Aufsätze

Privatisierung und Finanzintermediation (I) - die europäische Perspektive

Es besteht eine hohe Übereinstimmung darüber, dass Deutschland im Vergleich zu manch anderen "alten" EU-Ländern (EU-15) schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg in der Wiederaufbauphase begonnen hat, das Bankensystem und den Kapitalverkehr zu liberalisieren und zu deregulieren, um den Marktkräften im Rahmen einer auf den Wettbewerb ausgerichteten marktwirtschaftlichen Ordnung zum Durchbruch zu verhelfen. In den siebziger und achtziger Jahren gehörte Deutschland sogar zu den Vorreitern der Kapitalmarktliberalisierung in Europa. Schon sehr früh schaffte es institutsgruppenbezogene Beschränkungen des Bankengeschäfts weitgehend ab.

Entwicklungstendenzen im Europäischen Finanzmarkt

Kennzeichnend für die Entwicklung in diesen Jahren war, dass der deutsche Finanzmarkt - wie auch die meisten anderen nationalen Finanzmärkte in Westeuropa, wenngleich phasenversetzt - im Zuge der europäischen Integrationsbewegung bewusst geöffnet wurde, um die Schaffung eines integrierten europäischen Finanzmarktes zu ermöglichen. Der Prozess der wirtschaftlichen und rechtlichen Konvergenz und der institutionellen Reformen wurde zum einen durch die Rechtsangleichung mittels europäischer Richtlinien vorangetrieben, die von den EG/EU-Mitgliedstaaten sukzessive in nationale Rechtsnormen und in die Praxis der Finanzaufsicht umgesetzt wurden. Für die Gesamtheit aller europäischen Normen und Verfahrenspraktiken hat sich der Begriff des Acquis Communautaire eingebürgert, der für alle Mitgliedstaaten verbindlich ist.

Zum anderen wurde diese Entwicklung aber auch von der Marktdynamik beeinflusst. Diese wird geprägt durch eine Fülle von Finanzinnovationen auf der Basis der neuen digitalen Informationstechnik und von einer rasanten Zunahme grenzüberschreitender Finanztransaktionen.1)

Öffnung der EU nach Mittel- und Osteuropa

Der Trend zur wirtschaftlichen und rechtlichen Konvergenz und Harmonisierung in Europa hat sich nach der weltpolitischen Wende in 1989 (oder kurz danach) geografisch verbreitert und verstärkt. Nach einem längeren Prozess der Annäherung und Anpassung, begleitet von krisenhaften Umbrüchen in den Finanzstrukturen, wurden neben Zypern und Malta bis jetzt zehn mittel- und osteuropäische Transformationsländer in die EU aufgenommen (EU-25 ab Mai 2004 und EU-27 ab Januar 2007). In den neuen EU-Ländern wurden die aus der früheren Staatsbank ausgegliederten Geschäftsbanken beziehungsweise einige der bereits vorher verselbstständigten staatlichen Spezialbanken kapitalisiert, restrukturiert, konsolidiert und mit Hilfe von ausländischen Finanzinstituten aus den alten (westeuropäischen) EU-Ländern weitgehend privatisiert. Dies gilt nicht zuletzt auch für jene Institute, die als staatliche Sparkassen die Spargelder breiter Bevölkerungskreise eingesammelt und diese gemäß Plan überwiegend zur Finanzierung des Staatshaushalts zur Verfügung gestellt hatten, und die nunmehr, nach der Wende, als neue Universalbanken Kredite in erster Linie an kleine und mittlere Unternehmen sowie an Privathaushalte vergeben.2)

Heute, fast zwei Jahrzehnte nach der großen Wende, ist in den neuen EU-Ländern der strukturelle Anpassungsprozess im Bankensektor fast abgeschlossen. Darüber hinaus gilt diese Aussage auch für einige weitere Länder in Südosteuropa, das heißt für die westlichen Balkanländer, die erst nach längerer Vorbereitungszeit darauf hoffen können, einmal Vollmitglied der EU zu werden.3)

Aufholprozess bei der Finanzintermediation

Der erreichte Status ist aus westeuropäischer Bankenperspektive in zweifacher Hinsicht bemerkenswert. Auf der einen Seite ist das Niveau der Finanzintermediation durch Banken, gemessen an den ausstehenden Bankkrediten an dem privaten Sektor im prozentualen Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), erst von 26 Prozent in 2000 auf 42 Prozent in 2005 gestiegen. Auf der anderen Seite wurden die heimischen Banken in erster Linie mit Hilfe von Mehrheitsbeteiligungen ausländischer Kreditinstitute privatisiert.

Das erreichte Intermediationsniveau ist niedrig, obwohl die Jahreszuwachsraten der privaten Bankkredite beachtliche zweistellige Größenordnungen erreichten. Seitdem sind sie weiter überproportional gewachsen. Von einigen nationalen Zentralbanken und Aufsichtsbehörden sowie von der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau (EBW beziehungsweise EBRD) wird dies mittlerweile mit einer gewissen Sorge über eingegangene Kredit- und Marktrisiken kommentiert. Überdies ist ein steigender Anteil der Kredite in den EU-Ländern, die noch nicht der Europäischen Währungsunion (EWU) angehören4), in fremder Währung denominiert, ganz überwiegend in Euro.

"Finanzielle Vertiefung"

Die 2005 erreichte "finanzielle Vertiefung" entsprach in etwa der Hälfte des in der gesamten EU erreichten Niveaus von 86 Prozent am BIP. Dementsprechend kommt die EBW in ihrem jüngsten Transition Report (November 2006) zum Schluss: "Although financial markets in general and credit markets in particular remain underdeveloped in many transition countries, there has been a clear improvement over the past five years. However, rapid growth in credit in recent years in BG, HU and the Baltic States has raised concerns over stability and risk-taking. High growth rates in credit in transition countries, even if welcome in terms of long-term development, can trigger serious financial and balance of payments problems."5)

Es ist von überragender Bedeutung, dass die Bankensysteme in den neuen EU-Ländern im Endeffekt weitgehend über Mehrheitsbeteiligungen ausländischer Kreditinstitute in den Gastländern privatisiert wurden. Dies geschah entweder über eine strategische Beteiligung am Eigenkapital zuvor sanierter Institute, oder mittels der Gründung neuer Tochterinstitute, das heißt "Direktinvestitionen auf dem grünen Feld", oder auch durch den Aufbau neuer Einzelfilialen und Filialketten.

Charakteristisch ist ferner, dass die ausländischen Institute - die in der großen Mehrheit in den alten EU-Ländern beheimatet sind - sich keineswegs auf den Erwerb von Spezialinstituten, die Gründung einiger weniger Filialen in den Großstädten, die Vergabe von größeren Firmenkrediten oder auf den Absatz von Investmentprodukten beschränkt haben. Vielmehr haben sich die ausländischen Institute, von Ausnahmen abgesehen, gerade an den führenden Retailinstituten beteiligt. Etliche Auslandsbanken sind flächendeckend im Gastland vertreten. Darauf haben im Endeffekt sowohl die Behörden der Gastländer mit ihrer Privatisierungsstrategie großen Wert gelegt als auch die ausländischen Banken, die dementsprechend ihre Geschäftsmodelle erweitert und im europäischen Kontext angepasst haben.

EBW als Pionierinstitution

Eine sehr einflussreiche und katalytische Rolle in diesem Privatisierungsprozess hat die in London ansässige EBW gespielt. Schon in der Frühphase dieses Prozesses begann die EBW, nach sorgfältiger Prüfung und technischer Beratung nicht-strategische Beteiligungen an lokalen Banken zu erwerben mit der Absicht, diese mittelfristig an private Anleger wieder zu veräußern: sei es an ausländische Kreditinstitute als strategische Investoren, sei es in einigen Fällen auch an eine Vielzahl von in- und ausländischen Anlegern im Rahmen eines IPO.

In vielen Fällen hat die EBW dabei als Pionierinstitution nicht nur mit den zuständigen Behörden des Gastlandes zusammengearbeitet, sondern auch mit anderen internationalen (multilateralen) und ausländischen (bilateralen) Finanzinstitutionen, beispielsweise mit der IFC/Welt-bank-Gruppe, der EIB oder der deutschen KfW-Gruppe sowie mit internationalen Geschäftsbanken. Aufgrund ihres Ansehens, ihrer professionellen Expertise und ihrer neutralen Haltung ist die EBW oft die erste ausländische Finanzinstitution gewesen, die zu einem "Due-Diligence-Test" eingeladen wurde.

Grenzüberschreitende Kapitalverflechtung und ...

Ende 2005 waren im Schnitt etwa 78 Prozent der Bankaktiva in den neuen EWU-Ländern in der Hand ausländischer Institute.6) Diese Kennzahl liegt etwa dreimal höher als im gesamten Eurogebiet (25 Prozent) und siebenmal höher als in der Bundesrepublik Deutschland (elf Prozent)7), wo M&A-Transaktionen immer noch ganz überwiegend innerhalb eines Landes oder oft sogar nur innerhalb einzelner Gruppen des Bankensektors eines Landes stattfinden.

Eine ganze Reihe nationaler Kennzahlen liegt deutlich oberhalb der Durchschnittskennzahl, nämlich EE (99 Prozent), SK (98 Prozent), HR (91 Prozent)8), RO (88 Prozent), LT (86 Prozent), CZ (85 Prozent) und HU (84 Prozent). Vier Länder bleiben nur wenig darunter: nämlich BG (76 Prozent), Polen - mit dem weitaus größten Bankensektor in dieser Gruppe - (PL, 76 Prozent), Lettland (LV, 58 Prozent) wo die Parex Bank, die drittgrößte des Landes mit mehrheitlich einheimischem Privatkapital, einen Marktanteil von 17 Prozent besitzt, und schließlich Slowenien (SI, 19 Prozent). In dem neuen EWU-Land liegt die Mehrheit des Eigenkapitals des Marktführers Nova Ljubljanska banka (mit einem Marktanteil von 31 Prozent) beim Staat, während die belgische KBC einen Minderheitsanteil hält. Würde man jedoch Letzteren zum Ausländeranteil hinzurechnen, läge dieser immerhin bei 36 Prozent.

Aus Sicht der Europäischen Zentralbank hat sich die Beteiligung ausländischer Banken sehr positiv auf die Entwicklung der Bankensysteme in den neuen EU-Ländern ausgewirkt: "(Overall), foreign ownership is beneficial for the banking systems of (former) transition countries since it involves a transfer of technology and human capital which increases the operational capacity of local banks. In particular, foreign ownership is widely believed to have contributed to an improvement of the risk profile, reputation and risk management of local banks and hence to financial stability in NMSs and a convergence with western standards".9)

... direkte Kreditvergabe

Die grenzüberschreitende Kapitalverflechtung hat überdies die direkte (grenzüberschreitende) Kreditvergabe seitens der Banken der EU-15-Länder stark gefördert, was von vielen Marktbeobachtern - da in manchen nationalen Kreditstatistiken nicht gesondert ausgewiesen - zu Unrecht übersehen oder vernachlässigt wird. Dabei handelt es sich entweder um Direktkredite an lokale Endkreditnehmer oder um die Refinanzierung lokaler Tochterinstitute durch die Mutterbanken. Über beide Kanäle hat die Kreditfinanzierung in den letzten Jahren sprungartig zugenommen. Etwa zwei Drittel solcher Kredite stammen von international tätigen Banken, deren Sitz in AT, BE, DE and IT liegt.10)

Konzentration und Wettbewerb

Die Konzentration im Bankensektor, gemessen an dem aggregierten Marktanteil der fünf größten Banken (CR5-Koeffizient) in den neuen EU-Ländern, liegt vergleichsweise hoch.1) Bei einem Durchschnittssatz von 72 Prozent variierte sie 2003 zwischen 52 Prozent und 98 Prozent, verglichen mit durchschnittlich rund 52 Prozent in den EU-15-Ländern, 43 Prozent im Euro-Raum (einschließlich Deutschland) und 22 Prozent in Deutschland. Die Liste der in Mittel- und Osteuropa tätigen Banken ist lang, aber die Zahl internationaler (europäischer) Banken, die die Märkte in bezug auf Bankaktiva, finanzielle Durchdringung der Finanzmärkte und Finanzinnovationen dominieren, ist begrenzt. Eine herausragende Rolle spielen:

- die Uni-Credit-Gruppe (IT), die nach der Übernahme der deutschen HVB ihr Bankengeschäft in Mittel- und Osteuropa weitgehend über die Bank Austria-Creditanstalt (AT) in Wien steuert;

- die privatrechtlich organisierte und an den Börsen in Wien und Prag vertretene Erste Bank-Gruppe (AT), die das Bankengeschäft der österreichischen Sparkassen und einiger großer Nationalsparkassen in den neuen EU-Ländern bündelt;

- die KBC (BE);

- die Raiffeisen International (RI), die börsennotierte Osteuropa-Holding der Raiffeisen Zentralbank Österreich (AT) mit einer Bilanzsumme von 56 Milliarden Euro, die in Mittel- und Osteuropa flächendeckend auch außerhalb der EU stark vertreten ist; RZB-Gruppe 116 Milliarden Euro (2006);

- die Société Générale-Gruppe (FR);

- die Intesa-Gruppe (IT);

- die ungarische OTP-Gruppe (HU), deren Eigenkapital mehrheitlich bei ausländischen Kapitaleignern liegt; und

- die US-amerikanische Citigroup.

Bemerkenswert ist - im Gegensatz zu dem, was man zunächst annehmen könnte -, dass die Indikatoren für Marktkonzentration (CR5) und Wettbewerbsintensität (Nettozinsmargen) negativ miteinander korrelliert sind, das heißt die Zinsmargen sind am niedrigsten in den vergleichsweise kleinen und stark konzentrierten Märkten und am höchsten in den weniger konzentrierten Märkten.

Nach Ansicht der EZB deutet dies darauf hin, dass insbesondere die kleineren Bankenmärkte in den neuen EU-Ländern noch stärker als die größeren in die europäischen Finanzmärkte integriert sind und nicht mehr nur als isolierte nationale Märkte analysiert werden dürfen. Diese Aussage gilt sogar auch für die Retailmärkte, obwohl auf den Finanzmärkten in den neuen EU-Ländern, mit Ausnahme von Slowenien, der Euro noch nicht offiziell eingeführt worden ist.12)

Reformen in den alten EU-Ländern

In den alten EU-Ländern (EU-15) ist die Entwicklung auf den nationalen Bankenmärkten in den letzten knapp zwei Jahrzehnten keineswegs stehen geblieben. Neben der beständigen Fortentwicklung des "Acquis Communautaire" im Sinne einer stärkeren Harmonisierung der gesetzlichen, institutionellen und organisatorischen Rahmenbedingungen für die europäischen Finanzmärkte, und der höheren Intensität des grenzüberschreitenden Wettbewerbs auf den Märkten, hat sich in den letzten Jahren die Einführung des Euro als Gemeinschaftswährung als stärkster Konvergenzfaktor in vielen Marktbereichen erwiesen.

Wie im Maastrichtvertrag von 1992 vereinbart, wurden die Euro-Währung und die einheitliche Geldpolitik zum 1. Januar 1999 eingeführt.13) Zwar sind von den 15 alten EU-Ländern bisher nur zwölf auch Mitglieder der Europäischen Währungsunion geworden, während die drei übrigen Mitglieder (DK, SE, UK) weiterhin die vertraglich vereinbarte Derogationsklausel in Anspruch nehmen.

Niemand wird heute jedoch bezweifeln, dass die neue Einheitswährung noch viel stärker als zuvor die D-Mark zur entscheidenden Anker- und Referenzwährung in Europa aufgestiegen ist. Über einen verstärkten Wettbewerb auf nationaler wie europäischer Ebene hat der Euro die Tendenz zu strukturellen Anpassungen im Finanzsektor aller EWU-Mitgliedsländer und darüber hinaus in den übrigen EU-Ländern beschleunigt.

Weiterentwicklung der Bankensysteme in Westeuropa

Gleichwohl zeichnen nationale Beharrungskräfte dafür verantwortlich, dass sich die nationalen Bankenstrukturen seit Anfang der neunziger Jahre trotz ähnlicher Ausgangsbedingungen durchaus unterschiedlich entwickelt haben. Dies gilt insbesondere für den Bereich des öffentlichrechtlichen Segments des Bankensektors und für die Genossenschaftsbanken.

Die gesetzlichen Reformschritte in den alten EU-Ländern seit den frühen neunziger Jahren ziehen die Konsequenzen aus dem grundlegenden Wandel, der allmählich in den Geschäftsmodellen vieler Kreditinstitutsgruppen seit dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere seit dem Liberalisierungs- und Deregulierungsschub in den siebziger und achtziger Jahren eingetreten ist.14) Die segmentierte Aufgabenteilung unter den Kreditinstituten unterlag einem stufenweisen Erosionsprozess, und zwar je nach ihren historischen Ursprüngen, den gewählten beziehungsweise durch die nationalen Rechtsordnungen vorgeschriebenen Rechtsformen, den ursprünglichen Fristigkeiten der Bankaktiva und -passiva, der innovativen Fortentwicklung der Finanzinstrumente, ausgerichtet auf die eingegangenen Markt- und Kreditrisiken ob bilanzwirksam oder nicht -, sowie nach genau umrissenen Kundenzielgruppen oder lokalen/regionalen Abgrenzungen.

In Deutschland sind die öffentlich-rechtlichen Sparkassen und Landesbanken sowie die privatrechtlichen Genossenschaftsbanken im Verbund mit genossenschaftlichen Zentralbanken und Spezialinstituten in das Groß- und Firmenkundengeschäft eingestiegen und bieten im Vertrieb vermehrt auch Investmentprodukte an. Die privaten Banken haben dagegen ihre Angebote im Retail-Bereich ausgeweitet.

Allerdings sind die politischen Diskussionen in allen Institutsgruppen und der akademische Diskurs über die angemessene und konsequente Fortentwicklung der Profile der Geschäftsmodelle in bezug auf die anzustrebenden Skaleneffekte, die Diversifizierung der (Kern-)Geschäftsfelder sowie die optimale Aufgabenteilung zwischen Produktion und Vertrieb von Finanzprodukten und die Abwicklung von Finanztransaktionen (Economies of scale and scope) nie verstummt.

Auf dem europäischen Kontinent ist die rechtlich und organisatorisch gegliederte Universalbank unterschiedlicher Größe zum vorherrschenden Leitbild geworden. Man spricht von "bankbasierten" oder "bankenorientierten" Finanzierungssystemen, im Gegensatz zum angelsächsischen Leitbild "kapitalbasierter" oder "kapitalmarktorientierter" Finanzierungssysteme. Die Tatsache, dass in Deutschland die öffentlichen Kreditinstitute15) eine sehr große Rolle spielen, hat der Diskussion über die beiden Finanzierungssysteme immer eine besondere Note gegeben.

Qualität in der Bereitstellung von Finanzdienstleistungsprodukten

Allerdings hat sich auch hier der in den früheren Jahren so heftige transatlantische Dialog - mikroökonomisch über Effizienzen und makroökonomisch über Wachstumswirkungen und Stabilität der unterschiedlichen Finanzierungssysteme - mittlerweile durchaus entschärft. "Worauf es ankommt, ist also weniger die Frage nach Banken versus Kapitalmarkt, sondern die Frage der Qualität in der Bereitstellung von Finanzdienstleistungsprodukten in beiden Ausprägungen von Finanzsystemen".16)

Finanzmärkte und Intermediäre sind Komplemente und keine Substitute, da der Zugang der Kunden zu den Kapitalmärkten in Deutschland in der Regel über Banken verläuft. Die Banken verdienen im Investmentbanking mehr durch Provisionen als durch Nettozinsmargen. In vielen Fällen übernehmen sie bei nicht-bilanzwirksamen bestimmte Risiken, für längere wie für sehr kurze Fristen. Ferner erfolgt die Konditionengestaltung auch bei den bilanzwirksamen Aktiv- und -passivgeschäften noch viel stärker als früher in enger Anlehnung an die Markttendenzen (Benchmarking), sowohl im Eigen- wie im Kundengeschäft. Im sehr kurzfristigen Geldmarktbereich werden die Markttendenzen durch eine marktkonforme Zins- und Liquiditätspolitik der (Europäischen) Zentralbank gesteuert.

Auch traditionell ausgerichtete und öf-fentlich-rechtliche Universalbankinstitute werden durch den Marktwettbewerb und die Vorgaben der staatlichen Bankenaufsicht gezwungen, stärker als zuvor ein maßgeschneidertes und vorausschauendes Aktiv- und Passivmanagement (ALM)17) zu betreiben.

Gesetzliche Reformschritte im westeuropäischen Ausland

Die gesetzlichen Reformschritte bei öffentlichen Kreditinstituten in den alten EU-Ländern sind einerseits stark durch die jeweiligen landesspezifischen Eigenarten geprägt. Sie können hier nicht alle im Einzelnen dargelegt werden. Andererseits ist deutlich eine gemeinsame Linie zu erkennen. Der direkte Einfluss des Staates ist überall zurückgedrängt worden, und zwar unabhängig davon, ob der Staat als Eigentümer und direkt eingreifender Kontrolleur auf der nationalen Ebene, auf Landes- und Provinzebenen oder im lokalen und regionalen Kommunalbereich tätig gewesen ist.

Ausschlaggebend für Änderungen in der rechtlichen Struktur des staatlichen Bankensektors war auch nicht, ob die früheren Strukturen einmal historisch durch Marktversagen in der Frühphase beginnender Geldwirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert begründbar waren; oder ob sie als Ausdruck sozialistischer Wirtschaftssteuerungspolitik das Resultat einmaliger Verstaatlichungen in Krisenzeiten waren; oder ob sie einem sozialstaatlichen Konzept umfassender "Daseinsvorsorge für den Bürger" (Forsthoff) entsprachen. Ganz überwiegend wurde der frühere staatliche Bankensektor in private Rechtsformen (einschließlich privater Stiftungen und Genossenschaften) überführt. Es entstanden echte Geschäftsbanken mit Universalbankcharakter, die sich nach dem Wegfall regionaler und produktbezogener Geschäftsbegrenzungen dem Wettbewerb gestellt haben.

Übrig geblieben sind einige meist große öffentliche Finanzinstitute mit Sonderaufgaben auf nationaler und regionaler Ebene. Hinzugekommen sind in der Nachkriegszeit einige internationale Finanzinstitute wie beispielsweise die bereits erwähnten EIB, EBW und IFC/Weltbank-Gruppe. Sie nehmen in Europa und in anderen Erdteilen seit längerer Zeit allgemein anerkannte öffentliche Finanzierungs- und Beratungsaufgaben wahr. Sie stehen prinzipiell nicht in einem direkten Wettbewerb mit den universell tätigen Geschäftsbanken. Vielmehr fördern sie diese durch Kooperation bei der Mitfinanzierung von größeren Einzelprojekten ebenso wie von kleinen und mittleren Unternehmen, die mangels banküblicher Sicherheiten eine verlässliche und preiswerte Starthilfe benötigen.

Vielfach sind aus diesen Anpassungsprozessen auch größere Finanzdienstleister hervorgegangen, die inzwischen ein bestimmtes europäisches Geschäftsmodell im Auge haben und erfolgreich in mehreren EU-Ländern tätig geworden sind. Von besonderem Interesse sind daher weniger die zahlreichen Beispiele erfolgreicher Reformen, deren Bedeutung größenordnungsmäßig weitgehend national oder regional begrenzt bleiben dürfte, oder deren möglicher Vorbildcharakter aufgrund landesspezifischer Umstände sowieso ungewiss erscheint. Vielmehr sind es jene nationalen Reformen, die zu einer augenscheinlichen Steigerung der Effizienz der neuen Institute und einer region- und grenzüberschreitenden Präsenz in Europa geführt haben.

Länderbeispiele: Frankreich, Großbritannien, Spanien18)

Zur ersten Beispielgruppe gehören unter anderem die französischen Sparkassen, die zunächst in eine stiftungsähnliche Rechtsform und im Jahre 2000 in genossenschaftliche Kreditinstitute umgewandelt wurden. Seit der Durchführung einer verstärkten vertikalen Integration sind 28 regionale Caisses d´Epargne zu 100 Prozent an dem Spitzeninstitut Caisse Nationale d´Epargne, einer Aktiengesellschaft, beteiligt. An dem Spitzeninstitut Natixis (Börsenwert Ende 2006: 26 Milliarden Euro) sind die Sparkassen-Gruppe mit 34,4 Prozent, die Volksbanken-Gruppe mit 34,4 Prozent und übrige Aktionäre mit 31,2 Prozent beteiligt.

Oder zum Beispiel die britischen Sparkassen, die letztlich mit ihrem kurz zuvor gegründeten Spitzeninstitut Trustee Savings Bank (TSB) fusioniert wurden: Diese wird seit 1986 an der Londoner Börse notiert und firmiert heute nach einer Fusion als Lloyds TSB.

Oder zum Beispiel die Föreningssparbanken, die 1993 durch die Übernahme von elf größeren schwedischen Regionalsparkassen und 1997 durch die Fusion mit der schwedischen Genossenschaftsbank entstanden ist: Es gibt noch weitere etwa 80 unabhängige schwedische Sparkassen mit einem geringen Marktanteil, die jedoch eng mit der Föreningssparbanken kooperieren.

Die spanischen Sparkassen

Oder schließlich die wichtige Gruppe der spanischen Sparkassen (Cajas de Ahorros) mit einem Marktanteil von rund einem Drittel. Gesellschaftsrechtlich sind sie weiterhin Stiftungen. Die Caja de Ahorros y Pensiones de Barcelona (la Caixa) ist die größte Sparkasse in Europa und die drittgrößte Universalbank Spaniens, an vierter Stelle gefolgt von der Caja de Ahorros de Madrid und weiteren neun Sparkassen in der Liste der 20 führenden spanischen Kreditinstitute.

Die "Caixa" verfügt über 4 655 Zweigstellen, 56 Prozent davon außerhalb der Stammregionen Katalonien und Balearen in den übrigen spanischen Regionen. Obgleich die Gewinnorientierung eine wichtige Rolle spielt, müssen laut Satzung mindestens die Hälfte des Gewinns den Reserven zugeführt werden, während der Rest (2005: 255 Millionen Euro oder ein Viertel des Gewinns) für gemeinnützige Zwecke (Soziales, Kultur, Ausbildung und Wissenschaft) zu verwenden ist. In der Generalversammlung als oberstem Kontrollorgan verfügen die Kunden über 36 Prozent der 160 Sitze, die kommunalen Körperschaften 30 Prozent, die autonome katalonische Regionalregierung 21 Prozent und die Mitarbeiter 13 Prozent.

Untersuchung der Unternehmensziele

Nach einer kürzlich durchgeführten empirischen Untersuchung spielt bei den spanischen Sparkassen, bei denen die Insider die eindeutige Mehrheit der Sitze besitzen, die Gewinnmaximierung im Vergleich zu den anderen Unternehmenszielen (wie allgemeiner Zugang zur Bank, regionale Entwicklung, gemeinnützige Verwendung der Gewinne sprich Vermögensumverteilung) eine vergleichsweise stärkere Rolle als bei jenen Instituten, die von den Vertretern der öffentlichen Hand beherrscht werden.19) Offen bleibt jedoch die Frage, inwieweit die gleichzeitige Verfolgung unterschiedlicher Unternehmensziele notwendigerweise mit einer geringeren allokativen Effizienz des Instituts erkauft wird oder nicht.

Eine geringere Effizienz kann jedenfalls entweder das Ergebnis einer schlechten Unternehmensführung (Corporate Governance) sein oder die Folge gesetzlich verfügter Geschäftsbeschränkungen (einschließlich Gewinnverwendungen). Allemal ist Letzteres der Fall. Öffentliche Interventionen können aber auch (sie müssen es nicht) tendenziell und mittelbar zu einer geringeren Effizienz führen, wenn sie mit negativen Anreizen zur Unternehmensführung verbunden sind, weil etwa der Wille des Intervenierenden Vorrang gegenüber dem Geschäftserfolg haben soll und/oder die Sanktionsmöglichkeiten des Marktes bei schlechter Unternehmensführung fehlen.

Italien als Beispiel einer grenzüberschreitenden Ausbreitung

Weit folgenreicher und daher von größerem Allgemeininteresse waren in Italien die "Amato-Gesetze" aus dem Jahre 1990, die letztlich den Anstoß zur Schaffung italienischer Großbanken mit europäischem Format gegeben haben. Sie ermöglichten die Umwandlung der öffentlich-rechtlichen Sparkassen in Aktiengesellschaften, während das Eigenkapital bei dafür gegründeten Stiftungen verblieben ist. Ab 1994 mussten diese nicht mehr mindestens 51 Prozent des Eigenkapitals der AGs behalten (Dini-Gesetz). Die Ciampi-Gesetze von 1998 verpflichteten umgekehrt die Stiftungen sogar, die Aktienmehrheit bis 2005 abzugeben. Dies führte zur Gründung völlig neuer Bankengruppen. Sie werden nicht mehr als Sparkassen bezeichnet, da die früheren Sparkassen in der Form von Sparkassen-Stiftungen nur noch als kleinere Minderheitsaktionäre beteiligt sind. Ihre Dividendeneinnahmen werden satzungsgemäß für gemeinnützige Zwecke verwendet.

Bekanntestes Beispiel dafür ist die erwähnte börsennotierte Uni-Credit-Gruppe. Sie ist aus der Fusion von sechs norditalienischen Sparkassen mit der privaten Credito Italiano-Gruppe entstanden. Nach einer weiteren Fusion, nämlich mit der deutschen HVB-Bank und ihrer österreichischen Tochter Bank Austria-Creditanstalt, ist sie zu einer der führenden Institutsgruppen in Mittel- und Osteuropa aufgestiegen. Mit einer Marktkapitalisierung von rund 70 Milliarden Euro stand sie 2006 in Europa bereits an sechster oder siebter Stelle.

In einer vergleichenden deutsch-italienischen Zentralbankstudie für den Zeitraum 1994 bis 2004 wird nachgewiesen, dass sich der Privatisierungsprozess in Italien, der mit dem Konsolidierungsprozess einherging, sehr positiv auf die Gesamtproduktivität (Total factor productivity, TFP) des italienischen Bankensystems ausgewirkt hat. Positive Wirkungen auf die TFP gingen ferner sowohl in Italien als auch in Deutschland von dem technologischen Wandel aus. Dagegen hat der Konsolidierungsprozess mittels Fusionen und Übernahmen - für sich allein genommen - in keinem der beiden Länder die TFP in signifikanter Weise positiv beeinflusst.20)

Schließlich hat im Mai 2007, ausgelöst durch rivalisierende Übernahmeangebote vor allem der Londoner Barclays-Bank, der schottischen RBS-Gruppe und der spanischen Banco Santander, der noch unentschiedene Kampf um die niederländische Bank ABN-Amro - die vor einiger Zeit nach längerem Kampf die mittelgroße italienische Antonveneta übernommen hatte - die viertgrößte italienische Bank Capitalia in die Arme der Uni-Credit-Gruppe getrieben. Diese ist damit in der Eurozone bewertungsmäßig zur Nummer eins und in der EU nach der Londoner HSBC zur zweitstärksten Bankengruppe aufgestiegen.

Die börsennotierte Capitalia ist vor allem aus der 1997 entstandenen Banca di Roma hervorgegangen, die wiederum aus der Fusion von drei äußerst politisierten römischen Banken stammt: der Sparkasse Rom (deren Stiftung als Minderheitsaktionär fortbesteht), der Banco di Santo Spirito und der staatlichen Banco di Roma.

Später waren das insolvente Institut Banco di Sicilia mit den Großaktionären Region Sizilien und Sparkassenstiftung Sizilien, die norditalienische Regionalbank Bipop-Carire und das Internethaus Finceco zu der Bankengruppe hinzugestoßen, die ab 2002 als Capitalia firmiert hat. In der vergrößerten Uni-Credit-Gruppe sind neben einigen ausländischen Großaktionären mit jeweils wenigen Prozent weiterhin unter anderem die Veroneser Sparkassenstiftung Cariverona (vier Prozent), die Turiner Sparkassenstiftung CRT (3,8 Prozent) und die Sparkassenstiftung Carimonte (2,5 Prozent) vertreten.

Beispiel Österreich

Ähnlich spektakulär ist die Entwicklung in Österreich verlaufen, die schon ab 1987 sowohl den Vereinssparkassen wie den Gemeindesparkassen (ebenfalls juristische Personen des privaten Rechts) die Möglichkeit eröffnete, ihr Bankgeschäft in eine neue Aktiengesellschaft einzubringen, während die ursprüngliche Sparkasse in eine Anteilsverwaltungssparkasse (AVS) umgewandelt und rechtlich meist als Stiftung ausgestaltet wird.21)

Abstand zur Deutschen Bank deutlich verkürzt

So ist in mehreren Schritten die heutige "Erste Bank der oesterreichischen Sparkassen AG" entstanden. Sie wird seit 1997 an der Wiener Börse notiert und hat ihren Börsenwert in den letzten zehn Jahren um etwa das Zehnfache auf 18,3 Milliarden Euro (2006) gesteigert. Während vor zehn Jahren die größte Bank in Deutschland, die Deutsche Bank, noch 30-mal so groß war wie die Erste Bank, ist sie inzwischen nur noch dreimal so groß.

Gemessen an den Kundeneinlagen nehmen überdies mehr als neun Zehntel der österreichischen Sparkassen am gemeinsamen Haftungsverbund teil, der betriebswirtschaftlich als ein Franchise-System betrachtet werden kann. Auf konsolidierter Basis wachsen Bilanzsumme und Gewinne der Sparkassen-Gruppe vor allem in den neuen EU-Ländern in Mittel- und Südosteuropa, wo sie in mehr als zehn Fällen Mehrheitsbeteiligungen an vormals staatlichen Sparkassen und an anderen großen Retailbanken erworben hat.

Trennung zwischen Gewinnorientierung und Gemeinnützigkeit

Entscheidend am Geschäftsmodell ist die strikte Trennung zwischen Management und Gewinnorientierung einerseits und den gemeinnützigen Aufgaben andererseits. Letztere werden weiterhin vom Minderheitsgroßaktionär (Die Erste österreichische Spar-Casse Privatstiftung) wahrgenommen.22) Ende 2004 war ihr Anteil auf knapp ein Drittel des stark vergrößerten Grundkapitals abgeschmolzen.

Mit dem Geld der Stiftung ist inzwischen unter anderem die Zweite Sparkasse ins Leben gerufen worden, die sich an sozial Benachteiligte wendet. Nach Aussage des Vorstandsvorsitzenden und des gleichzeitigen Chefs der Stiftung Andreas Treichl ermöglicht die wohltätige Ausrichtung der Stiftung eine stärkere Differenzierung der Bank vom Wettbewerb: "Die wirkliche Existenzberechtigung des Sparkassenwesens bedarf einer strengeren Trennung der Eigentümer von den Finanzdienstleistungsunternehmen als betriebswirtschaftliche Einheiten. Wir können mit unserer Stiftung den Sparkassengedanken mit neuem Leben erfüllen, womit ein Beitrag zur Gesellschaft geleistet wird".

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