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Politische Risiken als Herausforderung bei der Bewertung von Staatsanleihen

Traditionell bilden makroökonomische Daten und die Bewertung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Landes den Kern der Bonitätsbewertung bei Staatsanleihen. Neben der Betrachtung des Bruttoinlandsprodukts und des Wachstums spielen hier beispielsweise die Solidität der öffentlichen Finanzen sowie die Analyse der Auslandsverschuldung und des Außenhandels eine wichtige Rolle.

Die Fähigkeit zum ordentlichen Schuldendienst fußt jedoch nicht nur auf der volkswirtschaftlichen Leistungskraft, sondern zu einem erheblichen Teil auch auf der Qualität des politischen Systems eines Landes. Politische Stabilität in Form von Rechtssicherheit, sozialer Verteilungsgerechtigkeit, einer effektiven Verwaltung, eines funktionierenden Steuersystems sowie eines verlässlichen Investitionsklimas erweist sich gerade in schwierigen Zeiten als ein zentraler Bestimmungsfaktor für wirtschaftlichen Erfolg und solide Staatsfinanzen.

Handwerkszeug vorhanden

Im Rahmen der nachhaltigen Kapitalanlage hat der Faktor der politischen Stabilität über die Berücksichtigung von ESG-Kriterien (Environmental, Social und Governance) teilweise bereits Einzug in die Bewertungsanalyse von Staatsanleihen gehalten. Als Standard im Rahmen des klassischen Länderratings hat er sich gleichwohl noch nicht etabliert. Dieses Versäumnis gilt es nachzuholen und den Werkzeugkasten des Risikomanagers um entsprechende Analyseinstrumente zu ergänzen. Union Investment hat deshalb ein eigenes Länderrating entwickelt, denn ohne die systematische Einbeziehung der politischen Risikodimension in den Prozess des Risikomanagements bleibt die fundierte Beurteilung von Staatsanleihen unzureichend und ungenau. Dies zeigt auch ein vergleichender Blick zwischen klassischen Ratingverfahren und solchen, welche politische Risiken in ihrer Analyse bereits berücksichtigen. So gelangen Letztere in der Praxis durchaus zu einer differenzierteren und gegenüber den traditionellen Verfahren abweichenden Bonitätsbewertung bei Staatsanleihen.

Wie aber lässt sich die politische Stabilität eines Landes erfassen und bewerten? Analysten können hier beim Länderrating auf verschiedene anerkannte Governance-Indikatoren zurückgreifen, die von der Weltbank im Rahmen des "Doing Business Reports" erhoben werden. Hierzu zählen vor allem die Einschätzungen zur Political Stability, zur Governance Effectiveness, zum Rule of Law sowie zum Ease of Doing Business.

Darüber hinaus empfiehlt sich ein genauer Blick auf das von vielen Investoren unterschätzte Thema der Korruption. Für dieses Vorgehen spricht zunächst ein einfacher empirischer Befund. Denn die historische Rückschau bis in das Jahr 1970 zeigt für 87 Länder mit verfügbaren Daten einen sehr engen Zusammenhang zwischen dem Grad der Korruption und der Eintrittswahrscheinlichkeit eines Staatsbankrotts (Abbildung 1). Länder mit keiner oder nur sehr geringer Korruption sind demnach deutlich weniger anfällig für Zahlungsausfälle als Länder, in denen Korruption stark verbreitet ist. Dieser Zusammenhang konnte inzwischen in verschiedenen wissenschaftlichen Studien bestätigt werden.

Korruption ist allerdings ein vielschichtiger Begriff, der über den Tatbestand der Bestechung weit hinausreicht. Er beinhaltet eine Vielzahl theoretischer Implikationen für die politisch-gesellschaftliche Stabilität eines Landes (Abbildung 2). Nicht immer sind diese Ausstrahlungseffekte eindeutig messbar. Dass Existenz und Ausmaß von Korruption dennoch eine handfeste Relevanz für die Bewertung von Länderrisiken besitzen, lässt sich unter anderem anhand folgender Beobachtungen verdeutlichen.

Korruption als unterschätzter Faktor

Die Bonität von Staaten hängt entscheidend von deren Fähigkeit ab, verlässlich Steuereinnahmen zu generieren. Diese Voraussetzung ist an verschiedene Bedingungen geknüpft. So können etwa ein ausgeprägter informeller Wirtschaftssektor sowie Betrug bei der Abführung von Steuern und Abgaben dazu führen, dass dem Staat Steuereinnahmen in Milliardenhöhe verloren gehen. Die durch Korruption begünstigte Existenz einer Schattenwirtschaft hat also eine hohe Bedeutung für die finanziellen Handlungsspielräume eines Staates und spielt damit eine wichtige Rolle bei der Bonitätsbewertung.

Korruption ist darüber hinaus ein Indiz für die mangelnde sozioökonomische Reife eines Staates, die vor allem dann gefragt ist, wenn zur Sanierung eines Staatshaushaltes einschneidende steuer- und sozialpolitische Maßnahmen vorgenommen werden müssen. Hierbei ist die Identifikation der breiten Gesellschaft mit ihren wirtschaftlichen und politischen Eliten für die erfolgreiche Umsetzung der Reform- und Anpassungsprozesse eine essenzielle Voraussetzung.

Für die öffentliche Wahrnehmung ist es entscheidend, inwiefern notwendige schmerzhafte Anpassungsprozesse erkennbar dem Wohle der Gesellschaft dienen, oder ob stattdessen lediglich die Kosten der Selbstbereicherung einer kleinen gesellschaftlichen Elite auf die Bevölkerung umgelegt werden. Korruptionsindizes können Hinweise auf das Vorherrschen einer solchen "Selbstbedienungsmentalität" gesellschaftlicher Eliten geben. Diese originär soziologische Überlegung hat handfeste ökonomische Implikationen hinsichtlich der Ausgabendisziplin des Staates, der Akzeptanz wirtschaftspolitischer Reformen und der Qualität des institutionellen Gefüges.

Nicht selten geht Korruption auch mit Statistikmanipulationen einher. Klarheit und Wahrheit über die ökonomische und fiskalische Situation eines Landes sind jedoch die Basis jeglicher Bonitätsbewertung. Zur Einschätzung der wirtschaftlichen Lage eines Landes wird standardmäßig auf einen breiten Zahlenkranz wirtschaftlicher Fundamentaldaten zurückgegriffen. Die Erhebung dieser Daten obliegt jedoch zumeist nationalen Behörden, weshalb eine Manipulation grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden kann. Eine regelwidrige Einflussnahme ist aber gerade in solchen Fällen besonders kritisch, in denen ein Staat mit der Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Lage konfrontiert ist.

Geschönte Zahlen können in einer solchen Situation dazu führen, dass dringend notwendige Reformschritte unterbleiben und damit die finanzielle Solidität eines Staates zusätzlich belastet wird. So reduzierte Griechenland lange Zeit sowohl den Schuldenstand als auch die laufende Verschuldung, indem die Wirtschaftsleistung durch die Berücksichtigung der Schattenwirtschaft um zirka 25 Prozent aufgebläht wurde. Die Manipulation erscheint nicht überraschend, wenn man einen Blick auf das hohe Niveau der Korruption in Griechenland (Rang 94 von 172 Staaten) wirft, die im Vergleich zu den anderen europäischen Staaten stark ausgeprägt ist.

Umsetzung und Bedeutung für die Investmentpraxis

Die Bewertung der politischen Stabilität kann in der Praxis auf der Grundlage der eingangs erwähnten Indikatoren der Weltbank erfolgen. Jedes Land erhält auf Basis dieser Indikatoren einen Punktwert, der in das Länderrating einfließt. Mit Blick auf den Faktor Korruption können Risikomanager auf bereits existente Korruptionsindizes von Transparency International und Weltbank zurückgreifen. Ein Vergleich der unter Berücksichtigung des Faktors Korruption gewonnenen Bewertungen mit denen von Ratingagenturen zeigt die Auswirkungen (Abbildung 3).

Während etablierte Ratingagenturen aus dem "Westen", wie S&P, die Industrieländer unabhängig von ihrer fundamentalen Lage mit Bestnoten versehen, führen institutionelle Mängel in den Emerging Markets zu deutlichen Abschlägen. Im Gegensatz dazu zeigt sich die chinesische Ratingagentur Dagong kritischer gegenüber den fundamentalen Problemen in den Industrieländern, wohingegen sie die institutionellen Schwächen in den Schwellenländern ausblendet.

Die Einbeziehung von Korruption in das Rating eröffnet nun eine neue Perspektive. Die Industriestaaten werden aufgrund fundamentaler Herausforderungen tendenziell schwächer eingeschätzt als von S&P. Und in den Emerging Markets führt die Berücksichtigung von Korruptionsbewertungen anders als bei Dagong zu Abschlägen gegenüber der Fundamentalbewertung.

Investoren sollten beim Risikomanagement von Staatsanleihen neue Wege beschreiten und im Analyseprozess systematisch alle Informationen nutzen, die Auskunft über die politische Stabilität von Staaten geben. Bei der Bewertung von Staatsanleihen spielt zudem der Faktor Korruption eine wichtige Rolle, wird aber von Anlegern zumeist unterschätzt - dabei drohen in Ländern mit weit verbreiteter Korruption hohe Verlustrisiken. Die Relevanz eines solchen Vorgehens für den Investor hat in jüngster Zeit die Staatsschuldenkrise im Euroraum verdeutlicht. Insbesondere können Investoren aber bei Investments in Schwellenländern durch die Berücksichtigung der politischen Stabilität als Risikofaktor wichtige Erkenntnisse gewinnen und differenzierter agieren.

Alexander Schindler , Mitglied des Vorstands , Union Investment
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