Erträge unter Druck

Ist die Lebensversicherung nochzukunftsfähig?

Die Lebensversicherung deutscher Prägung ist eine herausragende Erfolgsgeschichte. Seit Jahrzehnten sichert sie Millionen Bürgern den Lebensstandard im Alter. Ende 2009 bestanden rund 91,5 Millionen Verträge. Bereits heute wird ein Viertel aller Leistungen für Alter, Hinterbliebene und Invalidität oder Berufsunfähigkeit durch die Lebensversicherer erbracht, und dieser Anteil steigt stetig. Die demografische Entwicklung hat Reformen in der gesetzlichen Rentenversicherung notwendig gemacht. Mit der Riester- und der Rürup-Rente, aber auch der Förderung der betrieblichen Altersvorsorge wurden Anreize gesetzt, die kapitalgedeckte Vorsorge voranzutreiben. Um seinen Lebensstandard halten zu können, wird der durchschnittliche Arbeitnehmer, der nach 2030 in Rente geht, rund 50 Prozent seines Renteneinkommens aus der privaten und betrieblichen Altersversorgung beziehen müssen.

Die Lebensversicherung als Auslaufmodell?

Nie war private Vorsorge, insbesondere die Altersvorsorge, so wichtig wie heute, und noch nie war der gesellschaftliche und politische Konsens über die Notwendigkeit so ausgeprägt. Dennoch werden in Zeiten der Finanzkrise und vor dem Hintergrund niedriger Kapitalmarktzinsen Fragen nach der Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells der Lebensversicherer laut. Die Zweifel gehen dabei in zwei Richtungen: Jene, ob der Klassiker Lebensversicherung noch zeitgemäß sei, und jene, die ihn durch das regulatorische Umfeld bedroht sehen.

Das Modell der deutschen Lebensversicherung hat sich stetig weiterentwickelt. Im Vordergrund steht heute die private Rentenversicherung, die ein lebenslanges Einkommen sicherstellt. Und wie wichtig dies ist, zeigt der anhaltende Langlebigkeitstrend. Jedes Jahr nimmt die Lebenserwartung der Deutschen um zwei bis drei Monate zu. Jedes zweite in Deutschland neugeborene Mädchen hat nach Schätzung des Rostocker Max-Planck-Institutes für Altersforschung zwischenzeitlich eine Lebenserwartung von 100 Jahren. Dies bedeutet, dass sich bis zum Jahr 2030 die Lebenserwartung um rund vier Jahre erhöht. Gleiches Renteneintrittsalter vorausgesetzt, steigt damit die Rentenbezugsdauer um 20 Prozent. Für jeden Einzelnen mag seine Lebenserwartung schwer zu prognostizieren sein, für die Gesamtheit der Bevölkerung gilt dies nicht.

Bürger stärker sensibilisieren

In der privaten Rentenversicherung wird dieser Langlebigkeitstrend berücksichtigt, sodass ein lebenslanges Einkommen in garantierter Höhe auch wirklich zur Verfügung steht. Und wie viel solche Garantien wert sind, haben gerade die letzten beiden großen Finanzkrisen 2001 bis 2003 und 2008/09 gezeigt. Die Überschussbeteiligung wurde zwar aufgrund der dauerhaft niedrigen Zinsen zurückgenommen, doch vor Verlusten blieben die Kunden verschont. Die Lebensversicherer bieten eine demografiefeste, generationengerechte, ertragreiche und dabei besonders sichere Lösung. Möchte die Politik heute die Altersarmut von morgen vermeiden, muss sie weiter auf die Anreize zur betrieblichen und privaten Altersvorsorge setzen.

Zudem müssen die Bürger trotz des bereits stattfindenden Bewusstseinswandels noch deutlich stärker für das Thema Altersvorsorge sensibilisiert werden, gerade weil es komplex und für viele Menschen noch weit entfernt ist. Die noch zu geringe Durchdringung der privaten Vorsorge wird zum Beispiel an der Lebensversicherungsprämie pro Kopf deutlich. In Deutschland liegt sie bei 1360 US-Dollar pro Kopf im Vergleich zu 1720 US-Dollar pro Kopf im EU-Durchschnitt. In manchen Länden ist sie gar mehr als doppelt so hoch, beispielsweise in England und Frankreich. Die Versicherungs- und Bankwirtschaft trägt aufklärend zur nachhaltigeren Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme bei.

Besonders zu betonen ist die Rolle der Lebensversicherer bei der Absicherung biometrischer Risiken wie Invalidität, Tod und Langlebigkeit durch den Ausgleich über das Kollektiv. Lebensversicherer bieten ihren Kunden viel Service: Vor Abschluss etwa individuelle, bedarfsgerechte und zunächst kostenlose Beratung. Nach Abschluss auch, den Vorurteilen zuwiderlaufend, eine hohe Flexibilität (Einschluss, Ausschluss, Beitragsreduktion, -steigerung, -freistellung und -stundung, Policendarlehen und anderes). Nicht zu unterschätzen ist auch der Service der professionellen Vermögensverwaltung auch bei kleinen Beträgen.

Geschäftsmodell bleibt ein Wachstumsmarkt

Das Konzept der Lebensversicherung belohnt das "Durchhalten" des Vertrags. Das ist ein enorm wichtiger Anreiz im Hinblick auf die Rolle der Lebensversicherung als nachhaltiges, langfristig ausgerichtetes Instrument zur Sicherung des Lebensunterhaltes in relativ ferner Zukunft. Eine Dynamisierung der Beiträge und Leistungen führt dazu, dass die Verträge einen eingebauten Inflationsschutz haben und der Lebensstandard auch real gesichert werden kann. Nicht zuletzt spricht für die Lebensversicherung, dass sie in ihren Grundprinzipien den Kunden gut erklärbar und für sie sehr bequem ist. Durch seine Vorteile und seine Einzigartigkeit hat sich das Konzept Lebensversicherung seit Jahrzehnten bewährt.

Angesichts dieser Kombination von Vorteilen, die wie kein anderes Produkt die heute und morgen brennenden Fragen der Vorsorge adressieren, habe ich keinen Zweifel, dass das Geschäftsmodell der Lebensversicherung ein Wachstumsmarkt bleibt - der seit Jahren zu beobachtende Zuwachs in der Branche zeugt davon.

Selbst im Krisenjahr 2008 wuchs die Branche leicht, und in den ersten drei Quartalen 2010 war das Wachstum im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sogar zweistellig. Das hohe und stets steigende Geldvermögen der Deutschen, das bereits deutlich über dem Vorkrisenniveau liegt, eröffnet zudem die Perspektive, Fehler vergangener Generationen nicht zu wiederholen und das System der sozialen Sicherung auf mehrere und standfähigere Beine zu stellen.

Bringt das regulatorische Umfeld die Lebensversicherung zu Fall?

Der andere große Themenblock ist, wie eingangs erwähnt, das regulatorische Umfeld. Die Finanzkrise hat bereits vorher aktuelle Diskussionen dringlicher und intensiver werden lassen. Besonders zu nennen ist hier Solvency II. Dabei sollen europaweit die Regelungen zur Kapitalausstattung der Versicherer und die Aufsicht vereinheitlicht werden. Im Kern geht es dabei um die Beantwortung einer simplen Frage: Wie kann man verhindern, dass ein Versicherer die den Kunden zugesagten Leistungen nicht erbringen kann?

Das könnte etwa durch einen Großschaden geschehen, der zu Zahlungsverpflichtungen führt, die den Versicherer finanziell ruinieren. Oder es könnte durch Entwicklungen am Kapitalmarkt passieren, die es unmöglich machen, die lang laufenden Verpflichtungen zu erfüllen. Deshalb soll das neue Regime nicht nur die primären Versicherungsrisiken wie etwa Langlebigkeiteinbeziehen, sondern auch die Kapitalanlagerisiken, sodass zum Beispiel Aktienanlagen mit mehr Eigenmitteln ("notwendiges Risikokapital") hinterlegt werden müssen als Anleihen.

Eine Leistungszusage darzustellen, die ein ganzes Menschenleben lang hält, ist eine große Herausforderung, denn entsprechend langfristige Anlagemöglichkeiten existieren am Kapitalmarkt nicht oder nur zum Teil.

Außerdem würde es auch aus Kundensicht wenig Sinn machen, die Verpflichtung für die gesamte Laufzeit mit einer Anleihe zu einem festen Zins abzusichern, da der Kunde auch an steigenden Zinsen bei höherer Inflation partizipieren möchte.

Buchhalterisch ausgedrückt entspricht die Laufzeitstruktur der Verpflichtungen nicht der der Kapitalanlagen. Ein wesentlicher Punkt bei der Beantwortung der Frage nach der Sicherheit der Anlagen und der Einhaltung der gegebenen Leistungsversprechen sind deshalb Puffer wie die Hinterlegung mit Eigenmitteln, um zum Beispiel auch in Niedrigzinsphasen alle Garantien sicher erfüllen zu können. Die Ermittlung einer adäquaten Richtgröße, die hohe Sicherheit garantiert und das Geschäftsmodell gleichzeitig rentabel hält, ist deshalb so schwierig, weil bei derart weit in die Zukunft blickenden Analysen kleine Veränderungen in den Annahmen große Auswirkungen auf die Ergebnisse haben.

Eine echte Herausforderung stellen auch Modellrechnungen zur Bewertung der Aktiva und Passiva (insbesondere zu den versicherungstechnischen Rückstellungen und zu den tatsächlich vorhandenen Eigenmitteln) dar, die auf Marktwerten basieren und bis zu 100 Jahre in die Zukunft reichen. Es leuchtet unmittelbar ein, dass unter anderem wegen des Zinseszinseffektes kleine Änderungen etwa am angesetzten langfristigen Zinsniveau große Änderungen an den sich ergebenden Mindestsolvenzanforderungen bewirken. Diese jedoch sind mit entscheidend dafür, ob sich das Geschäftsmodell für den Versicherer lohnt, oder ob die Aussprache der sozialpolitisch so wichtigen Garantien schlicht zu teuer wird und der Regulator damit das eigentliche Ziel, nämlich den Kunden mehr Sicherheit zu bieten, geradezu konterkariert, weil dann nur noch Produkte ohne harte Garantien angeboten werden.

Lebensversicherung nicht schwächen

Ein weiteres Problem besteht in dem Risiko, dass die diskutierten Modelle ein prozyklisches Anlageverhalten erzeugen, das zur Destabilisierung der Finanzmärkte beiträgt. Sinken zum Beispiel die Marktzinsen, steigen die Risikokapitalanforderungen der Lebensversicherer, es sei denn, die Unternehmen verlängern die Laufzeit ihrer festverzinslichen Anlagen. Hierbei geht es nicht um die am Markt üblichen Laufzeiten von bis zu zehn Jahren, sondern weit darüber hinaus. Bei Laufzeiten ab 15 Jahren ist das Angebot am Markt aber sehr gering, da nur wenig in diesem Bereich emittiert wird.

Wenn eine große Nachfrage auf ein kleines Angebot trifft, führt dies schnell zu Marktverwerfungen, zum Beispiel in Form unnatürlich niedriger Zinsen für ultralange Laufzeiten. Mit diesen sehr niedrigen Zinsen sind dann wiederum die sehr lang laufenden Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen zu bewerten, was zu weiterem Risikokapitalbedarf führt. Es wird daher sehr wesentlich darauf ankommen, wie in Solvency II die Zukunft abgebildet wird. Hier sind die Diskussionen in vollem Gange.

Wir wären sehr schlecht beraten, wenn wir im Nachgang der Krise ausgerechnet jene Vorsorgeform schwächen würden, die sich seit Jahrzehnten und durch alle Krisen als stabil und nachhaltig erwiesen hat. Die deutsche Lebensversicherungsbranche hat allen Grund, ihre Kernprodukte nicht als Auslauf-, sondern vielmehr als Exportmodell zu begreifen. Jede andere Anlageform ist den Nachweis, langfristig, ertragreich und verlässlich den Lebensstandard im Alter sichern zu können, bisher schuldig geblieben. Die Lebensversicherung sorgt zuverlässig dafür, dass am Ende des Geldes nicht zuviel Leben übrigbleibt.

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