Aufsätze

Wertpapierleihe - Aufschwung durch neue gesetzliche Freiheiten

Die Wertpapierleihe hat in den letzten Jahren stark an Popularität gewonnen und sich auch in Deutschland als Anlageinstrument etabliert. Diese Entwicklung wird sich noch weiter verstärken, denn entsprechend den Neuregelungen des zum Jahresbeginn 2008 in Kraft getretenen Investmentänderungsgesetzes können vor allem deutsche Spezialfonds dieses Instrument künftig in stärkerem Umfang nutzen als in der Vergangenheit.

Deutlicher Schub am Markt für die Wertpapieranleihe

Vor der Gesetzesänderung durften nur Wertpapiere im Gegenwert von maximal zehn Prozent des Fondsvermögens an ein und dieselbe Gegenpartei verliehen werden. Investoren, die ein gesamtes Spezial-fonds-Portfolio verleihen wollten, waren daher auf eine große Zahl von Entleihern auf der Gegenseite angewiesen, was mit hohem administrativen Aufwand und entsprechenden Kosten verbunden war. Zudem waren durch die Zehn-Prozent-Regel die ausleihbaren Wertpapierpositionen zwangsläufig tendenziell kleiner als im internationalen Umfeld, was die Attraktivität auch für Entleiher minderte.

Seit Anfang 2008 können deutsche Spezialfonds nun wahlweise die bisherigen Beschränkungen beibehalten, individuelle Restriktionen einsetzen oder ganz auf Beschränkungen verzichten. Im letzteren Fall gibt das Gesetz lediglich die Vorgabe, dass ein professionelles Risikomanagement gewährleistet bleiben muss, was jedoch bislang nicht weiter konkretisiert wurde. Es ist aber davon auszugehen, dass man auch künftig nicht das gesamte Portfolio eines Spezialfonds an nur eine Gegenpartei entleihen darf. Denkbar ist hier eine Obergrenze von 50 Prozent.

Publikumsfonds bleiben dagegen weiter an die Zehn-Prozent-Regel gebunden, und für Sicherungsvermögen von Assekuranzen galten und gelten weiterhin eigene gesetzliche Beschränkungen, die die Wertpapierleihe weniger attraktiv machen als bei Direktbeständen, die keinen vergleichbaren rechtlichen Restriktionen unterliegen.

Bis sich Kapitalanlagegesellschaften und Investoren der neuen Möglichkeiten bewusst werden, wird wohl noch etwas Zeit vergehen. Zudem müssen sich alle beteiligten administrativen Parteien operativ, prozessual und systemtechnisch darauf einstellen. Dies könnte noch drei bis sechs Monate in Anspruch nehmen, danach aber ist mit einem deutlichen Schub bei der Verleihaktivität deutscher Spezialfonds zu rechnen. Dem Markt für Wertpapierleihe wird dies großen Auftrieb verleihen, denn Spezialfonds halten einen erheblichen Teil des deutschen institutionellen Investmentvermögens.

Risikoarme Zusatzerträge

Geld wird bei der Wertpapierleihe auf dreierlei Weise verdient: Einerseits über die Leihgebühr, die der Entleiher dem Verleiher dafür zahlt, dass er dessen Wertpapiere für eine bestimmte Zeit erhält. Ihre Höhe bemisst sich daran, wie stark ein Papier im Markt gesucht wird. Für sehr stark nachgefragte Aktien sind Leihgebühren von bis zu mehreren Hundert Basispunkten möglich, bei breit verfügbaren Titeln sind zwei Basispunkte üblich. Die zweite Ertragsquelle ist die Wiederanlage von Barsicherheiten (Cash Collateral), die der Verleiher vom Entleiher im Gegenzug für die entliehenen Wertpapiere erhält. Die dritte Ertragsquelle ergibt sich aus der Ausnutzung regionaler steuerlicher Diskrepanzen.

Welche Ertragsquelle am stärksten sprudelt, hängt von der Wertpapiergattung ab. Bei Aktien sind steuerliche Vorteile bei der Dividendenausschüttung die Haupteinnahmequelle, bei Nebenwerten mit sehr geringer Liquidität kann aber auch die Leihgebühr die stärkste Ertragskomponente darstellen. Bei der Leihe von festverzinslichen Wertpapieren generieren Wiederanlagen von Barsicherheiten in der Regel den Hauptertragsanteil.

Hat ein Investor ein für Entleiher attraktives Portfolio, kann er mit der Wertpapierleihe im günstigsten Fall so viel Geld verdienen, dass damit die Gebühren, die er an seinen Global Custodian entrichtet, mehr als bezahlt sind. Zumindest ein Teil der Administrationskosten wird dadurch abgedeckt. Vor allem für Publikumsfonds ist interessant, dass durch die dem Fondsvermögen gutgeschriebenen Erträge aus der Wertpapierleihe die Performance steigt, was einen positiven Einfluss auf entsprechende Rankings hat. In jedem Fall sind Einnahmen aus der Wertpapierleihe wenig risikobehaftet. Das Risiko besteht lediglich darin, dass beim Ausfall eines Entleihers der Wert der hinterlegten Sicherheiten geringer ist als der Wert des Leihgegenstandes. Dies passiert allerdings extrem selten, zumal typischerweise eine Übersicherung von drei bis fünf Prozent besteht.

Werden Aktien im internationalen Geschäft als Sicherheit akzeptiert, sind Übersicherungen von bis zu 50 Prozent möglich, bei Barsicherheiten liegt die Rate bei ein bis zwei Prozent. Professionelle Anbieter von Wertpapierleiheprogrammen bieten zudem eine zusätzliche Absicherung etwaiger Differenzen zwischen dem Wert der verliehenen Wertpapiere und dem Wert der gestellten Sicherheiten an. Derartige Versicherungen sind optional und haben auch einen Preis, weil der Agent in dem Moment, in dem er eine Garantie ausspricht, Eigenkapital bindet.

Depotbanken als Agenten

Die Wertpapierleihe wird für deutsche Spezialfonds auch attraktiver, weil bislang als Sicherheit bei Leihgeschäften erhaltene Gelder nur auf einem verzinsten Konto geparkt werden durften. Inzwischen können diese Barsicherheiten wieder reinvestiert werden, in jeder Form, die mit den Investmentrichtlinien eines Spezialfonds übereinstimmt. Aus einem gemischten Sondervermögen mit Aktien und Anleihen kann beispielsweise eine Bondposition verliehen werden, die dafür als Sicherheit erhaltenen Barmittel könnten dann zum Beispiel in Geldmarktfonds angelegt werden. Damit erhöht sich das Ertragspotenzial deutlich, natürlich zum Preis eines erhöhten Kursrisikos. Die Entscheidung darüber trifft der Portfoliomanager. Das Beispiel zeigt aber, welche Möglichkeiten die Wertpapierleihe inzwischen eröffnet. Somit ergibt sich auch für deutsche Anleger künftig ein erheblich gestiegenes Ertragspotenzial, während im internationalen Geschäft die Wiederanlage von Barsicherheiten schon seit langem etabliert ist.

Doch nicht nur gesetzliche Bestimmungen beeinflussen die Wertpapierleihe, sondern auch die Entwicklung von Branchen- und Marktstrukturen. Als im Jahr 1992 die Wertpapierleihe erstmals in Deutschland zur Anwendung kam, bestanden fast ausschließlich Principal-Programme, bei denen der Entleiher Verleihgeschäfte ausschließlich gegen die eigenen Bücher macht. Dieses Geschäft wurde in der Regel nur im Konzernverbund - das heißt Kapitalanlagegesellschaft und Depotbank gehörten für die entsprechenden Mandate dem gleichen Konzern an - angeboten, wobei die Depotbank als Entleiher fungierte. Für Mandate, welche Kapitalanlagegesellschaft und Depotbank an unterschiedliche Anbieter vergeben hatten, hätten sich zu jener Zeit Leiheprogramme wegen der komplizierten administrativen Abläufe im Depotbankumfeld und den resultierenden Kosten kaum gelohnt.

Durch den Erfolg der Master-KAG und die Etablierung größerer und institutsunabhängiger Kapitalanlagegesellschaften stiegen die Fondsvolumen, was es Depotbanken ermöglichte, Leiheprogramme für eine größere Zahl auch "konzernfremder" Sondervermögen anzubieten. Inzwischen werden Wertpapierleiheprogramme kaum noch auf Principal-, sondern zu gut 90 Prozent auf Agency-Basis durchgeführt. Dabei bringt der "Agent" die Entleiher und Verleiher zusammen, kontrahiert aber nicht gegen die eigenen Bücher. Für die als Agent auftretende Depotbank hat dies gegenüber dem Principal-Geschäft Vorteile in Bezug auf Kapitalunterlegungsanforderungen, da keine Bilanzverlängerung entsteht.

Kein Problem mit Corporate Governance

Die Entleiher von Wertpapieren sind in der Regel Wertpapierhandelshäuser, Investmentbanken, Broker, international tätige Banken mit eigenem Handelsbuch und Zertifikatekonstrukteure. Gelegentlich wird als Kritik angeführt, dass auch Hedgefonds sich über die Wertpapierleihe mit Aktien versorgen könnten, um mit den geliehenen Stimmrechten Druck auf Unternehmen auszuüben. Tatsächlich aber wird der Einfluss institutioneller Anleger auf ihre Investments durch die Wertpapierleihe kaum geschmälert.

An Leiheprogrammen teilnehmende Großanleger könnten mit ihren Aktienanteilen, die im Verhältnis zum Gesamtkapital einzelner Unternehmen vergleichsweise klein sind, kaum aggressive Hedgefonds munitionieren. Darüber hinaus üben institutionelle Anleger ihre Stimmrechte ohnehin selten selbst aus, sondern übertragen sie der Depotbank, die für sämtliche bei ihr hinterlegten Wertpapiere abstimmt, sofern sie dazu ermächtigt wurde. Nur wenn strategische Investoren ihre gesamte Beteiligung verleihen und damit ihre Stimmrechte abgeben, könnten Hedgefonds damit signifikanten Einfluss bei Hauptversammlungen gewinnen. Ob ein strategischer Investor jedoch seinen Aktienbesitz mitsamt den Stimmrechten ausgerechnet an Hedgefonds verleiht, ist äußerst fraglich.

Sondervermögen, die Aktien entleihen, können den Entleiher zudem vertraglich verpflichten, die Aktien rechtzeitig rückzuübertragen, wenn der Verleiher seine Rechte aus den Papieren selbst wahrnehmen möchte. Alternativ hierzu kann der Entleiher den Verleiher auch zur Stimmrechtsausübung bevollmächtigen, sodass die Stimmrechte von Investmentfonds nicht verloren gehen. Insgesamt kann man also nicht davon sprechen, dass durch die Wertpapierleihe Rechte von institutionellen oder privaten Anlegern eingeschränkt oder beeinträchtigt werden.

Dass sich international und auch in Deutschland das Agency-Modell bei der Wertpapierleihe durchgesetzt hat, liegt auch am Markteintritt hoch qualifizierter Anbieter von Leiheprogrammen. Nur wenige Häuser sind administrativ in der Lage, für ein Sondervermögen eine effiziente Verleihung mit mehreren Gegenparteien zu realisieren, sodass eine hohe Verleihquote erreicht wird. Dabei können marktstarke Anbieter nicht nur attraktive Portfoliopositionen, sondern auch wenig nachgefragte Titel am Markt platzieren. Möglich wird dies durch eine starke Nachfrageseite, über die vor allem die größten Spieler im Agency-Geschäft verfügen. Wer als Entleiher Papiere bekommt, die stark gesucht werden, muss häufig im Zuge des sogenannten "General Collateral" auch Papiere mitleihen, die weniger stark nachgefragt werden.

Größenvorteile

Weil Entleiher, welche auf der Suche nach bestimmten Wertpapieren sind, in der Regel zuerst bei dem Anbieter nachfragen, der mit der höchsten Wahrscheinlichkeit liefern kann, verfügen global aufgestellte Agenten wie State Street über eine große Platzierungskraft, die es Investoren ermöglicht, auch weniger gesuchte Papiere zu verleihen. Wichtig ist die Größe eines Agenten aber nicht nur wegen der Platzierungskraft, sondern auch wegen der globalen Infrastruktur und Ausrichtung. Agenten brauchen Leihezentren in allen Hauptzeitzonen, um rund um die Uhr Liquidität bereitstellen zu können.

Der dahinter stehende Technologieaufwand ist beträchtlich, denn der Asset-Manager eines für die Wertpapierleihe freigegebenen Portfolios darf durch die Leihgeschäfte nicht in seinen Managementaktivitäten beeinträchtigt werden. Die Programme von State Street beispielsweise gewährleisten, dass ein Asset-Manager Papiere unabhängig davon verkaufen kann, ob der jeweilige Titel aktuell verliehen ist oder nicht.

Der Agent muss in der Lage sein, beim Verkauf durch den Portfoliomanager den entsprechenden Titel zeitgerecht am Markt zu besorgen oder aus der Leihe zurückzurufen, um das Handelsgeschäft zu beliefern. Bei derartigen Transaktionen sind Effizienz und ein hoher Automatisierungsgrad unabdingbar, und auch in dieser Hinsicht macht sich die Größe eines Agenten bezahlt: Wer in seinen Programmen eine hohe Liquidität bereitstellt und eine große Zahl partizipierender Kunden bietet, der kann auch in schwierigen Marktsituationen Titel zur termingerechten Abwicklung von Handelsgeschäften besorgen, die nicht aus der Leihe zurückgerufen werden können.

Konsolidierung

Der Markt für Wertpapierleihe steht vor einer Konsolidierung, denn die großen Anbieter werden Marktanteile gewinnen, während die kleinen eher Anteile verlieren werden. In Deutschland macht sich dabei bemerkbar, dass viele Banken nach wie vor eigene Leiheprogramme durchführen. Das bringt zwar einen gewissen Ertrag, ist aber auch mit erheblichen Kosten verbunden. Es ist zu erwarten, dass auch große oder mittlere Banken ihr eigenes Leihegeschäft aufgeben und dies von großen Spezialanbietern betreiben lassen. Damit kann im Zweifel mindestens der gleiche Ertrag generiert werden, die direkten Fixkosten fallen hingegen jedoch weg. Ein weiterer wichtiger Marktfaktor könnten sogenannte Third-Party-Leiheprogramme werden, wie sie State Street noch in diesem Jahr auch in Deutschland einführen wird.

Traditionell wird die Wertpapierleihe in Deutschland nur von dem Haus durchgeführt, das auch Verwahrer der betroffenen Vermögenswerte ist. Gerade etablierte Banken, Spitzeninstitute oder Versicherungen können ihre Vermögenswerte nicht einfach anderen Adressen übertragen, sodass ihnen die Teilnahme an fremden Leiheprogrammen versperrt ist. Bei Dritt-parteien-Leiheprogrammen müssen die Papiere aber nicht zwangsläufig vom Anbieter der Leihe verwahrt werden, vielmehr können die Papiere bei der bisherigen Verwahrstelle bleiben.

Third-Party-Leiheprogramme sollten gerade am deutschen Markt ein signifikantes Potenzial erschließen helfen, zusätzlich zu den vielen anderen Gründen, die für ein starkes Wachstum der Wertpapierleihe in der nahen Zukunft sprechen. Zumal nach der Verbesserung der regulatorischen und strukturellen Rahmenbedingungen vor allem für Spezialfonds in Deutschland kaum zu erwarten ist, dass eine große Zahl institutioneller Investoren sich die Möglichkeit risikoarmer Zusatzerträge länger entgehen lässt.

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