Aufsätze

Die Regulierung der Finanzmärkte - für mehr Kontrolle und Moral

"Wenn die Geschichte alle Antworten lieferte, würde sich die Forbes-400-Liste der Reichsten der Welt aus Bibliothekaren zusammensetzen." Dieses Zitat ist von Warren Buffett über liefert, der als erfolgreicher Investor im Jahr 2013 auf Platz 4 dieser Liste stand. Bei einem solchen wirtschaftlichen Erfolg fällt es einer Politikerin naturgemäß schwer, zu widersprechen. Aber die Ergänzung, dass sich zumindest einige Antworten aus der Geschichte herleiten lassen sollten und dass es nach den Erfahrungen der letzten Jahre um mehr Kontrolle und Moral gehen muss, ist sicherlich erlaubt.

Eine Gefahr für das ganze Finanzsystem

Die Finanzkrise hat die zuvor auch in wissenschaftlichen Beiträgen verbreitete Ansicht, dass Märkte dann am besten funktionieren, wenn sie sich ihre Regeln selbst geben und sie sich selbst kontrollieren, widerlegt. Außerdem folgen Märkte keiner Rationalität. "Mit rationalen Märkten lässt sich kein Geld verdienen", heißt es an der Börse. Und schließlich: Aufgrund der Größe vieler Finanzinstitute und ihrer weltweiten Vernetzung untereinander sind irrationale Übertreibungen eine Gefahr für das ganze Finanzsystem und damit für Realwirtschaft, öffentliche Haushalte und die Ersparnisse der Bürgerinnen und Bürger. Genau das erleben wir seit fast sechs Jahren.

Zwischen Oktober 2008 und Ende 2012 haben die EU-Mitgliedstaaten über Liquiditätshilfen und Garantien hinaus fast 592 Milliarden Euro als direkte Kapitalspritzen in Banken und Aufbaubanken gepumpt, so der Ende Dezember 2013 veröffentlichte Beihilfeanzeiger der EU-Kommission. Die vier Staaten, die die höchsten Kapitalspritzen aufbringen mussten, waren Großbritannien (82 Milliarden Euro), Deutschland (64 Milliarden Euro), Irland (63 Milliarden Euro) und Spanien (60 Milliarden Euro). In der öffentlichen Diskussion wurden diese Summen bereits abgehakt, ein Fehler, wenn es darum geht zu erklären, warum wir den Finanzbereich stärker regulieren müssen. Und auch ein Fehler, weil so der Eindruck entsteht, dass öffentliche Schuldenstände ein Ausdruck dafür sind, dass Staaten lediglich über ihre Verhältnisse gelebt haben. Nein, ihre Banken waren in puncto Risikotransparenz und Verantwortungsbewusstsein weit unter dem, was sie als ihre Verhältnisse ausgaben.

Infolge der Finanzhilfen für Kreditinstitute erhöhten sich die Haushaltsdefizite in den europäischen Ländern. Bewertet nach dem Verursacherprinzip setzen Sparprogramme allein also am falschen Ende an. Wie sollen wir der Bevölkerung enorme Einschnitte in staatliche Leistungen erklären, wenn der Finanzsektor so weitermachen kann wie bisher? Wenn wir in südeuropäischen Ländern die Hälfte der jungen Menschen in Arbeitslosigkeit beließen, Renten kürzten und das Gesundheits- und Bildungssystem massiv einschränkten, weil wir die Bankenprobleme nicht in den Griff bekommen, wäre dies eine Kapitulation der Politik.

Stärkung des Haftungsprinzips

Eine Antwort auf diese "Finanzkrisengeschichte" ist die stärkere Regulierung der Finanzmärkte und der Banken. Hier wurde in den letzten Jahren vieles erreicht, was zur Verbesserung der Stabilität des Finanzsystems und zur Erhöhung der Markt- und Produkttransparenz beiträgt. Zu den ungelösten Fragen zählt die "too big to fail"-Problematik und die Regulierung der Schattenbanken. Und es sind noch immer Fragen nach Größe und Konnexität unbeantwortet. Bisweilen entsteht gerade im Finanzbereich der Eindruck, als sei Größe ein Wert an sich. Könnte es aber auch nicht sein, dass Größe Geschäftsvorteile verhindert, weil der Überblick fehlt und solche Institute gar nicht mehr vernünftig gesteuert werden können?

Insgesamt gesehen darf der Steuerzahler nicht zum Reparateur eines Systems werden, das Gewinne als exorbitante Bonuszahlungen an Manager und hohe Renditen an Anteilseigner verbucht, während anfallende Verluste bei den Staaten und damit den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern abgeladen werden. Die Stärkung des Haftungsprinzips und die gerechte Lastenverteilung bei der Abwicklung von Banken waren und sind deshalb zu Recht wichtige Strukturelemente für ein den Bürgerinnen und Bürgern verantwortliches Finanzsystem. Dass dieses System stärker beaufsichtigt und die Bankenaufsicht auch vorsorglich eingreifen können muss, versteht sich von selbst. Höheres Eigenkapital und Liquiditätspuffer für Banken, aber auch Bankentestamente, Bankenfonds und Bail-in Vorgaben für Institute in Schieflagen müssen dafür sorgen, dass der Steuerzahler weitgehend entlastet und damit die verhängnisvolle Verbindung zwischen Staatsschulden- und Bankenkrise zumindest reduziert wird.

Regulierungsvorhaben vor einem moralischen Hintergrund

Eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband deutscher Banken und dem Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands hat ergeben, dass deutsche Banken heute infolge zunehmender Regulierung erheblich mehr Kapital- und Liquiditätsreserven besitzen sowie ein stärker kundenorientiertes und weniger risikoreiches Geschäft betreiben als vor der Finanzmarktkrise. Die Studie beziffert den Gesamtaufwand von Kapitalausstattung, Bankenabgabe sowie Sach- und Personalkosten auf neun Milliarden Euro. Dies ist sicher keine zu vernachlässigende Größenordnung, aber, um im Bild zu bleiben, ein "vertretbares Geschäft", zumal wenn man berücksichtigt, dass natürlich auch Regulierungsausgaben in Teilen an die Kunden weitergegeben werden. Als Nachsatz sollte man hinzufügen: Zuvor haben Bankenkrisen im Nachhinein den Steuerzahler belastet.

Auswirkungsstudien zu einzelnen Regulierungsschritten ja, aber ein Nein zur Forderung nach einem Stopp der Regulierung. Diese politische Klarstellung sollte nicht weniger erlaubt sein, als dass Banken von einem Kulturwandel sprechen, obwohl permanent neue Details zu Devisen- und Zinsspekulationen an die Öffentlichkeit gelangen. Es stimmt zwar, dass Marktentwicklungen immer einen Schritt schneller sind als die Regulierung und dass es Länder geben wird, die wiederum in der Regulierung einen Schritt langsamer sind, weil sie sich davon Standortvorteile versprechen. Aber für wen sollte weniger Regulierung eine Alternative sein? Doch nur für diejenigen, die daraus zunächst Vorteile ziehen, dann aber so aufgestellt sind, dass sie sich bei Schieflagen der Haftung entziehen können.

Gesetzliche Regulierungsvorhaben finden also durchaus vor einem moralischen Hintergrund statt, weil sie darauf abzielen, Risiken durch Transparenz offenzulegen und das Haftungsprinzip einzuführen. Außerdem treffen die Auswüchse unregulierter Finanzmärkte vor allem die Realökonomie und bedrohen damit den Wohlstand einer ganzen Volkswirtschaft. Rat, EU-Parlament und EU-Kommission haben die zu Ende gehende Wahlperiode dazu genutzt, wichtige Reformvorhaben der Finanzmarktregulierung voranzubringen. Dazu zählt auch die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID), in der man sich auf eine wichtige Begrenzung von Spekulationen mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen und Vorgaben für den Hochfrequenzhandel geeinigt hat. Viele dieser Instrumente werden nur von Experten wirklich verstanden, umso wichtiger ist es, dass man ihre Auswirkungen untersucht und darauf Regulierungsschritte aufbaut.

Finanzmarktregulierung auch als Verbraucherschutz

Die Europäische Zentralbank wird im November dieses Jahres die Aufsicht über europäische Banken übernehmen, die größten 128 Banken wird die Notenbank direkt beaufsichtigen. Bis dahin wird es im Rahmen des Comprehensive Assessment, bei Asset Quality Review und Stresstest, sicherlich noch an einigen Punkten zu Diskussionen über die Kriterien und die Ergebnisse zum Beispiel in Form erforderlicher Rekapitalisierung oder Abwicklung von Instituten kommen. Dafür gilt es, auf der politischen Ebene vorbereitet zu sein.

Rheinland-Pfalz wird sich, wo es über den Bundesrat Mitwirkungsrechte hat oder sich über seine Vertretung in Brüssel Gehör verschaffen kann, einbringen und bei der Finanzmarktregulierung weiterhin eine konstruktive Rolle spielen. Mir ist auch wichtig, dass wir die Europawahl nutzen, um die Bürgerinnen und Bürger in diesem Themenfeld noch mehr aufzuklären und die unterschiedlichen Positionen der Parteien deutlich zu machen. Finanzmarktregulierung bedeutet in vielen Fällen auch Verbraucherschutz und im Gegensatz dazu, was insbesondere von Banken als beschwerlich empfunden wird, spielt hier Risikotransparenz eine wichtige Rolle.

Die Forbes-400-Liste besteht nicht aus Bibliothekaren. Und die Geschichte liefert nicht alle Antworten, auch nicht auf die Finanzkrise. Aber das entbindet uns nicht davon, aus der Geschichte zu lernen. Von Warren Buffett ist auch überliefert: "Es herrscht Klassenkampf, meine Klasse gewinnt, aber das sollte sie nicht." Wie würde wohl die Forbes-400-Liste aussehen, wenn die Gewinner vorher allein die Spielregeln festgelegt hätten?

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