Leitartikel

(Noch) nicht ohne Bank!

Oft wurde den Banken schon das eigene Ende auf die ein oder andere Weise vorausgesagt. Sehr prominent unter anderem vom ehemaligen Deutsche-Bank-Vorstand Ulrich Cartellieri, der bereits 1990 ein Institutssterben und den massiven Verlust von Arbeitsplätzen in der Branche angekündigt hat. "Die Banken sind die Stahlindustrie der neunziger Jahre", hat er damals vor Studenten der Ruhr-Universität Bochum sehr plakativ ausgemalt. Einen Grund dafür sah er darin, dass nach dem Gründungsboom, vor allem internationaler Banken in den siebziger Jahren, das Geldverdienen für seine Branche immer schwieriger werde. Knapp zehn Jahre später war es dann Microsoft-Ikone Bill Gates, der seine Wertschätzung für die Finanzdienstleistungsindustrie ausgedrückt und das Ende der "gewöhnlichen" Banken an die Wand gemalt hat. "Banking is necessary, banks are not!", so sein berühmtes Zitat. Niemand werde künftig noch eine Bankfiliale brauchen, weil es ja das Internet gibt. Und was die reine Abwicklung von Zahlungsvorgängen und Geldgeschäften angehe, könnten dies Internetdienstleister oder Telefonunternehmen genauso gut wie die Banken.

Richtig geirrt haben weder Cartellieri noch Gates, aber die Finanzdienstleister haben erheblich mehr Widerstandskraft und Anpassungsvermögen bewiesen, als man es ihnen zugetraut hätte. Seit 1992 hat sich die Zahl der Institute in Deutschland von 3 979 inzwischen halbiert. Seit 2003 wurden rund 4 500 Filialen geschlossen, was etwa 12 Prozent des Filialnetzes entspricht. Dagegen blieben die Beschäftigtenzahlen mit 697 500 in 1990 und 645 550 in 2013 relativ konstant. Und auch wirtschaftlich lief es besser: Das Geschäftsvolumen aller Kreditinstitute in Deutschland stieg von 5,2 Billionen D-Mark auf 8,3 Billionen Euro Ende 2012, was einer Verdreifachung entspricht.

Und es hat immerhin mehr als zehn Jahre seit dem Ausspruch von Gates gedauert, bis Non- und Near-Banks wirklich als Spieler im Bankgeschäft beziehungsweise dem Zahlungsverkehr wahrgenommen werden. Am deutlichsten zeigt sich das im Markt für Online- oder mobile Bezahlsysteme. Zahlungsdienstleister für die Abwicklung von Transaktionen wie vor allem Paypal, Yapital oder Sofortüberweisung sind inzwischen zu ernst zu nehmenden Konkurrenten der Banken gewachsen. Etablierte Wettbewerber wie Kreditkartengesellschaften drängen in den Markt für mobile und Internet-Zahlungen, mit Erfolgen zwar, gemessen an der Vielzahl der Initiativen, aber noch mit keinem wirklichen Durchbruch. Auch weil die Einigung auf ein System gescheitert ist, stattdessen ringt Girogo der Sparkassen mit Paypass von Mastercard/Maestro und Paywave von Visa um die kleinen Marktanteile. Ebenso bemühen sich die großen Internetunternehmen wie Google, Apple und Amazon gemeinsam mit Finanzdienstleistern und Telekommunikationsunternehmen um neue Bezahlverfahren auf Basis der NFC (Near Field Communication)-Technologie. Auch hier fehlt es zumindest mit Blick auf Deutschland noch an entsprechenden Erfolgsmeldungen.

Dabei darf natürlich nicht vergessen werden: Deutschland ist Bargeld-Land, und nirgendwo anders ist die Infrastruktur der Bargeldversorgung so breit wie in der Bundesrepublik! Das zeigt sich dann auch im Nutzerverhalten. Obwohl mittlerweile 94 Prozent der Bundesbürger eine Girocard besitzen und immerhin mehr als ein Drittel der Verbraucher über eine "echte" Kreditkarte verfügen, geht der Griff doch meist noch zu Münzen und Scheinen. Im Einzelhandel beispielsweise werden nahezu zwei Drittel der Rechnungen in bar beglichen. Natürlich freuen sich alle Befürworter und Förderer des Kartengedankens in der Bundesrepublik über einen Rückgang des Bargeldanteils an den gesamten Ausgaben um fünf Prozentpunkte auf 53 Prozent zwischen 2008 und 2011, wie die Bundesbankstudie "Zahlungsverhalten in Deutschland 2011" ergeben hat. Und eine Verdoppelung des Kreditkartenanteils an den Umsätzen von 3,6 Prozent auf 7,4 Prozent ist sicherlich auch als Erfolg zu werten. Allerdings von kleiner Basis kommend und auf kleiner Basis bleibend.

Neben den durchaus bemerkenswerten Fortschritten im Zahlungsverkehr versuchen neue Anbieter auch im Einlagen- und Kreditgeschäft Fuß zu fassen. Kommt nun endlich die echte Revolution? Haben die etablierten Banken, allen voran die mit breiten stationären Vertriebsnetzen arbeitenden Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken, die digitale Revolution also wirklich verschlafen und droht ihnen nun gar das Ende? Wohl kaum, auch wenn man beiden Verbünden einen gewissen Nachholbedarf testieren muss, und auch wenn sowohl Sparkassen als auch Volks- und Raiffeisenbanken Marktanteile an die Angreifer verloren haben. Doch anders als von Bill Gates vorhergesagt, wandert das Bankgeschäft keineswegs nur in das Internet ab, und damit weg von den Banken, sondern die Kunden suchen den omnipräsenten Anbieter mit einem Multikanalangebot - der moderne Kunde will Bankgeschäfte schnell, sicher und kostengünstig von überall aus erledigen können, egal über welches Endgerät (Filiale, Telefon, Computer, Tablet-PC oder Smartphone). Dabei unterscheiden die Verbraucher zunehmend weniger zwischen Online- und Offline-Angeboten. Seit Anfang des Jahrtausends wurden insgesamt rund 45 Millionen Online-Girokonten bei den etablierten Instituten eröffnet. Damit dürfte Commerzbank-Privatkundenvorstand Martin Zielke recht behalten, der sagte: "Das Entweder-Oder wird sich am Ende nicht durchsetzen."

Eine große Rolle spielt aber die europäische Regulierung. Diese will unbedingt den Wettbewerb verschärfen. Ziel des Grünbuchs der Europäischen Kommission ist es erklärtermaßen, Zahlungsdienstleistern den Marktzugang zu erleichtern - unter anderem durch die Harmonisierung beziehungsweise Absenkung der Multilateralen Interchange Fees, die Trennung der Kartensysteme von der Abrechnung der Kartenzahlungen, den Zugang zu den Abrechnungssystemen, das Co-Badging sowie den über die Payment Service Directive (PSD 2) angestrebten Zugang von Nichtbanken zu Kontoinformationen. Kreditinstitute sollen laut PSD 2 Drittanbietern Informationen über die Verfügbarkeit von Geldbeträgen auf dem Kundenkonto zur Verfügung stellen. Gerade das ist vor dem Hintergrund von Sicherheit und Datenschutz äußerst kritisch zu sehen. Schließlich kann nicht garantiert werden, dass es nur bei diesem einmaligen Blick in die Daten bleibt, und dass der Drittanbieter diese Informationen nicht für eigene Zwecke nutzt. Zudem müssten Banken weiterhin in den Ausbau der Infrastruktur investieren, von dem Wettbewerber dann ohne eigene Leistung profitieren würden.

All das zeigt: Noch geht es nicht ohne Bank, denn hinter jedem Angebot der neuen Wettbewerber steht immer noch eine Bank, egal ob im Zahlungsverkehr oder dem Kreditgeschäft. Und die Aufsicht kann zwar die Anbieter nicht kontrollieren, wohl aber die Geschäfte, wie BaFin-Bankenaufseher Raimund Röseler im Gespräch in dieser Zeitschrift aufzeigt. Die digitale Herausforderung für Banken und Sparkassen wird sicherlich nicht kleiner. Doch haben die Institute immer noch die besten Informationen und den direktesten Zugang zu den Kunden, die darüber hinaus den neuen Anbietern mit einer gewissen Portion Skepsis gegenüberstehen - wie allem Neuem. Begleiten die klassischen Finanzinstitute den digitalen Strukturwandel aktiv, wird sich der Verdrängungswettbewerb in Grenzen halten, auch weil die Angreifer bislang eher auf Kooperation mit den Banken setzen, denn auf Konfrontation. "Sitzenbleiber" werden es dagegen schwer haben, sich zu behaupten.

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