Interview

Redaktionsgespräch mit Sahra Wagenknecht - "Es gibt Regeln, die sind schlichtweg falsch"

Wie ist der Koalitionsvertrag aus Sicht einer Oppositionspolitikerin zu bewerten, die den Kapitalismus keineswegs als Segnung für die Menschheit ansieht?

Die entscheidende Frage ist nicht, ob man den Kapitalismus für regulierbar oder überwindbar hält. Entscheidend ist, ob dieser Koalitionsvertrag das Leben der Mehrheit der Menschen in diesem Land verbessert oder nicht. Daran gemessen finde ich ihn zutiefst enttäuschend.

Was genau enttäuscht Sie?

Nehmen wir das Thema Banken: Von den vollmundigen Ankündigungen der SPD aus dem Wahlkampf wie Trennbankensystem, gesetzliche Deckelung von Dispo-Zinsen oder kein Steuergeld in Zukunft für die Rettung von Banken findet sich nichts wieder. Das Gegenteil steht im Koalitionsvertrag. Dispo-Zinsen werden nicht gedeckelt, es gibt keine strengere Regulierung und der Steuerzahler kann weiter europaweit Banken refinanzieren. Das ist für mich eine Komplett-Kapitulation der SPD in diesen wichtigen Fragen.

Täuscht der Eindruck, dass in diesem Koalitionsvertrag sehr viel weniger "Bank und Wirtschaft" thematisiert wird, als in dem der letzten Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP?

Der damalige Koalitionsvertrag war geprägt von den Erfahrungen der damals seit gut einem Jahr tobenden Banken- und Finanzkrise. Da war den Verantwortlichen noch sehr viel besser in Erinnerung, wie viele Milliarden der Steuerzahler zur Rettung und Stabilisierung des Finanzsystems bereitstellen mussten. Diese Milliardenkosten wurden bis heute von den Banken nicht zurückgezahlt, auch die Staatsverschuldung ist auf Rekordniveau, aber das Thema steht weniger im Fokus der Öffentlichkeit, und sofort scheint man sich wieder mit dem Status quo zu arrangieren.

Für mich ist es unglaublich, wie nach einer solchen Krise und solchen Erfahrungen die großen Investmentbanken einfach weitermachen wie bisher und wie unzureichend und weichgespült die wenigen Regulierungen sind, die seither beschlossen wurden.

Dennoch beschweren sich Wirtschaftsverbände über wirtschaftsfeindliche Tendenzen der neuen Bundesregierung - wie passt das mit Ihren Einschätzungen zusammen? Wird die unternehmerische Freiheit wirklich so stark beschnitten?

Diese Beschwerden sind doch Teil des Geschäfts von Lobbyverbänden. Viel überzeugender ist die Reaktion des Dax, der am Tag der Veröffentlichung des Koalitionsvertrages einen ordentlichen Sprung nach oben machte. Das ist die richtige Reaktion, denn dieser Koalitionsvertrag hilft nicht den Beschäftigten oder den kleinen und mittleren Unternehmen, sondern fördert die großen Aktiengesellschaften. Auch wenn immer wieder über Mittelstandsförderung gesprochen wird, haben kleine und mittlere Unternehmen doch kaum noch eine politische Lobby. Das ist bedauerlich.

Wie würde ein Koalitionsvertrag lauten, an dem Sie mitgeschrieben hätten? Welche Eckpunkte wären Ihnen wichtig?

Es gibt viele Fragen, die nicht angepackt wurden. Bankenregulierung beispielsweise ist ein ganz zentrales Thema. Die angesprochenen Dispo-Zinsen sind immer noch zu hoch, was übrigens nicht nur ein Problem der privaten Haushalte, sondern auch der kleineren Unternehmen ist, die zur Überbrückung finanzieller Engpässe oft die Überziehung nutzen. Hinzu kommt die Zurückhaltung bei Investitionskrediten. Gerade die privaten Großbanken unterstützen seit Jahren lieber einen Hedgefonds beim Spekulieren, als einem Mittelständler eine Investition zu finanzieren. In beiden Fällen müsste die Politik über Anreize beziehungsweise Verbote steuernd eingreifen.

Natürlich hätte ich mir auch gewünscht, dass die SPD wenigstens einige ihrer großen sozialen Versprechungen eingelöst hätte. Der Mindestlohn kommt erst ab 2017, also nach heutiger Kaufkraft mit deutlich weniger als 8,50 Euro, und selbst dann wird er nicht flächendeckend gelten. Außerdem hätte gegen den Missbrauch von Werkverträgen und das Lohndumping bei Leiharbeit mehr getan werden müssen, auch sachgrundlose Befristung darf es weiterhin geben. Das heißt, auch auf dem Arbeitsmarkt wird sich nicht viel ändern.

Und schließlich: 23 Milliarden Euro Mehrausgaben ohne Steuererhöhungen und ohne neue Schulden - na, da bin ich mal gespannt, wie das funktionieren wird.

Das heißt aber auch, es gibt viele Angriffspunkte für eine muntere Opposition, oder?

Opposition gegen eine Große Koalition ist unter diesen doch sehr eindeutigen Mehrheitsverhältnissen im Bundestag sicherlich keine einfache Aufgabe. Es ist zu erwarten, dass die SPD in dieser großen Koalition nochmals an Profil verlieren wird, was den Linken Zulauf verschaffen könnte. Rein parteiegoistisch könnte mich das freuen, aber der Niedergang der SPD erhöht natürlich nicht gerade die Chance, ab 2017 mit einer linken Regierung eine soziale Politik in Deutschland machen zu können. Viel spricht eher dafür, dass der Politikfrust und die Wahlabstinenz in den kommenden Jahren zunehmen werden. Das sind alles keine schönen Entwicklungen.

Sie kritisieren - mitunter sicherlich zu Recht - das Streben des Homo oeconomicus nach Gewinn und persönlicher Nutzenoptimierung: Ist das wirklich ein Phänomen der neueren Geschichte, hat der Mensch nicht immer seinen eigenen Nutzen gesucht?

Nach Nutzen zu streben, ist zunächst einmal nicht negativ oder falsch. Fragwürdig wird es, wenn Menschen nur noch als blinde Egoisten und roboterhafte Nutzenoptimierer gesehen und definiert werden. So sind Menschen nicht. Menschen sind immer auch soziale Wesen und sind bei allem materiellen Wohlstand in der Regel unglücklich, wenn soziale Bindungen zerfallen und kein Raum oder keine Zeit mehr für Liebe, Familie und Freunde bleibt.

Eine Gesellschaft, in der immer mehr Menschen bis zum Umfallen arbeiten müssen, auch abends und an den Wochenenden, in der ständige Mobilität und Flexibilität gefordert ist, macht ein stabiles soziales Leben im privaten Umfeld immer schwerer. Die Frage ist, was wichtiger ist: ein Prozentpunkt mehr Wachstum oder ein Mehr an Lebensqualität.

Allerdings wird doch schon in der Schule der Leistungsgedanke gefördert. Werden Menschen nicht zum Nutzenoptimierer erzogen und wie kann man das ändern?

Der Anspruch, ich bin fleißiger als mein Nachbar und möchte dementsprechend auch besser leben, ist legitim. Es stellt sich aber die Frage, ob die heutige Gesellschaft wirklich eine Leistungsgesellschaft ist. Altenpfleger oder Krankenschwestern sind für mich echte Leistungsträger, werden aber hundsmiserabel bezahlt. Im Investmentbanking dagegen werden Millionen verdient, obwohl die eingegangenen Finanzwetten der Gesellschaft oft schaden und dem Steuerzahler hart auf der Tasche liegen. Und schließlich: Wem ein dreistelliges Millionenvermögen in die Wiege gelegt wurde, der muss niemals im Leben irgendetwas leisten, kann aber in größtem Luxus leben. Es gibt also keine leistungsgerechte Verteilung der Einkommen.

Wie definieren Sie gesellschaftlichen Nutzen von Unternehmen oder Banken?

Gesellschaftlicher Nutzen kann immer nur daran gemessen werden, was den Wohlstand der Allgemeinheit, den Wohlstand der Bevölkerung steigert. Wirtschaft ist kein Selbstzweck. Es sollte nie vergessen werden, dass der Mensch nicht dafür da ist, dass die Wirtschaft wächst, sondern die Wirtschaft muss sich so entwickeln, dass sich der Wohlstand der Menschen erhöht. Daran muss sie gemessen werden. Zahlen zu Lebenserwartung und Geburtenrate sagen oft mehr über eine Gesellschaft aus, als abstrakte Wachstumskennziffern.

Damit sind Sie in Ihrer Argumentation aber doch sehr nah an Ludwig Erhard und dem Wohlstand für alle?

Ja, denn das ist ein völlig richtiger Anspruch. Das Ziel eines Wirtschaftssystems, das Wohlstand für alle sichert und mehrt, würde ich sofort unterschreiben. Leider haben sowohl die heutige CDU als auch die SPD mit diesen Vorstellungen Erhards nur noch wenig gemein. Die Agenda 2010 beispielsweise hat den Wohlstand der Mehrheit nicht verbessert, sondern zu einer miserablen Lohnentwicklung geführt, in deren Folge der Durchschnittslohn heute unter dem Niveau des Jahres 2000 liegt. Die Rentenkürzungen haben die gesetzliche Rente als Absicherung des Lebensstandards im Alter faktisch zerstört, die Sorge vor Altersarmut wächst. Hartz IV stürzt Arbeitslose in eine richtige Armutsfalle. Das sind keine Entwicklungen, die den Wohlstand in irgendeiner Weise fördern. Dagegen sind die Gewinne der Unternehmen, gerade der großen, immer weiter gewachsen und der Dax klettert auf immer neue Höchststände. Was für ein Kontrast!

Gleichwohl man entgegnen könnte, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands stetig verbessert hat - vom kranken Mann Europas zum Vorzeigehaushalt? Und auch die sicherlich nicht allein aussagekräftigen Zahlen zu Wachstum und Arbeitslosigkeit beziehungsweise Beschäftigung sprechen doch eigentlich eine andere Sprache?

Es gab doch vor allem eine Umverteilung von Arbeit. Wo früher einer einen Job hatte, von dem er leben konnte, machen heute zwei Teilzeitarbeiter, Leiharbeiter oder vier Minijobber gemeinsam den Job, können aber jeweils nicht mehr davon leben. Der Anstieg der Wettbewerbsfähigkeit, den ich gar nicht leugnen möchte, hängt gerade damit zusammen, dass sich die Löhne hierzulande sehr viel schlechter entwickelt haben, als in anderen europäischen Ländern.

Wem nützt das aber? Schon Walter Eucken wusste, dass permanent hohe Exportüberschüsse problematisch sind, weil dann ein Land auf Dauer mehr produziert als konsumiert. Das heißt nichts anderes, als dass die Menschen arbeiten, ohne je die Früchte ihrer Arbeit zu ernten. Mit dem Überschuss wurden stattdessen amerikanische Hypothekenpapiere oder griechische Staatsanleihen gekauft. Das ist ein schlechtes Geschäft.

Kann man definieren, wo "anständiges" Gewinnstreben endet?

Auf jeden Fall dort, wo die Beschäftigten, die den Reichtum erarbeiten, schlechter gestellt werden als vorher. Unternehmen brauchen Gewinne, um zu investieren. Aber wenn die Gewinne die Investitionssumme bei Weitem übersteigen und nur dazu genutzt werden, hohe Ausschüttungen für Aktionäre oder Gesellschafter zu finanzieren, ist das nicht akzeptabel. In den neunziger Jahren betrugen die durchschnittlichen Ausschüttungen der Dax-Konzerne rund sechs Milliarden Euro im Jahr. In den vergangenen Jahren lagen sie bei 25 Milliarden Euro jährlich. Das heißt, diese Unternehmen machen sagenhafte Gewinne, die sie aber nicht für Investitionen nutzen, das schädigt die volkswirtschaftliche Substanz.

Dass heißt, hier müsste der Staat regulierend eingreifen. In einem Bereich der Wirtschaft, der Kreditwirtschaft, ist das Pendel von der De-Regulierung zurück zur Re-Regulierung geschwungen - doch treffen die ergriffenen Maßnahmen nicht den Kern, wie Sie vorhin sagten. Was hätten Sie gerne schärfer kontrolliert und geregelt?

Es geht keineswegs nur um die Härte, sondern auch um die Güte der Vorschriften. Es gibt Regeln, die schlichtweg falsch sind. Basel II und Basel III gehen für mich in die falsche Richtung. Erstens sind die Eigenkapitalanforderungen nach wie vor viel zu niedrig, zweitens können die Banken ihren Eigenkapitalbedarf nach diesen Regeln ziemlich willkürlich berechnen, und drittens bestrafen die Regeln volkswirtschaftlich sinnvolles Verhalten und belohnen Spekulanten. Denn ein Kredit an einen Mittelständler, der den Kauf einer neuen Maschine finanziert, ist nach diesen Regeln für die Bank sehr viel teurer als ein Kredit an einen gut gerateten Hedgefonds, der diesem beim Zocken hilft. Mit solchen Regeln wird die Kreditversorgung der Wirtschaft eher verschlechtert als verbessert.

Auch das Problem der zu geringen Eigenkapitaldecken der Banken wird nicht oder viel zu zögerlich angepackt. Die nach Basel III beschlossenen neuen Eigenkapitalregeln führen, bezogen auf die gesamte Bilanzsumme, nicht nur auf die risikogewichteten Aktiva, zu einer Eigenkapitalanforderung von drei Prozent. Welches Wirtschaftsunternehmen mit drei Prozent Eigenkapital würde von einer Bank Kredit bekommen? Bei den Banken gilt das nun als strenge Regulierung. Das ist viel zu wenig, denn so können Banken Verluste kaum alleine tragen. Solange Banken so wenig Eigenkapital vorhalten, droht immer wieder die Gefahr, dass große Banken den Staat und damit die Gesellschaft erpressen können und bei Schieflagen auf Kosten der Steuerzahler gerettet werden müssen.

Schließlich: Das eigentliche Kredit- und Einlagengeschäft muss getrennt werden von den Spekulationsgeschäften, die zu erheblichen Teilen auch ganz verboten werden können. Der Entwurf eines Trennbankengesetzes des Finanzministeriums ist deutlich weicher als der Vorschlag der Liikanen-Gruppe, und die EU-Kommission hat es bis jetzt vor sich hergeschoben, überhaupt einen Entwurf auf den Tisch zu legen. Es muss gesichert werden, dass durch Verluste im Investmentbanking nicht Kleinsparer oder das seriöse Kreditgeschäft betroffen werden können.

Als Lehre aus der Krise werden nun auch Gläubiger an möglichen Bankpleiten beteiligt - richtig so?

Natürlich. Im Falle der Hypo Real Estate beispielsweise hätten unbedingt auch die unbesicherten Gläubiger an der Rettung beteiligt werden müssen. Hier wäre die isländische Lösung mit einem klaren Schnitt und einer Aufteilung in eine Good Bank, die öffentlich abgesichert wird, und eine Bad Bank, für die die privaten Investoren haften, viel sinnvoller gewesen, da erhebliche öffentliche Kosten eingespart worden wären.

Doch auch auf europäischer Ebene gehen die Vorschriften nicht weit genug. Wir sind immer noch meilenweit entfernt von einer echten Gläubigerbeteiligung. Die bisher vorliegenden Vorschläge zur Bankenunion sind aufgrund der vielfältigen Ausnahmeregelungen eine Einladung an die Banken, die Papiere der Gläubiger so zu sortieren und einzustufen, dass diese nicht haftbar gemacht werden können. Covered Bonds sind vollständig aus der Haftung entlassen, kurzfristige Bankenkredite ebenso. Damit wird verhindert, dass Investoren, die ins Risiko gehen, das Risiko auch tragen müssen. Am Ende ist der Sparer der Dumme, der auf seinem Konto mehr als 100 000 Euro hat. Das wird voll zur Haftung herangezogen. Und das trifft keineswegs nur vermögende Privatpersonen, sondern auch in erheblichem Umfang kleinere und mittlere Unternehmen, die ihren Zahlungsverkehr ja über Bankkonten abwickeln. Das geht gar nicht.

Nachfrage zum Trennbankengesetz: Kann man das vermeintliche gute wirklich so einfach vom vermeintlich bösen Geschäft trennen? Viele Derivate wie Zinsabsicherungsgeschäfte oder Währungsabsicherungsgeschäfte hängen am guten Geschäft und haben zweifelsfrei einen Nutzen für die Kunden.

Die Erfahrungen aus den USA der Nachkriegszeit haben doch gezeigt, dass man diese Geschäfte, diese Geschäftsmodelle klar voneinander trennen kann. Und das Argument, heute sei alles komplexer, kann ich nicht gelten lassen. Es spricht ja viel dafür, gerade diese Komplexität durch klare Regeln und Verbote wieder zu vereinfachen. Denn die reale Wirtschaft hatte sich ohne den Spekulationswildwuchs eher besser entwickelt.

Also: Wer in spekulativen Produktkonstruktionen investieren möchte, kann das bei einer Investmentbank oder einem Hedgefonds gerne tun. Dann soll er aber auch das Risiko tragen und nicht geschützt werden. Aber es kann nicht sein, dass eine Bank wie die Deutsche das Geld der Postbanksparer nutzt, um an der Wall Street Derivategeschäfte zu machen. Das alte klassische Modell, bei dem die Banken Sparbücher anbieten, die als Rendite mindestens die Inflationsrate bringen, und das Geld dann an seriöse Unternehmen verleihen, hat klare Vorteile. Dann würden Kunden ihr Geld auch wieder lieber zur Bank bringen und das Vertrauen in den Kreditsektor wäre sehr viel höher. Das ist ja eigentlich das Modell der Sparkassen und Volksbanken

Wie sollen die Banken sich Verzinsungen von zwei und mehr Prozent auf Sparbüchern leisten können?

Die extreme Niedrigzinspolitik der EZB hat wenig mit der allgemeinen wirtschaftlichen Lage zu tun, auch nicht in Südeuropa, wo die niedrigen Zinsen ohnehin nicht ankommen. Das EZB-Billiggeld ist vielmehr eine Lebensversicherung und Gewinnsubvention für marode Großbanken. Tatsächlich wäre hier ein klarer Schnitt notwendig, der verhindert, dass diese Banken ihre Altlasten von Jahr zu Jahr weiter schleppen und deshalb ohne Billiggeld sofort kollabieren würden. Und das gleiche gilt für die überschuldeten Staaten, auch da braucht es einen Schuldenschnitt. Danach sollte man die betroffenen Banken in Good Banks und Bad Banks aufspalten, die Altlasten zum Nachteil der privaten Investoren abtragen und andererseits wieder gesundes Neugeschäft machen. Dann könnte der Zentralbankzins problemlos bei zwei Prozent liegen und die Banken könnten eine Verzinsung auf Sparbücher in ähnlicher Höhe anbieten.

Nun ist aber nicht davon auszugehen, dass die EZB ihre Politik kurzfristig ändern wird. Sind anhaltend niedrige Zinsen eine Gefahr für die Sparer?

Niedrige Zinsen sind eine Gefahr für die Kleinsparer und die Mittelschicht. Wirklich vermögende Kunden haben andere Anlagenmöglichkeiten über kapitalmarktbasierte Spar- und Investmentprodukte. Wer derzeit genügend Mittel hat, am Kapitalmarkt ins Risiko zu gehen, hat kein Problem, ihm werden hohe Zuwächse beschert. Aber kleine Vermögen, die zinsbasiert und risikoarm angelegt werden, müssen derzeit mit Zinsen unterhalb der Inflationsrate vorliebnehmen, werden also schleichend enteignet. Das ist völlig inakzeptabel.

Die EZB erwägt, für Bankeinlagen bei der Zentralbank einen Negativzins einzuführen, um Bankeinlagen bei der Zentralbank unattraktiver zu machen und die Kreditvergabe anzukurbeln - macht das Sinn?

Das ist sicherlich kein wirksames Instrument. Vielmehr ist zu befürchten, dass die Banken sich das über höhere Gebühren von den Kunden zurückholen werden. Und es löst das Problem nicht, dass die Banken vor allem in den Krisenländern Milliarden an Altlasten mit sich herumschleppen und daher bei Neugeschäft extrem vorsichtig sind. Solange man diese Banken nicht restrukturiert und die faulen Kredite in eine Abwicklungsbank auslagert, wird sich nichts ändern. Erst wenn saubere, unbelastete Banken wieder Neugeschäft machen können und vernünftige Regeln es erschweren, reine Spekulationsgeschäfte zu tätigen, wird auch die Kreditvergabe an die reale Wirtschaft wieder steigen. Dieses Problem kann die EZB nicht lösen, das muss von der Politik gelöst werden.

Wie können Alternativen zu einer staatlich finanzierten oder über die EZB finanzierten Bankenrettung beziehungsweise -stabilisierung aussehen?

Eine Rettung von nicht überlebensfähigen Banken auf Kosten der Steuerzahler und auf Kosten künftiger Generationen ist nicht akzeptabel. Wie eben schon gesagt, müssen diese Banken aufgespalten werden und vor allem müssen die Gläubiger sehr viel stärker zur Finanzierung herangezogen werden, mit Ausnahme der normalen Sparer, deren Einlagen gesichert werden müssen. Man kann Schulden nicht reduzieren, ohne auch Vermögen zu reduzieren. Der Finanzsektor ist viel zu groß. Er ist in den vergangenen dreißig Jahren viel schneller gewachsen, als die reale Wirtschaft. Dieser Sektor muss schrumpfen.

Sind Bankkunden dümmer als Wähler, entmündigt der Verbraucherschutz nicht den Bürger?

Verbraucherschutz ist dringend notwendig, weil einfach nicht jeder Bürger die Zeit hat, sich mit allen Informationen zu versorgen und alle Finessen zu verstehen, was aber notwendig wäre, um sich ein eigenes Urteil bilden zu können. Die heutigen Finanzmärkte sind hochkomplex. Man kann nicht erwarten, dass jeder erst ein Studium absolviert, ehe er Ersparnisse anlegt.

Wie sieht eine gute Bank aus?

Eine gute Bank ist eine Bank, die ihre Aufgaben erfüllt. Hauptaufgabe von Banken ist, der Realwirtschaft zu dienen. Das heißt, eine gute Bank bietet solide Sparmöglichkeiten an und versorgt die Wirtschaft mit Investitionskrediten. Daneben vergibt sie Kredite für den Haus- und Wohnungsbau. Das tun Sparkassen und Genossenschaften weit mehr als die Privatbanken, damit sind sie die weitaus besseren Banken. Ohne die beiden Verbundgruppen gäbe es den breiten Mittelstand in Deutschland längst nicht mehr, das zeigt der Blick auf andere europäische Länder. Wettbuden wie die Deutsche Bank haben dagegen vergleichsweise wenig volkswirtschaftlichen Nutzen.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X