Aufsätze

Risikomanagement bei Sparkassen: Einschätzungen aus Sicht eines Regionalverbandes

Risiko verbindet sich immer schon mit unternehmerischer Tätigkeit. In
diesem Sinne ist der Ostdeutsche Sparkassen- und Giroverband schon
seit seiner Gründung ein Kenner von Risiken. Wir haben und hatten uns
in einem Wirtschaftsgebiet zu bewegen, in dem zu Anfang die
Unfähigkeit, der Betrug und vielleicht auch die Hybris dazu führte,
dass Kredite ausfielen. Als Weltmeister in Ausgleichsforderungen waren
die Bilanzen schnell mit variabel verzinslichen Aktiva voll, mit denen
wir sehr hoch und früh gestartet sind. Mahnungen, dass Sparkassen
eigentlich von langfristigen Anlagen leben, haben wenig gefruchtet,
und plötzlich mussten wir uns mit Swap-Geschäften und Ähnlichem
befassen, das wir vorher gar nicht kannten. Und parallel dazu sind wir
wie jeder, der in Deutschland oder weltweit Kreditgeschäft betreibt
mit Regularien konfrontiert worden, die sich in dem Namen Basel II und
in verschiedensten Papieren zur Steuerung von Banken niederschlagen.
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Gläubigkeit an mathematisch statistische Methoden
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Am Bankplatz Frankfurt und anderswo hat es sicher eine ganze Reihe von
Bankern gegeben, die ihre Institute über Jahrhunderte ohne
Risikosteuerungssysteme - beziehungsweise mit denen, die man damals
hatte - sehr erfolgreich geführt haben. Dem Fürsten musste man Kredite
geben, und die fielen aus, das wusste man, aber dafür hatte man den
Schutz für die anderen Kredite. Einfache Regeln für das
Risikomanagement sowie Erfahrungsschätze dieser Art gab es immer.
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Was sich in den letzten Jahren freilich total verändert hat, ist die
totale Gläubigkeit an mathematisch statistische Methoden. Dass diese
weltweit Anklang finden, ist richtig und falsch zugleich. Es ist ein
Irrglauben, so sei gleich zu Beginn angemerkt, dass man eine Bank mit
Mathematik, also quasi durch eine Maschine führen kann. Sie wird
vielmehr durch Menschen gelenkt und durch deren tatsächliche
Einschätzung. Bertrand Russell, bekanntermaßen kein Banker, hat
gesagt, das größte Risiko laufen jene, die nie das geringste Risiko
eingehen wollen. Der Satz ist richtig. Man kann kein Kreditinstitut
ohne Risiko betreiben.
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Die Sparkassen, so sei an dieser Stelle angemerkt, haben etwas erlebt,
was andere Bankengruppen zumindest nicht in dieser Ausprägung erfahren
haben. Sie standen bis Anfang der neunziger Jahre nämlich zusätzlich
unter dem Schutz von Sparkassenverordnungen, in denen genau
festgehalten war, was die Sparkasse darf und wofür sie
Ausnahmegenehmigungen beantragen musste. So konnten die Sparkassen
eine ganze Reihe risikoreicher Geschäfte gar nicht eingehen, weil die
früheren Regulierungen dieses nicht zuließen. Die inzwischen erfolgte
Liberalisierung dieses Bereiches ist völlig richtig.
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Umgang mit kleinen Instituten
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Großsparkassen sollen Systeme haben, um am internationalen Markt
eigenständig tätig zu werden und damit Erträge zu erzielen. Ob das
freilich in gleichem Maße für jede kleine Sparkasse gilt, darf man mit
einem Fragezeichen versehen. Die Sanierungsfälle, die wir in den
letzten Jahren zu bearbeiten hatten, waren jedenfalls fast
ausschließlich darauf zurückzuführen, dass ein Vorstand, der im
Kreditgeschäft Verluste erlitten hat, diese durch ein waghalsigeres
Asset Management auszugleichen versucht hat und dann feststellen
musste, dass die Reserven dafür nicht ausreichten.
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Kleinere Institute können es sich fast nicht leisten, ein umfassendes
Risikomanagement aufzubauen, weil dieses viel zu teuer ist und die
Anzahl ihrer Geschäfte dieser Art viel zu gering sind, um ausreichende
Deckungsbeiträge zu bringen. Die Frage ist deshalb, wie geht man damit
um? Muss auch das kleinste Institut alle Regeln erfüllen? In anderen
Ländern Europas hat man teilweise den Bankenmarkt eingeteilt. Große
Player müssen dann das gesamte Regelwerk einhalten. Und den anderen
werden eine Reihe von Geschäften untersagt, dafür müssen sie im
Gegenzug die Regeln nicht einhalten.
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Die deutsche Sparkassenorganisation hat sich für den ersten Weg
entschieden. Wir wollen in der Lage sein, alle Geschäfte in der Fläche
anzubieten. Das Risikomanagementsystem geht dabei in drei Stufen vor.
Mit den Sparkassen gemeinsam werden die Risiken identifiziert, die
anders als man meinen könnte, in der Gruppe keineswegs überall gleich
sind.
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Wenn man eine westdeutsche Sparkasse mit einer ostdeutschen
vergleicht, wird man beispielsweise Folgendes feststellen: Die
westdeutsche Sparkasse hat etwa 70 bis 75 Prozent (manchmal auch nur
60 Prozent), aber mit Sicherheit mehr als 50 Prozent ihrer Aktiva im
Kreditgeschäft. Letzteres ist langfristig geschichtet, es enthält
Wohnungsbau- ebenso wie Investitionsfinanzierungen und jede Menge
Kontokorrent- und Privatkredite. Und das Geschäft ist granular und
über einen langen Zeitraum aufgebaut.
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Eine ostdeutsche Sparkasse hatte frühestens seit 1990 die Möglichkeit,
Kreditgeschäft aufzubauen. Wenn sie gut und in einem starken
Wirtschaftsraum tätig ist, stecken etwa 40 Prozent ihrer Assets im
Kreditgeschäft. Es gibt im OSV aber auch Sparkassen, bei denen das nur
20 Prozent sind. Der Rest steckt in Assets, die sehr fungibel sind,
die in ihrer Zinsbindung unterschiedlich lang sind, die aber im
Vergleich zum Kreditgeschäft allesamt wesentlich geringere Margen
bieten. Hier hat man es plötzlich mit Klumpenrisiken zu tun, die
Granularität hebt sich auf, und man braucht in diesem Bereich ein
völlig anderes Management.
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Zinsänderungsrisiken bei ostdeutschen Sparkassen höher
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Das heißt, die ostdeutschen Sparkassen sind sehr viel reagibler auf
Zinssatzänderung, ihre Zinsänderungsrisiken sind beträchtlich höher
als die der westdeutschen. Das war im Übrigen ein wesentlicher Grund,
weshalb wir als Verband den Sparkassen sehr früh deutlich gemacht
haben, dass sie die variabel verzinslichen Aktiva, die sie als
Ausgleichsforderungen in Milliardenhöhe in die Bücher bekamen,
unverzüglich in festverzinsliche Aktiva wandeln sollten. Das ging
nicht sofort. Wir haben Swap-Geschäfte darüber gesetzt und für die
ostdeutsche Sparkassenorganisation in den Jahren 1993 bis 1999 und zum
Teil bis 2001 zwischen vier und fünf Milliarden DM an Erträgen
erzielt. Das haben wir ganz gut bewältigt. Aber bis heute stellt sich
bei der Risiko- und Ertragsoptimierung immer wieder die Frage der
Kapitalallokation, das heißt, was machen wir mit unseren Aktiva. Wir
versuchen mit Risikolimitierung umzugehen, mit Diversifikation,
Ausbildung und Hedging spielen für uns durchaus eine Rolle.
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Zum guten Schluss wäre der Verband OSV natürlich an einer Weltformel
interessiert. Es wäre schön, wenn man sagen könnte mit welchem Risiko
ein Euro Gewinn gemacht wird. Wenn Sparkassenleiter sich früher trafen
und sich eine Zahl 1,09 oder 1,31 oder 1,78 zuriefen, war das der
Gewinn in Prozent DBS. Diese Weltformel drückte alles aus. Heute
besagt sie gar nichts mehr, denn sie lässt völlig das Risiko außer
Acht, das eingegangen werden muss, um diesen einen Euro Gewinn
überhaupt zu machen. Und genau das ist die wesentlichste Veränderung
im Sparkassengeschäft der Gegenwart. Das Risiko ist nicht nur das
Kreditgeschäft, es sind auch die übrigen Assets.
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Die deutsche Sparkassenorganisation hat bekanntlich gemeinschaftlich
Ratingverfahren aufgebaut, insbesondere für das Kreditrisiko, die wir
jetzt seit eineinhalb Jahren im Test haben. Diese Verfahren sind
sicherlich das Beste, was man mit einem sehr großen und auch noch sehr
granularen Datenbestand, wie wir ihn haben, machen kann. Aber der
beste Datenbestand enthebt die Organisation nicht des Risikos, dass
das Modell noch nicht durch einen Konjunkturaufschwung/-abschwung
gegangen ist. Derzeit hat man den Eindruck, dass die Ratingmodelle der
Sparkassenorganisation und vermutlich fast aller Kreditinstitute für
den Aufschwung eher hinderlich sind.
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Risiko und Ertrag
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Die deutsche Sparkassenorganisation hat 2001 als Zielkatalog eine Cost
Income Ratio von 0, 6, einen Kapitalertrag von 15 Prozent
Kapitalertrag und einige andere Rahmenparameter gesetzt. All das haben
wir nach drei Jahren Kostensenkungsprogramm und harter Risikosteuerung
als ostdeutsche Sparkassenorganisation erreicht. Nun stellt sich aber
die Frage, ob diese Relativzahlen als einziger Maßstab eigentlich
wirklich wichtig sind. Wenn eine Kostensenkungsmaßnahme durchgeführt
ist, wird die nächste Delta-Kostensenkung dazu führen, das Geschäft
einschränken zu müssen. Heute erhebt sich deshalb die Frage, zu
welchem Zeitpunkt gehen wir in den Markt und nutzen den schlanken
Betrieb, um mehr Geschäft zu machen. Mitwettbewerber haben das
teilweise auch schon gut erkannt und sind in den letzten Monaten sehr
stark in den Mittelstandsmarkt gegangen. Das dürfte auch der Trend der
nächsten Monate sein.
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Die Banker stellen zunehmend fest, dass sie Risiko eingehen müssen, um
ihre Ertragslage zu verbessern.
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In den letzten Jahren sind Ertragsverbesserungen durch massive
Kostensenkungen zu Stande gekommen. Allein die ostdeutschen Sparkassen
haben ihren Mitarbeiterbestand von 31 000 auf 25 100 abgebaut.
Mitarbeiter bis Mitte 50 sind in vielen Kreditinstituten und allen
Institutsgruppen die ältesten, die noch an Bord sind. Das heißt, wenn
nicht weiterer Personalabbau betrieben werden soll, sind wir
verurteilt, in den nächsten Monaten und Jahren, Geschäft zu machen.
Die Zeiten der Kostensenker gehen zu Ende. Das heißt aber umgekehrt,
dass damit auch die Risikosteuerungsmodelle auf einen völlig anderen
Prüfstand gestellt werden. Denn das wirtschaftliche Umfeld hat sich
nicht verändert.
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Risikoorientierte Bepreisung
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Beispiel Immobilien: In unserem Geschäftsgebiet hat ein großer
flächendeckend arbeitender deutscher Mitwettbewerber für Milliarden
von Euro Forderungen verkauft und damit die Immobilienpreise so in die
Knie getrieben, dass wir die Wertberichtigung, die die Kollegen machen
mussten, insofern nachvollziehen mussten, als auch unsere Immobilien
mit nach unten gingen, obwohl diese noch voll vermietet warten. Das
hat eine Menge Geld gekostet und deutet darauf hin, dass es auch in
anderen Regionen noch etliche Immobilien gibt, in denen Risiken
schlummern. Die ostdeutsche Sparkassenorganisation hat diese Risiken
weitgehend bereinigt. Und wir können nun für die Zukunft Vorhersagen
treffen, mit welcher Auswahlwahrscheinlichkeit wir rechnen müssen,
wenn wir uns im Kreditgeschäft neu engagieren. Und hier kommt
zweifellos Basel II zu Hilfe, auch wenn die Einführung sicher eine
Last ist.
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Auf die Kreditnehmer bezogen gibt es aber eine Reihe von Vorteilen:
Zum ersten Mal sprechen wir mit ihnen über Risiko und können
versuchen, ihnen stichhaltig zu erklären, warum wir den einen für
besser als den anderen halten. Es kommt hinzu, dass wir die letzten
fünf, sechs Jahre alle gelernt haben, was risikoorientierte Bepreisung
ist. Bei diesen niedrigen Zinssätzen spielt der Zinssatz in den
Unternehmen keine sehr große Rolle mehr für Erfolg oder Misserfolg.
Die Auslastung der Kapazitäten und die Personalkosten sind da viel
wichtiger. Wenn die Kreditwirtschaft ihren Kunden deutlich machen
kann, dass Risiko insbesondere im Mengengeschäft mit in die Bepreisung
hineingehört, dann sind wir auf einem sehr guten und richtigen Weg.
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Der Betriebserfolg unserer Sparkassen hängt ganz klar davon ab, wie
treffsicher wir mit exogenen Einflüssen umgehen. Da sind
beispielsweise die Veränderungen von Marktpreisen und Zinssätzen. Wie
sollte sich eine Sparkasse beispielsweise eine Zinsmeinung bilden?
Sollte sie einschlägige Zeitungen verfolgen oder die Zinskurve einer
oder mehrerer Landesbanken beziehen oder aus allem eine eigene Mixtur
machen? Wenn man sich mathematisch-statistisch die Güte von
Zinsprognosen ansieht, ist die Sparkassenorganisation durchaus
treffsicher, bewegt sich aber natürlich in den üblichen Bandbreiten.
Richtig interessant wird es freilich, wenn eine Bank an die Grenzen
stößt, die sie sich nach ihrem eigenen Risikosystem ausgerechnet hat.
Ändert der Vorstand dann die Grenzen, seine Annahmen oder seine
Geschäftspolitik? Es gibt also Wahlmöglichkeiten, die auch
unterschiedlich stark genutzt zu unterschiedlichen Erfolgen führen.
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Indikatoren für Risikolagen
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Ein grundlegendes Problem beim Risikomanagement: Wenn etwas gut
gegangen ist, wird in Kreditinstituten oft die Meinung vertreten, dass
es wohl doch gar kein Risiko war. Diese Vorstellung ist falsch, man
darf nicht denken, es ist beim ersten Mal gut gegangen, also muss es
auch weiterhin gut gehen. Man braucht Systeme, die für sich selbst
steuernd sind. Und man muss in irgendeiner Form die Möglichkeit
darstellen beziehungsweise die Szenarien abbilden, in denen sich die
Risiken zeigen.
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Wie haben die ostdeutschen Sparkassen dies gemacht? Obwohl das
Kreditgeschäft an ihrer Bilanz lediglich 30 bis 40 Prozent ausmacht,
sind die Kreditrisiken gleichwohl die schlagendsten. Das ist und
bleibt weiter so, weil das Kreditrisiko insbesondere im
Mittelstandsgeschäft ausgesprochen schwer einschätzbar ist. Denn dort
gibt es meist Steuerbilanzen, und die sind nicht ratingfähig. Folglich
muss man fast immer erst einmal eine Inquisition mit dem Steuerberater
durchführen und herausfinden, was er da gemacht hat.
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Es kommt verschärfend hinzu, dass steuerliche Betriebsprüfungen bei
mittelständischen Unternehmen die Bilanzen völlig zerschlagen können.
Das heißt, wenn man Ratingverfahren nach Basel anwenden will, muss das
Unternehmen schon eine gewisse Größe haben. Bei Unternehmen unter 100
Beschäftigten treten oft Schwierigkeiten mit dem Ratingverfahren auf.
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Es gibt zwar eine ganze Menge Indikatoren, aber die Bilanz ist sicher
nicht am besten geeignet. Beim OSV nutzen wir die Kontoführung des
Kunden, sie ist wesentlich signifikanter. Dazu ein Beispiel: Der
Weihnachtsmänner-Produzent sollte im Moment keinen Sollsaldo auf dem
Konto haben. Wenn der Hotelbetreiber in einem reinen Skigebiet jetzt
noch ein Sollsaldo hat, dann erhebt sich die Frage, wie er über den
Sommer kommen will? An der See ist es genau umgekehrt. Das heißt, man
kann Cluster bilden. Man kann Muster bilden, wie sich Kunden
eigentlich verhalten müssten, wie sie sich standardmäßig darstellen.
An dieser Stelle sind wir mit unseren EDV-Systemen sehr gut, das
heißt, diese Verfahren gehen sehr stark mit ins Rating ein. Darüber
hinaus haben wir angefangen, für die Privatkunden Scoringverfahren
einzusetzen. Wir haben sehr gute, tief greifende Scoringverfahren, die
auch nach vorn gerichtet, sehr deutlich Risiken klarmachen.
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Operationelle Risiken nicht unterschätzen
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Die Risiken im Kreditbereich sind allgemein beträchtlich, so zeigt der
Blick auf die Verteilung. Bei der ostdeutschen Sparkassenorganisation
dürften die Marktpreisrisiken höher sein als bei der westdeutschen,
wenngleich es auch dort Sparkassen mit hohen Werten gibt. Nicht
unterschätzen sollte man die operationellen Risiken. Die möglichen
Auswirkungen der Vogelgrippefälle auf Rügen, um ein Beispiel aus dem
laufenden Jahr zu nennen, hat bei 240 Millionen Euro an Krediten in
der dortigen Hotellerie schon erhebliche Auswirkungen. Sie bedeuten
auch fernab von vermeintlich gefährdeten Ballungszentren wie Manhattan
und anderen Großstädten ein operationelles Risiko, mit dem kaum jemand
gerechnet hat. Und man braucht sich nur mal vorzustellen, diese
Vogelgrippe würde auf den Menschen übergehen. Da fragen die Sparkassen
sehr schnell, ob sie einen Plan B machen müssen?
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Der letzte große Plan B zur Behebung operationeller Risiken aus dem
eigenen Erfahrungsbereich war übrigens Anfang der achtziger Jahre die
Schneekatastrophe in Niedersachsen. Damals wurde beschlossen, die
Geldversorgung der Geschäftsstellen aufrechtzuerhalten - eine gute,
prima Idee. Wir haben seinerzeit Bergepanzer eingesetzt. Pech nur, die
Kunden hatten keine Panzer. Folglich hatten wir das Geld da, aber die
Kunden kamen nicht zu den Geschäftsstellen. Das war also der
klassische Fall einer Fehleinschätzung eines solchen Risikos. Das
genaue Durchspielen von operationellen Risiken setzt viel Intelligenz
und Einfühlungsvermögen voraus.
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Nun noch einmal zurück zu den Besonderheiten und Merkmalen der
ostdeutschen Sparkassenorganisation: Das Kreditgeschäft kostet viel,
bringt aber keinen hohen Ertrag. Die Eigenanlagen sind wichtig, um
überhaupt Erträge zu erbringen, und wir haben einen hohen Grad der
Diversifikation. Die Sparkassen orten wir in einem Verbandsraster, und
wir sind Träger der Stützungseinrichtung und haben dadurch durchaus
erhebliche Durchgriffsmaßnahmen. Der Wegfall der Gewährträgerhaftung
hat die Verbände wie die Phönixe aus der Asche erstehen lassen, sie
sind mit ihren entsprechenden Einrichtungen mittlerweile die Einzigen,
die stützen, wenn was passiert. Wenn es dann mal einen größeren
Stützungsfall gibt, wird natürlich sofort nach den Schuldigen gefragt.
Hat der Geschäftsführer geschlafen? Schließlich werden doch alle
Sparkassen in einem "Er-trags-/Risiko-Raster" erfasst.
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Besonders auffällig ist es bei solchen Systemen natürlich, wenn eine
Sparkasse an einer Stelle eingestuft wird, die fast nicht erklärbar
ist: etwa hohes Risiko, bei nahezu keinem Ertrag. Anders ist das mit
der Einordnung in die Kategorie hohes Risiko - hoher Ertrag. Da stellt
sich regelmäßig die Frage der Nachhaltigkeit. Man kennt das berühmte
Beispiel: Wer Vorstand eines großen Instituts werden will, geht zu
einer kleinen Bank und forciert dort das Kreditgeschäft. Nach drei
Jahren muss man dann freilich zum nächsten Institut. Sollte dann
hinter einem das Kreditgeschäft zusammenbrechen, sagt jeder, kaum ist
der/die weg und schon kommen die nicht mehr zurecht. Das
Kreditgeschäft beim nächsten Institut wird wieder forciert, und dann
ist es Zeit, zu einem großen Institut zu wechseln und die Organisation
zu übernehmen. Dann hat man ein wirklich gutes Leben. Kurzum, man muss
zur Beurteilung einfach herausfinden, ob jemand eine konstant gute
Politik verfolgt. Mit sehr hohem Risiko konstant sehr hohe Erträge zu
erzielen, ist heute nicht lange durchhaltbar
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Frage der Nachhaltigkeit
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Angefangen von Ratings bis hin zu Scoringverfahren, die Methoden zum
Risikomanagement im Kreditgeschäft werden immer ausgefeilter. Eine
Warnung sei an dieser Stelle aber gleichwohl wiederholt: Man sollte
all diesen Verfahren nicht blind vertrauen. Ein mit AAA-gerateter
Kunde braucht nicht AAA zu sein. Der Betrug ist - seit dem Beginn der
Menschheit - eine sehr ausgeprägte Erscheinung. Wer je an einem
Lehrgang zur Bekämpfung von Wirtschaftkriminalität teilgenommen hat,
weiß, welche Möglichkeiten das deutsche Bilanzrecht beinhaltet.
Stichwort Anschaffungswertprinzip: Wenn jemand einen Pakt schließt und
einen verrotteten Kran für fünf Millionen Euro kauft, dann kann der
für fünf Millionen Euro aktiviert werden. Es muss erst einmal jemand
nachweisen, dass der Kran das nicht wert ist. Oder noch schwieriger:
Ist eine alte chemische Anlage etwas wert oder nicht? Das ist alles
sehr relativ. Wer sich mit solchen Kreditbetrügern hinterher vor einem
Gericht trifft, kann sich oft von vornherein die Prozesskosten sparen.
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Das heißt also, das A-Rating ist solange gut, solange der Kunde
ehrlich ist. Ist er das nicht, dann braucht man das, was ein Banker
immer braucht - das Gefühl dafür, wie ein richtig strukturierter
Kreditkunde aussieht. Hier liegt eigentlich die größte Gefahr für die
Zukunft. Eine allzu große Gläubigkeit an Modelle schaltet den gesunden
Menschenverstand aus. Das spricht wohlgemerkt nicht generell gegen den
Einsatz mathematisch-statistischer Verfahren. Nur sollte man daneben
auch ein paar bewährte Grundsätze des Geschäftes beherzigen. So
sollten der Zinsaufwand und die Risikokosten niedriger sein als die
Erträge, zumindest in der Totalperiode. Und ein weiterer Grundsatz
unter Wirtschaftsprüfern lautet: Hoffnungswerte sind nicht
aktivierungsfähig. Mathematische Modelle neigen dazu, manchmal
Hoffnungen mit aufzunehmen.
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Transparente Bilanz?
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Ferner ist keineswegs abschließend erwiesen, dass die IAS-Grundsätze
wirklich zu einer transparenteren Bilanz führen. Wir haben eine ganze
Menge Grundsätze, die sich bewährt haben. So scheint das
Vorsichtsprinzip mit seinen Vätern ins Grab zu gehen oder auch die
Bilanzwahrheit und -klarheit. So manche Bilanz wird aufgestellt, damit
der Vorstand seine Tantiemen bekommt oder um Subventionen zu erlangen.
Es soll auch welche als Verteilungsmaßstab für Dividenden geben. Aber
vielleicht wird der alte Satz "Wem nutzt es?" bei der Bilanzanalyse
doch noch einmal anzuwenden sein. Zur Steuerung des Kreditrisikos
arbeiten wir mit einzel- und gesamtgeschäftsbezogenen Instrumenten.
Das heißt, wir sind heute beispielsweise schon in der Lage,
gesamtgeschäftsbezogen mit einer Sparkasse anhand der Bilanzstruktur
über die Frage zu sprechen, wie denn eigentlich die Risikolimits
gesetzt sind. Was hat die Sparkasse eigentlich an Reserven, um sie
diesen Risikolimits gegenüber zu setzen? Wir haben einen Pool, in den
alle Sparkassen gleiche Daten unter gleichen Bedingungen einliefern.
Daraus werden die Risikomessverfahren des Verbandes gespeist. Im
Übrigen hat der ostdeutsche Verband ein Klassifizierungssystem für
Sparkassen, das mittlerweile dem "Ratingsystem" der deutschen
Sparkassenorganisation angepasst ist. Wir können in Ostdeutschland auf
eine Datenhistorie seit 1996 zurückblicken, so dass wir eine sehr gute
Zahlenreihe haben. Und wir haben ein Ratingsystem für den
Vertriebserfolg unserer Sparkassen. Konkret messen wir das
Vertriebspotenzial und den Grad seiner Ausnutzung. Was aber wird
morgen sein? Neben der Zahlengläubigkeit ist beim Blick in die Zukunft
auch das Handeln der Bankenaufsicht mit gewisser Sorge zu sehen. Als
Erstes müssten wir mal prüfen, wie viele Bankenaufseher auf einen
Kunden in Deutschland entfallen und wie viel Bankenaufseher das in
England oder Frankreich sind. Sicherlich steigt die Qualität der
Aufsicht mit zunehmender Anzahl der Aufsichtsbeamten, aber sie steigt
eben nicht exponentiell, sondern sie flacht sich ab. Nur die Kosten in
den Kreditinstituten steigen exponentiell. Wir sehen in der
Sparkassenorganisation mit Sorge, dass Jahre nachdem es in Sparkassen
Kreditausfälle gegeben hat und diese längst bereinigt sind, vom BaFin
plötzlich Schreiben kommen, in denen die Verantwortlichkeiten
hinterfragt und andere Dinge hochgespielt werden. Manchmal werden
sogar diejenigen, die die Sanierung betreiben, bedroht, während
diejenigen, die den Schaden verursacht haben, in aller Ruhe ihre
Pension verzehren.
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Gegenseitiges Verständnis fördern
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Hier müssen die Weichen anders gestellt werden. Bankenaufsicht ist
dringend notwendig, das ist völlig unstreitig. Aber eine
Bankenaufsicht muss sich natürlich fragen, wie sie auf die
Beaufsichtigten wirkt und welche Wirkung sie in den Köpfen der
Vorstände erzeugt. Risiko eingehen heißt auch, dass man bewusst mal
einen (erwarteten) Verlust hat, weil man nämlich ein Risiko
eingegangen ist, das dann auch schlagend geworden ist. Wer völlig
risikofrei arbeiten will, ist in der Kreditwirtschaft falsch
angesiedelt.
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Es stellt sich also die Frage, was wir alle gemeinsam in den nächsten
Jahren mit diesen vielen Systemen zur Risikobegrenzung undsteuerung
tun. Die mögen gut sein, aber sie sind vor allen Dingen von Leuten
gemacht, die meistens noch nie Bankgeschäft abgewickelt haben. Das
heißt, wir Banker brauchen viele Fachleute, die noch nie Bankgeschäfte
gemacht haben, damit sie uns unsere eigenen Steuerungssysteme
erklären. Die besten Leute kommen gerade von der Universität. Man muss
ihnen erzählen, wie eine Bank funktioniert, und sie erläutern im
Gegenzug, wie die Risikosteuerungssysteme funktionieren. Diese Phase
muss erst einmal überwunden werden. Die Vorstände der Institute müssen
wesentlich besser verstehen lernen, was da passiert.
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Fungiblere Kundenbeziehung
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Die Herausdrängung der Kreditbeziehung aus der Bilanz, die
Verbriefung, die Kurzfristigkeit, die Kreation innovativer
Finanzinstrumente - all dies führt dazu, dass die Kundenbeziehung
wesentlich fungibler wird. Man verliert aber freilich etwas, was man
früher hatte - Disponentenwissen. Der Mitarbeiter, der den Scheck des
Kunden disponierte, kannte die Geschäftsbeziehung, und er kannte den
Kunden. Wir werden alle daran arbeiten müssen, dass wir das
Disponentenwissen in gewisser Form ersetzen können. Wir haben
mittlerweile mathematische Systeme aufgebaut, die unsere Konten so
clustern, dass wir erkennen können, welcher Gruppe und vor allen
Dingen welchem Verhaltensmuster ein Kunde zuzuordnen ist oder nicht.
Das Entscheidende in der Geschäftsbeziehung ist aber die Frage, wie
zutreffend sind Aussagen des Kunden, wie frühzeitig werden sie
gemacht, und wie gut lassen sie sich einlösen.
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Zum Schluss bleibt die Erkenntnis, dass es das Entscheidende ist,
Kunden zu finden, die ihre Kredite möglichst mit Zinsen zurückzahlen.
Die Kreditleute dürfen nicht glauben, das Herauslegen des Kredits sei
die verkäuferische Leistung. Diese besteht darin, das Geld nebst
Zinsen wiederzukriegen.

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