Leitartikel

Griechischer Wein

Im Wein, so besagt es das bekannte römische Sprichwort, liegt die Wahrheit, und der griechische Wein, so wissen es die Kenner, schmeckt erfahrungsgemäß bitter. Das liegt an dem beigemischten Harz, das den speziell im heißen Mittelmeerraum schnell drohenden Zerfallsprozess verhindern soll. Deswegen eignet sich das Getränk auch vornehmlich für traurige Anlässe in dunklen Stunden. Udo Jürgens wusste darüber in den siebziger Jahren ein Lied zu singen. Heute gäbe es erneut Gründe, sich diesen Stoff reichlich einzuschenken und dabei diesen Song aus der Jukebox erklingen zu lassen, wenngleich der Anlass nicht mehr die Träume von Hügeln, Meer und Wind sind, sondern das Heimweh nach geordneten Verhältnissen: Der griechischen Staatsfinanzen ebenso wie der ordnungsgemäßen Buchführung und von dem achtsamen Befolgen von feierlich beeideten Regeln zur Zügelung von Defiziten. Gewiss konnte niemand bei der Begründung des Euro-Paktes vorausahnen, wie schnell, gründlich und vor allem wie bereitwillig die Regelungen gedehnt werden würden, die doch einen Euro härter noch als die DM zu machen versprachen. Aber spätestens der Schuldentsunami im Zusammenhang mit der Finanz-und Wirtschaftskrise hat erkennen lassen, wie weich und wie niedrig die sicher geglaubten Deiche gegen eine massive staatliche Verschuldungswelle geworden sind. Die inzwischen erreichten Verschuldungsgrade nähern sich auch bei den solideren Kern-Euroländern wie Deutschland und Frankreich mit Hochgeschwindigkeit den 100-Prozent-Marken des BIP, wenn sie nicht wie bei Griechenland bereits deutlich überschritten wurden. Und damit wird die Frage virulent, wie und in welchen Zeiträumen und unter welchen politischen Begleitumständen diese Verschuldung zurückgeführt werden kann. Der Kern der Spekulationsstampede gegen den Euro liegt wohl darin, dass eine wachsende Zahl von Kapitalbesitzern inzwischen der Auffassung sind, dies würde ohnehin nicht mehr gelingen können. Griechenland führt damit möglicherweise pars pro toto vor, was allen Mitgliedsländern des Euro, den südlicheren zumal, aber auch solchen droht, die nicht Euroländer sind, gleichwohl dem europäischen Wirtschaftsraum wie Island oder Großbritannien zugehören, wenn sie es versäumen, rechtzeitig ihren Schuldenzuwachs in ein nachvollziehbares Verhältnis zu den möglichen Einnahmezuwächsen aus Steuern zu setzen. Weil die Wirtschaftskrise auf Jahre hinaus nur noch abgeflachte Wachstumspfade erwarten lässt, muss zwangsläufig die Ernsthaftigkeit solcher politischer Bemühungen in den Schritten zur Ausgabebegrenzung ablesbar sein. Und dabei hapert es schon jetzt bereits vielerorts. Gewiss muss man Griechenland mit seinen schon notorisch zu nennenden Statistiktricksereien als Ausnahmefall ansehen. Schließlich handelte es sich angesichts der relativen Größe und wirtschaftlichen Bedeutung des Landes im Verhältnis zum Euroland und zu den übrigen europäischen Ländern um eine Causa, die lange Zeit das gezielte Wegsehen und eine Benign-neglect-Haltung seitens der Brüsseler Sanktionsmechaniker erklärbar und verzeihlich erscheinen ließ. Inzwischen nagt aber in einem wachsenden Teil der ernüchterten paneuropäischen Steuerzahler der Verdacht, dass der sorglose Umgang mit geborgtem Geld auf Kosten anderer keineswegs eine isoliert griechische Unart, sondern eine krankhafte Haltung geradezu pandemischen Ausmaßes ist. Diese scheint, so muss man befürchten, den Europäern in die Wiege gelegt worden sein. Denn wenn die Zivilisation in weiten Teilen auf die Vordenker und Lenker aus Griechenland hergeleitet wird, dann darf man die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, dass in diesem Denken das Herummogeln um die Notwendigkeiten seit mehr als 2 500 Jahren bereits angelegt ist. So rät zwar Aristoteles in seinem Werk über die Ökonomie eindringlich dazu, die "Ausgaben nicht größer als die Einnahmen werden" zu lassen, bietet aber im gleichen Zusammenhang 77 Tricks dazu an, die Einnahmen künstlich zu erhöhen, darunter auch solche, wie man immer mehr Schulden aufnehmen und ferner den Zeitpunkt der Rückzahlung immer weiter hinausschieben kann. Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt die Entwicklung der deutschen Staatsfinanzen und den Umgang damit, kommt man nicht umhin, starke griechische Wurzeln zu entdecken. Nach jüngsten Berechnungen der Bundesbank ist nicht nur der explizite Schuldenstand auf eine Rekordhöhe von 80 Prozent des BIP gestiegen, es ist inzwischen auch das gesamte Nettovermögen des Staates aufgebraucht! Nicht genug damit bestehen darüber hinaus als implizite Schulden Verpflichtungen aus ungedeckten Pensionsansprüchen, die das Dreifache der ausgewiesenen Staatsschulden erreichen! Und weitere Verschuldungsrisiken drohen aus der absehbaren Erhöhung der Zinsen. Welche Dimensionen dies für den Staatshaushalt beinhalten könnte, wird an einem Beispiel deutlich: Wären die Zinsen derzeit auf dem Niveau von 1992, würde der Mehraufwand pro Jahr 70 Milliarden Euro ausmachen, also fast das Defizit des Bundeshaushaltes! Käme noch eine Ratingabstufung hinzu, würden die zusätzlichen Zinskosten schnell die 100-Milliarden-Euro-Schallmauer durchbrechen können, und das sind mehr als die Maastrichter Verschuldungsgrenze von maximal drei Prozent des BIP. Es wäre müßig sich vorzustellen, in einem solchen Falle auf die Hilfe von anderen Euroländern rechnen zu können. Deswegen ist Deutschland klug beraten, mit gleicher Entschlossenheit an eine durchgreifende Reduzierung der eigenen Schulden zu gehen, wie sie jetzt von der griechischen Regierung unter dem Druck des Kapitalmarktes und der Gläubigerstaaten abverlangt werden. Die mögliche Alternative ist die, wie der Filmheld Alexis Sorbas nach dem kompletten Zusammenbruch seines Bergwerkes die Flasche Wein zu nehmen und den Sirtaki zu tanzen!

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