Aufsätze

Wege zu einer europäischen Bankenaufsicht und Einlagensicherung

Eine von mehreren Ursachen der Finanzkrise von 2008 wird darin gesehen, dass multinational agierende Kreditinstitute von nationalen Aufsichtsbehörden überwacht wurden, denen die Fähigkeiten und Mittel einer globalen Aufsicht fehlten. Weiterhin wird auch der Deregulierungs-Wettbewerb genannt, der trotz aller Bemühungen zur Gemeinsamkeit in der Aufsicht - insbesondere auf EU-Ebene - die Hürden für übermäßige Risiken eher absenkte. Besonders deutlich wurde dies beim Thema "Liquiditätsrisiken", das vollständig den lokalen Aufsichten überlassen wurde - mit der Folge, dass es hier so gut wie keine Regeln mehr gab, die einer angemessenen Begrenzung dieser Risikoart gerecht wurden.

Rückkehr zur Kleinstaaterei in der Bankenaufsicht

Es war deshalb nur konsequent, dass auf den Ebenen von G20 und EU im Zuge der Krisenbewältigung eine globale beziehungsweise EU-weite Überwachung und Regulierung von Kreditinstituten, zumindest von international agierenden, gefordert wurde. Die schnelle Erarbeitung von Basel III, die Schaffung der neuen Aufsichtsbehörde EBA und deren EU-weite Stresstests sahen wie der Anfang zu einer einheitlichen europäischen Bankenaufsicht aus. Mittlerweile, insbesondere nachdem die Staatsschuldenkrise dem mit Staatstiteln vollgesogenen Bankensektor weitere Krisen bescherte, beginnt sich die europäische Kleinstaaterei leider wieder einzuschleichen.

Der jüngste Bazar der EU-Finanzminister über nationale Alleingänge bei der Festlegung des Mindestkapitals hat dies erneut deutlich gemacht: Britische Banken sind allesamt Aktienbanken, und Großbritannien beherbergt den zweitgrößten Aktienmarkt der Welt. Es ist deshalb aus britischer Sicht nur folgerichtig, die Vertrauenskrise der Banken mit einer hohen Mdkptqteaeuinlsoztu beenden, die durch echte Kapitalerhöhungen dargestellt wird. Für Länder, in denen es keine ausgeprägte Aktienkultur gibt und in denen das Eigenkapital der Banken weitgehend von der öffentlichen Hand dargestellt wird, bedeuten höhere Eigenkapitalquoten jedoch den Zwang zur Bilanz-Schrumpfung (Deleveraging), da der Zugang zu einem tiefen Kapitalmarkt nicht gegeben ist. Aus Angst vor den damit verbundenen Gefahren einer Kreditklemme will man auf dem Kontinent deshalb nur moderat erhöhte Eigenkapitalquoten zulassen. Keine Einigung auf einen einheitlichen Satz bedeutet aber eine partielle Rückkehr zur nationalen Regulierung, die im derzeitigen Umfeld auch die Gefahr eines Wettbewerbs um den sichersten Finanzplatz bedeuten kann.

Einlagensicherung zulasten der Steuerzahler

Ein weiteres Phänomen der Bankenkrise von 2008 waren die Reaktionen der nationalen Regierungen auf die Gefahr einer "run"-Situation, die für Einlagen von Privatpersonen de facto eine staatliche Garantie abgaben. Auch hier wollte man eine einheitliche europäische Regelung schaffen, jedoch ist die Absicht, eine einheitliche, wettbewerbsneutrale europäische Einlagensicherung zu schaffen, über den Entwurfstatus noch nicht hinausgegangen.

Dabei sind eine Harmonisierung der Einlagensicherung und ihre finanzielle Absicherung von großer Wichtigkeit: Seit Ausbruch der Staatskrise und den damit einhergehenden steigenden Länderrisiko-Aufschlägen ist zu beobachten, dass Banken aus bonitätsmäßig schwächeren Ländern (zum Beispiel Spanien) zunehmend Einlagen über ihre Filialen und Töchter in bonitätsmäßig stärkeren Ländern generieren: Auf 67 Milliarden Euro beläuft sich inzwischen das Einlagenvolumen ausländischer Kreditinstitute in Deutschland. Kapitalflucht von Süd nach Nord verstärkt diese Entwicklung; man denke nur an die kontinuierliche "Migration" griechischer Einleger.

Eine weitere Problematik ergibt sich aus der zunehmenden Bedeutung der Liquiditätshilfen durch die EZB: Die Zentralbanken lassen sich ihre Kredite stets besichern, während die Ausleihungen im Interban-ken-Geldhandel vorwiegend ohne besondere Sicherheitenstellung erfolgen. Das bedeutet, dass in Höhe der Ausleihungen

durch die EZB den Einlegern und den sie schützenden Sicherungssystemen beziehungsweise Steuerzahlern, die hinter den Garantieversprechen der Regierungen stehen, bislang vorhandene Haftungsmasse entzogen wird. Gleiches gilt für Covered-Bond-Finanzierungen (zum Beispiel Pfandbriefe), die durch gesonderte Besicherung und Übersicherungen bis zu 30 Prozent dem normalen Gläubiger potenzielle Konkursmasse entziehen. Eine EU-einheitliche Regelung der Einlagensicherung ist dringend erforderlich, wenn man weitere "Ein-lagensicherungs-Arbitrage" und unkalkulierbare Risiken für Steuerzahler vermeiden will.

Vorschlag zum Aufbau eines dualen Systems

In Europa ist der Problemkreis der Staatsschulden eng verwoben mit dem Vertrauensproblem im und gegenüber dem Bankensektor: Anders als beispielsweise in den USA, wo die Staatsschulden vorwiegend bei Handelspartner-Nationen insbesondere in Fernost, platziert wurden, haben die europäischen Staaten ihre Staatsschulden primär bei ihren Banken "abgeladen". Grundlage dieser bequemen, aber jetzt auch gefährlichen Art der Finanzierung, war eine Form der regulatorischen "Selbstbedienung": Forderungen an Staaten brauchten im Rahmen von Basel I nicht mit Eigenkapital unterlegt werden und auch unter Basel II mit seinem System der internen Rating-Ansätze (IRBA) blieb es weitestgehend bei Gewichtungen "nahe Null" für EU-Staatsschulden. (Man hat die USA viel gescholten, dass sie das Basel-Regelwerk nie umgesetzt haben, in diesem Punkt muss man ihnen allerdings Anerkennung zollen.)

Bei der Lösung der Staatsschulden- und Euro-Krise kommt der Wiederherstellung des Vertrauens in den Bankensektor große Bedeutung zu. Das Vertrauen in Banken lässt sich jedoch nicht dadurch wieder herstellen, dass nationale Regierungen, deren Kreditwürdigkeit angesichts der Schuldenproblematik angeschlagen ist, die Banken in ihrem Territorium überwachen, abwickeln beziehungsweise mit neuem Kapital versorgen. Mit der Fortsetzung der Kleinstaaterei im Bereich der Bankenüberwachung wird das Vertrauen von institutionellen Investoren wie US-Geldmarktfonds und asiatischen Zentralbanken nicht zurückzugewinnen sein; eine wirklich europäische Lösung ist erforderlich. Im Folgenden soll der Vorschlag gemacht werden, eine teilweise Zentralisierung von Aufsicht und Einlagensicherung durch ein zweistufiges System zu erreichen, wobei die Institutionen in den USA als Modell dienen könnten.

Warum USA? Die Entstehungsgeschichte des US-Finanzsektors weist im Hinblick auf den qualvollen Konflikt zwischen Einzel- und bundesstaatlichen Interessen viele verblüffende Parallelen zu den Verhältnissen in der EU auf. So war eine einheitliche Währung lange umstritten, vor allem weil man dem Bund die alleinige Macht über die Währung geben wollte. Erst 1913 entstand ein föderales Zentralbanksystem (FED), das die Notwendigkeit einer nationalen Zentralbank mit dezentralen Machtstrukturen kombinierte. Es war deshalb naheliegend, dass das Modell der FED bei der Konstruktion der EZB Pate stand. Eine Einlagensicherung auf Bundesebene entstand erst infolge der Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts.

Im Bereich der Bankenaufsicht bestand und besteht eine Parallelwelt von Gesetzen und Aufsichtsbehörden auf Staaten- und Bundesebene, die auch aus amerikanischer Sicht zunächst einmal wenig Vorbildcharakter hat: In Abhängigkeit ihrer Lizenzen werden Kreditinstitute von Staatsaufsehern oder von Bundesbehörden (primär Federal Reserve) überwacht und geprüft. Banken, die ihre Einlagen versichern wollen, können dies nur bei der Bundesgesellschaft Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) beantragen; sie unterliegen dann der Überwachung der FDIC, und zwar neben der Überwachung durch die Bankenaufsicht. Wenn dennoch ein Vorschlag gemacht wird, der US-Strukturen zum Vorbild nimmt, dann vor allem aus dem Grund, dass die politischen Grundkonstellationen, die zu ihrer Entstehung führten, deutliche Parallelen aufweisen.

EU-Lizenzen und Einzelstaats-Lizenzen

Beim größten Teil der europäischen Bankenszene handelt es sich um Institute, die ausschließlich lokal oder regional tätig sind, in Deutschland Volksbanken und Sparkassen. Vertreter dieser Institute betonen immer wieder (meist zu Recht), dass ihre Unternehmen die Finanzkrise weder verursacht haben noch dass sie durch die Krise in Existenznöte geraten sind. Für solche Institute sollte eine rein nationale Aufsicht weiterhin ausreichend sein. Umgekehrt waren die meisten international agierenden Institute von der Finanzkrise in sehr unterschiedlichem Ausmaß - betroffen. Auf diese Gruppe zielt die eingangs geforderte einheitliche europäische Aufsicht, da sie systemisch relevant ist und eine Überwachung erfordert, die mindestens eine ebenbürtige internationale Kompetenz und Reichweite aufweist.

European Deposit Insurance Corporation

Für diese schätzungsweise 100 Institute sollte eine einheitliche EU-Zulassung eingeführt werden, die sie unter die ausschließliche Aufsicht der EU bringt, zum Beispiel durch eine Kombination aus EBA und Zentralbanksystem. Die nationalen Zentralbanken sind derzeit ja ohnehin schon mit der Bankenaufsicht (ganz oder teilweise) befasst und könnten so einer Zentralbehörde zuarbeiten. Für die EU-lizensierten Institute gäbe es eine einheitliche Aufsicht, während Zulassung und Überwachung lokaler und regionaler Institute den nationalen Aufsichten überlassen werden kann. Wechsel werden dabei immer möglich sein: Will eine Bank, die bislang nur national tätig war, über die Grenzen hinaus tätig werden, muss sie der EU-Aufsicht unterstellt werden. Mutiert dagegen beispielsweise eine Landesbank zur Großsparkasse, kann sie den umgekehrten Weg gehen.

Für die einheitliche europäische Einlagensicherung wäre eine Versicherungsgesellschaft zu gründen, deren Träger die EU-Mitgliedstaaten sind. Alle Banken in der EU, unabhängig von ihrer Lizenz hätten das Recht, bei der EDIC Versicherungsschutz für ihre Einlagen zu beantragen, und zwar nach einheitlichen europäischen Standards. Grundsätzlich sollte eine solche Versicherung - nach dem Vorbild der FDIC - finanziell autonom agieren, das heißt, basierend auf dem Einlagenvolumen zahlt das jeweilige Institut eine jährliche Prämie. Dies wird allerdings nicht vom ersten Tag an möglich sein, das heißt die Trägerstaaten müssen eine "Anschub-Haftung" leisten, bis dass die Versicherungsreserven das nötige Volumen erreicht haben.
In den USA beläuft sich die Deckung derzeit auf zirka 1,2 Prozent des Einlagenvolumens. Bei einem Einlagenvolumen von rund 7 000 Milliarden Euro und gleichen Standards (Versicherung bis 100000 Euro pro Einleger und Bank) wären etwa 90 Milliarden Euro Prämienvolumen erforderlich. Per saldo ist eine Versicherungslösung für die Steuerzahler in den EU-Staaten am Ende vorteilhafter als eine reine Staatshaftungslösung, da die Unwägbarkeit der künftigen Inanspruchnahme wegfällt und die Kosten verursachungsgerecht verteilt werden. Da die EDIC für die Einlagen haftet, muss sie zwangsläufig das Recht haben, Institute im Gefahrenfall zu liquidieren oder zu fusionieren. Verfahren und Voraussetzungen einer Bankenschließung sind in den Statuten der EDIC festzulegen ebenso wie die Limite für die Verpfändung der Aktiva an Dritte (Enforcement Decision & Orders).

Die Mitglieder unterwerfen sich der (zusätzlichen) Prüfungspflicht durch die EDIC. Ein gutes Vorbild für Art und Umfang der Prüfungstätigkeit bietet neben der USamerikanischen FDIC der Prüfungsverband des Einlagensicherungsfonds der privaten Banken in Deutschland. Es wäre im Interesse einer schnellen Funktionsfähigkeit der neuen Einlagensicherung, wenn bestehende Prüfungseinrichtungen oder aber in organisatorischer Hinsicht - europäische Institutionen wie beispielsweise ESM oder EIB beim Aufbau Schützenhilfe leisteten.

Versicherungsgesellschaft

Wenn man sich das Vorbild der FDIC anschaut, wird deutlich, dass eine Versicherungsgesellschaft, die grundsätzlich ohne Rückgriff auf Steuergelder operiert, wesentlich unternehmerischer bei der Entscheidung über Schließungen, Fusionierungen und Sanierungen von Banken vorgeht, als eine staatliche Aufsichtsbehörde. Die Schaffung einer EDIC würde damit im Zweifel auch die erforderliche Strukturbereinigung im europäischen Bankwesen vorantreiben.

Es mag zunächst paradox klingen, ein System zum Vorbild zu nehmen, das im Land seines Ursprungs heute als umständlich und von Kompetenzüberlappungen geprägt kritisiert wird. Wenn es in vielerlei Hinsicht dennoch als Vorbild dienen soll, dann, weil es einen funktionsfähigen Kompromiss darstellt zwischen dem Bestreben der Einzelstaaten nach Souveränitätserhalt und der Notwendigkeit gemeinschaftlicher Absicherung des Finanzsystems.

Dr. Marcel Morschbach , Mitglied des Vorstands , Westend Bank AG, Frankfurt am Main
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