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Schwieriger Bürokratieabbau

In der Regierungserklärung 2005 der Bundeskanzlerin Angela Merkel nahmen Bürokratieabbau und Deregulierung noch einen hohen Stellenwert ein, angesiedelt im Kanzleramt, Chefsache sozusagen. Das war es aber auch schon. Seit dem Platzen der jahrelang sich aufblähenden US-Immobilienblase und der Erkenntnis, dass man mit einer weltweiten Kreditblase konfrontiert ist, wird in Zukunft ohnehin mehr denn je reguliert.

Bereits in den neunziger Jahren beklagten manche Bankenverbände die Regulierungswut. Wenn man den § [10] KWG der siebziger Jahre mit den §§ 10 und 10a von heute vergleicht, dann kann man nur weinen: Die Seitenanzahl der heutigen § 10 und 10a belaufen sich auf 22 beziehungsweise sechs Seiten, der § 10 der siebziger Jahre hatte einen Umfang von etwa eineinhalb Seiten. Verstehen kann man diese Gesetzestexte nicht. Verhindert wurden die gravierenden Fehlentwicklungen, also die Gefährdung zahlreicher Institute, auch nicht.

Früher gab es Experten, die kannten das gesamte KWG. Heute spezialisieren sich Experten auf einen Paragrafen. Bald fokussieren sich Experten auf einen Absatz. Nicht überraschend wäre es, würde sich ein Aufsichts-Experte auf einen Satz des KWG spezialisieren. Irgendwann einmal gibt es Experten für ein einzelnes Wort des KWG. Diese Entwicklung ist ein Trauerspiel! Die bisherigen Versuche zu entregulieren scheiterten an der fehlenden Nachhaltigkeit und an der unzureichenden Definition der Regulierung. Deshalb befasst sich Kerstin Sander in den ersten Abschnitten ihrer Dissertation mit den Begriffen Regulierung und Regulierungskosten und den daraus resultierenden negativen Wirkungen.

Kritisch äußert sich die Autorin zu den bisherigen Belastungsmessungs-Versuchen, beispielsweise in der Doing Business Studie 2007 der Weltbank und der Studie "Bürokratiekosten in der Kreditwirtschaft" der IW Consult GmbH. Besonders den Aussagenwert der IW Consult-Studie analysiert sie eindrucksvoll. Dort wurde durch eine Onlinebefragung bei 37 Instituten die Höhe der Bürokratiekosten ermittelt und dann auf alle Kreditinstitute hochgerechnet.

Kerstin Sander bezweifelt und diskutiert kritisch in ihren Ausführungen und Fußnoten die Vorgehensweise der IW Consult: Seite 165 "[...] so erscheint doch fragwürdig, ob im Rahmen einer Onlinebefragung die Kosten für hochkomplexe Prozesse, wie sie im Rahmen der Geldwäsche üblich sind, hinlänglich exakt erhoben werden können." Sie sieht zudem "die Problematik, dass selbst relativ geringe Abweichungen von den tatsächlichen Kosten in der Hochrechnung auf alle Kreditinstitute zu einer nicht mehr tolerierbaren Ungenauigkeit führen" (Seite 65). Um die weiteren ermittelten Schwächen bisheriger Versuche zur Messung der Regulierungskosten aufzuführen, wäre ein Sonderheft der ZfgK erforderlich.

Regulierungen stellen nicht nur eine einseitige Belastung dar: Sie können auch im Interesse der Banken liegen. Deshalb verurteilt die Autorin Regulierungen an sich nicht (9. Abschnitt), sondern schließt aus dieser differenzierenden Betrachtung auf die Kalkulation der Regulierungskosten.

Intensiv untersucht werden die Regulierungen hinsichtlich Kosten und Nutzen bei der Geldwäschebekämpfung, bei Zinsabschlag- und Abgeltungssteuer sowie beim Kontenabruf. Sie legen große Diskrepanzen zwischen den anvisierten Zielen und deren Erreichnung, das heißt der Nutzen steht in einem schlechten Verhältnis zu den Regulierungsbelastungen. Der 14. Abschnitt stellt das Standardkostenmodell im Rahmen der "Better-Regulation-Initiativen" dar. Mit diesem bereits in den Niederlanden praktizierten Konzept könnten nach der Darstellung der Verfasserin präzisere Aussagen über die Höhe der Regulierungskosten getroffen werden.

Erwähnenswert, weil selbst für mich bis dahin noch unbekannt, sind zwei in der Arbeit erklärte Begriffe: So wird beispielsweise der Goldplating-Effekt anschaulich erklärt (Seite 129): Über neue Richtlinien der EU-Kommission amüsiert man sich in Italien, in Frankreich werden sie eins zu eins umgesetzt und in Deutschland sattelt man noch etwas drauf und überwacht deren Einhaltung. Weiteres Beispiel: Wer hat den Begriff Geldwäsche geschaffen? Al Capone ließ Geld aus illegalen Geschäften über die Kassen seiner Waschsalons laufen (Fn. 9 , Seite 113), deshalb die Bezeichnung Geldwäsche.

Prof. Dr. Jürgen Singer, Leipzig

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