Inflation und Versicherungen: Gegenläufige Entwicklungen in Sach und Leben

"Die Folgen der massiv angestiegenen Inflation werden sich kurz- bis mittelfristig auch in nahezu allen Sparten des deutschen Versicherungswesens niederschlagen". Dessen ist sich Dr. Maximilian Happacher, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV), sicher. So ist beispielsweise der in der Wohngebäudeversicherung wichtige Baupreis index im vergangenen Jahr um über 14 Prozent gestiegen, der größte Anstieg seit 51 Jahren. Stark steigende Preise bei Kfz-Ersatz teilen und Reparaturkosten lassen in der Assekuranz den sogenannten "Reparaturkostenindex Kraftfahrt" stetig ansteigen. In der Privaten Krankenversicherung (PKV) ist nicht mehr länger der medizinisch-technische Fortschritt Treiber der Gesundheitskosten. Sondern es ist zum Beispiel damit zu rechnen, dass die ohnehin seit Jahren steigenden Medikamentenkosten zusätzlich von steigenden Herstellungskosten getrieben werden.

Aus diesen Daten lassen sich der Deutschen Aktuarvereinigung zufolge zwar keine generellen Prognosen zu künftigen Prämienentwicklungen ableiten, da Umfang und Geschwindigkeit von Preisanpassungen stark unternehmensindividuell sind. Preisgünstiger werden die Policen aber sicher nicht, auch wenn sich beispielsweise in der PKV aufgrund des komplexen Prämienanpassungsverfahrens inflationsbedingte Kostensteigerungen nach DAV-Prognosen flächendeckend frühestens in den Beitragsanpassungen für 2024 niederschlagen werden, abhängig jeweils von der Kollektivzusammensetzung und der Kostenentwicklung in den jeweiligen Unternehmen.

Lebensversicherung im Zangengriff

Anders stellt sich die Situation in der Lebensversicherung dar. Trotz des Paradigmenwechsels in Sachen Garantien leidet sie wie jede langfristige Sparform aktuell darunter, dass die Nominalverzinsung derzeit langsamer steigt als die Inflation. Im Vergleich der Finanzerträge der privaten Haushalte in den verschiedenen Spar- und Anlageformen (siehe Daten und Fakten) schneiden Versicherungen deshalb am schlechtesten ab. Auch Produkte der "neuen Klassik" konnten zuletzt nicht mit attraktiven Renditen punkten und haben zumindest kurzfristig nicht durchweg den Test bestanden, das zu liefern, was den Kunden versprochen wurde.

Natürlich hinkt dieser Vergleich, weil es bei Versicherungsprodukten zum einen um eine Langfristperspektive und zum anderen um mehr als nur Rendite geht. Doch die Verbraucherperspektive bezieht die Absicherung biometrischer Risiken oft nicht ein. "Leider ist die Realverzinsung bei Bank- und Versicherungsprodukten, die nicht in Aktien oder andere chancenreiche Substanzwerte investieren, im Moment so negativ wie nie zuvor und sie wird mittelfristig auch negativ bleiben", sagt deshalb Maximilian Happacher. Die Inflation ändere jedoch daran, dass die Menschen künftig mehr statt weniger kapitalgedeckte Altersvorsorge benötigen.

Um dem Zangengriff aus hoher Inflation und niedrigen Kapitalmarktzinsen zu entkommen, plädiert die DAV deshalb für zwei Maßnahmen. Erstens sollte die Politik die rechtlichen Rahmenbedingungen so anpassen, dass Versicherer mehr in chancenreiche Anlagen investieren können. Dazu gehören die Anpassung handels- oder aufsichtsrechtlicher Hürden für Investments in Aktien und Infrastruktur sowie eine Lockerung der strengen Vorgaben für den vollständigen Beitragserhalt bei Riester und in Teilen der betrieblichen Altersversorgung - und damit eine Maßnahme, die bei den Verbrauchern nicht unbedingt auf Gegenliebe stößt. Das zeigte beispielsweise eine im Mai veröffentlichte Umfrage des Deutschen Instituts für Vermögensbildung und Alterssicherung (DIVA). Demnach steht eine staatliche Förderung auf der Wunschliste in Sachen private Altersvorsorge ganz oben (79,4 Prozent). Garantierte Leistungen folgen mit 78,5 Prozent Nennungen jedoch dicht dahinter, während hohe Renditechancen, mit denen die Versicherer die neuen Garantiemodelle bewerben, mit 53,6 Prozent Nennungen noch hinter der Nachhaltigkeit (59,8 Prozent) rangieren.

Zinszusatzreserve - Höchststand überschritten?

Deshalb sehen die Aktuare zweitens auch die EZB gefordert, dem Vorbild der US-amerikanischen Notenbank zu folgen und die Zinsen schrittweise zu erhöhen.

Dass sich die Kapitalmärkte bereits auf das Ende der Ära des ultrabilligen Geldes einstellen, was sich seit einigen Monaten in steigenden Zinsen für festverzinsliche Wertpapiere zeigt, schlägt sich bereits positiv in den Solvenzquoten der Versicherer nieder. Und die seit 2011 zu stellende Zinszusatzreserve ist nach Einschätzung der DAV inzwischen in vielen Unternehmen komplett ausfinanziert. Sollte sich das aktuelle Zinsniveau verstetigen, werde die Zinszusatzreserve im Branchenschnitt Ende 2021 mit knapp 100 Milliarden Euro wohl ihren Höchststand erreicht haben und in den kommenden Jahren sogar leicht fallen, prognostiziert Dr. Guido Bader, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Aktuarvereinigung.

Überschussbeteiligung: Anstieg wird noch dauern

Die Durststrecke für die Versicherten und damit die geringen Anreize zum Abschluss werden gleichwohl noch eine Weile andauern. Durch den aktuellen Zinsanstieg werden in den HGB-Bilanzen der Versicherer sogenannte Stille Lasten aufgebaut. Diese werden nach Erwartung der DAV in vielen Häusern zunächst mit den frei werdenden Mitteln aus der Zinszusatzreserve ausgeglichen. Denn Auflösung sowie die höheren Zinsen bei der Neu- und Wiederanlage der Beiträge würden den Versicherten deshalb erst mittel- bis langfristig in Form höherer Kapitalerträge zugutekommen, sodass dann auch die Überschussbeteiligungen wieder steigen können. Eines aber scheint gewiss: Die klassischen Langzeitgarantien kommen auf absehbare Zeit nicht zurück.

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