nutzererfahrung auf all ihren Endgeräten, einschließlich Wearables, IoT und VR, ermöglichen - im Fall der Embedded Finance durch Partner in einem wachsenden digitalen Ökosystem.

Baukastensystem Low-Code
 
Low-Code-Plattformen ermöglichen und beschleunigen die digitale Transformation von Unternehmen. Den Anwendern stehen, wie in einem Baukasten, vorgefertigte Programm-Blöcke zur Verfügung. Daraus lassen sich über eine grafische Benutzeroberfläche, nach modellgesteuerter Logik, beliebige Funktionen zu fertigen Softwareanwendungen zusammenfügen. Auch IT-Laien aus den Fachabteilungen, sogenannte Citizen Developer, können sich so an der Digitalisierung beteiligen und individuell maßgeschneiderte digitale Lösungen erstellen. Oft bauen Teams aus IT-Experten und Citizen Developern gemein sam an maßgeschneiderten Apps oder passen App-Vorlagen für den individuellen Bedarf an, erstellen Verknüpfungen und nutzen Daten aus dem Ökosystem für ihre Apps. Daten unterschiedlicher Herkunft lassen sich über den Data- Hub zusammenführen und verwalten, externe Lösungen wie künstliche Intelligenz auf Knopfdruck zuschalten. Zahlreiche Partner, darunter führende Beratungshäuser, Branchenexperten und Start-ups bieten maßgeschneiderte Branchenlösungen an. Per Low-Code lassen sich diese Vorlagen individuell anpassen und einfach an die vorhandenen Kernbankensysteme anbinden. Zahlreiche Bankinstitute nutzen Low-Code bereits für ihre fortgesetzte digitale Transformation.
Paul Higgins , EMEA Industry Lead, Banking & Financial Services , Mendix Technology B.V., Frankfurt am Main

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