Interview

Redaktionsgespräch mit Klaus-Peter Müller - "Erfolgreich und immer noch eigenständig"

Über 40 Jahre stand Klaus-Peter Müller im Dienste der Commerzbank. Ob als Leiter der Filiale Düsseldorf und der Niederlassung New York, Leiter der Zentralen Abteilung für Firmenkunden, als Vorstandsmitglied oder als Vorstandvorsitzender stets war er dem gelben Haus im Besonderen und der deutschen Financial Community im Allgemeinen eng verbunden. Sein Rückblick fällt zufrieden aus: Der Zeitpunkt für seinen Abschied sei plangemäß und gut, denn der Wandel der Commerzbank vom ewigen Übernahmekandidaten zur Nummer zwei der heimischen Bankenszene gebe Anlass für Stolz und Selbstbewusstsein. Den Abschied vom Hausbank-Prinzip hat er ebenso mitgemacht wie den Wandel hin zu einer (zu) starken Share-holder-Value-Orientierung. Was dem noch amtierenden Bankenpräsidenten in seiner aktiven Zeit versagt blieb, ist die Neuordnung der deutschen Bankenlandschaft - zum Glück, sagen die einen, leider die anderen. (Red.)

Herr Müller, Sie ziehen sich mit der Hauptversammlung im Mai dieses Jahres aus dem aktiven Dienst zurück in den Aufsichtsrat: Ist der Zeitpunkt nicht nur plangemäß, sondern auch ein guter?

Der Zeitpunkt meiner Kandidatur für den Aufsichtsrat ist plangemäß - schließlich haben wir diese Entscheidung schon im Verlauf des vergangenen Jahres gemeinsam getroffen. Und es ist ein guter, denn unser Haus ist gut aufgestellt. Es gibt aber wahrscheinlich nie "den" richtigen Zeitpunkt für solch eine Entscheidung.

Wenn Sie auf Ihre Tätigkeit im Hause Commerzbank - immerhin über 40 Jahre - zurückblicken: Was waren persönliche Highlights, was empfanden Sie als Niederlagen?

Ein Highlight war ganz klar die Übernahme der Eurohypo im Jahr 2005 - damit haben wir den Markt überrascht und gezeigt, dass mit der Commerzbank wieder zu rechnen ist. Auch an den Aufbau unseres Filialnetzes in Ostdeutschland Anfang der neunziger Jahre denke ich sehr gerne zurück. Eine besondere Herausforderung in meiner Amtszeit war sicherlich die Bewältigung der Ertragskrise der Bank in den Jahren 2002/03, als unser Aktienkurs teilweise auf weniger als sechs Euro absackte.

Als Niederlage nicht nur für uns, aber für die gesamte Branche empfinde ich, dass wir es noch immer nicht geschafft haben, das starre dreigliedrige Bankensystem zu reformieren. Für die globale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Institute wäre dies dringend geboten. Als besonders schlimm habe ich die Notwendigkeit zum Abbau von mehr als 7 000 Arbeitsplätzen zu Beginn dieses Jahrzehnts empfunden. Was würden Sie im Rückblick heute anders machen als Sie es damals gemacht haben?

Ich hätte einige personelle Veränderungen früher vornehmen müssen.

Wenn Sie eine Bilanz als Vorstandssprecher dieses Hauses ziehen müssten, wie würde die aussehen?

Gemeinsam mit einem jungen Vorstandsteam haben wir es geschafft, die Commerzbank wieder nachhaltig profitabel zu machen. Wir haben auch die Eigenständigkeit der Bank trotz aller Spekulationen bewahrt und sind zum zweitgrößten deutschen Kreditinstitut aufgestiegen. Darauf können alle Mitarbeiter der Commerzbank stolz sein.

Was hat sich im Bankendeutschland in den vergangenen 40 Jahren verändert?

Die Komplexität im Banking hat sich dramatisch erhöht. Es werden mehr und schnellere Entscheidungen verlangt. Zudem befinden sich Banken heute in einem knallharten globalen Wettbewerb, was in den sechziger Jahren in diesem Maß noch nicht der Fall war. Heute hat der Share-holder-Value-Gedanke eine ganz andere Bedeutung, was manchen Marktteilnehmer offenbar zu einer überhöhten Risikobereitschaft verleitet hat.

Wie beurteilen Sie die Position der Commerzbank heute - im Wettbewerb mit deutschen wie auch mit europäischen oder sogar internationalen Instituten?

Durch klare Fokussierung auf Kerngeschäftsfelder und striktes Kostenmanagement ist die Commerzbank in Deutschland und Europa heute gut aufgestellt. Im Geschäft mit dem Mittelstand und mit Privat- und Geschäftskunden erwirtschaften wir stabile und hohe Erträge, was in der derzeitigen Finanzkrise besonders willkommen ist. Zudem hat sich unser Geschäft in Mittel- und Osteuropa zu einem zweiten strategischen Standbein entwickelt.

Im internationalen Wettbewerb sind wir ohne Zweifel nicht groß genug, um ganz vorne mitzuspielen. Ich wiederhole mich hier ungerne. Aber um dies zu ändern, brauchen unsere Politiker den Mut, das deutsche Bankensystem zu modernisieren. Nur dann können wir auch international konkurrenzfähig sein.

Was sind Stärken, wo sehen Sie noch Schwächen der Commerzbank?

Eines vorneweg: Die Commerzbank hat ein dynamisches und sehr engagiertes Führungsteam, kompetente und motivierte Mitarbeiter und eine sehr gute Unternehmenskultur. Das ist unsere große Stärke.

Eine weitere liegt ganz klar in unserem ausgewogenen Geschäftsmodell mit starken operativen Einheiten, die über einen gesamten Konjunkturzyklus stabile Erträge erwirtschaften. Auch die zunehmende Verzahnung der einzelnen Segmente zeichnet die Commerzbank aus, so ist zum Beispiel unser Privatkundengeschäft eine wichtige Vertriebsplattform für Produkte, die im Investmentbanking entwickelt werden.

Doch natürlich gibt es auch Baustellen. Zurzeit arbeiten wir mit Hochdruck daran, unser Geschäftsmodell in der Staatsfinanzierung zukunftsfähig zu machen. Auch möchten wir im zersplitterten deutschen Privatkundenmarkt unseren Marktanteil deutlich erhöhen.

Die Commerzbank tritt heute sehr viel lauter und aggressiver im Markt auf - das ist doch das Zeichen eines neuen Selbstbewusstseins, oder? Warum wird sie vor allem von den Medien dennoch immer wieder als Übernahmekandidat gehandelt?

Ich würde unseren Außenauftritt nicht als laut und aggressiv bezeichnen. Aber wir sind präsent. Wir sind uns unserer Stärken bewusst und tragen dieses Selbstbewusstsein heute stärker nach außen als vielleicht noch vor ein paar Jahren. Dieses Standing haben wir uns hart erarbeitet.

Ein Übernahmekandidat waren wir angeblich schon vor rund 40 Jahren, als ich bei der Bank angefangen habe. Damals war Kurt Georg Kiesinger Kanzler und Uwe Seeler spielte in der Nationalelf. Heute regiert Frau Merkel und Michael Ballack schießt die Tore für Deutschland - und die Commerzbank ist eine von zwei großen deutschen Banken, erfolgreich und immer noch eigenständig.

Es heißt immer, die deutschen Banken würden dem internationalen Wettbewerb hinterherlaufen, ist diese Einschätzung richtig? Muss man wirklich alles immer nur an der Eigenkapitalrendite messen?

Wir arbeiten mit dem Geld unserer Aktionäre, und diese verlangen eine wettbewerbsfähige Rendite für ihr Kapital. Daher ist die Eigenkapitalrendite eine ganz wichtige Kennziffer, um Unternehmen zu vergleichen, aber eben nicht die Einzige. Die derzeitige Finanzkrise zeigt eines ganz deutlich: überdurchschnittliche Eigenkapitalrenditen erreichen wir nur durch ein entsprechend höheres Risiko, was bei einigen Marktteilnehmern ins Auge gegangen ist. Hier das richtige Maß zu finden, ist für Banken eine der zentralen Aufgaben der Zukunft.

Wie wird sich dieser Wettbewerb in den kommenden Monaten verändern? Wird es Ihrer Einschätzung nach zu weiteren Konsolidierungsbewegungen kommen - national wie grenzüberschreitend?

Auch in Deutschland wird die Konsolidierung kommen, weil der Druck auf alle Institute immer stärker wird. Es gibt hier die unterschiedlichsten Szenarien, die denkbar sind. Einen Zeitrahmen hierfür abzustecken, ähnelt aber dem Blick in die Glaskugel. Die Commerzbank ist jedenfalls gut gerüstet, um in einem solchen Prozess eine aktive und gestaltende Rolle einzunehmen.

Ist der öffentlich-rechtliche Sektor in Deutschland reformfähig?

Reformfähig ja, reformwillig nein. Hat die Bedeutung der deutschen Großbanken für Deutschland in den vergangenen 40 Jahren zu- oder abgenommen?

Die Rolle der deutschen Großbanken hat sich geändert. Vor 40 Jahren dominierte das Hausbankprinzip. Man überließ seine Finanzgeschäfte oft einem einzigen Institut. Heute sind die Kunden flexibler - ob Privat- oder Firmenkunden. Man entscheidet sich pragmatisch für das Institut, das für die eigenen finanziellen Belange die beste Lösung bietet. Hinzu kommt, dass immer mehr ausländische Banken auf dem deutschen Markt Fuß gefasst haben. Die Alternativen für den Einzelnen sind also größer geworden.

Wenn Sie sich den amerikanischen Markt derzeit anschauen, überrascht Sie was Sie sehen? Sie kennen diesen Markt aus vielen Jahren New York sehr gut.

Ja, das stimmt. Ich war von 1982 bis Anfang 1987 der Leiter unseres Nordamerika-Geschäfts. Bei amerikanischen Banken ist der Risikoappetit traditionell ausgeprägter als bei kontinentaleuropäischen Instituten. Auch die große Mehrheit der Finanzinnovationen der letzten Jahrzehnte - vor allem im Kapitalmarktgeschäft - stammt aus den USA. Von daher kann es nicht überraschen, dass vor allem US-Institute besonders stark in den nun unter Druck geratenen Papieren engagiert sind, zumal ja die Krise ihren Ursprung im amerikanischen Immobilienmarkt hat. Das Ausmaß und die Dauer dieser Krise hat aber alle überrascht, selbst alte Hasen wie mich.

Welche Reform, welche Veränderung hätte der Banker Müller in seiner Amtszeit gerne noch erlebt?

Ich habe mich immer deutlich dafür ausgesprochen, mehr Flexibilität in das deutsche Bankensystem zu bringen. Das eine oder andere Mal habe ich sogar einen Hoffnungsschimmer gesehen - Stadtsparkasse Stralsund, Sparkasse Frankfurt und Landesbank Berlin sind hier die Stichworte.

Die aktuellen Finanzmarktturbulenzen haben uns wieder einmal die Schwächen des deutschen Finanzsystems vor Augen geführt, dass es bei uns einfach zu wenige Banken mit tragfähigem Geschäftsmodell gibt. Wir müssen uns jetzt schleunigst von alten, festgefahrenen Denkmodellen und Verhaltensweisen verabschieden. Krise heißt ja immer auch Chance. Und die müssen wir jetzt nutzen - zu einer Neuordnung der deutschen Bankenlandschaft im Interesse unserer Volkswirtschaft. Unser Land ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt und hat einen Anspruch auf ein erstklassiges Bankensystem.

Wie wichtig ist das Zusammenspiel zwischen Aufsichtsrats- und Vorstandschef? Wie tief sollte der Aufsichtsratschef dem Institut verbunden sein?

Aufsichtsrats- und Vorstandschef sollten auf alle Fälle die gleiche Sprache sprechen. Wichtig ist, dass der Vorstandschef die Zügel in der Hand hält und das Sprachrohr der Bank nach außen ist, während der Aufsichtsratsvorsitzende überwacht und berät. Herr Kohlhaussen und ich haben uns hier in den vergangenen Jahren gut ergänzt. Ganz wichtig ist, und das zeigt gerade die aktuelle Krise, dass der Aufsichtsratschef sein Unternehmen und dessen Geschäftsmodell im Detail versteht und die richtigen Fragen stellt.

Mit Ihnen verliert die Financial Community wieder einen der echten "Typen": Ist die nachfolgende Generation angepasster oder vielleicht sogar austauschbarer geworden? Fehlen hier die Ecken und Kanten?

Jede Generation "produziert" ihre Typen. Da bin ich ganz zuversichtlich.

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