Künstliche Intelligenz: Wegweiser in eine neue Banking-Epoche

Klaus-Peter Bruns, Vorsitzender des Vorstands, Fiducia & GAD IT AG, Karlsruhe/Münster

Quelle: Fiducia

Klaus-Peter Bruns, Vorsitzender des Vorstands, und Gerd Müller, Leiter Architektur und Innovation, beide Fiducia & GAD IT AG, Karlsruhe/Münster - Der Einsatz von künstlicher Intelligenz im Bankgeschäft ist für die Autoren längst aus dem Stadium erster Versuche herausgewachsen und wird auch von großen Anwendern erprobt und weiterentwickelt. Auf der jährlichen hauseigenen Fachmesse für die Kunden und Mitarbeiter der genossenschaftlichen Finanzgruppe haben sie den Blick für Anwendungen geschärft, die durchaus den Alltag des Bankgeschäftes prägen können. Ein erstes Einsatzfeld in der genossenschaftlichen Bankengruppe sehen sie schon bei der laufenden Migration auf das neue Bankverfahren Agree 21. Benötigt ein Bankmitarbeiter Unterstützung zu einer bestimmten Funktion beantwortet ein sogenannter Chatbot, ein Dialogsystem, das im Prinzip sprachliche, textliche und audiovisuelle Fähigkeiten haben kann, die offene Frage direkt oder leitet die Anfrage an den richtigen Ansprechpartner weiter. Auch die Dokumentation von Bankgeschäften und dem Einsatz von Robo-Advice nennen sie als realistische Einsatzmöglichkeiten für solche lernfähigen Systeme. (Red.)

Auf der diesjährigen COM17 in Karlsruhe waren Chatbots die heimlichen Stars der Messe: Aufmerksamkeit erregten sie vor allem deshalb, weil sie so klar veranschaulichten, welche enormen Chancen eine natürlich-sprachliche Mensch-Maschine-Kommunikation für mehr Kundennähe und effizientere Bankprozesse mit sich bringt. Darüber hinaus aber zeigen Technologien aus dem Umfeld der künstlichen Intelligenz (KI) neue Möglichkeiten auf, wie sich die Volksbanken Raiffeisenbanken für den Wettbewerb der Zukunft quasi neu erfinden können.

KI: Aufstieg aus der akademischen Nische

Der Begriff der "Artificial Intelligence" tauchte erstmals in einem Förderantrag auf, den der Erfinder der Programmiersprache LISP John McCarthy 1955 an die Rockefeller Fundation für Forschungsworkshops stellte. Die zweimonatige Seminarreihe, die im Sommer des Folgejahres am Dartmouth College, New Hampshire, stattfand, gilt heute als Geburtsstunde der künstlichen Intelligenz. Zu den Mitinitiatoren zählte unter anderem auch Marvin Minsky - später einer der Gründerväter des legendären KI-Labors am Massachusetts Institute of Technology MIT.

Zehn Jahre später machte Minskys MIT-Kollege Joseph Weizenbaum den KI-Begriff schlagartig mit seinem Computerprogramm ELIZA einer breiteren Öffentlichkeit bekannt: Es beeindruckte mit scheinbar menschlichen Kommunikationsfähigkeiten - wobei eine Konversation seinerzeit nur per Tastatur und Bildschirm möglich war. Denn sprechende Software wie Alexa, Siri, Cortana und Co. gab es damals noch nicht.

Gleichwohl faszinierte ELIZA ihre Gesprächspartner so sehr, dass einige Probanden noch länger mit der Software "reden" wollten - einfach deshalb, weil sie sich so gut verstanden fühlten. Dies ist umso erstaunlicher, als das Programm weder Hintergrundwissen noch wirkliches Sprachverständnis besaß. Stattdessen bestand die Intelligenz oder eher Schlauheit des Programms darin, geschickte Anschlussformulierungen zu finden, um das Gespräch in Gang zu halten und die Testperson zum Reden zu animieren. Vielleicht war das der Grund, warum sich die Probanden so gut verstanden fühlten: ELIZA hörte einfach besser zu als manche Menschen.

Für die Fiducia & GAD ist assoziatives Sprachverständnis insbesondere im Hinblick auf den konkreten Mehrwert einer natürlich-sprachlichen Mensch-Maschine-Kommunikation sowohl für Kunden als auch für Bankmitarbeiter interessant. Dies gilt besonders dann, wenn die Sprachfähigkeit wie im Fall von Sarabi mit weiteren KI-Technologien wie selbstlernenden Algorithmen und wissensbasierten Systemen kombiniert werden.

Greifbarer Mehrwert für Bankmitarbeiter

Heute gilt Weizenbaums Programm als Vorläufer aller sprachfähigen KI-Systeme. ELIZA gehört daher auch in die Ahnengalerie der Chatbot-Lösungen aus den Entwicklerlabors der Fiducia & GAD: Zwei redegewandte Prototypen genossenschaftlicher KI-Konzepte sind der Fachwelt spätestens seit der diesjährigen COM17 unter dem Namen Customer Advisor und Sarabi bekannt. Dabei ist es alles andere als ein Zufall, dass der Customer Advisor mitten im Mammutprojekt der Serienmigration für das Bankverfahren Agree21 entwickelt wurde. Denn die Fiducia & GAD stand vor der Frage, wie sie Volksbanken Raiffeisenbanken noch besser unterstützen kann, die im Zuge der Migration das frühere GAD-System ablösen und auf ein komplett neues Verfahren umsteigen müssen.

Die Antwort fand der genossenschaftliche IT-Dienstleister in innovativen KI-Technologien - vor allem in selbstlernenden Algorithmen und wissensbasierten Systemen. Kombiniert mit hochentwickelten Sprachfähigkeiten á la Siri und Alexa entstand daraus der Prototyp des Customer Advisor, der den Support rund um die Lösungen der Fiducia & GAD vereinfachen soll. Benötigt ein Bankmitarbeiter beispielsweise Unterstützung zu einer bestimmten Funktion in Agree21, beantwortet der Chatbot die offene Frage idealerweise direkt. Andernfalls leitet er die Supportanfrage ohne Umweg an den richtigen Ansprechpartner weiter.

Das Besondere der Lösung ist ihre Lernfähigkeit: Der Customer Advisor wird mit jeder Supportanfrage klüger und kann künftige Anfragen fachlich immer besser beantworten. Im Lauf der Zeit wird der IT-Support somit stetig effizienter.

Digitalisierung als Auslöser eines Wertewandels

Inwiefern sprachgewandte Chatbots auch für Bankkunden spürbare Vorteile bringen können, verdeutlicht Sarabi - der zweite Chatbot-Prototyp der Fiducia & GAD: Auf Zuruf könnte Sarabi künftig so alltägliche Dinge erledigen wie Geld überweisen, den Kontostand oder eine Gutschrift ansagen. Und selbstverständlich weist das System auf Wunsch auch jederzeit den kürzesten Weg zum nächstgelegenen Geldautomaten. Als ein integriertes Feature der VR-Banking-App könnte sich der Chatbot zum persönlichen Allround-Assistenten in vielen Lebenslagen weiterentwickeln.

Prinzipiell gibt es keinen Grund, warum das Einsatzspektrum von Sarabi auf klassische Bankfunktionen beschränkt bleiben sollte. So lassen sich zum Beispiel auch Angebote regionaler Händler integrieren. Die Kunden könnten dann online bestellen und per App auf demselben Sicherheitsniveau bezahlen, wie sie es von ihren sonstigen Bankgeschäften her gewohnt sind. Damit bietet Sarabi den Volksbanken Raiffeisenbanken in Zukunft völlig neue Möglichkeiten, sich im Wettbewerb durch digitale Nähe zu profilieren.

Vertrauensbroker für digitale Ökosysteme

Und diese Chance ist umso bedeutsamer, als die Digitalisierung offenkundig einen tiefgreifenden Wertewandel ausgelöst hat, der unter anderem an immer neuen Non-Profit-Communities im Internet sichtbar wird: In solchen digitalen Ökosystemen werden beispielsweise zu klein gewordene Kinderkleidungsstücke oder ausgelesene Bücher angeboten. Gerade in der jüngeren Generation drängt die Idee der gemeinschaftlichen Nutzung materieller Güter den Eigentumsgedanken immer weiter in den Hintergrund.

Zahllose Tauschplattformen zeigen genauso wie der Car-Sharing-Boom, dass kollektiver Ko-Konsum in vielen Lebensbereichen als eine nachhaltige Alternative zu individuellem Besitz empfunden wird. Kunden wollen dabei nicht länger nur passive Konsumenten sein, sondern aktiv an der Wertschöpfung teilnehmen. Man spricht bereits von Prosumenten, um die doppelte Rolle von Produzent und Konsument in der digitalen Ökonomie begrifflich auf den Punkt zu bringen. Digitale Ökosysteme tragen dazu bei, den Gebrauchswert von Gütern zu maximieren, indem die Nutzung wie bei der Weitergabe gebrauchter Kinderkleidung zeitlich verlängert wird oder durch eine bessere Auslastung aufgrund des gemeinschaftlichen Gebrauchs wie etwa beim Car-Sharing.

Überregionale Plattform

Immer dann, wenn die Mitglieder solcher Plattformen zugleich auch Miteigentümer sind, verwirklichen digitale Ökosysteme ein Partizipationsmodell, das die Ideen von Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch zu neuem Leben erweckt. Was liegt da näher, als den genossenschaftlichen Banking-Chatbot zu einem sprechenden Reiseführer durch die aufkommende Digitalökonomie weiterzuentwickeln?

Die Basis dafür wäre eine überregionale Plattform, die alle verfügbaren Informationen über sämtliche regionalen Ökosysteme mit innovativen KI-Methoden zusammenführt. Damit könnten sich die Volksbanken Raiffeisenbanken künftig als Vertrauensbroker für all diese Ökosysteme etablieren. Denn anders als bei traditionellen Genossenschaften etwa im Wohnungsbau oder der Landwirtschaft, wo praktisch jeder jeden kennt, sind persönliche Bekanntschaften in einer Genossenschaft 2.0 ein seltener Ausnahmefall. Deshalb braucht Vertrauen einen Mittler, der selbst bei allen Beteiligten ein Höchstmaß an Vertrauen genießt - eine enorme Chance für die Genossenschaftsbanken.

Robotergestützte Bankdienstleistungen

Werden KI-Systeme dereinst Beratungsthemen wie individuelle Vermögensplanung besser beherrschen als ein Filialberater aus Fleisch und Blut? Das kaum zu überschätzende Potenzial von KI darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wie bei jeder disruptiven Technologie auch hier große Chancen mit ebenso großen Herausforderungen einhergehen. So stellt sich beim Stichwort Robo-Advice zum Beispiel die Frage, ob intelligente Chatbots dereinst wirklich so komplexe Themen wie individuelle Vermögensplanung oder Altersvorsorge besser beherrschen werden als ein menschlicher Filialberater mit Erfahrung und Einfühlungsvermögen. Tatsache ist jedoch, dass sich Studien zufolge schon heute sieben von zehn Verbraucher robotergestützte Finanzdienstleistungen wünschen. Es wäre falsch, die Augen vor veränderten Kundenerwartungen zu verschließen. Diese Kundenerwartung war für die Fiducia & GAD Grund genug, sich frühzeitig mit den Möglichkeiten und Grenzen automatisierter Bankberatung auseinanderzusetzen.

Zweifellos: Wissen und Erfahrung bleiben auch weiterhin die entscheidenden Erfolgsfaktoren in der genossenschaftlichen Kundenbetreuung. Schließlich kennt ein Bankberater seine Kunden am besten. Allerdings beschränkt sich der Erfahrungshorizont jedes einzelnen Beraters auf maximal einige tausend Kunden - ein KI-System hingegen könnte das Wissen all dieser Berater perspektivisch zu kollektivem Wissen bündeln. Daraus entstünde so etwas wie ein künstlicher Superberater, der über die persönlichen Verhältnisse sämtlicher Kunden ebenso auf dem Laufenden wäre wie über alle relevanten Markttrends.

Außerdem könnte der KI-Berater sämtliche Wertpapierkurse in Echtzeit in die Beratung einfließen lassen, während er nebenbei noch jeden Beratungsschritt protokolliert. Automatisch wären somit alle regulatorischen Dokumentationsanforderungen ohne Mehraufwand erfüllt. Unabhängig davon, welche der beschriebenen Szenarien ihren Weg in die Praxis finden werden, ist schon heute klar: Künstliche Intelligenz steht in der genossenschaftlichen Finanzgruppe eine große Zukunft bevor.

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