Leitartikel

Immer in Bewegung

Wieder einmal hat es ein internationales Gremium geschafft, für Stirnrunzeln und Kopfschütteln unter deutschen Bankern zu sorgen. Wieder mal ist es der IWF, der anlässlich der Jahrestagung von Währungsfonds und Weltbank in Istanbul seinen Bericht zur Stabilität des Finanzsystems veröffentlichte und in diesem ausnahmsweise einmal nicht die Bankenstrukturen in Deutschland unter Beschuss nahm, sondern die amerikanischen Wettbewerber den europäischen Banken beim wichtigen Thema Eigenkapitalbildung ein gutes Stück enteilt sieht. Auf bis zu 3,4 Billionen Dollar schätzen die IWF-Experten die auf die Banken zukommenden weltweiten Wertverluste bis Ende 2010. Das sind rund 600 Millionen Dollar weniger als noch in der letzten Berechnung aus dem Frühjahr dieses Jahres. Auffällig ist jedoch, dass der IWF den dafür erforderlichen Kapitalbedarf bei den europäischen Banken deutlich höher einschätzt als den der US-Institute. "Auch wenn sich die Kapitalposition und die Aussichten für die Banken signifikant verbessert haben, werden die Erträge aller Erwartung nach nicht ausreichen, um das voll abzudecken", heißt es in der Studie.

Während US-Banken der regelmäßig stattfindenden Untersuchung zufolge rund die Hälfte der zu erwartenden Verluste bereits über frische Kapitalaufnahme abgedeckt hätten, sind es bei europäischen Kreditinstituten bislang lediglich ein Viertel. Je nach aufsichtsrechtlichen Anforderungen kommen die Autoren des Stabilitätsreports zu verschiedenen Szenarien: Wird eine Kernkapitalquote von acht Prozent zugrunde gelegt, bräuchten amerikanische Banken kein zusätzliches Kapital, die des Eurosystems dagegen noch 150 Milliarden Dollar. Erhöhte sich die geforderte Kernkapitalquote auf zehn Prozent, stiegen die zusätzlichen Kapitalanforderungen für US-Institute auf 90 Milliarden Dollar und für die europäische Konkurrenz auf schon 470 Milliarden Dollar.

Die für die Finanzmarktstabilität in der Bundesrepublik verantwortliche Deutsche Bundesbank ließ sich von diesen Schreckensmeldungen zu Recht nicht beunruhigen. Schon kleine Änderungen in den zugrunde liegenden Annahmen würden zu ganz anderen Ergebnissen führen, sagte das verantwortliche Vorstandsmitglied Hans-Helmut Kotz als Reaktion auf den Bericht. Wie recht er damit hat, zeigen allein zwei Zahlen: Dem IWF zufolge drohen europäischen Banken bis Ende kommenden Jahres weitere Einbußen durch Wertverluste ihrer Forderungen in Höhe von 800 Milliarden Dollar, rund 550 Milliarden Euro. Der Risikotest des Europäischen Ausschusses für Bankenaufsicht in London kommt dagegen "lediglich" auf weitere Abschreibungen in Höhe von 330 Milliarden Euro. Für diese zu erwartenden Verluste reiche die Kapitaldecke aus, heißt es weiter. Untersucht wurden die größten grenzüberschreitenden Finanzinstitutionen, die zusammen über 60 Prozent der EU-Bankenvermögenswerte repräsentieren.

Hinzu kommt, dass die für die US-Banken günstigen IWF-Schätzungen offensichtlich vor allem die großen Wallstreet-Häuser berücksichtigen. Wie sonst könnte es angehen, dass in den USA bereits über 100 Banken ihre Tore in Folge der Finanzkrise schließen mussten und die Pleite weiterer Häuser nicht nur erwartet wird, sondern bereits als sicher gilt. So gut kann es um die Kapitalausstattung in der Breite also doch nicht bestellt sein. Das betrifft übrigens nicht nur die Banken selbst, sondern auch die einheitliche, für alle Institute zuständige Einlagensicherung Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC). Diese greift aufgrund massiver Kapitalnot zu drastischen Maßnahmen: So sollen die Banken die Gebühren für die kommenden drei Jahre in einem Schlag im Voraus entrichten, was rund 45 Milliarden Dollar in die leeren Kassen spülen würde. Grund ist eine Erhöhung des zu erwartenden Finanzbedarfs bis 2013 von 70 auf 100 Milliarden Dollar.

Nur so könne sichergestellt werden, dass der Fonds auch weiterhin vom Gewerbe selbst finanziert werde, heißt es in einer Mitteilung. Die FDIC verfügt zwar über einen garantierten Kreditrahmen des Finanzministeriums, sieht das aber als letzte aller in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten, um Diskussionen über eine Belastung der Steuerzahler gar nicht erst aufkommen zu lassen. Die Lage ist allerdings in der Tat angespannt: Bereits Ende des dritten Quartals sollen alle verfügbaren Mittel aufgebraucht sein. Binnen eines Jahres mussten damit über 50 Milliarden Dollar für die Einlagen der Pleitebanken aufgewendet werden. Schon per Ende Juni reichte die Finanzlage nur noch für eine Absicherung von 0,22 Prozent der versicherten Einlagen, das liegt deutlich unter dem vom Kongress geforderten Minimum von 1,15 Prozent.

Solche Meldungen werden hier in Deutschland mit zweierlei Gefühlen aufgenommen. Einerseits fühlen sich die Befürworter des deutschen Einlagensicherungssystems mit getrennten Töpfen für alle drei Säulen bestätigt. Ob die Diskussionen um eine Zusammenlegung der Sicherungseinrichtungen unter der alleinigen Aufsicht der Bundesbank und der neuen Regierung wieder Fahrt aufnehmen, bleibt jedoch abzuwarten. Bislang jedenfalls haben die Töpfe ausgereicht, und die Einlagensicherung hat sich bewährt. Es bleibt dabei zu berücksichtigen, dass es keine größeren Pleiten wie in den USA zu bewältigen gab. In den wenigen Ernstfällen wie IKB, Hypo Real Estate oder Commerzbank hat die Bundesregierung mit Staatsgarantien ein mögliches Zusammenbrechen und damit auch ein Eingreifen der Sicherungsfonds verhindert. Von daher besteht keine Sorge wie bei den Kollegen in den USA, für die die nun geforderte Beitragserhöhung natürlich zur Unzeit kommt und kostbare finanzielle Mittel auffressen würde, was alle Banken und nicht nur die in besonderem Maße auf Hilfe angewiesenen Institute treffen würde.

Da wirkt die kürzlich reformierte Einlagensicherung des genossenschaftlichen Finanzverbundes fortschrittlicher. Statt wie bisher zwischen 90 und 140 Prozent liegen die Beiträge zur Sicherungseinrichtung in Abhängigkeit von der Bonitätsklasse eines Mitgliedsinstituts künftig zwischen 80 und 140 Prozent des regulären Jahresbeitrages. Darüber hinaus werden auch die Depot-Anlagen und damit die Wertpapierrisiken bei der Bemessung berücksichtigt, was eine verbesserte Risikoeinschätzung zur Folge hat (siehe hierzu im Detail den Beitrag Hofmann ab Seite 996). Bemerkenswert ist die hohe Bereitschaft der Primärbanken, diese Erneuerung mitzutragen. Die Zustimmungsquote betrug über 98 Prozent. Der frühere BVR-Präsident Christopher Pleister, auf den die Beitragsspreizung im Kern zurückzuführen ist, musste bei der Einführung hart kämpfen und erhielt erst im zweiten Durchgang die Zustimmung. Bei der ersten Abstimmung verweigerten ihm die Mitglieder die Gefolgschaft. Überhaupt muss man dem amtierenden BVR-Vorstand um Präsident Uwe Fröhlich bislang einen sehr geschickten Umgang von der (gescheiterten) Fusion DZ Bank und WGZ Bank über das Thema Sicherungseinrichtung bis hin zur Finanzkrise konstatieren, auch wenn manchen die bisweilen an den Tag gelegte Zurückhaltung vielleicht zu weit geht. Doch warum soll man den Kopf herausstrecken, wenn andere im Feuer stehen.

Unabhängig von der Bestätigung des deutschen Sicherungssystems ist eine gewisse Beunruhigung jedoch nicht zu verhehlen. Zwar blieben regionale Bankenpleiten in Übersee bislang ohne nennenswerten Folgen für das weltweite Finanzsystem und damit die heimischen Banken. Doch können zwischen den Entwicklungen durchaus Parallelen gezogen werden. Während in den letzten Monaten gerade die großen Wallstreet-Banken durch gute Handelsergebnisse feine Gewinne einstrichen, wird die Geschäftsgrundlage für die Tausenden von Regionalbanken aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und der drohenden Pleitewelle bei kleineren Unternehmen und Konsumenten immer ungemütlicher. Ähnliches ist für Deutschland zu befürchten, denn bekanntermaßen steigen gerade am Anfang eines Aufschwungs die Insolvenzzahlen. Während die Deutsche Bank wieder alten Ertrags- und Renditehöhen zustrebt, stellen sich die Volksbanken und Sparkassen auf ungemütliche Zeiten ein, denn gerade bei diesen beiden Bankengruppen liegen in großem Maße Mittelstands- und Handwerkerkredite. Und die sind besonders gefährdet, wie auch der IWF in seinem Stabilitätsbericht feststellt: "Eine Verschlechterung des Kreditportfolios wird vor allem die europäischen Banken treffen, weil ihre Bücher zu 75 Prozent auf kleine und mittelgroße Unternehmen entfallen. Hier ist die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenbruchs zweimal größer als bei großen Unternehmen."

Das wissen auch die Banken. Einer in der September-Ausgabe des Monatsberichts der Deutschen Bundesbank veröffentlichten Untersuchung zufolge, ging das ausgereichte Kreditvolumen an Privatpersonen und nicht-finanzielle Unternehmen in den vergangenen zwölf Monaten deutlich zurück. Allerdings trifft das nicht auf alle Bankengruppen gleichermaßen zu. So haben sich vor allem Großbanken und Landesbanken aus der Finanzierung kleiner und mittlerer Betriebe zurückgezogen. Sparkassen und Kreditgenossenschaften dagegen haben ihren Marktanteil in diesem Bereich seit Sommer 2008 leicht ausgebaut. Während die genossenschaftliche Bankengruppe ihre Jahreswachstumsrate konstant bei sieben Prozent hielt, kamen die öffentlichrechtlichen Primärinstitute immerhin noch auf 2,8 Prozent.

Das birgt natürlich auch Risiken. Bereits 2008 mussten die beiden Verbundgruppen einen deutlichen Rückgang des Ergebnisses vor Steuern hinnehmen, lagen aber im Gegensatz zu Großbanken, Landesbanken und Realkreditinstituten wenigstens noch im positiven Bereich. Grund dafür war gerade bei den Kreditgenossenschaften ein spürbarer Anstieg des Bewertungsergebnisses um über 900 Millionen Euro. Es bleibt zu hoffen, dass hier bereits einige der erkennbaren Risiken verarbeitet wurden, auch wenn zu befürchten ist, dass 2009 und besonders 2010 keine Entspannung zu verzeichnen sein wird. Vor allem das ausgeweitete Neukreditgeschäft wird noch zu berücksichtigen sein.

Das setzt die Ergebnisse natürlich weiter unter Druck. Seit 2004 ist das Betriebsergebnis der Kreditgenossenschaften bereits von 0,51 Prozent der durchschnittlichen Bilanzsumme auf 0,37 Prozent gefallen. Komfortabel sieht anders aus.

Schlimmer wird es noch, wenn man berücksichtigt, dass dies bislang nicht etwa auf höhere Bewertungsergebnisse zurückzuführen ist - diese blieben mit 0,56 Prozent der DBS nahezu unverändert -, sondern auf Einbrüche bei den Erträgen. Der Zinsüberschuss sank im gleichen Zeitraum von 2,51 Prozent auf 2,06 Prozent der DBS, der Provisionsüberschuss verharrte bei 0,63 Prozent und schaffte damit keinerlei Entlastung.

Es bleibt also für die Banken und Sparkassen im Allgemeinen und die Kreditgenossenschaften, denen dieser Schwerpunkt der ZfgK gewidmet ist, im Speziellen so, wie es Werner Böhnke in seinen 40 Jahren in der genossenschaftlichen Organisation immer empfunden hat: Kein Jahr ohne Bewegung und ohne herausfordernde Themen. Wenn diese wie bislang bewältigt werden, dann sehen vielleicht auch internationale Gremien nicht immer nur die Schwächen, sondern auch mal die Stärken des deutschen Kreditgewerbes. Man sollte die Hoffnung nicht aufgeben. P. O.

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