Aufsätze

Neuer Ausschlag des Regulierungspendels - Chancen für den Finanzplatz?

Der Verband der Auslandsbanken hat kürzlich zusammen mit PwC die 3. Auflage seines englischsprachigen Buches "Banking Business in Germany" veröffentlicht. Es handelt sich um eine umfassende Übersicht zahlreicher Vorgaben, die Banken und andere Finanzdienstleister in Deutschland zu beachten haben. Die übersichtliche und transparente Darstellung dient auch dazu, potenziellen ausländischen Marktteilnehmern Schwellenängste zu nehmen und zu zeigen, dass der hiesige Markteintritt weder besonders kompliziert noch aufwendig ist. Das Buch soll auch einen Beitrag zur Förderung des Finanzplatzes leisten; dies ist in Zeiten, in denen die Öffentlichkeit die Branche kritisch beobachtet und viele lieber eher weniger als mehr Finanzplatz sehen würden, besonders wichtig.

Stärkung der Stabilität des Finanzsystems

Aber gibt es diesen Zielkonflikt bei einer genaueren Betrachtung eigentlich wirklich? Dies wäre nur dann der Fall, wenn unterschiedliche Ziele verfolgt würden. Lässt man aber Extrempositionen wie Zerschlagung des Finanzsektors oder weitere Deregulierung einmal außen vor, kann man nach einer sorgfältigen Analyse der zurückliegenden Verwerfungen auf den Finanzmärkten durchaus auch einen Grundkonsens identifizieren, nämlich die Stärkung der Stabilität des Finanzsystems. Einigkeit dürfte insoweit bestehen, dass diese aufgrund der globalen Vernetzungen und Interdependenzen zwischen Banken, Realwirtschaft und auch Staatshaushalten ein hohes Gut ist. Die Stationen der Krise sind allen bekannt. Welche Folgerungen sind aber hieraus zu ziehen? Einigkeit bestand weltweit schnell, dass man der Wiederholung einer solchen Krise nur mit einer verstärkten Regulierung begegnen könne, die auf internationaler Ebene abgestimmt erfolgen müsse, um Ausweichmöglichkeiten und Aufsichtsarbitrage zu verhindern. Als man dann aber diese Metaebene verließ und es sich zeigte, dass die einzelnen Volkswirtschaften unterschiedlich von der Finanzkrise betroffen waren, trennten sich die Wege wieder. Einigte man sich in Basel noch auf zahlreiche strengere Eigenkapitalanforderungen und andere Maßnahmen zur Reduzierung von Risiken im Finanz- und Bankensystem, zeigt nun die Diskussion um die Umsetzung in den Mitgliedstaaten des Baseler Ausschusses auch, dass Gesichtspunkte des Wettbewerbs von Finanzplätzen untereinander durchaus wieder eine wichtige Rolle spielen.

Unabhängig von einer Beurteilung dieser im Grundsatz sicherlich bedauerlichen Entwicklung stellt sich die Frage, welche Schlüsse hieraus für den hiesigen Finanzplatz zu ziehen sind. Aktuell hört man oft, dass nach einer Deregulierung der Finanzmärkte bis 2007 das Pendel der Regulierung nun zurückschlage und die Finanzindustrie künftig so streng reguliert würde, dass auch die Realwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen würde. Dies wäre auf jeden Fall dann die Folge, wenn es zu Regulierungen kommt, die die Rolle der Finanzindustrie innerhalb des Kreislaufs einer Marktwirtschaft stark beeinträchtigen würden. Es scheiden sich die Geister, ob dies angesichts der bereits vorgenommenen und der noch ausstehenden, aber vorhersehbaren Regulierung der Fall sein wird. Mit Sicherheit beurteilen lässt es sich aber erst in einer Rückschau in einigen Jahren.

Neuausrichtungen und neue Geschäftsmodelle

Heute kann man lediglich so viel prognostizieren: Es wird sowohl Neuausrichtungen und neue Geschäftsmodelle geben als auch neue Marktteilnehmer, die sich an die neuen Gegebenheiten leichter als andere anpassen und diese bewältigen können. Und auch so viel steht fest: Die Herausforderungen sind beachtlich, aber es bieten sich sicherlich auch Chancen - nicht nur für jedes einzelne Institut, sondern auch für die einzelnen Finanzplätze, da sich alle Beteiligten neu orientieren müssen. Insoweit bieten sich Gestaltungsmöglichkeiten für alle Akteure, die genutzt werden sollten, um das Finanzsystem stabiler als in der Vergangenheit zu machen.

Eine kurze Bestandsaufnahme der neuen Regulierungsprojekte zeigt: Bereits zu Beginn der Finanzkrise wurde schnell der Schutzumfang der Einlagensicherung von 50000 Euro auf 100 000 Euro angehoben, um das Vertrauen der Einleger in ganz Europa zu erhöhen. Eine weitere, weitaus grundlegendere Reform ist derzeit in der Diskussion, die nicht nur zahlreiche Fragen des Verfahrens im Falle der Insolvenz einer Bank wie beispielsweise die Auszahlungsfristen regeln, sondern auch zu einer bislang nicht gesetzlich vorgesehene Vorfinanzierung der Einlagensicherungssysteme verpflichten soll.

Die sogenannte AIFM-Richtlinie legt den Anbietern von zahlreichen Investmentprodukten - angefangen von Hedgefonds bis hin zu geschlossenen Fonds und ähnlichen Produkten mit der Ausnahme von Sondervermögen nach der OGAW-Richtlinie zahlreiche organisatorische Pflichten auf, um künftig möglichst viele Investmentprodukte aufsichtsrechtlich zu erfassen.

Gleichfalls recht schnell wurde mit der Errichtung der drei europäischen Behörden für die Bank-, Versicherungs- und Kapitalmarktaufsicht der Nukleus für eine umfassende Beaufsichtigung des Finanzwesens in Europa gelegt. Die genannten Behörden werden mittelfristig zunehmend an Bedeutung gewinnen und zahlreiche Zuständigkeiten erhalten, die bislang noch auf rein nationaler Ebene verankert sind.

Zudem kamen auch auf nationaler Ebene

- nicht zuletzt wegen des erheblichen Drucks seitens der Öffentlichkeit - europäisch nicht abgestimmte Regelungen wie Leerverkaufsverbot und Bankenabgabe hinzu. Die Liste ließe sich noch um zahlreiche Maßnahmen ergänzen. Nicht unerwähnt bleiben sollten aber auf jeden Fall die anstehende Umsetzung von Basel III, die European Market Infrastructure Regulation (EMIR) sowie die Überarbeitung der MiFID.

Enges Zeitfenster für die Umsetzung neuer Regeln

Hauptziel jeder dieser Regelungen ist es, die Stabilität des Finanzsystems zu erhöhen: Mit Basel III soll dies für die Kreditinstitute unter anderem mit strengeren Eigenkapitalanforderungen und-puffern sowie neuen Anforderungen beim Risiko- und Liquiditätsmanagement gewährleistet werden. Mit der EMIR soll der Handel mit Finanzderivaten wie Credit Default Swaps oder Interest Rate Swaps transparenter und sicherer werden. Geschäfte, die bislang weitgehend unreguliert und außerbörslich (OTC) zwischen den Finanzmarktakteuren vereinbart wurden, sollen hiernach künftig zu großen Teilen über Zentrale Gegenparteien (CCP) besichert abgewickelt und an zentrale Transaktionsregister gemeldet werden. Aber auch solche Geschäfte, die wegen fehlender Standardisierbarkeit oder anderer Gründe nicht über einen CCP abgewickelt werden können, sollen erhöhten Anforderungen an Besicherung und Risikomanagement unterfallen.

Vergleichbare Absichten werden bei der Reform der MiFID verfolgt, mit der beispielsweise bisher unregulierte "organisierte Handelssysteme" (OTF), auf denen unter anderem standardisierte Derivatkontrakte zunehmend gehandelt werden, sowie "Dark Pools" regulatorisch erfasst werden. Daneben soll auch der Hochfrequenzhandel reglementiert werden.

Hinzu kommen neue Transparenzregime für den Handel mit Schuldverschreibungen, strukturierten Finanzprodukten und Derivaten, die die Veröffentlichung von Marktdaten vorsehen, und erstmals auch Vorgaben für den Handel mit Warenderivaten. Zudem sollen bei Gefahr für den Anlegerschutz, die Finanzstabilität oder das Funktionieren der Märkte bestimmte Produkte, Dienstleistungen oder Praktiken verboten werden können.

Neue Mechanismen der Rechtsetzung

Ohne Zweifel, alle Beteiligten haben ein ansehnliches Regulierungspaket zu stemmen. Anders als oft in der Vergangenheit sind hierfür nicht nur der Ausbau von Systemen und zusätzliche organisatorische Vorkehrungen erforderlich, sondern teilweise das Aufgeben oder die fundamentale Umstellung von Geschäftsmodellen. Dies zeigt zum Beispiel ein Blick auf die eben beschriebene EMIR, die das Geschäft mit Finanzderivaten erheblich beeinflussen wird und für Betreiber von Handels- und Abwicklungsplattformen neue Geschäftsmöglichkeiten aufzeigt. Da zudem der Markt insbesondere die Anforderungen nach Basel III ungeachtet von Übergangsfristen einfordern wird, bleibt für die Implementierung nur ein enges Zeitfenster, das es nun zu nutzen gilt, nicht nur von den Normadressaten, sondern auch von denen, die die Regelungen mitgestalten.

Hinzu kommt: Nicht nur die Regelungsinhalte sind neu, sondern auch die Rechtsetzungsmechanismen. Während in der Vergangenheit nahezu ausschließlich in nationales Recht umzusetzende Richtlinien zum Einsatz kamen, werden diese nun verstärkt durch direkt geltende europäische Verordnungen ersetzt, die durch technische Standards der neuen europäischen Aufsichtsbehörden ergänzt werden. Die damit verbundene weitreichende Harmonisierung der Regelwerke in Europa begrüßt der Verband der Auslandsbanken.

Damit geht aber nicht nur einher, dass die früher übliche Umsetzungsfrist von bis zu zwei Jahren entfällt, die es nicht nur dem nationalen Gesetzgeber ermöglichte, das nationale Gesetz zu formulieren, sondern auch dem Normadressaten erlaubte, auf Grundlage der Richtlinie bereits mit Implementierungsmaßnahmen, die oft mit aufwendigen IT-Anpassungen verbunden sind, zu beginnen.1) Dieser Zeitpuffer fehlt nun häufig.

Des Weiteren hat der Rechtsanwender vielfach künftig kein halbwegs in sich geschlossenes Normwerk zu beachten. Nationale Regeln werden durch unmittelbar geltende europäische Vorgaben ergänzt. Teilweise müssen sogar in EU-Verordnungen enthaltene Wahlrechte wiederum durch den nationalen Regelungsgeber präzisiert werden. Hier die Übersicht zu behalten, ist eine der neuen Herausforderungen - neben der Implementierung selbst.

Dies betrifft jedoch alle Marktteilnehmer und Finanzplätze in Europa. Insoweit gilt es nun für alle Beteiligten, somit auch für die Politik und die Aufsicht, national entsprechende Umsetzungen schnell und friktionsfrei vorzunehmen und zusammen mit den Marktteilnehmern Regelwerke und Übersichten zu gestalten, die Rechtssicherheit in Form von Klarheit und Verständlichkeit bieten. Denn auch dies kann wiederum ein Standortvorteil sein.

Konsequente Harmonisierung

Gesteigert wird diese Rechtssicherheit zudem weiterhin durch die konsequente Harmonisierung des Rechts auf europäischer Grundlage. Denn wenn das Regelwerk in London, Paris und Frankfurt einheitlich ist, ist die Hürde geringer, sich an einem Finanzplatz einer wirtschaftlich prosperierenden Volkswirtschaft wie Deutschland anzusiedeln, da man ja die wichtigsten Regelungen bereits kennt. Daher sollten auch in Zukunft Insellösungen - wobei eine Insel auch von mehreren Mitgliedstaaten gebildet werden kann - vermieden werden.

Würde beispielsweise die aktuell diskutierte Finanztransaktionssteuer nur in einigen Mitgliedstaaten eingeführt, käme es ohne Zweifel nicht nur zur Schädigung einzelner Finanzplätze, sondern auch eventuell zu einer Beeinträchtigung der Finanzstabilität, insbesondere dann, wenn es zu Verlagerungen in nicht der hiesigen Aufsicht unterfallende Jurisdiktionen kommt.

Neue Finanzmarktarchitektur

Solche Abwanderungen gilt es aber genauso zu vermeiden wie insgesamt Regulierungen, die erneut der Etablierung sogenannter Schattenbanken Vorschub leisten. Schließlich waren die Genannten eine der Ursachen für die Finanzkrise und es dürfte Einigkeit bestehen, dass dies schon aus Gründen der Finanzmarktstabilität vermieden werden sollte. Der gleiche Grundkonsens besteht aber auch dahingehend, dass Reformen insgesamt unumgänglich sind.

Die damit verbundenen Herausforderungen und die Änderung bestehender Verhältnisse bieten aber auch neue Chancen. Die Finanzmarktarchitektur wird sich in den nächsten Jahren erheblich ändern, hierauf müssen sich alle Beteiligten einstellen. Dann werden hiervon Anleger, Kunden und alle anderen Marktteilnehmer sowie die Finanzstabilität und damit letztlich der Finanzplatz und die Volkswirtschaft profitieren.

Nun gilt es für alle Beteiligten am hiesigen Finanzplatz, schnell, transparent und verständlich Regelungen zu formulieren, die eine Umsetzung erleichtern. Auch so kann unabhängig von den jeweiligen Inhalten ein Beitrag dazu geleistet werden, dass das berühmte Regulierungspendel nicht allzu weit schwingt und gleichzeitig die Attraktivität und Stabilität des Finanzplatzes gewahrt oder - besser - gesteigert wird.

Fußnote

1)Die Vorarbeiten zur Implementierung der im April 2004 veröffentlichten, bis zum 1. November 2007 umzusetzenden MiFID I begannen beispielsweise bereits nach Veröffentlichung der Richtlinie und der Durchführungsbestimmungen der Kommmission, die erst im August 2006 verfügbar waren. Das deutsche Umsetzungsgesetz stand erst im Juli 2007 im Bundesgesetzblatt.

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