Marktforschung für Finanzdienstleister

Kundenorientierung - mehr als "Tranquilizer für die Aktionäre"

Was ist teurer als Kundenbindung? Klarer Fall: Kunden zu verlieren. Und die Risiken sind in den vergangenen Monaten vor dem Hintergrund der Finanzmarktkrise deutlich gestiegen, denn die Kunden sehen ihre Finanzdienstleister heute noch kritischer als früher. Die Messung der Kundenzufriedenheit liefert wichtige Indikatoren für den Verlauf der Geschäftsbeziehung. Doch sie bringen wenig, wenn sie ignoriert oder verdrängt werden.

Bereits seit vielen Jahren haben sich ver schiedene Institute und spezifische Verfahren zur Messung von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung im Markt sowohl branchenübergreifend als auch speziell im Finanzdienstleistungssektor etabliert. Die Liste der "großen" und "etablierten" Anbieter und Institute ist lang: Die Forscher der GfK, Professor Homburg und Partner, Investors Marketing, MSR Consulting/Kubus, TNS Infratest, You-Gov-Psychonomics, Servmark oder S. W. I. Finance und andere arbeiten kontinuierlich an der Verfeinerung und Weiterentwicklung ihrer Testmethoden und Tools und bieten darüber hinaus entsprechende Beratungsleistungen für die weitere Umsetzung an. Und immer neue Anbieter - mal mehr, mal weniger seriös, erfrischend innovativ bis unverschämt aufdringlich - buhlen um die Gunst potenzieller Kunden.

Zunächst einmal gilt es, den Begriff der Kundenzufriedenheit zu klären. Zu beleuchten ist ebenso die Rolle der Geschäftsführung respektive des Top-Managements.

In Anlehnung an Stauss/Seidel1) ist Kundenzufriedenheit "das Ergebnis einer ex-post-Beurteilung" und setzt "ein konkretes, selbsterfahrenes Konsumerlebnis voraus." Es ist somit weniger eine objektive Tatsache als vielmehr ein höchst individuelles, psychisches Konstrukt der Erfüllung von Erwartungen, wie die Abbildung zeigt: Individuelle Bedürfnisse, Mund-Kommunikation und Anbieterkommunikation prägen die Erwartungen des Konsumenten bezogen auf ein Produkt oder eine Dienstleistung. Die Erwartungen werden mit der wahrgenommenen Leistung verglichen und eine Leistungsbilanz der Zufriedenheit oder Unzufriedenheit wird erstellt.

Große Unternehmen können heute nicht mehr darauf verzichten, die Bedeutung der Kundenzufriedenheit und der Kundenorientierung herauszustellen und führen regelmäßig entsprechende Kundenzufriedenheitsbefragungen durch. Doch wie ernst ist das gemeint?

Mehr als "Tranquilizer" für Aktionäre

Richtig ist: Kundenorientierung gehört "zum guten Ton". Richtig ist aber auch, dass es sich leider oftmals weniger um gelebte Praxis als um ein Lippenbekenntnis handelt. Wir erlauben uns an dieser Stelle eine provokative Aussage: In Anlehnung an Karl Marx' These, wonach Religion Opium für das Volk ist, möchten wir die Bekenntnisse zur Kundenzufriedenheit und Kundenorientierung einzelner Unternehmen als Tranquilizer für Aktionäre und Kunden bezeichnen. "Der Unternehmenserfolg wird sich fortsetzen oder schon noch einstellen, schließlich fokussiert man auf den Konsumenten, berücksichtigt dessen Bedürfnisse und Erwartungen".

Wer hinter die Kulissen schaut, erfährt oftmals anderes. In vielen Unternehmen spielt Kundenorientierung, solange die Absatzzahlen stimmen, der Vertrieb genügend Neukunden akquiriert, keine Rolle. Die jüngsten Ereignisse im Rahmen der Finanzmarktkrise, die Vielzahl der Berichte bezüglich provisionsgetriebener Beratungsleistungen im Finanzdienstleistungssektor zum Nachteil und zur Unzufriedenheit des Kunden, mögen hier als Beleg dienen.

Darwinismus der positiven Zahl

Negative Ergebnisse aus Kundenzufriedenheitsbefragungen verschwinden schon einmal in den Schubladen der Top-Entscheider oder werden kritisch hinterfragt. Betriebliche wie auch Instituts-Marktforscher werden im Laufe ihrer Karriere immer wieder mit dem äußerst interessanten Phänomen des "Darwinismus der positiven Zahl" konfrontiert. Dahinter verbirgt sich die ausgeprägte Fähigkeit einzelner Entscheidungsträger, positive Zahlen (positive Ergebnisse aus Kundenzufriedenheitsbefragungen) niemals bezüglich der Richtigkeit der Stichprobe, der Frageformulierung oder der Analyse zu hinterfragen. Für schlechte Kundenzufriedenheitsergebnisse jedoch werden nicht selten methodisch-analytische Fehler, in Person die Marktforscher, verantwortlich gemacht. Das heißt die Kunden sind aus Sicht des Managements doch zufrieden, die für die Erhebung der Kundenzufriedenheit Verantwortlichen messen oder interpretieren einfach falsch!

Aber worauf wollen wir nun eigentlich hinaus? Kundenzufriedenheit und Kundenorientierung müssen Chefsache und Ausdruck einer entsprechenden, historisch gewachsenen Unternehmenskultur sein. Sie bedürfen einer tiefen, inneren Überzeugung, die der Schweizer Zigarrenhändler Zino Davidoff einmal sehr pointiert wie folgt beschrieben haben soll: "Ich habe kein Marketing gemacht. Ich habe immer nur meine Kunden geliebt". Unternehmen hingegen, denen die Kunden über lange Jahre des wirtschaftlichen Erfolges egal waren, die "Customer Focus"-Programme dann aufsetzen, wenn ihnen die Kunden davonlaufen, werden damit zumindest kurz- und mittelfristig keine Erfolge erzielen, denn der Fisch stinkt vom Kopf und die Hebel in den Köpfen der Mitarbeiter lassen sich genauso langsam umstellen, wie sich etablierte, komplexe technische Prozesse innerhalb kürzester Zeit modifizieren und optimieren lassen.

So war und ist die Unternehmensphilosophie der ING-Diba, und damit verbunden die Haltung und das Handeln des Managements in puncto Kundenorientierung und Kundenzufriedenheit, der zentrale Schlüssel zum Erfolg. Selbstverständlich verfolgt die Bank unternehmerische Interessen, das Ziel, Geld zu verdienen. Der Rahmen dieses Handelns ist jedoch durch die Ethik einer Win-Win-Situation für beide Geschäftspartner, den Kunden und das Unternehmen, abgesteckt.

Methodisch und organisatorisch bedeutet dies, dass Kundenorientierung via Servicelevels und Qualitätsstandards zum Beispiel bezüglich der telefonischen Erreichbarkeit, Bearbeitungsgeschwindigkeit, Fehlerfreiheit oder auch der Kompetenz und Freundlichkeit der Mitarbeiter äußerst differenziert fest geschrieben ist und entsprechende Schulungs- und Kommunikationsmaßnahmen durchgeführt werden. Das Ergebnis respektive der Erfolg wird im Rahmen von Kundenzufriedenheitsbefragungen evaluiert.

Grundsätzlich entsprechen all unsere Marktforschungsaktivitäten einem offenen methodischen Verständnis. Wir sind nicht auf spezifische methodische Standards festgelegt. Vielmehr verfolgen wir einen Mehr-Methoden-Ansatz, bei dem sowohl qualitativ-explorative Forschungsmethoden auf Basis kleiner Stichproben (zum Beispiel ausführliche, offene, nicht-standardisierte Einzelinterviews, Gruppendiskussionen, Beobachtung oder inhaltsanalytische Verfahren) als auch quantitative Forschungsmethoden auf Basis großer, repräsentativer Stichproben (standardisierte Befragungen) Anwendung finden. Dementsprechend setzt die ING-Diba bei der Messung von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung unterschiedliche Methoden ein.

Mehr-Methoden-Ansatz

Die Themen sind vielfältig respektive der Gegenstand unseres Erkenntnisinteresses erstreckt sich über den gesamten Kundenbeziehungslebenszyklus - von der Kundenakquisition (Anbahnungs-, Sozialisations- und Abschlussphase) über die Phase der Etablierung und Verfestigung der Kundenbeziehung (Wachstums- und Reifephase) sowie auf die Beendigung der Geschäftsbeziehung (Gefährdung, Auflösung, Abstinenz). Das heißt neben der Produkt- und Preisattraktivität werden sämtliche kritischen Kundenkontaktpunkte (klassische Kommunikation/Werbung, Internetkommunikation-/Vertrieb, Kundendialog/Telefonie, Regelkommunikation) im Rahmen von Befragungen und Expertenworkshops kritisch untersucht.

Quantitative Verfahren ...

Gleichsam seismografischen Charakter haben insbesondere zwei periodisch durchgeführte Untersuchungen.

Erstens: Die direkt durch den Vorstand der ING-Diba beauftragte monatliche Befragung misst die Zufriedenheit der Kunden repräsentativ. Hier werden zum einen die sogenannten Globalindizes (Gesamtzufriedenheit, Wiederwahl, Weiterempfehlung und relative Wettbewerbsvorteile) erhoben. Zum anderen wird aber auch die Bedeutung einzelner Leistungsdimensionen, wie beispielsweise Zinsen und Konditionen, Schnelligkeit der Geschäftsabwicklung, telefonische Erreichbarkeit und Problemlösungskompetenz im Sinne einer Treiberfunktion sowie deren Erfüllungsgrad, näher beleuchtet.

Im Auftrag des zentralen Qualitätsmanagements (Total-Quality-Management, TQM) wird auch der Prozess der Beschwerdebearbeitung in regelmäßigen Abständen untersucht. Befragt werden zufällig ausgewählte Beschwerdeführer. Beleuchtet wird der gesamte Beschwerdeprozess der ING-Diba vom ersten Kontakt bis zur abschließenden Erledigung. Die Faktoren für die Zufriedenheit und mögliche Unzufriedenheit mit der Beschwerdebearbeitung werden im Detail abgefragt.

Um die Entwicklung der Kundenzufriedenheit auch im Vergleich zur Bankenbranche besser beurteilen zu können, werden die monatlichen Kundenzufriedenheitsstudien durch Benchmarkstudien ergänzt, die Auskunft über zentrale Zufriedenheitskennziffern der wichtigsten Wettbewerber liefern. Weiterhin erfolgt ein konzerninternes Benchmarking, bei dem zentrale Kennziffern der ING-Diba mit denen anderer Geschäftseinheiten der ING-Gruppe verglichen werden.

Die Zufriedenheitsstudie und das zweite wichtige Element - die Beschwerdeführerbefragung - dienen dem langfristigen Monitoring der Zufriedenheit. Nur über Jahre hinweg geführte Zeitreihen erlauben eine valide Interpretation. Die Frage, ob eine erkennbare Abweichung in den Werten ein Ausreißer oder den Auftakt eines echten Trends darstellt, lässt sich nur mit konsequenter, regelmäßiger Datenerhebung beantworten.

Aufbauend auf der allgemeinen Kundenzufriedenheitsstudie und der Beschwerdeführerbefragung finden bei Bedarf produkt- und servicebezogene Ad-hoc-Untersuchungen statt, die tiefere Aufschlüsse bezüglich möglicher Auffälligkeiten liefern. Zum einen sind insbesondere Verbesserungen oder Verschlechterungen bei Werten, die in geschlossenen Fragestellungen gemessen werden, zu vertiefen. Wichtige Hinweise für eventuell neu auftretende Entwicklungen liefern aber auch die - oft unterschätzten - offenen Fragestellungen. So wird bespielweise am Ende des Kundenzufriedenheitsfragebogens eine offene Frage gestellt: "Gibt es abschließend noch Punkte oder Anregungen, die Sie uns mitteilen möchten?" Nicht selten werden hier von Kunden erste Anmerkungen zu Aspekten gemacht, die sich dann im Laufe der Zeit als echte neue Herausforderungen entpuppen.

Für ein hohes Serviceniveau im Kundendialog (Call-Center) sorgen neben regelmäßigen Schulungen sogenannte "Day-After-Calls". Ausgewählte Kunden werden am Tag nach einem Telefonkontakt angerufen und nach ihrem Serviceempfinden und ihrer Servicezufriedenheit befragt. Dabei geht es um Aspekte wie Lösungsorientierung, Fachkompetenz und Freundlichkeit der Mitarbeiter.

Die genannten Erhebungen werden schließlich durch monatlich durchgeführte Mystery Calls ergänzt. Dabei treten geschulte Mitarbeiter eines Marktforschungsinstituts als Kunden auf. Nicht die subjektive Wahrnehmung, sondern eine möglichst objektive Beurteilung von Qualitätsaspekten ist Gegenstand dieses Verfahrens.

Bei der ING-Diba kommen insbesondere auch Gruppendiskussionen mit Kunden und potenziellen Kunden zum Einsatz. Hierbei diskutieren in der Regel sechs bis zehn Probanden mit einem Moderator ein Thema. Es gibt für Gruppendiskussionen keinen ausformulierten Fragebogen, sondern einen Gesprächsleitfaden. Beispiele für untersuchte Kundenzufriedenheitsaspekte sind die Verständlichkeit von Direktmarketingmaterialien, die Kundenfreundlichkeit von Antragsformularen oder die Optimierung von kundennahen Prozessen in der Bank.

... und qualitative Verfahren

Die ING-Diba hat es sich zur Regel gemacht, dass bei solchen Diskussionsrunden hinter einem Beobachtungsspiegel die Kunden wissen darüber natürlich Bescheid - immer auch Vertreter des Managements oder Mitarbeiter des betroffenen Fachbereichs anwesend sind. Zum einen können so nach Rücksprache mit dem Moderator während der laufenden Diskussionsrunde Themen ergänzt oder vertieft werden, zum anderen gewinnen auf diese Weise gerade kundenferne Einheiten - also Mitarbeiter ohne unmittelbaren Kundenkontakt - wertvolle Eindrücke darüber, wie der Kunde "tickt". Das hat schon zu manchem Aha-Erlebnis geführt und ehemals festgefügte Meinungen gründlich revidiert.

Die Daten bezüglich der Entwicklung der zentralen Kundenzufriedenheitswerte und der Servicelevels werden dem Management regelmäßig und zeitnah über das interne elektronische Informationssystem zur Verfügung gestellt. In regelmäßigen Abständen, teilweise wöchentlich, werden die Werte auf Vorstandsebene präsentiert und diskutiert. Offene Nennungen aus der monatlichen Befragung werden quartalsweise im Original-Ton weitergegeben sowie auf Themenbereiche verdichtet kommuniziert. Die Fachbereiche ziehen sich aus der Gesamtschau ihre relevanten Kundenäußerungen heraus und können so sehr zeitnah auf aktuelle Entwicklungen reagieren.

Reporting und Umsetzung der Erkenntnisse

Darüber hinaus werden die Ergebnisse der quantitativen und qualitativen Studien im Rahmen des "Quality Committees" mit dem Vorstand und den Bereichsleitungen diskutiert und gegebenenfalls Maßnahmen verabschiedet.

Auf Arbeitsebene finden außerdem regelmäßig Produktkreise statt, in der die jeweiligen Verantwortlichen für das Produkt, die Verantwortlichen für die damit verbundenen Services sowie die Prozessverantwortlichen gemeinsam mit Total Quality Management - der Abteilung, in der das zentrale Beschwerdemanagement und das Qualitätsmanagement angesiedelt ist - die Ergebnisse analysieren, fehlerhafte Abläufe korrigieren und Verbesserungen implementieren.

Letztlich ist dieser Umgang mit den Ergebnissen aus den unterschiedlichen Kundenbefragungen Ausdruck des partizipativen Führungsstils der ING-Diba. Einfachheit, Direktheit und Kundenorientierung als Unternehmensgrundsätze führen zu einer konsequenten Messung von Kundenzufriedenheit, zu einer offenen und klaren Kommunikation der Ergebnisse und zu dem ernsthaften Willen, aus den Er gebnissen zu lernen und dem Kunden künftig eine "noch" bessere Bank zu bieten.

Dass dies offenkundig gelingt, zeigt die Erfolgsgeschichte der ING-Diba, die innerhalb weniger Jahre zu einer der größten Retail-Banken in Deutschland aufgestiegen ist und regelmäßig von unabhängigen Fachmagazinen und deren Lesern mit Top-Auszeichnungen bedacht wird.

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