Aufsätze

Outsourcing in genossenschaftlichen Primärbanken - Erwartungen einer großen Volksbank

Im Mai 2009 haben die Gründergesellschafter Berliner Volksbank, Fiducia IT AG und DZ Bank AG die VR Finanz-Dienst-Leistung GmbH an den Start geschickt. In Rekordzeit von neun Monaten wurde damit das umfangreichste Outsourcingprojekt der Berliner Volksbank erfolgreich abgeschlossen. Die Servicegesellschaft bietet jetzt sämtliche Marktfolgeleistungen für das Privat- und Firmenkundengeschäft als Dienstleistung nach Markt- und Wettbewerbsstandards an. Für die 648 000 Privat- und Firmenkunden der Berliner Volksbank werden damit monatlich beispielhaft rund 400 Neukredite, rund 7 000 Kontoeröffnungen und rund 4 000 Pfändungen verarbeitet. In 2010 soll die Servicegesellschaft auch für Drittbanken arbeiten.

Kontroverse Diskussionen um Ausgründungen

Die Diskussion um die Vorteilhaftigkeit einer derartigen Ausgründung wird im genossenschaftlichen Banksystem sehr kontrovers geführt. In ihrer sachlichen Dimension geht es dabei um die Frage, ob die Effizienzvorteile nur durch Outsourcing erzielt werden können und ob nicht Fusionen der konsequentere Weg zur Verbesserung der Kostenposition sind. Es ist deshalb an der Zeit für eine Rückschau auf das Outsourcingprojekt, um die Meinungsbildung weiter zu fördern.

Bereits mit der strategischen Neuausrichtung der Berliner Volksbank in 2000 wurde ein wichtiger Grundstein für die heutige Entwicklung gelegt. Zur Erhöhung der Vertriebseffizienz wurden im Mengengeschäft mit Privat- und Firmenkunden die Marktfolgeaktivitäten weitestgehend aus den Vertriebseinheiten (Filialen, Beratungscenter) ausgegliedert und in zentralen Marktfolgeeinheiten für das Aktiv- und Passivgeschäft gebündelt.

Von diesem Zeitpunkt an konnte die Produktivitätsverbesserung der Marktfolgeprozesse in der Bank als grundsätzlich eigenständige Managementaufgabe formuliert und gesteuert werden.

Noch vor der Finanzkrise entschieden

Vor dem Hintergrund des sich verschärfenden Wettbewerbs, der im Mengengeschäft zunehmend über den Preis ausgetragen wurde, hat sich die Berliner Volksbank in 2007 noch vor der Finanzkrise entschlossen, ein weitreichendes Projekt zur Kostensenkung sowie zur weiteren Verbesserung der strategischen Ausrichtung der Bank durch Outsourcing und Vermarktung der Marktfolgeleistungen anzugehen.

Ziel des Kostenprogramms war es, rund zehn Prozent des Verwaltungsaufwandes der Bank (rund 25 Millionen Euro) einzusparen. Die Optimierung wurde dabei auf Strukturen, Prozesse und Leistungen der Marktfolge- und Servicebereiche konzentriert. Bezogen auf die Kapazitäten dieser Bereiche wurde jeder dritte Arbeitsplatz infrage gestellt. Die personelle Umsetzung dieser Maßnahmen wurde unter Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen auf der Basis eines Interessenausgleichs- und Sozialplans vorgenommen.

Als sehr erfolgreich hat sich dabei der enge Schulterschluss mit der Personalvertretung erwiesen. So konnte über ein freiwilliges Angebot zu Vorruhestand und Vertragsaufhebung der gesamte geplante Personalabbau noch in 2008 vertraglich vereinbart und in der Erfolgsrechnung des Jahresabschlusses 2008 auch verarbeitet werden. Bis zu diesem Punkt kann jede Bank "im Haus" die Optimierung der Prozesse vorantreiben. Die so optimierten Prozesse sind Ausgangspunkt für die weiterführenden Überlegungen zum Outsourcing der Marktfolge Aktiv und Passiv.

Betriebswirtschaftliche Herausforderung der Servicegesellschaft Die Servicegesellschaft hat grundsätzlich drei Hebel zur weiteren Effizienzverbesserung (Abbildung 1):

Laufende Effizienzsteigerung - In der Servicegesellschaft werden die Produktionsprozesse losgelöst von der Produktwelt der Bank definiert. Das Produkt wird dabei aus Sicht der Produktion in einzelne, standardisierbare Arbeitspakete zerlegt. Die vollständige und beschleunigte Bearbeitung der Arbeitspakete wird über ein einheitliches Workflow-Management-System der Fiducia unterstützt, das bereits bei der Ersterfassung von Grunddaten im Vertrieb ansetzt. So ist es möglich, ein individuelles Leistungsangebot im Vertrieb zu erhalten und gleichzeitig eine effiziente Produktion nach industriellen Standards durchzuführen. Beispielhaft konnten die Kreditprozesse von 17 unterschiedlichen produktorientierten Prozessverläufen auf zwei Prozessvarianten reduziert werden.

Die Modularisierung der Marktfolgeprozesse bietet nicht nur entscheidende Produktivitätsvorteile, sondern erlaubt auch ein flexibles Leistungsangebot der Servicegesellschaft an zukünftige Kunden. Der Kunde kann das vollständige Leistungsspektrum outsourcen oder nur einzelne Arbeitspakete wie zum Beispiel die Bilanzanalyse oder die Pfändungsbearbeitung.

Über die Ausgründung wurde ein rechtliches Rahmenwerk geschaffen, das die Leistungen der Servicegesellschaft sowie die Rechte und Pflichten der Beteiligten erstmalig genau beschreibt. Die so über einen Rahmenvertrag und sogenannte "Leistungsscheine" definierten Leistungen der Servicegesellschaft werden quantitativ und qualitativ laufend überwacht und sind Grundlage der Leistungsabrechnung der Gesellschaft gegenüber ihren Mandanten. Das Geschäftsziel der Servicegesellschaft, Produktivitätssteigerung, ist damit transparenter und deutlich schärfer gefasst, als das bei einem Verbleib der Prozesse in der Bank je möglich gewesen wäre.

Anderes Rollenverständnis der Mitarbeiter und Führungskräfte

Auch das Rollenverständnis der Mitarbeiter und Führungskräfte in der Servicegesellschaft wird sich nachhaltig ändern. So werden aus Spezialisten in der Kontoführung und im Kreditgeschäft zukünftig Prozessspezialisten, die über die Qualität und Effizienz ihrer Prozesse genau informiert sind und laufend an Verbesserungen arbeiten. Denn die Verbesserungen erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit und den Erfolg der eigenen Gesellschaft.

Marktgerechte Kostenbasis - Die VR Finanz-Dienst-Leistung GmbH ist grundsätzlich nicht tarifgebunden. Sie hat sich jedoch innerhalb des Interessenausgleichs und Sozialplans selbst verpflichtet, den Bankentarif weiterhin anzuwenden. Die Ausrichtung der Produktion nach industriellen Standards erlaubte innerhalb des Banktarifs ein Überdenken der Vergütungsstrukturen in der VR Finanz-Dienst-Leistung GmbH. Durch Neubewertung der einzelnen Arbeitsstellen/-funktionen konnte in einem ersten Schritt bereits eine Absenkung um bis zu zwei Tarifstufen realisiert werden. Zur sozialen Abfederung dieser einschneidenden Maßnahmen wurde ein Nachteilsausgleich über vier Jahre für die betroffenen Mitarbeiter vereinbart und im Jahresabschluss der Bank in 2008 verarbeitet.

In Orientierung an den Markt- und Wettbewerbsverhältnissen sowie an den erzielten Prozessverbesserungen ist aber auch diese Grundposition laufend zu überprüfen und erforderlichenfalls zu ändern. So seltsam das bei solchen Maßnahmen klingen mag, ist die Arbeitsplatzsicherung dabei das oberste Ziel, dem sich Geschäftsführung und Personalvertretung gleichermaßen verpflichtet fühlen. Eine Option zur Orientierung des Lohnniveaus auch an Markt- und Wettbewerbsbedingungen ist nur in einer eigenständigen Serviceeinheit gegeben.

Skaleneffekte - Schlussendlich kann die Servicegesellschaft ihre Produktivität durch eine verbesserte Auslastung der Fixkosten erhöhen. Entsprechende Voraussetzungen wurden durch die Mandantenfähigkeit der DV-Systeme sowie durch die produkt- und institutsunabhängige Gestaltung der Produktionsprozesse geschaffen.

Schrittweise Auslagerung als Vorteil für andere Banken

Potenzielle Kunden treffen zeitgleich mit der Entscheidung zum Outsourcing auch die vorher beschriebene strategische Entscheidung zur Konzentration der Kräfte auf die Vertriebs- und Betreuungsleistung in ihrem Regionalmarkt. Die hohe Kapazitätsbindung für die markt- und wettbewerbsgerechte Entwicklung der Produktionsprozesse sowie die Erfüllung aufsichtsrechtlicher Mindeststandards zur Ordnungsmäßigkeit der Prozesse ist zukünftig nur noch in geringerem Umfang für die Steuerung und Überwachung der Leistungen der Servicegesellschaft erforderlich.

Durch das Outsourcing lässt sich nach den Erfahrungen der Berliner Volksbank, gemessen an der Ausgangslage, ein Kostenvorteil von rund 20 bis 30 Prozent erwirtschaften. Wichtiger ist aber die mit dem Outsourcing automatisch eintretende Flexibilisierung der Kosten, da die Leistungen der Servicegesellschaft zu wesentlichen Teilen pro Vorgang abgerechnet werden.

Insgesamt bietet die VR Finanz-Dienst- Leistung GmbH das gesamte Spektrum der Marktfolgeleistungen für das Mengengeschäft mit Privat- und Firmenkunden an. Aktuell sind das für die Berliner Volksbank 79 fest definierte Teilleistungen oder "Vorgänge" (Abbildung 2).

Durch die Möglichkeit, auch Teilleistungen wie zum Beispiel die Bilanzanalyse outzusourcen, kann die Serviceleistung der individuellen Bedarfslage der Bank angepasst werden. Sprungfixe Kosten, die bei personellem Ersatz im eigenen Haus anfallen würden, lassen sich so vermeiden. Insgesamt lässt sich so auch eine der natürlichen Personalfluktuation folgende schrittweise Auslagerung von Marktfolgeleistungen umsetzen. Die mit dem Outsourcing derzeit noch eintretende Umsatzsteuerpflichtigkeit der Serviceleistungen kann durch geeignete Maßnahmen vermieden werden.

Konzentration auf Vertriebs- und Betreuungsaufgaben

Die Berliner Volksbank hat den größten Auslagerungsprozess ihrer Firmengeschichte in kürzester Zeit erfolgreich umgesetzt. Sie hat dabei Erfahrungen sammeln können, wie man effiziente Prozesse gestaltet, die neuesten Möglichkeiten der Datenverarbeitung dabei gewinnbringend einsetzt und nicht zuletzt die mit der Optimierung verbundenen Personalfragen sozialverträglich löst. Die Vorteile, die nur über ein derartiges Outsourcing zu erreichen sind, kann die Bank jetzt klar beschreiben und auch für neue Kunden wirksam werden lassen. Aktuell wird bereits an einer Vorstudie für einen Kunden gearbeitet, in der die individuellen Vorteile und Umsetzungsschritte dargestellt werden.

Mit dem Outsourcing wird gleichzeitig ein wichtiger strategischer Schritt zur weiteren Konzentration der Berliner Volksbank auf ihre Vertriebs- und Betreuungsaufgabe im Regionalmarkt Berlin-Brandenburg umgesetzt. Hätten die Verantwortlichen zu Beginn des Projektes so genau um die Dimension der Herausforderung gewusst, wären wahrscheinlich starke Bedenken und große Vorsicht aufgekommen. Heute sind sie stolz darauf, die Herausforderung angenommen und bewältigt zu haben und empfehlen jeder Primärbank sich frei nach dem Grundsatz "Es gibt nichts Gutes, es sei denn man tut es" auf der aktuellen Informationsbasis ebenfalls zeitnah zu entscheiden.

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