Regulierung

Verbraucherkreditrichtlinie: Den Letzten verlassen die Kunden

Seit diesem Sommer gelten in Deutschland neue Regeln für die Vergabe von Krediten an Privatkunden. Mit der Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie (VKR) der Europäischen Union (EU) in nationales Recht zum 11. Juni 2010 wurde der Weg der EU zu mehr Verbraucherschutz im Kreditmarkt fortgesetzt. Eine Reihe von Instituten hat allerdings erst spät mit den Umsetzungsprojekten begonnen. Nun müssen einige von ihnen aufs Tempo drücken, um bis zum Ablauf der Übergangsfrist Ende des Jahres die rechtlichen Mindestanforderungen zu erfüllen. Zahlreiche Institute hatten sich wohl aufgrund der durch den Druck einiger Banken er wirkten Verschiebung des Einführungstermins von Oktober 2009 auf den Juni 2010 dazu verleiten lassen, später als viele Mitbewerber mit den Umsetzungsprojekten zu beginnen. Damit sind sie, wie sich nun zeigt, allerdings erhebliche rechtliche und nicht zuletzt kaufmännische Risiken eingegangen.

Wettbewerbsnachteile durch Behelfslösungen

Beispiel Widerrufsbedingungen: Hier drohen den Instituten spürbare Wettbewerbsnachteile, wenn ihnen die Anpassung bestehender Altverträge nicht bis zum 31. Dezember dieses Jahres gelingt. Denn wenn die Darlehensvergabe den Kunden weniger transparent und vielleicht sogar teurer erscheint als bei anderen Banken, könnten Kontenwechsel und Kundenabwanderungen die Folgen sein. Die bisher vielerorts verwendeten Behelfslösungen dürften spätestens dann ihre Schwächen offenbaren, wenn die ersten Verbraucherschutzverbände die Kreditbranche Anfang 2011 im Hinblick auf die Umsetzung der VKR ganz genau unter die Lupe nehmen werden.

Weiterer Änderungsbedarf durch das Annexgesetz

Doch damit nicht genug: Institute, die sowieso schon spät damit dran waren, ihre Abläufe, Formulare und IT-Systeme rechtzeitig und mit der nötigen Sorgfalt umzustellen, geraten nun zusätzlich unter Zeitdruck. Hat der Gesetzgeber doch äußerst kurzfristig noch eine Novellierung des Gesetzes vorgenommen. Erst am 17. Juni dieses Jahres, also wenige Tage nach dem eigentlichen Umsetzungstermin, wurde eine erneute Konkretisierung in Form eines Annexgesetzes erlassen. In diesem Zusatz werden die Musterwiderrufsinformationen für Verbraucherdarlehensverträge, die Vorschriften über das Widerrufsrecht sowie eine Änderung des Darlehensvermittlungsrechts noch einmal ausführlich ergänzt.

Diese Änderungen lösen weiteren Umsetzungsbedarf aus und fordern die Institute somit doppelt heraus: Sie müssen die bestehenden Behelfslösungen durch automatisierte und damit kostengünstige Verfahren ersetzen. Gleichzeitig sind dabei die Neuregelungen des Annexgesetzes zu berücksichtigen, um zum Stichtag auch rechtlich

belastbare Formulare und Applikationen zu verwenden. Gelingt dies nicht, könnten Verletzungen vorvertraglicher oder vertraglicher Pflichten zu Rückabwicklungen von Kreditgeschäften und damit schmerzlichen Auswirkungen auf Profitabilität und Reputation führen.

Komplexität unterschätzt

Bereits im Jahre 2008 hatten Experten davor gewarnt, die nationale Einführung der VKR zu unterschätzen, trifft der Umsetzungsaufwand die Banken und Sparkassen doch auf der vollen Breite. Die notwendigen Maßnahmen reichen von Anpassungen im Formularcenter und im Rechenkern bis hin zu intensiven Schulungen der einzelnen Mitarbeiter.

Viele Institute haben dieses Signal ernst genommen und die Aufgaben zur Umsetzung der Richtlinie rechtzeitig und in angemessener Qualität erledigt. Einige sind dabei sogar zeitgleich mit der Umsetzung der VKR noch einen Schritt weiter gegangen, indem sie ihr Geschäftsverhalten einem Kodex unterwerfen, der über die gesetzliche Norm der Verbraucherkreditrichtlinie noch hinaus geht.

Dass viele - nicht zuletzt kleine und mittlere - Institute in eine solch unangenehme Lage geraten konnten, hat damit zu tun, dass die Komplexität von einigen unter schätzt wurde. Im Zuge der Finanzkrise führten dann die allgemeinen Sparmaßnahmen bei vielen Banken und Spar kassen auch bei den Umsetzungsbudgets in Sachen VKR zu einer "Spirale nach unten". Vor drei Jahren wären für die Umsetzung der Richtlinie wohl höhere Budgets festgelegt worden. So hat Steria Mummert Consulting zum Beispiel bei der Umsetzung einer vergleichbaren Richtlinie - der EU-Versicherungsvermittlerrichtlinie 2007 - im Markt bis zu fünfmal höhere Budgets für externe Unterstützung beobachtet. Die Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie wurde also unterschätzt, und nun sind sehr kurzfristig Nacharbeiten nötig. Die Tücken beispielsweise bei der Umstellung einer Rechenkernanwendung auf die neuen Effektivzinsparameter oder auch bei der konsistenten Abbildung in allen Folgeapplikationen und Kundendokumenten stecken wie so oft im Detail. Die Kurzfristigkeit treibt den ohnehin schon erheblichen Aufwand für die notwendigen Maßnahmen dabei zusätzlich in die Höhe.

Forderungen von Politik und Verbraucherschutz antizipieren

Als Fazit lässt sich festhalten: Das Beispiel Verbraucherkreditrichtlinie zeigt, dass es für Kreditinstitute immer wichtiger wird, mögliche Forderungen von Politik und Verbraucherschutzverbänden im Voraus zu identifizieren. Auf den Gesetzgeber zu warten oder darauf zu schauen, was Mitbewerber tun, kostet unter Umständen wertvolle Zeit und verschenkt Wertpotenziale, die ein proaktives Handeln heben könnte.

Langfristig gefährdet es auch die Kundenbeziehungen, wenn ein Institut nur als Nachzügler oder Mitläufer wahrgenommen wird. Darüber hinaus sollten die Unternehmen ihr Vorgehen bei der Umsetzung von Gesetzesänderungen standardisieren. So können schon bei der nächsten Novelle Kosten eingespart und die Effizienz erhöht werden. Das Tempo der Umsetzung zieht auf diese Weise ebenfalls an. Oder frei nach Gorbatschow: Wer zu spät kommt, den bestraft der Kunde.

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