Interview

Redaktionsgespräch mit Michael Bockelmann / "Die Ortsbanken haben sehr wohl die Eigenkapital- und Wachstumserfordernisse der Verbundunternehmen im Blick"

150 Jahre Genossenschaftsverband Herr Bockelmann, welche Meilensteine rufen Sie als Verbandspräsident im Jubiläumsjahr in Erinnerung. Welche Wegmarken sind Ihnen aus eigenem Erleben besonders wichtig?

Bei einem solchen Jubiläum muss man sich erst einmal den langen Zeitraum von 150 Jahren vergegenwärtigen. Wie viele Unternehmen und Institutionen haben schon seit 1862 Bestand? Der Genossenschaftsverband hat es über Generationen hinweg geschafft, alle politischen und wirtschaftlichen Turbulenzen zu überstehen und seine Aufgaben zu erfüllen. Angefangen vom Deutsch-Französischen Krieg über die deutsche Reichsgründung, die zwei Weltkriege und die Weltwirtschaftskrise bis hin zur Entstehung und Fortentwicklung der Bundesrepublik Deutschland zu einer modernen Demokratie haben der Verband und seine Mitglieder unter verschiedensten Machtkonstellationen und Währungen enorme Strukturveränderungen erfahren.

Aus eigener Wahrnehmung und Verantwortung war die deutsche Einheit mit ihren großen Herausforderungen die alles überragende Wegmarke. Für die Genossenschaftsorganisation und ihre Verbände war es eine enorme Leistung, in den neuen Bundesländern tätig zu werden und dort wieder ein funktionierendes Genossenschaftswesen aufzubauen. Es ist eindrucksvoll gelungen, die durch das Zwangsmodell des Gemeineigentums negativ behaftete genossenschaftliche Idee wieder handhabbar zu machen.

In Mecklenburg-Vorpommern habe ich dabei den Aufbau von Anfang an miterleben und begleiten dürfen. Dieses Zusammenwachsen war eine schöne Erfahrung.

Welchen Stellenwert im historischen Abriss geben Sie der Fusion der Genossenschaftsverbände in Frankfurt und Hannover?

Dieser Schritt hat große Bedeutung für das deutsche Genossenschaftswesen. Er übertrifft in seinen Dimensionen und Folgewirkungen noch die erfolgreiche Verschmelzung der Verbände in Kiel und Hannover, die ich auch schon mitbegleiten durfte. Im Rückblick hat sich die Zusammenführung der beiden norddeutschen Verbände angesichts der Anstrengungen in der Verbindung sehr unterschiedlicher Mentalitäten sogar als schwieriger erwiesen als jene zwischen Hannover und Frankfurt. Dort war nach den ersten ernsthaften Gesprächen jedenfalls schon binnen vier Wochen im Grundsatz klar erkennbar, dass die Fusion an den Vorständen und den wichtigsten Gremien nicht scheitern wird. Gewiss waren die Folgeverhandlungen immer noch herausfordernd, aber letztlich ging es nur noch um den Feinschliff an Satzungen, um die genaue strategische Ausrichtung und um die konkrete Umsetzung. In jeder Phase war das Gefühl zu spüren, dass alle Beteiligten dieses Projekt für uneingeschränkt richtig hielten. Entsprechend waren die Verhandlungen bis in die Details von einer hohen gegenseitigen Wertschätzung, von Offenheit und Sympathie getragen.

Werten Sie diese Verbindung zwischen Niedersachsen und Frankfurt eher als einen Zwischenschritt oder als Gipfel der genossenschaftlichen Verbandsfusionen? Und wie sahen Ihre Präferenzen als verantwortlicher Verbandsvorstand in Hannover aus?

Ich maße mir hier keinen Alleinvertretungsanspruch für die Kollegen der anderen Verbände an. Unsere Sicht ist, dass der Prozess der genossenschaftlichen Verbandsfusionen sich fortsetzen wird. Wenn wir einmal die langen Linien unserer eigenen Geschichte betrachten wird das deutlich: In der aktuellen Ausprägung ist der Genossenschaftsverband im Laufe der Zeit durch Fusionen aus 16 Vorgängerverbänden gewachsen. Jeder einzelne brachte seine eigenen spezifischen Traditionen, seine historischen Erfolge und Leistungen in die weitere Entwicklung des Ganzen ein. In der Logik dieses Weges erwarten wir weitere Schritte.

Dass in den vergangenen Jahren die Verbindung zwischen Frankfurt und Hannover zustande kam, hat in der Genossenschaftsorganisation manche überrascht. Für Hannover war sie hingegen ein konsequenter Schritt. In einer Vorstandsklausur hatten wir uns im Jahre 2007 die Frage gestellt, wie der Genossenschaftssektor wohl in zehn Jahren aussehen wird. Dort wurde einhellig die Erwartung formuliert, irgendwann nur noch eine Rechenzentrale und eine genossenschaftliche Zentralbank zu haben. Ferner herrschte die Überzeugung vor, dass es bundesweit einmal ein oder zwei genossenschaftliche Regionalverbände geben wird. Mit diesen für wahrscheinlich gehaltenen Szenarien konnten wir in der Frage einer Verbändefusion nur nach Frankfurt tendieren. Denn dort sitzt der größte Teil des genossenschaftlichen Finanzverbunds, dort ist der unternehmerische Mittelpunkt der Organisation. Dass die Fusion dann tatsächlich zustande kam, lag am ganz ähnlichen strategischen Denken in Frankfurt.

Wo haben sich die zusammengeführten Verbände nach gut zwei Jahren ergänzt? Was hat Frankfurt dabei von Hannover gelernt und übernommen und umgekehrt?

Im Warenbereich war Niedersachsen schon der bereits vorhandenen Größe wegen ausgereifter und breiter aufgestellt. Auch im Bildungsbereich gab es dort ein komplexeres und umfassenderes Angebot. Dafür war Frankfurt im gesamten Kreditbereich hervorragend aufgestellt und hatte zudem mit den Tochtergesellschaften ein sehr gutes und breites Angebot für die Ortsbanken. Entsprechend wurden diese Dinge im gesamten Verbandsgebiet umgesetzt. Darüber hinaus hat sich die in Frankfurt praktizierte Betreuung von 25 bis 30 Banken durch einen verantwortlichen Ansprechpartner als sehr wirksames Konzept erwiesen und wurde ebenfalls im gesamten Verband zum Standard. Damit kann auch auf große Distanz die notwendige Nähe geschaffen werden.

Kann ein so großer Verband wirklich die erforderliche lokale Präsenz und Nähe bieten?

Nicht die unmittelbare Nachbarschaft ist unserer Erfahrung nach entscheidend, sondern Regionalität heißt für die Banken, ihre Ansprechpartner genau zu kennen. Wenn eine Frage auftritt, muss der Mitarbeiter vor Ort mit den zuständigen Verbandsmitarbeitern ein Gesicht und eine persönliche Begegnung verbinden. Dann wird bei Bedarf auch sofort und ohne Scheu Kontakt aufgenommen. Das ist ein Thema, an dem man als Daueraufgabe immer arbeiten muss, und wir nehmen diese Herausforderung aktiv an. Die gesamte Organisation lebt von den menschlichen Kontakten. Das sehen wir in unserem Verbandsgebiet nach vielen Bezirkstagen bei allen Genossenschaftsgruppen unseres Verbandes in den vergangenen Wochen erneut bestätigt.

Was sind Bezirkstage? Welche Bedeutung haben sie in der Verbandsarbeit?

Alle Kreditinstitute aus den 13 Bundesländern vom Saarland bis Schleswig Holstein wurden mit regionaler Zuordnung in 15 Bezirkstage unterteilt. Zweimal im Jahr trifft sich dort die Verbandsspitze mit den Vorstandsmitgliedern der Ortsbanken zu einem tiefen Informations- und Meinungsaustausch. In der Frühjahrsrunde geht es mehr um Verbands-, Beratungsthemen und Regulatorik, in der Herbstrunde liegt der Schwerpunkt eher auf den Prüfungsthemen.

Muss der große Frankfurter Verband bei seiner Aufgabenerfüllung besonders laut und offensiv in die Organisation hineinwirken? Hat er besonderes Gewicht in der Gruppe?

Größe ist kein positives Kriterium an sich, und Regionalität ist in einer dezentral ausgerichteten Bankengruppe eine permanente Herausforderung. Aber abgesehen von der Größe ist der Frankfurter Verband im Vergleich zu den anderen nichts Besonderes. Dementsprechend machen wir bewusst die Vertretung des Verbandes in den Gremien nicht zum Thema. Die Verteilung der Stimmrechte gehört zu den wichtigen Grundprinzipien unserer Organisation, sie ist richtig und angemessen. Wir selbst verstehen uns als Teil des Ganzen und artikulieren die sicherlich einflussreiche Position in der Öffentlichkeit mit Bedacht nicht übermäßig laut, sondern im Zweifel eher zurückhaltend und stilvoll. Dabei besteht stets Offenheit für gute Ideen aus anderen Regionen.

Worin sehen Sie Ihre Hauptaufgaben als Präsident des Frankfurter Genossenschaftsverbandes?

Das fängt mit der Außenwirkung an. Der Präsident vertritt den Verband in vielen bundesweiten Gremien. Parallel dazu pflegt er mit seinen Vorstandskollegen intensiv den Kontakt zu den Mitgliedsgenossenschaften. Zusammen mit den verantwortlichen Vorständen vor Ort führen wir einen Dialog über die Perspektiven des jeweiligen Hauses und diskutieren bei Bedarf Alternativen in relevanten Fragestellungen.

Angenommen es gibt eines Tages bundesweit nur noch zwei Regionalverbände. Wie grenzt man sich dann vom BVR, vom DGRV, vom Deutschen Raiffeisenverband und vom Zentralverband Gewerblicher Verbundgruppen ZGV ab?

Die Arbeitsteilung ist schon heute eindeutig geregelt. So obliegt etwa dem BVR die Interessenvertretung für die Kreditgenossenschaften in Berlin, Brüssel und London, in die sich ein Regionalverband nie einmischen wird. Dieser spricht allenfalls subsidiär oder in Abstimmung mit dem BVR mit einzelnen Landesregierungen. Zuweilen überträgt der BVR die Teilnahme an einer Anhörung eines Landtages im jeweiligen Geschäftsgebiet über ein regionales Thema an den zuständigen Regionalverband. Umgekehrt werden übergeordnete Themen aus der Region an den BVR herangetragen, damit dieser dann die Dinge auf der politischen Ebene ansprechen kann. Diese Abstimmung läuft gut und absolut reibungslos. Der BVR ist das Strategiezentrum der Gruppe, die Umsetzung der Dinge erfolgt auf regionaler Ebene.

Mit dem Deutschen Raiffeisenverband und dem ZGV ist die Arbeitsteilung ähnlich konfliktfrei geregelt. Die Frage möglicher Überschneidungen könnte sich allenfalls beim DGRV stellen, weil er ebenfalls Prüfungsaufgaben wahrnimmt. Aber auch in diesem Falle lässt sich gemeinsam mit den zuständigen Einheiten leicht abstimmen, wo es um reine Interessenvertretung für Bilanzierung und Prüfung in Berlin, Brüssel und London geht. Das alles soll natürlich ebenso beim DGRV bleiben wie das weite Feld der Entwicklungshilfe. Kurzum: Die Bundesverbände wie auch die Regionalverbände können mit der Arbeitsteilung sehr entspannt umgehen.

Was würde das Szenario eines einzigen genossenschaftlichen Prüfungsverbandes für die Umsetzung der EU-Abschlussprüferrichtlinie bedeuten? Müsste es dann nicht streng genommen alle drei Jahre einen Wechsel des Prüfungsverbandes hin zu einer der großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften geben?

Hintergrund für die Forderung nach Rotation der Prüfer ist immer die Frage der prüferischen Unabhängigkeit. Aus Erfahrung wissen wir, nicht zuletzt von den großen WP-Gesellschaften, dass jeder neue Prüfer erst einmal erhebliches Wissen aufbauen muss und damit ein neues Mandat in der Regel erst einmal höhere Kosten verursacht und nicht zwangsläufig bessere Prüfungsqualität bedeutet. Wir sprechen uns deshalb klar für die Erhaltung der genossenschaftlichen Pflichtprüfung aus. Gleiches gilt übrigens für den Sparkassensektor.

Der genossenschaftliche Prüfungsverband ist ebenso wie die Kollegen aus dem Sparkassensektor unabhängig, weil er als gesetzlich bestellter Prüfer Jahr für Jahr wiederkommt, ob er einen Konflikt ausgetragen hat, ob er unangenehme Prüfungsergebnisse gesagt hat oder nicht. Die geprüften Banken und Unternehmen erhalten eine offene und ehrliche, nicht honorargetriebene Antwort. Gerade in der Krise hat sich gezeigt, dass an keiner Stelle unabhängiger geprüft worden ist als in der Genossenschaftsorganisation und im Sparkassenbereich. Dieses hohe Gut sollte erhalten werden. Auch bei vielen Politikern registrieren wir diese Sicht der Dinge. Das EU-Grünbuch Abschlussprüfung geht in einer Fußnote explizit auf diesen Sachverhalt ein. Man sollte also erst einmal abwarten, wie alles kommt.

Wie könnte ein bundesweiter Prüfungsverband aufgestellt sein? Braucht man dann regionale Standorte beziehungsweise regionale Teams?

Die Frage mag kompliziert klingen, sie ist es aber gar nicht. Die großen WP-Gesellschaften haben sie jedenfalls schon lange gelöst. Sie sind mit ihren Prüfern in der Region und haben überall Niederlassungen für die Bankprüfung vor Ort. Kein Mensch käme auf die Idee, vorhandene Prüfungskapazitäten aufzulösen. Man würde lediglich bestimmte Funktionen wie Personalabteilungen, IT-Anwendungen oder Grundstücks- und Gebäudemanagement und die Grundsatzarbeit zentralisieren. Und sicher würde auch die Prüfungssystematik vereinheitlicht.

Gibt es eigentlich in der genossenschaftlichen Organisation eine spürbare Konfrontation zwischen den Anhängern des Kooperationsgedankens und den Befürwortern eines bundesweiten Prüfungsverbandes?

Die Regionalverbände hatten noch nie ein so gutes Verhältnis untereinander, und noch nie war in der Summe das Verhältnis der Regionalverbände zu den Bundesverbänden so gut. Es gibt keine weltbewegenden Differenzen und überhaupt keine persönlichen Ressentiments. Alles läuft sehr konfliktfrei.

Wenn Sie in solch bewegten Zeiten geradezu von dem Umgang miteinander schwärmen, muss es auf der menschlichen Seite passen. Sind überall die richtigen Menschen am richtigen Platz?

Auf jeden Fall passen in der genossenschaftlichen Organisation derzeit die Menschen sehr gut zueinander. Dabei ist es zum einen gewiss von Vorteil, meist in abgegrenzten Bereichen tätig zu sein. Der eine kommt dem anderen kaum ins Gehege. Zum anderen arbeiten alle Regionalverbände nach der Maxime, für ihre Mitglieder das Beste zu bewirken. Dieser klare Fokus auf die Mitglieder führt überall zu der ernsthaften Suche nach der wirklich besten Lösung. Das macht die Handlungen der anderen oft für alle verständlich, selbst wenn man in der einen odere anderen Frage andere Interessen vertritt.

Die Markt - und Wettbewerbsbedingungen für die Mitgliedsbanken werden sicher nicht einfacher. Was kann und muss ein Regionalverband an dieser Stelle leisten, um die Primärinstitute noch stärker als bisher zu unterstützen?

Die Aufgabe der Regionalverbände ist in den vergangenen zehn bis 15 Jahren deutlich anspruchsvoller geworden und geht inzwischen weit über die Funktion des Prüfungsverbandes hinaus. So muss beispielsweise auf der strategischen Seite Unterstützung angeboten werden, sei es bei der Hebung von Potenzialen durch Dienstleistungen und Konzepte, sei es durch Beratung in Kostenfragen oder einfach durch die Schaffung von Transparenz. Und auch auf der Marktseite ist Rat mehr und mehr gefragt. Der Frankfurter Verband hat beispielsweise Mitte April zur Vertriebsunterstützung eine sogenannte Markenarena veranstaltet. Renommierte Experten haben den wirksamen Einsatz der Marketingkonzepte erläutert, um damit einen zusätzlichen Schub in den Banken zu entfachen. Es sollen bundesweit 160000 Marken botschafter geschaffen werden, die zur Imagebildung für die Genossenschaften beitragen. Die Mitarbeiter sollen so quasi den genetischen Code verinnerlichen, um gezielt und in voller Überzeugung auf die Kunden zugehen zu können.

Gibt es weitere Aufgaben dieser Art?

Auch das ungeheuer schwierige Thema Demografie steht seit Jahren auf dem Programm. Denn es ist längst nicht mehr ein Randthema der nordöstlichen Bundesländer, sondern es muss bundesweit gründlich aufgegriffen werden. Die

Genossenschaftsorganisation stellt sich diesem Thema mit dem Konzept "Unsere innovative Region". Zusammen mit der Prognos AG werden dabei Landkreisstudien erstellt, in denen sehr genau analysiert wird, wie die Infrastruktur aussieht, wie es um Wissenschaft und Bildung bestellt ist, welche Wirtschaftszweige es gibt, wie die Verkehrsentwicklungspläne aussehen. Auf dieser Basis wird dann versucht, gemeinsam mit den Ortsbanken Konzepte zu entwickeln, wie diese sich in Zukunft wettbewerbsfähig in ihrer Region positionieren können. Die Ortsbanken allein werden solche Regionen nicht lebensfähig erhalten können. Aber es gibt hoffnungsvolle Ansatzpunkte, mit den Wirtschaftsunternehmen vor Ort die wichtigsten Grundaktivitäten sicherzustellen.

Fallen diese Aufgaben einem Verband mit Banken und Unternehmen als Mitglieder leichter als den reinen Bankenverbänden?

Natürlich wird in der Gruppe immer mal wieder eine Diskussion geführt, ob es richtig ist, Kreditinstitute und Wirtschaftsunternehmen in einem Verband zu vertreten. Das unterscheidet die Genossenschafts- auch von den Sparkassenverbänden. Persönlich halte ich es für eine große Stärke unserer Organisation und fühle mich gerade in den vergangenen Jahren durch die Gründungswelle bei Energiegenossenschaften absolut bestätigt. Allein in den vergangenen Jahren sind im Verbandsgebiet 115 neue Energiegenossenschaften zu verzeichnen gewesen. 30 bis 40 davon sind von Kreditgenossenschaften gegründet worden. Als Finanziers sind unsere Banken fast überall mit eingebunden. Die teilweise geäußerte Sorge, durch solche Entwicklungen eine ideologisch angehauchte Mitgliedschaft zu bekommen, ist bislang völlig unbegründet. Denn längst nehmen sich breite Bevölkerungsschichten einschließlich der Bürgermeister vieler Kommunen solcher Initiativen an. Die wichtigen Akteure in den Regionen sind stark daran interessiert, ihr Umfeld zu erhalten und für Attraktivität zu sorgen. Wenn etwa über das spannende Thema einer eigenständigen regionalen Energieversorgung im Rahmen der genossenschaftlichen Idee nachgedacht wird, kann das unserer Bankengruppe nur nützlich sein.

Gibt es auch positive Signale aus der großen Politik?

Die gibt es sehr wohl. Von Landespolitikern in Hessen wurde auf einem parlamentarischen Abend ausdrücklich Sympathie für Genossenschaften und den Genossenschaftsgedanken signalisiert. Gerade für die Privatisierung öffentlicher Aufgaben wird diese Rechtsform ausdrücklich als einfach handhabbar gelobt. Erst kürzlich wurde öffentlich diskutiert, selbst Schulen in der Rechtsform einer Genossenschaft zu führen. Es gibt also noch viele Möglichkeiten für den lebenden Organismus Genossenschaft.

In Bayern werden gemeinsame Interessen zwischen dem dortigen Sparkassen- und Genossenschaftsverband zuweilen auch gemeinsam nach draußen getragen. Was halten Sie von solcher Art der Zusammenarbeit?

Wir pflegen sehr gute Kontakte zu mehreren Sparkassenverbänden. Und es gibt auch Themen, die einen schnellen Austausch und gemeinsame Initiativen nahe legen. Insgesamt gehen wir bei solcher Art der Zusammenarbeit aber sehr selektiv vor und laufen nicht wie Zwillinge durchs Land, denn bei allen guten Kontakten gibt es stets eigene Positionen.

Besteht nicht die Gefahr, dass durch die ganze Regulatorik die Marktbearbeitung auf der Strecke bleibt?

Ohne Zweifel beanspruchen die regulato rischen Fragen und ihre Umsetzung einen enormen Anteil an der Arbeit der Banken. Insofern ist es eine wichtige Aufgabe der Regionalverbände, diese Dinge soweit auf die Belange der Ortsbank herunterzubrechen, dass sie dort greifbar und verständlich werden. An dieser Stelle müssen die Ortsbanken entlastet werden, indem zusammen mit dem BVR bestimmte Themen durch das Angebot fertiger Lösungen abgefedert werden. Die Kreditgenossenschaften brauchen Luft und genügend Freiraum für die Marktbearbeitung.

Macht Ihnen die Ertragsentwicklung Ihrer Mitgliedsbanken Sorgen? Wie schätzen Sie die Chancen und Risiken in den nächsten zwei bis drei Jahren ein?

Unsere Prognose für das laufende Jahr 2012 geht in der Summe von einem leicht rückläufigen Ergebnis gegenüber 2011 aus. Dabei fließen freilich an vielen Stellen Schätzungen ein, die mit erheblichen Unsicherheiten belastet sind und im Zweifel eher vorsichtig angesetzt wurden, etwa bei den Wertberichtigungen im Kreditgeschäft. Insgesamt besteht der Eindruck, dass die Banken von einem stabilen Jahr 2012 ausgehen und auch bei ihren Firmenkunden weiterhin solide Verhältnisse erwarten. Darauf deutet nicht zuletzt die sehr solide Einstellung des Handwerks zur Eigenkapitalausstattung hin. Viel weiter nach vorne sollte man mit konkreten Zahlen derzeit nicht schauen, dazu sind auch die Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute mit zu viel Unsicherheit belastet. Angesichts zunehmender Volatilitäten ist es aber für Banken wie Unternehmen in jedem Falle wichtig, ihre Robustheit gegenüber unerwarteten Marktentwicklungen zu stärken.

Wie beurteilen Sie die Risikoseite, speziell das Kreditrisiko?

Nach aktueller Datenlage lassen sich in allen Bereichen des Kreditgeschäftes keine dramatischen Ausfälle erkennen. Und die (mittelständischen) Unternehmen wie auch die Handwerker sprechen überwiegend von hervorragender Auslastung.

Was hören Sie auf Ihren Bezirkstagen in Sachen Konkurrenzlagen und Wettbewerb?

+
Es findet eindeutig ein heftiger Kampf um die Passivseite statt, teilweise wird am Markt mit brutal harten und teils unverständlichen Konditionen gearbeitet. Aus Sicht der Anleger registrieren wir weiterhin eine starke Verunsicherung, aber noch immer - einen zu geringen Stellenwert für das Thema Sicherheit der Anlagen. Das macht zusammen mit den regulatorischen Vorgaben und den Vorschriften zum Anlegerschutz die Beratung derzeit ungeheuer schwer.

Stichwort Provisionseinnahmen: Zahlen die Verbundunternehmen genug Provisionen, und ist eine weitere Steigerung in Zeiten hoher Regulierung und Zwang zur Gewinnthesaurierung noch der richtige Ansatz?

Diese Frage provoziert geradezu unterschiedliche Antworten. Aber sie muss in dem größeren Zusammenhang des Dreiklangs aus Provisionen, Dividenden und Beteiligungswerten gesehen werden. Und in dieser Hinsicht haben die Verbundunternehmen in den vergangenen Jahren gute Bewegungen gemacht und den Bedarf bei den Kreditgenossenschaften durchaus gesehen. Bei allen Interessenunterschieden zwischen Primärbanken und Verbundunternehmen wurde an dieser Stelle eine gute Austarierung gefunden. Die Ortsbanken haben sehr wohl nicht nur die eigene Ertragslage im Blick, sondern auch die Eigenkapital- und Wachstumserfordernisse der Verbundunternehmen.

Sollte oder kann sich die Primärstufe stärker an den Verbundunternehmen beteiligen? Stimmt das Verhältnis? Braucht die Primärstufe mehr Einfluss?

Das lässt sich nicht generell beantworten und hängt auch immer von den Möglichkeiten vor Ort ab. Aber der Grad der Beteiligung der einzelnen Kreditgenossenschaften am Finanzverbund läuft relativ weit auseinander. Wenn diese Spreizung kleiner würde, dürfte das einen zusätzlichen Nutzen für die gesamte Gruppe bringen.

Was halten Sie von einer Bündelung der Interessen der großen Genossenschaftsbanken?

Dieses Thema wird überinterpretiert. Dass sowohl die größeren als auch die kleineren Kreditgenossenschaften das Bedürfnis haben, ihrem Gewicht entsprechend in den Gremien mitzusprechen, ist grundsätzlich positiv. Es zeigt den Wunsch nach aktiver Mitarbeit im Verbund. Die angelegten Kriterien sind höchst unterschiedlich. Der eine hat mehr Mitglieder, der andere vertritt einen höheren relativen Marktanteil. Der eine will mehr auf die Mitgliederanzahl schauen, der andere hält das Prinzip "eine Genossenschaft - eine Stimme" hoch. Diese Diskussion müssen wir offen führen und Wege finden, die Interessen zu kanalisieren. Aber das alles ist ein Ringen um die bessere Lösung, keine Infragestellung des Ganzen.

Persönlich werbe ich sehr für eine Bewegung zum Konsens. Darauf baut die Genossenschaftsorganisation auf. Es ist immer gelungen, einstimmig oder nahezu einstimmig gemeinsame Entscheidungen zu fällen und dann auch dazuzustehen. Nur dann sind wir gut, nur dann kommen wir als Gruppe voran.

Wäre der genossenschaftliche Verbund im Ernstfall stark genug, eine Kapitalerhöhung für die DZ Bank zu stemmen?

Sollte das notwendig sein, wird die genossenschaftliche Gruppe dieses Thema angehen und lösen.

Findet der Finanzverbund noch genügend qualifiziertes Personal für Führungsaufgaben? Und welche Rolle kommt dabei dem Regionalverband und den Verbundunternehmen zu?

Der berühmte Kampf um die Talente ist da und für unsere Banken wie auch für den Prüfungsverband spürbar. Wir stecken viel Kraft in die Ausbildung der eigenen Leute.

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