Aufsätze

Die Politik und die Deutsche Bundesbank - richtungweisend für die EZB?

Als mich der damalige Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl am 20. April 1989, einen Tag vor meiner Ernennung zum Bundesminister der Finanzen, auf dem Militärflugplatz in Memmingen telefonisch erreichte, teilte er mir mit, dass die Deutsche Bundesbank die Zinsen erhöht habe. Auf meine ungläubige Frage, warum dies ausgerechnet einen Tag vor meinem Amtsantritt erfolgen müsse, antwortete er lakonisch: "Es ist doch besser, wenn es noch in der Amtszeit Ihres Vorgängers und nicht in Ihrer Amtszeit erfolgt." Später wurde mir klar, Karl Otto Pöhl hatte Recht. Die Unabhängigkeit der Bundesbank enthebt den Bundesfinanzminister der notwendigen Pflicht, zum gegebenen Zeitpunkt Zinsanhebungen vorzunehmen. Er muss sich damit nicht vor dem Kabinett, der Fraktion, dem Bundestag und der Öffentlichkeit verantworten.

Unabhängigkeit der EZB fest verankert

Checks and Balances sind ein wichtiger Grundsatz einer funktionierenden Demokratie. Sie entfalten ihre richtige Wirkung gerade in der Geldpolitik. Darum habe ich Gordon Brown, als er noch Schattenkanzler war, bei einem langen Gespräch in Bonn geraten, als ersten Schritt - falls er Schatzkanzler werde - die völlige Unabhängigkeit der Bank von England sicherzustellen. Er hat dies nach Amtsantritt unverzüglich getan. Diese Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank hat sich noch in stärkerer Form im Vertrag von Maastricht für die Europäische Zentralbank niedergeschlagen. Während das Bundesbankgesetz ohne Zustimmung des Bundesrats geändert werden konnte, könnte der Vertrag von Maastricht, in dem die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank und ihre ausschließliche Verantwortung für die Geldwertstabilität verankert ist, nur durch einstimmige Ratifikation aller Mitgliedsländer verändert werden. Dies ist faktisch unmöglich.

Deswegen laufen alle Versuche der französischen Politik von links bis rechts und unter fast allen Präsidenten auf die Europäische Zentralbank Druck auszuüben, ins Leere. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat auf diese Versuche richtig reagiert und französische Einschüchterung klar zurückgewiesen. Es war nicht immer ganz einfach in der Zeit 1989 bis 1998, die Bundesbank gegen den Druck europäischer Partner und auch Washingtons in Schutz zu nehmen. Als Anfang der neunziger Jahre Karl Otto Pöhl dem amerikanischen Finanzminister Nick Brady und dem Notenbankpräsident Alan Greenspan beim Frühstück kühl mitteilte: "I have not the slightest intention to reduce the interest rates.", hatte ich in den nächsten Stunden und Tagen viel zu tun, um die Wogen wieder zu glätten.

Als der britische Schatzkanzler Norman Lamont in Bath zum vierten oder fünften Mal den anwesenden Bundesbankpräsidenten Helmut Schlesinger aufforderte, noch am gleichen Tag die Zinsen zu senken, war es notwendig, den britischen Politiker nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass weder die Deutsche Bundesbank noch der deutsche Finanzminister willens und in der Lage seien, einem solchen Druck nachzugeben. Auch dem französischen Finanzminister Edmond Alphandéry musste angesichts der Währungsturbulenzen Mitte der neunziger Jahre durch den Bundesfinanzminister mitgeteilt werden, dass sich weder die Deutsche Bundesbank noch der deutsche Finanzminister nach Paris zitieren lasse, um dort über Zinssenkungen zu sprechen.

Mit einer Stimme

Wenn ich als Bundesfinanzminister die Hoffnung hegte, der Zentralbankrat der Bundesbank könnte Zinssenkungen beschließen, habe ich es tunlichst vermieden, an der entsprechenden Sitzung des Zentralbankrates teilzunehmen. Die meisten Mitglieder hätten schon meine Anwesenheit als unzulässiges Druck- und Drohinstrument gewertet. Es war richtig, dass die Bundesregierung in internationalen Gremien die Anliegen der Bundesbank stets unterstützte. Wir haben mit einer Stimme gesprochen.

Dies war der Fall, als internationaler Druck auf Zinssenkungen zur Wachstumsbeschleunigung vorgetragen wurden. Dies galt, als der Druck auf eine wechselkursorientierte Geldpolitik der Bundesbank zunahm, insbesondere während der Wechselkursturbulenzen 1992, 1993 und 1995. Wir haben die Kritik am Geldmengenkonzept der Bundesbank seitens der USA, des IWF und der EU-Partner zurückgewiesen und die Argumentation der Bundesbank für ein quantitatives Zwischenziel unterstützt.

Gemeinsam mit der Bundesbank haben wir uns dafür eingesetzt, den IWF als ausschließlich monetäre Institution zu erhalten und seine finanzielle Integrität unangetastet zu lassen. Das galt bei der Frage der Sonderziehungsrechte wie bei der Erhöhung der IWF-Quotenmittel. Wir haben auch dem Verkauf von IWF-Gold trotz internationaler Kritik immer widersprochen. Bei der Ausarbeitung des Maastricht-Vertrages und der Vorbereitung für die Wirtschafts- und Währungsunion hat die Bundesregierung die Bundesbank-Standpunkte konsequent mitgetragen. Die deutsche Haltung in der Regierungskonferenz ist aufs Engste mit der Bundesbank abgestimmt worden.

Vorrang der Preisstabilität

Die Ausarbeitung des EZB-Statuts erfolgte durch den Ausschuss der Zentralbankgouverneure unter Vorsitz der Bundesbank (Karl Otto Pöhl). Gegen den Widerstand Frankreichs und anderer Mitgliedstaaten hat die Bundesregierung im Maastricht-Vertrag durchgesetzt, dass die EZB die Wechselkurspolitik des Rates nur unter Wahrung des Vorrangs der Preisstabilität berücksichtigen muss. Der von der Bundesregierung durchgesetzte Stabilitäts- und Wachstumspakt geht auch auf Anregungen der Bundesbank zurück, die einen Rückfall in den finanzpolitischen Schlendrian früherer Zeiten mancher Länder befürchtete.

Auch bei der Schaffung der deutschen Wirtschafts- und Währungsunion gab es eine enge Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Bundesbank. Es war ein Schönheitsfehler, dass Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl von der Vereinbarung der drei Parteivorsitzenden Helmut Kohl, Otto Graf Lambsdorf und mir erst nachträglich informiert wurde. Bei den konkreten Verhandlungen allerdings waren sowohl der Bundesbankpräsident, wie Vizepräsident Helmut Schlesinger und das Mitglied des Zentralbankrates Hans Tietmeyer als persönlicher Berater des Bundeskanzlers intensiv beteiligt. Als Umtauschkurs schlug die Bundesbank damals ein Verhältnis von 1 : 2 vor. Das reale Umtauschverhältnis betrug 1 : 1,81. Hinsichtlich der Stromgrößen (Löhne, Gehälter, Renten) machte der Zentralbankrat bewusst keinen Vorschlag, weil jede andere Lösung als 1 : 1 angesichts eines realen Lohnverhältnisses zwischen West und Ost von 3 : 1 ein anderer Umtauschkurs zu einer sozialen Katastrophe geführt hätte.

Einen Punkt gilt es noch anzuführen. Es war ursprünglich nicht meine Idee, Anfang 1997 an eine Neubewertung der Devisen und Goldvorräte heranzugehen. Die Anregung kam von der Bundesbank selbst und bezog sich auf Diskussionen innerhalb des europäischen Währungsinstituts. Jedem Eingeweihten war klar, dass die Deutsche Bundesbank hinsichtlich ihrer Währungsreserven nicht am Niedrigstwertprinzip würde festhalten können. Die Bundesregierung übernahm auch die Anregung der Bundesbank, entstehende Bilanzgewinne dem Erblastentilgungsfonds zuzuführen. Nicht eine Mark sollte im Haushalt landen und nicht eine Unze Gold sollte verkauft werden.

Der Streit ging nur um die Frage, ob eine Neubewertung schon 1997 oder mit Wirkung 1998 erfolgen solle. Beide Jahre waren für die Einführung einer gemeinsamen Währung wichtig. Der Präsident und andere Verantwortliche der Bundesbank waren aber von der Sorge beseelt, man könnte ihnen vorwerfen, einen kritikwürdigen Beitrag zur Erreichung der Kriterien zu leisten. Daran entzündete sich die öffentliche Kontroverse. Im Nachhinein gebe ich gerne zu, dass sich diese Auseinandersetzung mit der Bundesbank für mich nicht gelohnt hat, obwohl sich manche Vorgänge anders darstellten als aus Kreisen der Bundesbank verlautbart wurde.

Die Europäische Zentralbank hat alle guten Tugenden der Bundesbank übernommen, fortgesetzt und konkret umgesetzt. Ihre Mitglieder und insbesondere ihre Präsidenten Wim Duisenberg und Jean Claude Trichet haben ihre Stabilitätsorientiertheit klar unter Beweis gestellt. Sie haben allen politischen Versuchungen widerstanden und ihrem Amt und ihrer Aufgabe Ehre erwiesen. Die EZB ist neben der FED der zweite große Währungsanker der Welt. Das Potenzial des Euro nach innen und nach außen könnte besser nicht sein.

Natürlich hat die Deutsche Bundesbank an Einfluss verloren, auch wenn sie über ihren Präsidenten und über Jürgen Stark als Chefvolkswirt der EZB, so wie dies früher Otmar Issing getan hat, die geistige Tradition der Bundesbank fortsetzen. Es ist schade, dass es nicht gelang, der Deutschen Bundesbank die gesamte Aufsicht über das Kreditwesen in Deutschland zu übergeben. Damit hätte sie eine neue Aufgabe erhalten, die durchaus ein Zugewinn an Einfluss und Unabhängigkeit bedeutet hätte. Die Politik nach 1998 hat dies anders entschieden. Auch heute ist die Deutsche Bundesbank mit ihren Stellungnahmen, ihrem Monatsbericht und ihrer Mitwirkung im System der europäischen Zentralbanken ein unverzichtbares Element und Instrument der deutschen und europäischen Geldpolitik.

Export der Stabilitätsphilosophie

Der Übergang von der Bundesbank zur EZB war unabdingbar notwendig. In den achtziger Jahren waren die Grenzen des EWS erreicht, Währungsturbulenzen und Aufwertungsdruck wirken sich negativ auf Deutschland aus. Ein europäischer Binnenmarkt mit 15 oder 25 verschiedenen Währungen ist auf die Dauer nicht machbar. Der Euro trägt die deutsche Handschrift, es ist der Export der Stabilitätsphilosophie der Bundesbank auf ganz Europa. Frankfurt als Sitz der EZB hat mehr als nur eine symbolische Bedeutung. Die stabilitätspolitischen Vorkehrungen im Vertrag von Maastricht waren vorbildlich und haben ihren Erfolg gezeigt. Der europäische Stabilitätspakt beinhaltet die Verpflichtung zur Haushaltsdisziplin als Rückversicherung gegen exzessive Staatsverschuldung.

Ohne die Einheitswährung hätte sich die günstige ökonomische Konjunktur in den Jahren 2006 und 2007 nicht entwickelt. Eine durchschnittliche Inflationsrate von zwei Prozent verdeutlicht den Stabilitätserfolg. Auch die Haushaltskonsolidierung hat in Europa beträchtliche Fortschritte erreicht. Das Zinsniveau ist historisch niedrig. Der Außenwert ist Ausdruck der internen Wirtschaftskraft eines Währungsraums. Die europäischen Finanzmärkte sind zusammengewachsen. Der Euro besitzt inzwischen einen Anteil von fast 30 Prozent an den globalen Währungsreserven. Der Euro ist mittlerweile ein Stabilitätsanker im Weltwährungssystem und eine unumkehrbare Klammer für die politische Zusammenarbeit in Europa.

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