Manfred Schick / Pascal Di Prima / Daniel von Devivere

"Die Technik muss helfen, die Probleme des Kunden zu lösen."

Manfred Schick Foto: ING-Diba

Gerade in Zeiten von Digitalisierung und Big Data sehen sich die Rechtsabteilungen der Banken mit immer komplexeren regulatorischen Themen konfrontiert. Dadurch kommt es in der Finanzwirtschaft zu einer Vielzahl von standardisierten, sich wiederholenden Prüfprozessen. Die Autoren sehen hierbei die Möglichkeit, die Effizienz zu steigern. Sie stellen zu diesem Zweck Reinvent Law vor. Der Legal Innovation Hub wurde im April 2018 in Frankfurt am Main eröffnet und soll zum einen neue technischen Entwicklungen für Compliance-, Kredit-, Fraud-, Identitäts- und sonstige Policy-Prüfungen ermöglichen. Zum anderen auch den Austausch auf Augenhöhe von der richtigen Reorganisation der Rechtsabteilung über die Motivation der bestehenden Mitarbeiter bis hin zur Auswahl und dem Einsatz von Tools anregen. (Red.)

Was ist Legal Tech und welche Zukunft hat es im Bankgeschäft?

Devivere: Legal Tech - Legal Technology - gibt es schon relativ lang, allerdings ist in den letzten fünf Jahren ein starker Anstieg der praktischen Anwendungsfälle zu sehen. Dabei gibt es zum einen Consumer-Anwendungen, also zum Beispiel Angebote, die einem bei Flugverspätungen zu einer Entschädigung verhelfen oder einen bei einer arbeitsrechtlichen Abfindung unterstützen - und zum anderen Business-Anwendungen, die von Kanzleien und Rechtsabteilungen eingesetzt werden können. Bei Letzteren ergibt sich ein weites Feld von automatischer Auswertung und Erstellung von Vertragsklauseln, M&A-Unterstützung mithilfe von künstlicher Intelligenz über Billing-Tools bis hin zur Automatisierung von häufig wiederkehrenden Geschäftsvorfällen.

Di Prima: Schon länger im Markt sind Regtech-Lösungen, die bei vielen Banken bereits eingesetzt werden. Hierbei geht es insbesondere um die Themen Big Data und aufsichtsrechtliches Reporting. Man sieht das auch aufseiten der Aufsicht, so sind die gesammelten Daten der Aufsichtsbehörden in den letzten Jahren dramatisch angestiegen und eine Analyse der Daten ist ohne technische Hilfsmittel praktisch nicht mehr möglich. Die Rechtsabteilungen der Banken sehen sich auch mit immer komplexeren regulatorischen Themen konfrontiert. Auch hierbei können Tools helfen.

Schick: Unter Legal Tech fallen Software Tools, die rechtliche Arbeitsschritte unterstützen und gegebenenfalls automatisiert durchführen. Diese Tools können Prozesse schneller, effizienter und kostengünstiger machen und dabei noch die Qualität verbessern. Hierzu bietet gerade das Retailbanking-Geschäft mit einer Vielzahl von standardisierten Vorgängen viele sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten. Dabei sind mir funktionstüchtige Tools für einen bestimmten Prozess lieber als Alleskönner, die häufig nicht das halten, was der Vertrieb verspricht.

Rechtsfragen und Technik, Rechtsfragen und Digitalisierung, das klingt erst einmal mehr als eine Spielwiese. Wie sehr kann die Einbindung der Technik dem Geschäft dienen?

Schick: Der Kunde sollte immer im Mittelpunkt stehen. Das heißt, dass die Technik helfen muss, die Probleme des Kunden zu lösen und nicht Selbstzweck sein darf. Wichtig ist also, dass das Problem des Kunden richtig erkannt und in seinem Interesse gelöst wird beziehungsweise die Rechtsabteilung bei dieser Aufgabenerfüllung unterstützt wird. Ein schlechter oder sinnloser Prozess wird durch die Digitalisierung und durch den Einsatz von Technik nur zu einem schlechten oder sinnlosen digitalen Prozess. Legal Tech kann also nur dort einen Mehrwert bringen, wo die rechtliche Problemstellung richtig erkannt und für Kunden und Bank richtig gelöst wurde.

Di Prima: Das ist ein wichtiger Punkt. Eine Digitalisierung von Prozessen um jeden Preis ist nicht hilfreich. Der Einsatz von Tools muss zielgerichtet sein und muss nutzerorientiert sein. Dann können mit dem gezielten Einsatz technischer Hilfsmittel die Effizienz gesteigert und wiederkehrende Aufgaben zumindest teilweise automatisiert werden. Wenn man sich die Beziehung der Banken mit ihren Kunden anschaut, dann ist in diesem Bereich die Digitalisierung bereits voll im Gange und es bestehen bereits zahlreiche Kooperationen mit Fintechs und Banken. Dies weitergedacht ist es eine logische Konsequenz, dass der Einsatz von Technik immer mehr auch in den Rechtsabteilungen von Banken Einzug hält.

Wo sehen Sie Einsatzbereiche für Legal Tech in der Finanzwirtschaft?

Schick: In der Finanzwirtschaft gibt es eine Vielzahl von standardisierten, sich wiederholenden Prüfprozessen. Hier kann man Effizienz steigern. Ich denke dabei an Compliance-, Kredit-, Fraud-, Identitäts- und sonstige Policy-Prüfungen.

Di Prima: Die Anknüpfungspunkte sind in der Tat vielfältig. Nehmen wir nur mal als Beispiel das Thema Geldwäsche. Um die rechtlichen Anforderungen zu erfüllen und die Vielzahl an Transaktionen zu überprüfen, werden schon lange technologische Lösungen genutzt. Ich denke, dass darüber hinaus die Einsatzmöglichkeiten von weiteren Tools insbesondere im regulatorischen Umfeld zu sehen sind. Die regulatorischen Anforderungen steigen und stellen auch die Rechtsabteilungen in der Finanzwirtschaft vor große Herausforderungen. Bei der Lösung dieser Probleme kann Technologie unterstützen.

Lässt sich allgemein oder an konkreten Beispielen ein Eindruck von dem Effizienzpotenzial durch Legal Tech geben?

Schick: Im Retailbanking der ING-Diba gibt es schon seit Längerem standardisierte Produkte und Prozesse, die schrittweise in technische Lösungen überführt wurden und werden. Weiteres Potenzial für Standardisierung und Prozessoptimierung sehe ich im Bereich Wholesale Banking, da dort sehr kundenindividuelle Lösungen angeboten werden und technische Lösungen nur eingeschränkt zugänglich sind. Dadurch birgt für mich gerade das Wholesale-Banking-Geschäft ein hohes Potenzial zur Effizienzsteigerung und Digitalisierung.

Devivere: Wir sehen in unserer täglichen Arbeit viele Projekte, die dafür sorgen, dass sich Anwälte sowohl in der Rechtsabteilung als auch in Kanzleien stärker auf juristische Probleme fokussieren können und administrativer Aufwand sowie rein repetitive Aufgaben deutlich eingeschränkt werden. So geht der Trend zum Beispiel stark in Richtung der Entwicklung von Tools, mit denen viele Rechtsfragen, beispielsweise im Compliance-Bereich und im Feld der Vertragserstellung, fast ohne Einbindung der Rechtsabteilung beantwortet werden können.

Gibt es im deutschen und europäischen Kreditgewerbe schon praktische Ansätze für die Anwendung?

Schick: Die Technisierung des Rechtsmarktes bewegt sich vom Kleinen zum Großen. Es gibt beispielsweise im US-Markt verschiedene Anbieter, die an Lösungen arbeiten, Non-Disclosure Agreements (NDA) zu managen. Ziel dieser Tools ist es, die jeweiligen Anforderungen der Marktteilnehmer an NDA automatisch miteinander zu vergleichen und den Beteiligten eine Lösung vorzuschlagen, die unter Berücksichtigung der Marktgepflogenheiten die Interessen und jeweiligen Anforderungen der Beteiligten an NDA einen ausgewogenen Kompromiss vorschlägt. Dadurch werden Aufwand und Zeit gespart.

Da gerade das Wholesale-Banking-Geschäft sehr international ist, rechne ich mit einer zügigen Übernahme dieser Ansätze im europäischen Markt. Das Thema Artificial Intelligence hat dabei natürlich ebenfalls ein hohes Potenzial, von dem auch die Finanzbranche profitieren wird.

Di Prima: Technologie kann zum Beispiel helfen, komplexe regulatorische Themen transparenter und verständlicher zu machen. Dies kann man an CARA, unserem Tool von Lexemo zur Capital Requirements Regulation sehen. Mit dem in Deutsch und Englisch verfügbaren Tool werden durch gezielten Einsatz von Visualisierungstechniken in Form von Mindmaps und Videos die Regelungen zur CRR zugänglicher, auch für den Nichtexperten. Dies wird kombiniert mit einer intelligenten Suchfunktion und der Möglichkeit Expertenwissen innerhalb des Teams und der Bank sehr einfach zu teilen und auch zu konservieren. Dadurch kann eine große Effizienzsteigerung erzielt werden und die Kommunikation zwischen Business und Legal deutlich vereinfachen. Diesem Prinzip folgend arbeiten wir auch gerade an einer weiteren Lösung zur Datenschutzgrundverordnung, welche wir ab Ende dieses Jahres anbieten werden.

Welche Zielsetzungen verfolgt Reinvent Law?

Devivere: Genau die Frage der praktischen Anwendung ist einer der Gründe für die Entstehung von Reinvent Law. Mit Reinvent Law wollen wir ein Ökosystem zu allen Themen rund um Legal Innovation schaffen. Legal Innovation ist dabei für uns nicht nur Legal Tech, sondern fußt auf drei Säulen: "People", "Processes" und "Tech". Als Jurist ist mir bewusst, dass man sich in vielen Bereichen an bestimmte Denkmuster und Herangehensweisen gewöhnt hat. Hier wollen wir ansetzen und durch Beispiele zeigen, wie man auch anders an Probleme herangehen kann.

Darüber hinaus gibt es viele Arbeitstechniken, sogenannte "Processes", die in anderen Industriebereichen schon lange völliger Standard sind - Scrum und Kanban, Design Thinking und andere Prozesse - die man auch in der juristischen Arbeit sehr gewinnbringend einsetzen kann. Wir versammeln hier bei Reinvent Law Profis, die regelmäßig mit diesen Techniken arbeiten und Erfahrungen damit weitergeben.

Und abschließend gibt es "Tech", also verschiedenste technologische Lösungen, die die alltägliche juristische Arbeit schneller, effizienter und kostengünstiger machen können. Dabei haben wir von Anfang an auf einen offenen Plattform-Ansatz gesetzt, da nur so ein aktives Ökosystem entstehen kann. Neben der Kanzlei und den Corporate Legal Departments als Member haben wir drei Legal Tech Ventures (Bryter, Lexemo und Streamlaw) bei uns sitzen, als weitere wichtige Bausteine besteht eine enge Beziehung zur Bucerius Law School in Hamburg und dem Legal Tech Lab der Universität Frankfurt. Durch diese vielen unterschiedlichen Elemente soll ein sehr aktiver Austausch geschaffen und gepflegt werden.

Die Initiatoren engagieren sich ja nicht selbstlos. Welche Vorteile können die Mitglieder/Unterstützer daraus ziehen? Wie finanziert sich Reinvent Law?

Devivere: Das Thema Legal Innovation treibt derzeit sehr viele Rechtsabteilungen und Kanzleien um. Die Gründe dafür sind vielfältig, liegen jedoch oft in einem drastisch veränderten Selbstverständnis der Rechtsabteilung und ihrer Einbettung in Geschäftsprozesse im Unternehmen. Viele Rechtsabteilungen begegnen dabei dem Problem, dass sie nicht genau wissen, wie sie anfangen sollen und welchen Herausforderungen sich andere gerade stellen. Der Austausch darüber stellt eine wichtige Funktion unseres Hubs dar. Dieser Austausch auf Augenhöhe ist für Rechtsabteilungen in der aktuellen Phase enorm wichtig, da fast alle vor den gleichen Herausforderungen stehen.

Die dabei aufkommenden Themen gehen von der richtigen Reorganisation der Rechtsabteilung über die Motivation der bestehenden Mitarbeiter bis hin zur Auswahl und dem Einsatz von Tools. Aus Sicht der Kanzleien ist es selbstverständlich, dass sich ändernde interne Herausforderungen für Rechtsabteilungen sich auch extern widerspiegeln. Dabei ist es entscheidend, dass die Kanzleien möglichst früh von diesen Veränderungsprozessen erfahren, um ihr eigenes Service-Offering entsprechend anpassen zu können.

In den ersten vier Monaten des Bestehens sind alleine zwischen den aktiven Mitgliedern des Hubs schon fast 40 Projekte und Partnerschaften entstanden, größere und kleinere. Dies zeigt, dass zum einen das Konzept des Hubs funktioniert und es zum anderen ohne einen solchen Hub offensichtlich schwierig ist, möglichst schnell Projekte anzuschieben.

Finanziert wird der Hub nach einem Membership-Modell, bei dem die Member Companies - zurzeit sind dies Baker McKenzie als Kanzlei, sowie die Rechtsabteilungen von Bosch, Daimler, ING-Diba und ZF Friedrichshafen und Wolters Kluwer als Knowledge Partner - alle einen jährlichen Mitgliedsbeitrag bezahlen. Dafür bekommen sie Zugang zu exklusiven Workshops und anderen Veranstaltungsformaten wie zum Beispiel Hackathons und Legal Tech Experience Days. Darüber hinaus schaffen wir für die Member ein enges Netzwerk zum Thema Legal Innovation, welches von diesen sehr aktiv genutzt wird. Unsere Resident Legal Tech Ventures zahlen wie in anderen Co-Working Spaces eine monatliche Miete pro benutzten Schreibtisch.

Was hat die ING-Diba zur Mitwirkung bei Reinvent Law bewogen? Welche Vorteile verspricht sie sich von der Mitarbeit?

Schick: Mein Kollege Daniel von Devivere hat es eigentlich gut auf den Punkt gebracht. Wir sind sehr am Austausch mit anderen interessiert und wollen damit auch Mitarbeiter motivieren, sich auf neue Trendthemen im Rechtsbereich einzulassen. Neue technische Lösungen lassen sich nur dann umsetzen, wenn die Beteiligten zum Austausch und zur Zusammenarbeit bereit sind. Aus unserer Sicht bietet Reinvent Law die Grundlage für die Entwicklung von technischen Hilfen und Methoden - und vor allem dafür, ein neues Mindset im Rechtsbereich zu schaffen.

Welche Tools können konkret die Arbeit einer Rechtsabteilung einer Bank näher an die Business Lines heranbringen?

Schick: Die Business Lines sind Menschen, die anderen Menschen - nämlich den Kunden - helfen wollen ihre Ziele zu erreichen. Die Nähe zu diesen Menschen wird man nicht über ein Tool herstellen. Aus meiner Sicht dienen Tools dazu, dass wir Kunden schneller und effizienter ermöglichen, möglichst viele ihrer Ziele zu erreichen. Legal Tech ist zwar kein Allheilmittel, sondern ein Hilfsmittel zur Lösung eines konkreten Problems.

Wie werden die Entwicklungen von Legal Tech in der Kreditwirtschaft von der Politik eingeschätzt. Wie ist das Feedback von Bankenaufsicht und von den Interessenverbänden der Juristen?

Schick: Ich sehe hier eine Bandbreite von Einschätzungen, die von leichten Veränderungen und Angst bis zu disruptiven Einschnitten im Rahmen der Rechtsberatung und -anwendung reichen. Ich denke, ähnlich wie es Richard Susskind im Tomorrow's Lawyers beschrieben hat, dass die Auswirkungen von Legal Tech in den kommenden zwei Jahren überschätzt, die Auswirkungen in den kommenden zehn Jahren aber weitgehend unterschätzt werden. Nach und nach setzt sich die Erkenntnis durch, dass Legal Tech stets nur so gut ist, wie die zugrunde liegende Technik und der Mehrwert eines bestimmten Tools nur dann vorhanden ist, wenn vorher das rechtliche oder faktische Problem richtig herausgearbeitet wurde.

Di Prima: Sowohl Bankenaufsicht als auch Bankenverbände sehen die Entwicklungen von Legal-Tech-Lösungen durchweg positiv. Als wir im Rahmen eines Gesprächs mit einer Aufsichtsbehörde unser CRR-Tool CARA vorgestellt hatten, war das Feedback sehr positiv und es wurde angemerkt, dass insbesondere die Visualisierung von komplexen Sachverhalten den Zugang zur Materie vereinfachen kann.

Den Aufsichtsbehörden ist durchaus bewusst, dass zu einer effizienten und funktionierenden Aufsicht technologische Hilfsmittel unerlässlich sind, hierbei fokussiert sich die Aufsicht aber bisher hauptsächlich auf die Analyse der im Rahmen des Meldewesens übermittelten Daten.

Manfred Schick Generalbevollmächtigter und General Counsel, ING-Diba AG, Frankfurt am Main
Pascal Di Prima CEO & Co-Founder von Lexemo, Head of Business Relations des Techquartiers und Administrative Manager, European Banking Institute, Frankfurt am Main
Daniel von Devivere Geschäftsführer, Reinvent Law, Frankfurt am Main

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