Leitartikel

Resignation oder konstruktive Ungeduld?

Jochen Sanio weiß sich von einer bildhaften Sprache bis hin zu seiner Gestik mit diversen Spielarten der Kommunikation als authentisch zu präsentieren. Anflüge von Euphorie passen dabei kaum in sein Erscheinungsbild. Insofern durfte und darf man vom Präsidenten der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in der mittlerweile fast schon drei Jahre währenden Finanz- und Wirtschaftskrise sicher keine frohgemuten Botschaften über ein baldiges Ende der harten Zeiten erwarten. Doch so pessimistisch, wie er aktuell mit der Lage und den Aussichten auf eine konstruktive Regulierung ins Gericht geht, wirkt das für einen der direkt beteiligten Aufseher fast schon kontraproduktiv. Seinem Werdegang und seinen persönlichen Erfahrungen der drei vergangenen Jahre nach zu urteilen, darf man dabei annehmen, dass es Jochen Sanio um die Sache geht und zumindest nicht um persönliche Ambitionen im künftigen nationalen oder internationalen Regulierungsgefüge.

Selbst nachdem schon etliche Erschütterungen an der internationalen Finanzmarktstabilität gerüttelt haben und von vielen hellen Köpfen intensive Ursachenanalyse betrieben worden ist, macht der BaFin-Präsident derzeit nicht einmal Hoffnung auf normale Zeiten geschweige denn auf eine deutliche Besserung. Im Vorwort des eben erschienenen Jahresberichts 2009 der BaFin spricht er angesichts der Schuldenkrise Griechenlands und der daraus resultierenden Eurokrise weiterhin von genügend Gefahren aus nicht vermuteten Ecken, "die die Welt aus den Angeln heben könnten".

Mindestens ebenso bedenklich wie diese Warnung klingt freilich seine pessimistische Zwischenbilanz bezüglich der eingeleiteten Maßnahmen von Politik und/oder Regulatoren. Die vollmundigen politischen Ankündigungen eines neuen Ordnungsrahmens, der die "übergroßen systemischen Risiken" unter Kontrolle bringen könnte, sieht er noch längst nicht angepackt. Er registriert vielmehr bei maßgeblich Verantwortlichen nicht nur ein Zögern, sondern schlimmer noch eine Blockade. Das ist jedenfalls der Tenor im BaFin-Bericht. Ohne sich auf bestimmte Maßnahmen als gut oder schlecht festzulegen, hatte Sanio damit schon im Vorfeld des vorbereitenden G20-Treffens der Finanzminister und Notenbankpräsidenten Anfang Juni im koreanischen Bursan das höchst betrübliche Ergebnis vorweggenommen: unversöhnliche Positionen zu Bankenabgabe und Finanztransaktionssteuer und Ungewissheit über mögliche Fortschritte bei Eigenkapital- und Liquiditätsregelungen.

Nun dürfen nationale Aufseher von Berufs wegen nicht zu optimistisch sein und müssen stets mit dem Schlimmsten rechnen. Insofern kann man ihre Zunft allgemein stärker als die von möglichen aufsichtsrechtlichen Vorgaben betroffenen Finanzdienstleister auf der Seite der Regulierungsfreunde wähnen. Doch wenn der Präsident einer solchen Instanz in einem G8-Land diese skeptische Einschätzung vertritt, darf man den Fortgang der Dinge in Richtung des nächsten Treffens der G20-Regierungschefs in Toronto, dem November-Gipfel in Korea und die Zeit darüber hinaus als überaus zäh einschätzen. Denn Sanio kennt natürlich den aktuellen Diskussionsstand. Er weiß um die derzeitigen Möglichkeiten einer abgestimmten Regulierung. Die zweifelhaften Wirkungen nationaler Alleingänge sind ihm gewahr. Und er ist sich sicher auch der Gefahr bewusst, dass seine überaus skeptische Einschätzung auf internationaler Bühne als Nestbeschmutzung eingeschätzt werden könnte und damit die Aussichten auf eine Einigung auf einen vertretbaren gemeinsamen Nenner weiter geschmälert werden.

Welchen Kraftakt eine internationale Abstimmung bedeutet, verdeutlichen allein schon die Strukturen der internationalen Institutionen und Ausschüsse (siehe Abbildung). Zwar wird an vielen dieser Stellschrauben seit fast drei Jahren intensiv gearbeitet - jüngstes Beispiel sind die Brüsseler Vorstellungen zur Einlagensicherung - doch bisher zeigen sich mehr Dissonanzen als Gemeinsamkeiten. Selbst in der elementaren Frage einer Harmonisierung der internationalen Rechnungslegung gibt es eher Rück- denn Fortschritte. In diesem Stimmengewirr der Fachleute wohl abgestimmte Regelungen zu erwarten, ist derzeit illusorisch.

Egal ob die internationalen Verhandlungspartner die Skepsis Jochen Sanios als Resignation eines Einzelnen oder als konstruktive Ungeduld auslegen. Sie spiegeln im Kern die Wahrnehmung breiter Bevölkerungsschichten in vielen westlichen Demokratien wider. Dass weite Teile der deutschen Bevölkerung die aktuellen Sparpläne kaum als ursachengerechte Korrektur von Fehlentwicklungen an den Finanzmärkten, sondern mehr als Gegenmaßnahmen zur krisenbedingten Schuldenausweitung einstufen, ist kein Zufall. Es fehlen einfach sichtbare Fortschritte an flankierender Regulierung.

Wenn Dinge wie eine Finanztransaktionssteuer und Bankenabgabe international abgestimmt nicht durchsetzbar sind und lediglich begrenzt als symbolischer Akt zur Beruhigung der Bevölkerung eingesetzt werden können, enthebt das nicht der Verpflichtung, weiter nach machbaren Lösungen zu suchen. Standortwettbewerb ist sicher nicht per se verwerflich, sondern kann durchaus ein Ventil für gesunde Strukturen sein. Doch derzeitblockiert er offensichtlich jegliche notwendige Reformen der internationalen Finanzarchitektur. Dazu bedarf es letzlich des politischen Willens auf G20-Ebene.

Allein der BaFin-Bericht listet 13 lohnende Betätigungsfelder für Regulierungsfragen auf, darunter Eigenkapitalausstattung und Liquidität sowie nicht zuletzt die Haftungsfragen. An den Ergebnissen in diesen Feldern wird sich noch im Laufe dieses Jahres zeigen, ob es vielleicht doch Totalverweigerer gibt.

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