Rechtsprechung

Keine Kausalität zwischen "Breuer-Interview" und Kirch-Pleite?

Unter der Überschrift "Haftung für wahre Äußerungen?"*) brachte es der emeritierte Züricher Rechtsprofessor Heinrich Honsell auf den Punkt: Die Bemerkung Rolf Breuers, damals Vorstandssprecher der Deutschen Bank, in dem Interview vom 3. Februar 2002, dass nach allem, was man darüber lesen und hören könne, der Finanzsektor nicht bereit sei, auf unveränderter Basis noch weitere Fremd- oder Eigenmittel zur Verfügung zu stellen, war nicht die rechtlich relevante Ursache für den Zusammenbruch der Kirch-Gruppe. Sie hätte daher auch nicht die Schadenshaftung der Deutschen Bank begründen können, wie das vom OLG München mit Urteil vom 14. Dezember 2012**) nun festgestellt worden ist.

Kausal für diesen Zusammenbruch war nach Honsells Überzeugung vielmehr die zurzeit des Interviews bereits feststehende und spätestens seit Ende Januar 2002 im Finanzsektor bekannte - und auch später prozessual festgestellte - Tatsache, dass die Gruppe zirka 6,5 Milliarden Euro Schulden angehäuft hatte und notwendige 767 Millionen Euro für eine Put-Option des Springer-Verlages nicht aufbringen konnte. Als weitere Tatsache kommt für ihn hinzu, dass der Finanzsektor unabhängig von dem Breuer-Interview und zeitlich bereits davor zu weiteren Krediten nicht mehr willens war.

Zwei Tage vor dem Interview berichteten zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung und das Manager-Magazin ganz unverblümt über diese fehlende Bereitschaft des Finanzsektors. Breuer habe in dem Interview also tatsächlich nur geäußert, was "man darüber lesen und hören konnte". Die von der Überschuldung der Kirch-Gruppe und der Kreditweigerung des Finanzsektors ausgehende Kausalkette in Richtung ihres Zusammenbruchs sei zurzeit des Breuer'schen Hinweises auf das "was man darüber lesen und hören" könne, längst ausgelöst und in Bewegung gewesen.

Dem OLG München - der BGH hatte diese Frage aus prozessrechtlichen Gründen ausgespart - sind zur Kausalität des Breuer-Interviews offenbar logische Fehler unterlaufen, die Honsell nun an den Tag gebracht hat:

Er stellte dazu fest, dass das Gericht die (inhaltlich zutreffende) Äußerung Breuers über die im Finanzsektor nach Medienberichten vorherrschende Einstellung zur Kirch-Gruppe fehlerhaft an die Stelle der schon zuvor eingetretenen eigentlichen Ursache (die Überschuldung der Kirch-Gruppe und die Weigerung des Finanzsektors zu weiteren Krediten) gesetzt habe. Auch nach den anerkannten juristischen Grundsätzen zur "überholenden Kausalität" bleibe eine etwaige "Zweitursache" (das Breuer-Interview) irrelevant, wenn bereits die erste Ursache (Überschuldung und "Nicht-Bereitschaft" des Finanzsektors) den Kausalverlauf zum Zusammenbruch der Kirch-Gruppe in Gang gesetzt hatte.

Die Äußerung Breuers würde mithin "als Ursache der Insolvenz nur in Betracht kommen, wenn ohne sie die Bereitschaft des Finanzsektors zur weiteren Kreditgewährung noch bestanden hätte. War dies nicht mehr der Fall - und davon ist auszugehen -, so blieb sie ohne Wirkung." Der Vorwurf, durch Breuers Aussage habe die Deutsche Bank ihre Loyalitätspflicht gegenüber der Kirch-Gruppe verletzt, stoße ins Leere, "wenn die Aussage den Tatsachen (entspreche) und das Kind quasi schon in den Brunnen gefallen (sei). Tatsache und Äußerung schließen sich als Ursachen gegenseitig aus. Beide zugleich können nicht kausal gewesen sein, sondern nur entweder die Tatsache oder die Äußerung".

Das OLG München hatte in seiner mündlichen Urteilsbegründung für erwiesen erachtet, dass die Äußerung Breuers das Ende des Kirch-Imperiums besiegelt habe und daher für den Insolvenzschaden kausal gewesen sei. Honsell argumentiert dagegen, dass das Kausalitätsprinzip hier nicht korrekt angewendet wurde. Denn "das Verhalten des Schädigers (Breuer) muss conditio sine qua non gewesen sein, also eine Bedingung, die nicht weggedacht werden kann, ohne dass auch die Insolvenz entfällt".

Entscheidend ist mithin, ob die Insolvenz mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre, wenn die Äußerung Breuers nicht erfolgt wäre. Nach dem Urteil des OLG München müsste die Deutsche Bank den Kirch-Erben jetzt Schadensersatz möglicherweise in der Größenordnung von einer Milliarde Euro oder mehr zahlen, "obwohl Kirch es selbst und alleine war, der seine Gruppe durch übermäßige Inanspruchnahme von Krediten in den Ruin geführt hat".

An diesem Punkt stellt Honsell die - zu verneinende - Frage, ob es in einem Rechtsstaat möglich sein dürfe, dass eine "wahre Äußerung" solche extremen Schadensersatzpflichten nach sich ziehen könne. Und er verbindet damit die Rüge an das Gericht, dass es in der (nicht Breuers Äußerung anzulastenden) übermäßigen Verschuldung der Kirch-Gruppe nicht zumindest ein erhebliches rechtlich relevantes Mitverschulden (§ 254 BGB) an dem durch den Ruin entstandenen Schaden festgestellt hat.

Es wäre insofern nicht zuletzt Honsells (literarisches) Verdienst, wenn der BGH der Beschwerde der Bank gegen die Nichtzulassung der Revision durch das OLG stattgeben und diesen seit Jahren schwebenden Prozess endlich zu dem von Honsell zutreffend erkannten Ergebnis bringen würde, dass Kirch die Ursache für seine Pleite selbst schon längst vor Breuers "wahrer Äußerung" über die Einstellung des Finanzsektors gesetzt hatte, und dass diese Äußerung nicht das Motiv zur Kreditweigerung an die Kirch-Gruppe gewesen ist.

RA Dr. Claus Steiner, Wiesbaden

Fußnoten

*) Heinrich Honsell, Haftung für wahre Äußerungen? Aufsatz in ZIP 2013, S. 444 ff.

**) Das im Original 110-seitige Urteil ist in seinen wesentlichen Teilen abgedruckt in ZIP 2013, S. 558 bis 569.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X