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Länderrisiko-Analyse: Haben die PIGS-Länder noch Chancen?

Für eine Bank oder einen Exporteur stellt sich bei einem Kredit an ein ausländisches Unternehmen oder einen Staat die Frage nach der Kreditwürdigkeit. Fabriken werden früh betroffen, wenn ein Land zahlungsunfähig wird, etwa durch Importrestriktionen, Beschäftigungsverbot für ausländische Fachleute, höhere Steuern, Einschränkungen des Zahlungsverkehrs.

Banken bis zuletzt umworben

Banken dagegen werden als Gläubiger von der Regierung eines Problemlandes bis zuletzt umworben. Die Finanzlage wird verschleiert: Kredite, insbesondere Handelskredite, werden nur unvollständig erfasst, "Schieflagen" daher meist zu spät aufgedeckt. Der politische Druck, weitere Kredite zu vergeben oder bestehende über den Fälligkeitstag hinaus zu prolongieren, ist stark.

Die im internationalen Geschäft tätigen Kreditinstitute müssen trotz dieser Schwierigkeiten ihr Auslandsgeschäft weiterhin betreiben. Künftig wird es immer weniger sichere, dafür aber sehr viel mehr finanziell labile Länder geben. Deshalb ist die frühzeitige und zuverlässige Beurteilung eines Landes, ob es seine gegenüber ausländischen Gläubigern eingegangenen Verpflichtungen künftig in harter Währung erfüllen kann und will, die Voraussetzung für ein rentables internationales Export- und Kreditgeschäft.

Eine Länderrisiko-Bewertung muss Prog-nose-orientiert sein, denn erst in der Zukunft entscheidet sich, ob ein heute gegebener Kredit problemlos verzinst und zurückgezahlt werden kann. Sie muss ferner eine größere Zahl von quantitativen und qualitativen Kriterien benutzen und ein Land in eine "Kreditwürdigkeitsklasse (das Rating) einstufen, welche dem international tätigen Kreditmanager bestimmte Entscheidungen empfiehlt.

Kennzahlen für die Kreditwürdigkeitsprognose

Das Beri-Institut (Business Environment Risk Intelligence) benutzt seit über 30 Jahren eine "Forelend" (Forecast of Country Risk for international Lenders) genannte Länderrisiko-Bewertung, die alle für die Kreditwürdigkeit relevanten Komponenten berücksichtigt:

-Die quantitative Kennzahl kennzeichnet die Fähigkeit eines Landes, harte Devisen zu verdienen, ausreichend hohe Währungsreserven zu unterhalten, seine Auslandsverschuldung zu begrenzen und den Staatshaushalt auszugleichen.

-Die qualitative Kennzahl beurteilt die "technokratische Kompetenz" der Regierung: die Struktur der Auslandsschulden, die Vorschriften für Devisentransfers, die Rolle von Korruption und Vetternwirtschaft bei finanzwirtschaftlichen Vorgängen sowie die Entschlossenheit der Politiker zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen gegenüber ausländischen Gläubigern.

-Die soziale Kennzahl beurteilt das politische und soziale Umfeld: die politische Stabilität (zum Beispiel die Zersplitterung des politischen Spektrums durch Parteien, Volksstämme, Religionen), das Geschäftsklima (bürokratische Hemmnisse, Infrastruktur, Wirtschaftswachstum, Inflation) sowie die sozialen Verhältnisse (wie Analphabetentum, Arbeitslosigkeit, Armut, Bevölkerungswachstum).

Die quantitative Kennzahl wird mit Hilfe der Statistiken von Weltbank und IMF errechnet. Zur Ermittlung der qualitativen und der sozialen Kennzahl werden die in der Konjunkturforschung bewährte "Panel-Methode" sowie die "Delphi-Methode" eingesetzt: 21 Kriterien werden regelmäßig von einer größeren Zahl von Fachleuten aus dem Bereich der Wirtschaft, der Politologie und der Soziologie benotet.

Ermittlung einer Gesamtkennzahl

Bei der Auswertung der Statistiken und bei der Befragung der Panel-Mitglieder werden auch Schätzungen der Entwicklung in den nächsten fünf Jahren erhoben. Dieses ermöglicht eine zuverlässige Prognose der künftigen Kreditwürdigkeit. Ein ideales Land würde für jede der drei Kennzahlen 100 Punkte erreichen, in der Praxis bedeuten 65 Punkte "gut". Das Gewicht der quantitativen Kennzahl für die Berechnung der Gesamtzahl ist 50 Prozent, das der beiden anderen Kennzahlen jeweils 25 Prozent.

Die Gesamtkennzahl wird durch Addition der drei gewichteten Kennzahlen ermittelt. Mit dieser werden die Länder in acht "Kre-ditwürdigkeits-Klassen" eingestuft (Übersicht 1). Übersicht 2 zeigt die Beurteilung der Kreditwürdigkeit der derzeit im Mittelpunkt der Kreditkrise stehenden sogenannten PIGS-Länder vor fünf Jahren, jetzt und die Prognose für 2015. Die Kennzahlen für stabile Länder wie Österreich und die USA erleichtern einen Vergleich.

Klasse 5 bedeutet ein Warnsignal bei der Vergabe neuer Kredite, jedoch kein Ausfallrisiko. Mit dem Aufstieg in Klasse 4 - und erst recht in Klasse 3 - verlässt ein Land die Problemzone. Das wird für Portugal, Italien und Spanien bis spätestens 2015 erwartet, nicht jedoch für Griechenland. Schon vor über zehn Jahren wurde dieses Land in Klasse 5, seit 2005 in Klasse 6 eingestuft - für die Steuerzahler in den Euro-Ländern keine frohe Botschaft.

Die Forelend-Methode zeigt seit 1975 in der Praxis, dass die Kombination von quantitativen und qualitativen Kriterien aus den Bereichen der Volkswirtschaft, der Politologie und der Soziologie ein zuverlässiges "Frühwarnsystem" für Länderrisiken im Kreditgeschäft bildet. Während der derzeitigen Kreditkrise brauchten Bewertungen nicht weiter angepasst zu werden. Im Gegensatz dazu stuften die bekannten Ratingagenturen einige Länder um zum Teil gleich mehrere Stufen zurück und verstärkten dadurch die Unruhe auf den Kreditmärkten. Das erschwerte die Refinanzierung fällig gewordener Darlehen und erleichterte profitable Leerverkäufe durch Banken und Hedgefonds. Die zu spät erfolgten Rückstufungen lassen vermuten, dass die überwiegend mit quantitativen Analysen arbeitenden Agenturen die Bedeutung qualitativer und soziopolitischer Kriterien für die Kreditwürdigkeit eines Landes unzureichend berücksichtigen und die Prognosefähigkeit ihrer Bewertungssysteme mangelhaft ist.

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