Aufsätze

Risikohinweise - Hinweise mit Risiko? - Anmerkungen zu Verkaufsprospekten

Wenn doch der Anlageberater sich nicht vermessen wollte, irgend etwas für die Zukunft zu versprechen! Das Geringste vermag er nicht zu halten, geschweige, wenn sein Vorsatz von Bedeutung ist (frei nach J. W. v. Goethe: Lehrjahre VII, 8). Deswegen gibt es sie, die Risikohinweise bei Finanzprodukten. Sie sollen helfen, neben den Chancen auch die damit verbundenen Risiken zu verdeutlichen. Nicht erst seit Einführung der MiFID (Markets in Financial Instruments Directive) sind bei Anlagen auch die Risiken zu beachten.

Verkaufsprospekte, Jahresberichte, Webseiten

Risikohinweise sind bei Finanzprodukten ohne Frage außerordentlich wichtig. Nicht immer sind sie jedoch anlegerorientiert formuliert und gestaltet. Bei zahlreichen Investmentfonds beispielsweise sind die Hinweise zu unpräzise und zu umfangreich. Aber keineswegs vollständig, so möchte man meinen. Denn nach ausgiebiger Lektüre derlei Anmerkungen und Hinweise fallen sofort und fast zwangsläufig weitere Risikohinweise ein: Es fehlt der Risikohinweis auf Unverständlichkeit des Finanzproduktes. Auch fehlt ein Hinweis auf Unverständlichkeit der Risikohinweise an sich. Und selbst wenn die vielschichtigen Wirkmechanismen des Investments in seiner Gesamtheit verstanden wurden, selbst wenn die feinsten Nuancen und Abhängigkeiten im globalen Umfeld erfasst und auch die letzte Risikosimulation gedanklich durchgespielt sind, dann wird der frustrierte Leser ein wenig scherzhaft vielleicht doch einen Hinweis vermissen: einen Hinweis auf die Gefahr des Erleidens eines Herzinfarktes beim Lesen der Risikohinweise.

Zu den Fakten: Risikohinweise sind in Verkaufsprospekten von Investmentfonds grundsätzlich zu 100 Prozent vorhanden. Das zumindest geht aus einer aktuellen Untersuchung von Fonds Advice per 31. Oktober 2009 zu 2 456 Fonds von 77 Investmentgesellschaften aus zwölf Ländern hervor. Bei mehr als 89 Prozent der Fonds werden die einzelnen Risikoarten darüber hinaus auch genauer erläutert. Bei rund 72 Prozent der Fonds wird ein Risikoprofil des Fonds angegeben. Noch häufiger, nämlich bei 95 Prozent der Fonds, wird das Profil des typischen Anlegers angegeben. Vergleichsweise selten werden die wesentlichen Risiken des Fonds besonders hervorgehoben. Diese Angabe erfolgt nur bei 655 Fonds beziehungsweise rund 27 Prozent der untersuchten Fonds im Verkaufsprospekt.

Insbesondere für Langfristanleger interessant ist die Angabe des Risikoprofils im Jahresbericht eines Fonds, zumal sich das Risikoprofil im Zeitablauf durchaus nennenswert verändern kann. Bei 471 Fonds beziehungsweise umgerechnet rund 19 Prozent der untersuchten Fonds werden Risikohinweise daher auch im Jahresbericht publiziert.

Erstaunlicher Weise gehören die fondsbezogenen Risikoangaben auf den Webseiten der Investmentgesellschaften noch nicht zum Standard. Auf den Seiten, die den jeweiligen Fonds beschreiben, wird bei rund 79 Prozent der analysierten Fonds auf diese Risiken aufmerksam gemacht. Bei mehr als einem Fünftel der Fonds wird darauf verzichtet.

Umbrellafonds

Die grafische Darstellung des Risikoprofils ist geradezu rar. In 111 Verkaufsprospekten beziehungsweise bei umgerechnet rund 4,5 Prozent der untersuchten Fonds wird eine Grafik zur Risikodarstellung ergänzend eingesetzt. In den Jahresberichten ist dies nur bei 18 Fonds beziehungsweise bei umgerechnet 0,7 Prozent der Fall.

In Sammelprospekten oder bei Umbrellafonds ist die Lage mitunter besonders unübersichtlich. Hier werden Risikohinweise nur zu oft unabhängig vom einzelnen (Teil-)Fonds und ohne den direkten Fondsbezug dargestellt. Für welche (Teil-)Fonds die Risiken jedoch genau gelten und welche Risiken außerdem noch relevant sind, das muss der Leser oft mühsam auf endlosen Seiten und mit noch viel mehr textlichen Querverweisen selbst erkunden. So wird der Anleger nicht selten durch den gesamten Verkaufsprospekt geführt. Hier scheint die Devise zu gelten: Unendliche Geschichten werden mitunter zum Klassiker. Warum nicht auch unendliche Verkaufsprospekte?

Dabei liegt die Lösung doch so nahe. Wenn es sich beispielsweise um einen Aktienfonds mit Anlageschwerpunkt europäische Aktien (Blue Chips) handelt, dann besteht vorrangig ein Aktienkursrisiko. Doch Vorsicht mit Bezeichnungen wie "Aktienfonds", "Anlageschwerpunkt europäische Aktien" oder "Blue Chips".

All das könnte ja womöglich als zugesicherte Eigenschaften ausgelegt werden, die den Fondsmanager einschränken und die Fondsgesellschaft in zukünftig vielleicht veränderten Marktsituationen Probleme bereiten könnte. Solche Zusicherungen scheut die Zunft juristisch versierter Vertragsmeister. Also umgeht man diese Problematik tunlichst durch allgemeine Angaben, durch implizite Risikodarstellungen und ausführliche Aneinanderreihungen aller möglichen Risiken.

Interessen von Anbietern und Nachfragern

Ein altes Problem der Menschheit scheint hier zutage zu treten: Sie konnten zusammen nicht kommen, die Interessen waren viel zu verschieden. Zu verschieden scheinen die Anforderungen der Anleger und die der Fondsgesellschaften an Risikohinweise zu sein. Die Investmentgesellschaft sucht zu Recht nach Rechtssicherheit. Die Gewissheit, auf alle möglichen Risiken und Eventualitäten hingewiesen zu haben, das ist dabei ihr Ziel. Wenn die Welt unterginge, so möchte man fast meinen, könnte zumindest im Nachhinein auf den entsprechenden Risikohinweis im Verkaufsprospekt verwiesen werden.

Der Anleger hat ganz andere Anforderungen an Risikohinweise. Aus seiner Sicht sollten Risikohinweise die wesentlichen Risiken benennen und nach ihrer Relevanz abstufen. Sie sollten explizit verfasst sein und dabei kurz und knapp und verständlich in der Formulierung. Auch die aktuellen Marktgeschehnisse sollten berücksichtigt werden. Dass die Darstellung der Hinweise ansprechend gestaltet und idealerweise grafisch aufbereitet wird, fördert dabei das Verständnis dieser Hinweise.

Je nach Herkunftsland des Fonds sind die Risikoangaben sehr unterschiedlich. Zahlreiche österreichische Fondsgesellschaften beweisen in ihren Verkaufsprospekten eindrucksvoll, was in aller Knappheit möglich ist. Anlegerbedürfnisse sind hier also keine leeren Wunschvorstellungen. Auch einzelne deutsche Fondsprospekte wurden bereits mit gleichfalls brillanten Lösungsansätzen versehen.

Unterschiedliche Länder unterschiedliche Hinweise

Die wahren Meister risikodeutender Hinweise sind ohne Zweifel die Deutschen. Ein großer Teil mancher Verkaufsprospekte scheint daraus zu bestehen. Gar seitenlang und nicht enden wollend sind sie gelistet, die Hinweise auf Risiken. Leider werden die expliziten, fondsspezifischen und aktuellen Risikoangaben allerdings nicht selten vermisst. Welche Risiken der Anleger also heute vorrangig eingeht, das ist deswegen trotzdem die letzte Frage, und sie bleibt viel zu oft unbeantwortet.

Die Risikodarstellung am unteren Ende der Skala waren lange Jahre die Verkaufsprospekte Schweizer Fonds. Hier durfte der Anleger sich mitunter glücklich schätzen, überhaupt etwas entdeckt zu haben, was sich zumindest als Risikohinweis deuten ließ. Doch vor einigen Jahren begann hier die Weiterentwicklung. Erfreulicherweise scheinen die Eidgenossen aus den Fehlern anderer Länder gelernt zu haben und überfrachten ihre Risikohinweise nicht mit seitenlangen Ausführungen handbuchgeeigneter Grundsatzabhandlungen. Lehrten doch schon die alten Griechen: Die Hälfte ist oft mehr als das Ganze.

Luxemburger Verkaufsprospekte sind hinsichtlich ihrer Risikohinweise ein Spiegelbild der dortigen Vielvölker-Interessenlage. Je nach Herkunftsland der Fondsgesellschaft sind auch die Risikohinweise entsprechend ausgestaltet. Gleichwohl achtet die dortige Aufsicht auf die Einhaltung von Mindestanforderungen und sie ist insbesondere bei bestimmten Anlagesegmenten, wie beispielsweise den Emerging Markets, sehr penibel.

Beispiel Irland, USA, Belgien und Dänemark

In ihrer Risikodarstellung sind die Verkaufsprospekte irischer Fonds denen Luxemburger Fonds zumindest annähernd vergleichbar.

Die USA verfolgen - ähnlich wie Großbritannien - eine eigene Vorgehensweise. Hier wird weniger mit verbalen Risikodarstellungen gearbeitet als viel mehr mit Beispielrechnungen. Anhand von Simulationsrechnungen erhält der Anleger mögliche Anlageergebnisse kommagenau vorgerechnet. Alles natürlich unter Vorbehalt.

Belgien und die Niederlande gehen einen anderen Weg. Grafiken und Piktogramme werden ebenso eingesetzt wie verbale Risikoumschreibungen. Matrizenartig wird die Ausprägung der einzelnen Risikoarten den einzelnen Fonds zugeordnet. In beiden Ländern bestechen zahlreiche Risikohinweise durch ihre explizite Darstellung.

Risikohinweise dänischer Fonds sind inhaltlich vergleichbar mit denen österreichischer Fonds. Allerdings verzichten die Dänen auf den Einsatz von Grafiken und beschränken sich auf eine verbale Umschreibung. Die komprimierte Form der Beschreibung ist dabei besonders positiv hervorzuheben.

Sprache

Risikohinweise von Finanzprodukten sind inzwischen eine Wissenschaft für sich. Beeindruckend sind hier zunächst die schier unerschöpflichen Sprachkreationen im Konjunktiv. Mancher Leser mag fast schon ergriffen sein von dieser hohen Kunst des Alles- und Nichtssagens. Erstaunlich, wie viel Unbestimmtheit Sprache auszudrücken in der Lage ist. Gar kunstvoll hypothetische und irreale Satzbauten finden sich dabei allenthalben und der Konjunktiv soweit die Lesebrille reicht. Risikohinweise sind ein wahres Eldorado für Enthusiasten der Wörter "könnte", "dürfte" und "würde". Angereichert wird dabei gerne mit den Redewendungen "unter Umständen", "nicht auszuschließen", "insbesondere", "keine Garantie" oder "nicht sicher".

Schnell entsteht der Eindruck, Risikohinweise seien in jeder Hinsicht eine eigene Welt. Eine eigene Sprache sind sie auf jeden Fall. Erstaunlich auch deswegen, weil diese sprachliche Kunstfertigkeit länder- und sprachübergreifend zu sein scheint: im Deutschen genauso wie im Englischen und in anderen Sprachen auch. Sind Risikohinweise womöglich ein bisher verkanntes geniales Kommunikationsmedium? International verständlich sind die Hinweise ebenso wie weltüberspannend bedeutungsvoll.

Sind Risikohinweise womöglich gar eine Kunstrichtung? Sind sie die legitime Nachfolgebewegung des Dadaismus? Risikohinweisen gelingt im Gegensatz zum Dadaismus nämlich die einzigartige Leistung, auf banal klingende Bezeichnungen zu verzichten, das Banale dennoch gleichwohl treffend auszudrücken. Hier ein paar Beispiele: "Die Kursentwicklung von Wertpapieren hängt insbesondere von der Entwicklung der Kapitalmärkte ab" oder "Die Kurse von Wertpapieren können steigen oder fallen." Welch frappierende Erkenntnisse und welch literarische Meisterwerke außerdem! Sind diese Feststellungen nicht ähnlich wertvoll wie die klassischen Satzschöpfungen "Im Laufe des Tages kann es regnen oder nicht" oder "Am Abend kann mit zunehmender Dunkelheit gerechnet werden"?

Gelegentlich ist in Risikohinweisen auch ein gewisses Moment an Dramaturgie enthalten: "Für den Anleger besteht die Gefahr eines teilweisen oder vollständigen Verlustes seines eingesetzten Kapitals." Die Auflösung folgt meist wenig später, einer Katharsis vergleichbar: "Eine Nachschusspflicht über das vom Anleger investierten Geld hinaus besteht nicht." - wie beruhigend. Geradezu entspannt kann sich der Leser nun wieder zurücklehnen und den weiteren Ausführungen folgen.

Tendenzen in der Risikodarstellung

Bis vor 15 Jahren bestanden Risikohinweise meist aus kurzen Hinweisen in überwiegend allgemeiner Formulierung. Doch jede Krise ist zum Quell weiterer Hinweise geworden. Den regional begrenzten Kapitalmarktkrisen einiger aufstrebender Länder in den neunziger Jahren folgten entsprechende Risikohinweise zu Emerging Markets. Dem Zerplatzen der Internetblase und den unerfüllten Hoffnungen manch neuer Märkte folgten entsprechende Risikohinweise zu speziellen Branchen und niedrig kapitalisierten, engen Märkten. Den vorübergehenden Liquiditätsproblemen offener Immobilienfonds folgten die entsprechenden Risikohinweise hinsichtlich einer zeitlich befristeten Aussetzung von Anteilrücknahmen. Den jüngsten Problemen an den Verbriefungsmärkten folgten unter anderem spezifische Risiken zu Asset Backed Securities (ABS) und Mortgage Backed Securities (MBS), um nur einige Beispiele zu nennen.

So wurden und werden Risikohinweise fortlaufend erweitert. Performancerisiko und Kontrahentenrisiko, Liquiditätsrisiko und Konzentrationsrisiko, Schlüsselpersonenrisiko und steuerliche Risiken und so weiter. Es wird immer weiter und weiter ergänzt, als gäbe es kein Morgen. Fast möchte man das bekannte Goethe-Zitat bemühen: "Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los."

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