Aufsätze

Die Rolle der Versicherer bei der Finanzierung von langfristigen Investitionen

Versicherer gehören zu den größten Kapitalsammelstellen. In Deutschland verfügten sie insgesamt über Kapitalanlagen in Höhe von etwa 1325 Milliarden Euro.

Schon immer spielten Versicherer eine sehr wichtige Rolle bei Langfristfinanzierungen, zum einen "indirekt" durch die langfristige Refinanzierung der Banken über erst- und nachrangige Anleihen sowie durch Pfandbriefe und Covered Bonds, zum anderen aber auch direkt durch Investitionen in Unternehmensanleihen, Immobilien, Aktien und Unternehmensbeteiligungen. Auch über den Kauf von langlaufenden Anleihen der öffentlichen Hand hat die Versicherungswirtschaft massiv die Finanzierung öffentlicher Infrastrukturprojekte finanziert.

Neue Anleihe- und Handelssegmente

Der Markt für langfristige Finanzierungen steht vor großen Umwälzungen. Die Bankenkrise und eine stärkere Regulierung der Banken schränken deren Kreditvergabemöglichkeiten stark ein. Neben Großunternehmen greifen daher auch verstärkt mittelständische Unternehmen auf eine direkte Finanzierung über den Kapitalmarkt zurück. Es etablieren sich hier unter dem Stichwort Disintermediation neue Anleihe- und Handelssegmente und somit auch Anlagesegmente für Versicherungen.

Gleichzeitig steigt der Finanzierungsbedarf auch an anderer Stelle, weil zum Beispiel die Energiewende große Investitionsvolumina in Erzeugung und Netze erfordert und sich der finanzielle Spielraum der Energieversorger, solche Projekte zu finanzieren, deutlich eingeschränkt hat. Nicht zuletzt wird der immer enger werdende finanzielle Spielraum der öffentlichen Hand, Infrastrukturinvestments zu tätigen, zu zusätzlicher Nachfrage langfristiger Finanzierung im Rahmen von Public Private Partnerships führen.

Unter den bestehenden aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen sind Versicherer grundsätzlich in der Lage, diese Lücken zumindest teilweise zu füllen.

Je nach Versicherungssparte steht den Versicherern Kapital für Investitionszwecke unterschiedlich lange zur Verfügung: Tendenziell eher kurz in den schnell abwickelnden Sparten Sach/HUK, länger dagegen in der Lebens- und Krankenversicherung. In der immer noch dominierenden Kapitallebensversicherung garantiert der Versicherer seinen Kunden eine Mindestverzinsung ihrer Sparbeiträge in Höhe des bei Vertragsabschluss geltenden Rechnungszinses.

Anspruchsvolles Asset Liability Management

Die durchschnittlichen Garantien liegen derzeit bei etwa 3,2 Prozent. In der Krankenversicherung wird aktuell meist noch mit einem Rechnungszins von 3,5 Prozent kalkuliert. Wird dieser nicht mehr erwirtschaftet, muss der Versicherer seine Beitragskalkulation entsprechend anpassen und die Beiträge erhöhen. In der Sach-/ HUK-Versicherung steht das Anlageergebnis dagegen ganz überwiegend dem Versicherer zu. Zinsgarantien oder Ähnliches spielen hier keine Rolle.

In Abhängigkeit vom betriebenen Versicherungsgeschäft ergeben sich unterschiedliche Freiheitsgrade in der Kapitalanlage. Grundsätzlich können die Mittel aus langfristigen Versicherungsverträgen auch langfristig angelegt werden. Gleichzeitig sollte die Verzinsung der Langfristinvestitionen aber auch hinreichend sicher Jahr für Jahr nicht nur die Mindestverzinsung erwirtschaften, die zur Erfüllung der Zinsversprechen erforderlich ist, sondern darüber hinaus eine attraktive Gesamtverzinsung im Wettbewerbsvergleich erwirtschaftet werden. Minderbeiträge zur Nettoverzinsung müssten durch überverzinsliche andere Aktiva kompensiert werden, was angesichts der historisch bedingt immer noch hohen Zinsversprechen in den Beständen im Rahmen der schon lange andauernden Niedrigzinsphase zunehmend schwierig wird. Zudem muss auch immer ein gewisses Maß an Liquidität im Portfolio vorgehalten werden, um auf Abläufe, Storni und Schadenzahlungen vorbereitet zu sein. Aufgrund der aktuellen Nullverzinsung von kurzfristigen Anlagen müssen die erhöhten Opportunitätskosten der Liquiditätshaltung anderweitig ausgeglichen werden. Diese durchaus komplexen Fragestellungen sind Gegenstand des Asset Liability Managements im Versicherungsunternehmen.

Neben diesen rein ökonomischen Rahmenbedingungen, nach denen sich die Kapitalanlage richten muss, existiert ein umfangreiches Regularium aus Gesetzen und Verordnungen, die die Freiheitsgrade bei der Kapitalanlage eines Versicherers einschränken. Dies gilt vor allem für das Versicherungsaufsichtsgesetz und die Anlageverordnung. Speziell die Anlageverordnung sieht quantitative Begrenzungen bestimmter Kapitalanlagen vor. Sie wird ergänzt um einen obligatorischen Stresstest, der die Auswirkungen adverser Kapitalmarktszenarien auf das konkrete Versicherungsportfolio und auf die Eigenmittelausstattung (Solvabilität) simuliert. Verstöße gegen diese Vorschriften sowie ein Nichtbestehen des Stresstests sehen gestaffelte Eingriffsrechte der Versicherungsaufsichtsbehörde vor.

Blick auf die individuelle Risikolage

Seit Langem werden unter dem Stichwort "Solvency II" neue, die individuelle Risikolage eines Versicherers berücksichtigende Vorschriften über die Ausstattung mit Eigenmitteln diskutiert. Wesentliche Treiber für den Eigenmittelbedarf sind hierbei unter anderem das Durations-Gap zwischen Aktiv- und Passivseite sowie der Risikogehalt der Kapitalanlagen. Eigenkapitalinvestments (Aktien, Beteiligungen und Private Equity) gelten hier als riskant, europäische Staatsanleihen dagegen als risikolos. Der Risikogehalt der übrigen Fremdkapitalinvestments richtet sich nach deren Kreditqualität und ihrer Laufzeit. Ob, wann und mit welchen Übergangsfristen Solvency II umgesetzt wird, ist derzeit noch offen.

Zumindest für Versicherer, die sich einem Ratingprozess unterziehen, sind zudem die Ratingmodelle eine wichtige Rahmenbedingung, denn auch hier wird für das Risiko aus der Kapitalanlage eine Unterlegung mit Eigenmitteln verlangt.

Angebot und Nachfrage nach Langfristfinanzierung

Die Eigenmittelausstattung der Banken hat in der Finanzkrise stark gelitten. Der generelle Vertrauensverlust erschwert und verteuert die Akquisition neuen Kapitals. Gleichzeitig wurde die Regulierung der Banken deutlich verschärft. Das bestehende Regelwerk "Basel II" und sein voraussichtlich zwischen 2013 und 2018 stufenweise eingeführter Nachfolger "Basel III" sind risikobasiert. Das heißt, in Abhängigkeit vom Risiko der Aktiva müssen Eigenmittel in Höhe von acht Prozent (Basel II) beziehungsweise demnächst 10,5 Prozent (Basel III) vorgehalten werden, wobei Basel III zudem noch höhere Anforderungen an die Qualität des Eigenkapitals stellt, was die Kosten weiter erhöhen wird.

Als direkte Folge hiervon ist am Markt erkennbar, dass Banken ihre Risikoaktiva abbauen. Es ist zu sehen, dass Banken Kreditportefeuilles ganz oder teilweise verkaufen, und diese dann bei institutionellen Investoren außerhalb des Bankenbereichs platziert werden. Langfristige Finanzierungen und/oder Finanzierungen mit erhöhten Risiken sind schwieriger zu bekommen.

Das stark wachsende Segment der Mittelstandsanleihen zeigt, dass die Wirtschaft immer stärker versucht, sich unabhängiger von ihren Hausbanken zu finanzieren. Es liegen bereits Anfragen von Mittelständlern nach Unternehmenskrediten vor. Engpässe in der Kreditversorgung bestehen auch bei der Finanzierung von Immobilien, insbesondere Gewerbeimmobilien, jenseits der 60 Prozent Beleihungsgrenze.

Während das Angebot an langfristiger Finanzierung bankenseitig also abnimmt, steigt die Nachfrage. Hier gibt es kurz- bis mittelfristig zwei große Treiber: Großen Kapitalbedarf löst die Energiewende aus. Die für die Erzeugung erneuerbarer Energien und ihre Verteilung über intelligente Netze notwendigen Investitionen sind immens.

Wie diese finanziert werden sollen, kam in der politischen Diskussion bislang zu kurz. Die Versorger werden jedenfalls nicht in der Lage sein, diese Investitionen alleine zu stemmen, da sich auch ihre Refinanzierungsmöglichkeiten deutlich verschlechtert haben. Ohne die großen Kapitalsammelstellen werden die Ausbauziele nicht zu erreichen sein.

Bedeutung der Versicherer

Mittelfristig gibt es auch großen Bedarf der öffentlichen Hand, die sich dringend benötigte Investitionen in die öffentliche Infrastruktur aus eigenen Mitteln zukünftig nicht mehr leisten kann. Es wird in Zukunft eine Fülle von Public Private Partnerships geben, die langfristige Finanzierungen benötigen. Autobahnen, Brücken, Verwaltungsgebäude, Müllverbrennungsanlagen, Schulen und Gefängnisse sind nur einige Beispiele von Projekten innerhalb und außerhalb Deutschlands, für die aktuell schon private Investoren gesucht werden.

Die Bedeutung der Versicherer in der Langfristfinanzierung war immer schon groß. Ihre Bedeutung wird groß bleiben und vielleicht noch zunehmen, ihre Funktion wird sich jedoch verändern.

Die Zinsen, die derzeit mit Staatsanleihen und mit Unternehmensanleihen im Investment-Grade-Bereich verdient werden können, reichen dauerhaft nicht aus, um die Zinserfordernisse der Versicherungsunternehmen zu erfüllen. Daher besteht ein großes Interesse, in höher rentierliche Anlagen mit vertretbarem Risiko zu investieren. Im Grundsatz sind dabei Investments mit festverzinslichem Charakter wegen der besseren Planbarkeit und der niedrigeren Kapitalanforderungen bei Stresstest und Rating vorteilhafter als Investitionen in Eigenkapital. Die Sicherheit der Investition ist von entscheidender Bedeutung.

Vermeidbare Investitionshemmnisse

Leider hat die Politik noch nicht auf die Anregungen des GDV reagiert, der deutliche Erleichterungen für Versicherer bei der Investition in solche Projekte gefordert hat. Die Behandlung von Beteiligungen an Wind- oder Solarparks als Unternehmensbeteiligungen (mit entsprechend hohen Belastungen im Stresstest), der Zwang zur Konsolidierung beim mehrheitlichen Erwerb einer solchen Projektgesellschaft sowie das Verbot der gleichzeitigen Investitionen in Energieerzeugung und Energienetze sind hier als vermeidbare Investitionshemmnisse zu nennen.

Im Vertrauen auf eine Lösung im Sinne der Versicherungswirtschaft haben Versicherer trotzdem damit begonnen, Portfolios von Onshore-Windparks und Photovoltaikanlagen aufzubauen. Diese Anlagen erwirtschaften gut planbare Erträge, die deutlich über den Zinsgarantien liegen. Zudem sind sie nicht mit anderen Assetklassen korreliert und verfügen teilweise über einen Inflationsschutz. Investitionen in Offshore-Wind sind wegen der inhärenten technologischen Risiken noch selten.

Daneben sind größere Investitionen der Versicherer in Infrastructure Debt zu erwarten, also die Fremdfinanzierung von Infrastrukturmaßnahmen. Während große Versicherer hier eigene Kapazitäten aufbauen werden, um einzelne Projekte zu prüfen und zu kaufen, dürfte die Mehrzahl der Versicherer auf Spezialisten zurückgreifen, die für sie das Sourcing betreiben und das Portfolio anschließend betreuen.

Zudem ist mit verstärkten Investitionen von Versicherern in Loan-Portfolios von Banken zu rechnen, die diese nicht mehr vollständig auf dem eigenen Buch behalten wollen. Hier lassen sich mehr und mehr Transaktionen auf dem Markt beobachten. Auch bei der Finanzierung von Gewerbeimmobilien jenseits der 60 Prozent Beleihungsgrenze bestehen attraktive Investitionschancen für Versicherer.

Regulierung als Hindernis für ein Engagement der Versicherer

Somit eröffnen sich derzeit durchaus interessante Segmente für die Kapitalanlage von Versicherern. Allerdings erhöht sich dadurch die Komplexität der Kapitalanlagen erheblich: Der Analyse- und Monitoringaufwand steigt deutlich, die Expertise oder vielmehr das personelle Know-how hinsichtlich effizienter Gestaltung von Risikocontrolling, Reporting, Vertragsgestaltung und Strukturierung müssen ausbeziehungsweise aufgebaut werden.

Zentral für die Bedeutung der Versicherer für die Langfristfinanzierung wird die künftige Regulierung sein. Die bisherigen Untersuchungen haben gezeigt, dass Solvency II zu deutlich erhöhten Kapitalanforderungen führen wird, insbesondere bei den Lebensversicherern. Die Anforderungen sind durchaus dazu geeignet, dem Geschäftsmodell der deutschen Lebensversicherung die Grundlage zu entziehen, was den vehementen Widerstand der deutschen Versicherungswirtschaft gegen diese Regelungen erklärt.

Langfristige Investitionen außerhalb europäischer Staatsanleihen würden nach den neuen Regeln viel Eigenkapital erfordern. Die Folgen wären ähnlich wie im Bankenbereich nach Einführung von Basel II: das Finanzierungsangebot durch Versicherer nähme stark ab, mit erheblichen negativen Konsequenzen für die Gesamtwirtschaft.

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