Lobbyarbeit

Government Affairs haben Hochkonjunktur

Die europäische Schuldenkrise verlangt von den Akteuren der Finanzbranche Qualifikationen außerhalb des operativen Geschäfts, die insbesondere diejenigen von ihnen mit reichlich Tradition und Familienbeteiligung, aber auch jene kleineren Investmenthäuser kaum vorweisen können. Es ist die Rede von der politischen Kommunikation, welche aus den Abteilungen für Government oder Regulatory Affairs bei den großen anonymen Publikumsgesellschaften geleistet wird.

Doch auch bei diesen Häusern beschränkt sich die Erfordernis, in politischer Kommunikation fit zu sein, längst nicht mehr bloß auf den Stab der Profilobbyisten. Vorstände und deren engsten Mitarbeiter sind in der täglichen Situation, die politischen Belange auf regionaler, nationaler oder europäischer Ebene mitzugestalten und Stellung zu beziehen. Dabei fehlt oftmals das Know-how über politische Systeme, Public Policy, politisches Agenda-Setting, internes politisches Kommunikationsmanagement, Public Affairs oder Campaigning und somit die Fähigkeit zu bewerten, was sinnvolles und effizientes Lobbying ist oder was auch eingespart werden kann.

Die EU verleiht den Banken die korporatistische Weihe

Die besondere Situation auf europäischer Ebene hat zur Folge, dass der Staat die politische Interessenvertretung der Finanzbranche institutionalisiert. Schuldenschnitte von Politikern, medial wirksam kommuniziert, betreffen unmittelbar die Banken und deren Mitarbeiter.

Diese Situation ist neu, denn bislang war der deutsche Staat in der Tradition des Korporatismus daran orientiert, vornehmlich soziale Verbänden des Wohlfahrtsstaates, welche breite Teile der Bevölkerung hinter sich vereinen - wie die Krankenkassen oder die Gewerkschaften -, als Partner der Politikgestaltung zu akzeptieren. Dem liegt die antiquierte Annahme zugrunde, dass Verbände keine Interessen repräsentieren, sondern sie nur formieren, filtern und definieren. Sie sind somit, wie der Politologe Rudolf Speth beschreibt, eine "erwünschte Option sozialer Steuerung".

Die EU hat den Institutionenverband der Banken zu gemeinwohlorientierten Akteuren erhoben - möglicherweise ist dieser Schritt darin begründet, dass die Finanzbranche durch den Schuldenschnitt keine Partikularinteressen verfolge, sondern dem Gemeinwohl einen Dienst erweisen soll. Die Situation ist paradox.

Professionalisierung der politischen Kommunikation

Im Zuge der Amerikanisierung der politischen Kommunikation, die als Professionalisierung verstanden werden kann, haben Ausgründungen von unternehmenseigenen Repräsentanzen in den politischen Metropolen sowie die Einrichtung eigener politischer Stabsabteilungen Einzug gehalten. Die Folge ist der ungezügelte Pluralismus von Einzelinteressen, der bewirkt, dass derjenige, der seine politischen Interessen nicht professionalisiert vertritt, im Alltag der politischen Entscheider kaum Chance auf Berücksichtigung hat.

Hier ist einer der Hauptgründe verortet, weshalb Lobbying noch immer in einer wissenschaftlichen Predulie verharrt und als Forschungsgegenstand weitgehend vernachlässigt wird. Denn es beinhaltet das unsoziale Moment, dass meist nur derjenige mit ausreichend ökonomischen Kapital am Policy-Making-Prozess teilnehmen kann.

Diese Einschätzung ist nicht von der Hand zu weisen, denkt man an die Vielzahl von mittelständischen Familienunternehmen, die sich weder Lobbyisten noch entsprechende Abteilungen leisten können und daher auch in den Branchenverbänden ihre Interessen oftmals unberücksichtigt sehen.

Ungewöhnliche Interessenakkumulation

Die Europäische Union und die nationalen Regierungschefs haben den europäischen Bankenverband offiziell an den Tisch der Entscheider zur weiteren Ausgestaltung der europäischen Integration geholt. Damit wurde eine Interessenakkumulation erreicht, die auf EU-Ebene, wo mehr als 17000 Lobbyisten täglich um Einfluss kämpfen, ungewöhnlich ist. Somit wurde von staatlicher Seite der Wettbewerb, das heißt der Pluralismus und Liberalismus eingeschränkt. Die regulatorische Filtrierung und Kanalisierung der Interessen durch die Aufwertung von Verbänden bewirkt aber auch, dass der Wettbewerb in diese Organisationsformen verlagert wird.

Verbände sind privatrechtliche Vereinigungen, deren Struktur keiner Öffentlichkeit Rechenschaft schuldig ist. Wer, wie, wo und womit in den Verbänden seine Interessen durchsetzt, bleibt intransparent. Lediglich eine "hierarchische Struktur" sollte gegeben sein, um die Steuerbarkeit sicher zu stellen. Aus demokratietheoretischer Perspektive und im Blick auf das wichtige Gebot der Transparenz zur Sicherstellung eines "sauberen Lobbying" wurde durch die staatliche Intervention der EU zur Aufwertung des Korporatismus an dieser Stelle kein Fortschritt geleistet. Die strategische Folge für die Banken lautet nun: Weniger Interessenvertretung in der Öffentlichkeit, mehr Lobbying im intransparenten Verbandswesen. Zwei Begriffe, die im Folgenden operationalisiert werden sollen.

Lobbying und Interessenvertretung

Die Bezeichnung "Lobbying" kommt zunächst aus dem Lateinischen von "Labium", das so viel bedeutet wie Vorhalle. Und so wird das erste Mal vom Lobbyisten in der Amtszeit des US-Präsidenten Ulysses S. Grants (1869-1877) gesprochen, als dieser aufgrund eines Brandes im Weißen Haus vorübergehend im Willard-Hotel residieren musste und ihn in dessen Vor halle regelmäßig Vertreter verschiedenster Interessengruppen abfingen. Als erster europäischer Lobbyist der Neuzeit gilt im Übrigen der Kapuziner-Mönch Père Joseph, der das Netzwerk des Kapuziner-Ordens nutzte, um König Ludwig XIII und Bischof Richelieu mit Informationen zu versorgen.

Die Wissenschaft unterscheidet zwischen Interessenvertretung (Public Affairs) und Lobbying. Dabei lässt sich der Unterschied an dem Raum der Interessenartikulation und der Konkretion der Absicht festmachen.

Findet die politische Einflussnahme in informellen und intransparenten Zirkeln mit einer strategischen Ausrichtung statt, so ist von Lobbying die Rede.

Geht es hingegen darum, in der Öffentlichkeit seine Interessen zu repräsentieren und diese für ein Anliegen zu sensibilisieren, spricht man von Interessenvertretung.

Von behördlicher Seite werden Verbände - wie bereits skizziert - von Lobby-Aktivitäten weitgehend freigesprochen. Eine fragwürdige Einschätzung, da in der Praxis Verbände zwar Interessenvertretung betreiben, um die Öffentlichkeit anzusprechen. Doch diese Einflussnahme über die Öffentlichkeit ist zumeist Teil einer Mixstrategie, denn der öffentliche Druck soll der Durchsetzung des Partikularinteresses (Lobbying) gegenüber dem politischen Entscheider dienen.

Vernachlässigen wir an dieser Stelle die Instrumente des Public Affairs und betrachten die Tools des Unternehmenslobbying genauer, obgleich oftmals der Mix aus beidem die Voraussetzung für eine erfolgreiche Kampagne zur politischen Partikularinteressendurchsetzung ist. Insbesondere im Bereich des Public Affairs mangelt es der Finanzindustrie daran, die Gesellschaft, zu der auch die politisch Aktiven gehören, mitzunehmen. So bleibt die Kommunikation der Banken gegenüber der Öffentlichkeit oftmals technokratisch, selbstreferentiell, egozentrisch und unsozial. Die Folge ist, dass die politischen Vertreter des Volkes sich distanzieren.

Internes Management und Techniken des Lobbying

Es wird deutlich, dass in einem Unternehmen der Government-Affairs-Stab, der zumeist den Corporate Affairs zugeordnet ist, nicht autark agieren kann. Die politische Strategie muss mit all denjenigen abgestimmt werden, die interne Kommunikation organisieren und externe betreiben. Nur so kann die politische Forderung geschlossen gegenüber Dritten vertreten werden. Dabei sollten auch im Rahmen des Lobbying unternehmensintern Methoden aus dem Innovationsmanagement (open innovation) Anwendung finden, da politische Netzwerke der Mitarbeiter oftmals nicht bekannt sind oder vom Vorstand missachtet werden.

So machen internationale Vorstände und deren Stäbe meist den Fehler zu verkennen, dass Politik zunächst einfach nur lokal ist und auch Spitzenpolitiker dort am sensibelsten sind, wo sie unmittelbar vom Wählerwillen abhängen: In der Region, wo der "einfache" Mitarbeiter politisch aktiv ist.

Politische Einflussnahme ist teuer

Die Government-Affairs-Abteilungen sind von der Größe des Unternehmens abhängig, da politische Einflussnahme teuer und oftmals schwer skalierbar ist. Fallweise werden daher externe Lobbyisten und Agenturen beauftragt, die nicht minder günstig sind. Ein Stundensatz liegt ungefähr bei 600 bis 900 US-Dollar.

Die Abteilungen warten häufig mit Issue- und Audience-Managern auf, also Personen, die sich um die inhaltliche Aufbereitung kümmern und solchen, die die Zielpersonen-Identifikation und -Pflege leisten.

Erfolgreiches Lobbying ist Fleißarbeit: Die Abteilungen sind mit dem Screening und Monitoring von politisch relevanten Themen beschäftigt, um bedarfsweise möglichst frühzeitig intervenieren zu können. Liegt nach Einschätzung und Abstimmung mit der Konzernspitze die erforderliche Relevanz zum Lobbying vor, erarbeiten die Unternehmenslobbyisten möglichst alle Kenntnisse über die Akteure des politischen Themenfeldes. Hierzu gehört auch die Pflege zu Verbänden, um gegebenenfalls Allianzen bilden zu können.

Die Adressaten des Lobbying werden entsprechend differenziert nach einem politischen oder rechtlichen Ansatz. Während Letzterer vornehmlich die Akteure ins Visier nimmt, die eine formell anerkannte Stellung im Entscheidungsverfahren haben, fokussiert der politische Ansatz die Macht- und Wirkungszusammenhänge. Demnach verfolgen Lobbyisten auch das "Spiel über Bande", indem beispielsweise die Öffentlichkeit involviert wird oder themenfremde Personen, bei denen die Zielperson in Abhängigkeit steht, einbezogen werden.

Lobbyisten sind Dienstleister. Die Materie, die sie den politischen Entscheidern zur Verfügung stellen, sind in der Regel wissensbasierte Expertisen, die ihre Position legitimieren. Dies können unter anderem Positionspapiere, Stellungnahmen, Gesetzesvorlagen und Anträge sein.

"Lean-Back-Mentalität" der Politik

Diesen Service nehmen insbesondere Abgeordnete des Europäischen Parlaments und deren Mitarbeiter gerne in Anspruch, da kein wissenschaftlicher Dienst verfügbar ist. Die Leistung der Lobbyisten gehört zum Alltag und entlastet die Büropauschale des Abgeordneten und das Zeitbudget des Assistenten.

Das Problem: Bei vielen politischen Entscheidern hat sich eine Lean-Back-Mentalität eingestellt, sodass derjenige, der präsent ist und sachkundigen Service anbietet, in der Regel auch erfolgreich ist. Es wird offensichtlich, dass ökonomisches Kapital darüber entscheidet, wer politischen Einfluss nehmen kann. Denn wissenschaftliche Studien zu beauftragen und tägliche Präsenz in den politischen Metropolen sicherzustellen ist und bleibt eine Ressourcenfrage.

Lobbying in der Managementqualifizierung

Die dargestellten Instrumente sind als Überschriften zu verstehen. Es liegen zahlreiche Arbeitsschritte und Vorgehensweisen darunter, mit denen auch die Mitarbeiter der Vorstände sowie diese selbst vertraut sein sollten.

Auch die Gesprächsführung im Lobbying bedarf der Übung und unterliegt informellen Regeln, welche das Topmanagement beherrschen muss. Es sind jedoch nicht nur Fähigkeit und Fertigkeiten, die all jene, die mit politischen Entscheidern und deren Arbeitsebene zu tun haben, ausbilden müssen, sondern vor allem auch die Grenzen der politischen Kommunikation, welche vornehmlich von der Wertvorstellung der Öffentlichkeit definiert werden.

Das Risiko, dass die politische Einflussnahme der in einer Nation vorherrschenden Moral nicht entspricht, lässt sich beispielhaft in Brüssel wahrnehmen, wo Lobbyisten aus dem angloamerikanischen Raum per Anruf mehr oder weniger befehlen, wie der Abgeordnete abzustimmen habe. Doch auch in Deutschland ist die Sensibilität für Lobbying hoch, sodass eine "falsche" Äußerung eines Stabsangehörigen gegenüber einem Politiker oder politischen Journalisten zum medienwirksamen Skandal für den Gesamtkonzern führen kann.

Es bedarf einer politischen Sozialisation für Government Affairs der Unternehmensspitze, die ihren Platz bereits in deren Ausbildung finden muss. Neben den Techniken des Lobbying und des Public Affairs gehören zu den Inhalten auch die Vermittlung von politischer Moral, ohne die ein Lobbyist auf Dauer nicht erfolgreich sein wird.

Die EU hat den europäischen Bankenverband und damit das verbandsinterne Lobbying aufgewertet. Die Folge ist die Intransparenz der Interessenakkumulation. Die Einhaltung von moralischen Wertvorstellungen entzieht sich der Beobachtung. Sowohl die unter einem Demokratiedefizit leidende EU als auch die für den Verbraucher und Wähler intransparente Bankenbranche werden dadurch keinen Vertrauenszuwachs erfahren.

Die Mitgestaltung der Politik gehört zur Aufgabe des Unternehmers in einer Gesellschaft. Die Art und Weise, wie sie erfolgt, unterliegt moralischen Gesetzmäßigkeiten, die erlernt werden müssen. Lobbying muss raus aus der Predulie und Lehrinhalt für einen interdisziplinär gebildeten Topmanager werden.

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