Aufsätze

Genossenschaftliche Regionalverbände auf dem Weg in die Zukunft - von der Pflichtmitgliedschaft zur Kundenloyalität

"Was bleibt, ist die Veränderung; was sich verändert, bleibt." In der schnelllebigen und dynamischen Welt des 21. Jahrhunderts wird dieser Aphorismus des Berliners Michael Richter täglich bestätigt: Nur derjenige, der sich dem Wandel stellt und offen für Neues ist, bleibt am Ende existent. Dies gilt insbesondere für Unternehmen und Institutionen - und damit auch für Genossenschaften und deren Regionalverbände. Denn anders ist es kaum zu erklären, dass sich die "eingetragene Genossenschaft" seit über 150 Jahren in einem zunehmend vom Wandel geprägten Wirtschaftsumfeld als "sturm- und wetterfestes" Rechtskleid für Unternehmen bewährt hat.

Impulsgeber und "Netzwerker"

Der Anteil der genossenschaftlichen Regionalverbände an dieser Erfolgsbilanz ist sicher nur schwer zu greifen. Eines aber steht fest: Der für die Genossenschaftsverbände vom Gesetzgeber fixierte Prüfungsauftrag sowie die satzungsgemäße Beratung, Betreuung und Interessenvertretung seiner Mitgliedsinstitute und überdies die Verantwortung für die Aus- und Weiterbildung der dortigen Führungskräfte und Mitarbeiter tragen in hohem Maße dazu bei, dass die eingetragenen Genossenschaften in Deutschland mit Abstand zu den insolvenzsichersten und damit stabilsten Unternehmensformen gehören.

Aber genügt die "Insolvenzsicherheit" der Mitglieder dem Kriterium einer erfolgreichen und damit "existenzberechtigenden" Verbandsarbeit? Mit Sicherheit nicht (mehr)! Angesichts sich stetig verkürzender Halbwertszeiten wirtschaftlicher, technischer und politischer Rahmenbedingungen sind die genossenschaftlichen Regionalverbände mehr denn je dazu aufgefordert, ihren Mitgliedern vor Ort als Ideen- und Impulsgeber, vor allem aber auch als hochspezialisierte Dienstleister, Interessenvertreter und "Netzwerker" zur Seite zu stehen.

Dabei ist die Beziehung zwischen Verband und Mitglied längst kein geschlossenes System mehr: Insbesondere mit Blick auf die freiwilligen Beratungs- und Betreuungsleistungen buhlen mittlerweile zahlreiche private Gesellschaften um die Gunst der Genossenschaften und setzen durch Preis und Leistung die entsprechende Benchmark für die Genossenschaftsverbände. Und nur dann, wenn es ihnen gelingt, aus der vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Mitgliedschaft ihrer Genossenschaften eine loyale Kundenbeziehung auf Basis der betreuenden Jahresabschlussprüfung zu generieren, beschreiten die genossenschaftlichen Regionalverbände den Weg in die Zukunft erfolgreich. Entscheidend wird dabei sein, die für die Mitgliedsunternehmen maßgeblichen Rahmenbedingungen zu antizipieren und zu interpretieren.

Genossenschaften: regionale Akteure unter globalen Bedingungen

Befragt man die Zukunftsforscher nach den sogenannten Megatrends, so steht übereinstimmend meist eine Antwort an erster Stelle: Globalisierung. Versteht man diese Vokabel als Prozess, der lokale, regionale und nationale Grenzen überschreitet und zu einer ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Verdichtung der Welt führt, erkennt man rasch, dass sich auch die Genossenschaften diesem Einfluss nicht entziehen können - trotz einer meist regional ausgerichteten Geschäftspolitik. So haben viele Aspekte der Rechtsprechung längst den deutschen Boden verlassen, um "harmonisiert" auf europäischer Ebene als EU-Verordnung oder -Richtlinie länderübergreifend verbindlich zu werden.

Wie groß die Auswirkungen dieser Entwicklung alleine auf die Gruppe der ausschließlich auf regionale Märkte ausgerichteten Gruppe der Volksbanken und Raiffeisenbanken sind, lässt sich schon anhand der aktuellen Themen belegen: Die EU-Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente MiFID (Markets in Financial Instruments Directive), anzuwenden seit 1. November dieses Jahres, die EU-Verordnung zum einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraum Sepa (Single Euro Payments Area), der in den kommenden Jahren nach und nach realisiert werden soll, oder auch die dritte EU-Geldwäscherichtlinie, die bis 15. Dezember in deutsches Recht umgesetzt sein muss. Aber auch der nationale Gesetzgeber degradiert die Volksbanken und Raiffeisenbanken zunehmend zum bürokratischen Erfüllungsgehilfen des Staates - und dies in einer Zeit, zu der sich die genossenschaftlichen Unternehmen längst einem immer schärferen Wettbewerb gegenüber sehen, der an regionalen oder nationalen Grenzen nicht Halt macht.

Andere genossenschaftlich geprägte Sektoren wie die Landwirtschaft werden ebenfalls vom globalen Geschehen zunehmend beeinflusst: So orientiert sich das Einkommen der heimischen Getreide- oder Milchbauern schon lange nicht mehr an den lokalen Gegebenheiten, sondern einzig am Aufeinandertreffen von Angebot und Nachfrage auf den Weltmärkten. Bei Obst und Gemüse sorgt der freie europäische Handel und die Ost-Erweiterung der Europäischen Union für einen erhöhten Druck auf die deutschen Erzeuger - sowohl in der Produktion als auch in der Vermarktung.

Und mussten sich die badischen Winzer mit Blick auf die ausländische Konkurrenz einst nur mit dem benachbarten Elsass "auseinandersetzen", haben im Kampf um die Regalflächen im Fach- und Einzelhandel heute längst Anbieter aus Übersee den Hut in den Ring geworfen - und das mit Erfolg. Sollten überdies die Pläne der EU-Kommission zur Reform des Weinmarktes umgesetzt werden, steht die deutsche Weinlandschaft vor tief greifenden Veränderungen. Alleine diese schlaglichtartige Aufzählung zeigt, welchen Herausforderungen sich die Genossenschaften und insbesondere deren Verantwortliche heute und in Zukunft stellen müssen.

Globale Fragen - regionale Antworten

Neben dem großen Thema Globalisierung definieren die Zukunftsforscher nahezu übereinstimmend einen weiteren wichtigen Megatrend, der gemeinhin oft unterschlagen wird: Regionalisierung. Als Folge der Globalisierung und der weltweiten Vereinheitlichung suchen die Menschen geradezu wieder nach regionaler Identität, Beheimatung und Verwurzelung. Die Welt soll wieder greifbar sein und nicht in der Virtualität verschwinden. Und hier liegt die große Chance der genossenschaftlichen Primärstufe. Denn nach wie vor sind die Regionen die ökonomischen Machtzentren, Erfolge erzielt man nur auf lokalen Märkten. Globale Fragen erfordern also regionale Antworten.

Doch die bloße regionale Verankerung genügt keineswegs mehr, um im Wettbewerb zu bestehen. Neben hochprofessionellen Strukturen der Genossenschaften vor Ort zählen künftig vor allem gruppenimmanente Wertschöpfungsnetze und Kooperationen zu den entscheidenden Schlüsselfaktoren - das hermetisch abgeschottete Unternehmen hat längst ausgedient. Nur im Rahmen eines tragfähigen genossenschaftlichen Netzwerkes wird es gelingen, die regionalen Märkte der Zukunft erfolgreich mitzugestalten.

Zentraler Auftrag der genossenschaftlichen Regionalverbände ist es daher, ihre Mitglieder "proaktiv", also strategisch vorausschauend zu begleiten und sie zukunfts-, gewinn- und damit marktfähig zu machen. Dieser Ansatz basiert auf zwei zentralen Säulen: der betriebswirtschaftlichen Unternehmensberatung auf Grundlage der Wirtschaftsprüfung im Rahmen des gesetzlichen Auftrags sowie auf der verbundinternen und -externen Interessenvertretung der Mitglieder.

Auf Empfehlung und unter aktiver Begleitung des Badischen Genossenschaftsverbandes haben die Volksbanken und Raiffeisenbanken zwischen Tauberfranken und Bodensee schon sehr früh damit begonnen, ihre Kräfte zu bündeln und ihre Strukturen an den künftigen Anforderungen des Marktes auszurichten. Mit einer durchschnittlichen Bilanzsumme von über 670 Millionen Euro stehen sie im Vergleich der Regionalverbände bundesweit an der Spitze. Größere Einheiten in Verbindung mit den erwähnten komplexeren rechtlichen und aufsichtsrechtlichen Vorgaben bedeuten jedoch auch höhere Anforderungen an die Prüfung des Jahresabschlusses und damit an den zuständigen Prüfungsverband.

Der Verband als betriebs wirtschaftliches Beratungsunternehmen

Durch den zusätzlichen Einsatz ausgewiesener Spezialisten unter den Verbandsprüfern stehen den badischen Instituten kompetente Ansprechpartner zur Verfügung, die den traditionellen, künftig aber mehr denn je erforderlichen Ansatz einer "betreuenden Prüfung" in die Tat umsetzen. Darüber hinaus orientiert sich die für die Beratung der Banken zuständige Abteilung des Genossenschaftsverbandes bereits seit einigen Jahren äußerst erfolgreich mit ihren drei Kompetenzfeldern "Produktion", "Steuerung" und "Vertrieb" unmittelbar an der in den Instituten vor Ort vorherrschenden Organisationsstruktur und stellt auch hier den Genossenschaften fachbezogenes Expertenwissen zur Verfügung einschließlich der Steuer- und Rechtsberatung. Ein entscheidendes und messbares Kriterium für die erfolgreiche Arbeit der einzelnen Kompetenzfelder ist die Ergebnisverantwortung der Führungskräfte. Denn der Genossenschaftsverband steht mit seinen für die Mitglieder fakultativen und daher meist kostenpflichtigen Beratungsleistungen in unmittelbarem Wettbewerb mit sogenannten Drittanbietern außerhalb der Organisation.

Interessenvertretung nach innen und nach außen

Die Europäisierung insbesondere in der Rechtsprechung rückt auch bei den genossenschaftlichen Regionalverbänden den satzungsmäßigen Auftrag der politischen Interessenvertretung zunehmend in den Mittelpunkt des Alltagsgeschäfts. Von großem Vorteil erweist sich dabei die praktizierte Arbeitsteilung innerhalb der deutschen Genossenschaftsorganisation: Während die Spitzenverbände wie DGRV, BVR, DRV oder ZGV an den bundes- beziehungsweise europaweiten Schaltzentralen sitzen, leisten die Regionalverbände "Basisarbeit" auf Landesebene. Diese gelebte Form der Subsidiarität sorgt für inhaltliche Stringenz im Rahmen der politischen Interessenvertretung aus den Regionen heraus, hinein in die gesetzgebenden Instanzen.

Beispiel Bürokratieabbau: Mit seinem Positionspapier "Weniger Bürokratie wagen" hat der BVR im vergangenen Jahr einen umfassenden Katalog veröffentlicht, um die von der Bundesregierung angestoßene Debatte zum Abbau von Bürokratie im Finanzsektor zu unterstützen. Der Badische Genossenschaftsverband beteiligt sich an dieser Initiative und hat hierzu einen eigenen "Arbeitskreis Bürokratieabbau" ins Leben gerufen. Ziel ist es, den politischen Entscheidungsträgern auf Landes- und Bundesebene konkrete Vorschläge zum Abbau staatlich verordneter Verwaltungsaufgaben vorzulegen.

Im landwirtschaftlichen Sektor vertritt der Verband die Interessen seiner Mitglieder in wichtigen Gremien sowohl der genossenschaftlichen Spitzenverbände als auch der staatlichen und wirtschaftlichen Institutionen. In relativ kurzen Abständen finden Gespräche mit Vertretern des Ministeriums für Ernährung und ländlichen Raum Ba-den-Württemberg zur aktuellen politischen Entwicklung dieses Sektors statt.

Im Zuge der Veränderungen auf Ebene der genossenschaftlichen Zentralbanken und Rechenzentren sowie der damit einhergehenden Konzentration in der "Eigentümerstruktur" genossenschaftlicher Verbundunternehmen gewinnt aber auch die Interessenvertretung nach innen, also innerhalb des genossenschaftlichen Finanzverbundes, für die genossenschaftlichen Regionalverbände zunehmend an Bedeutung. Und auch hier setzt der Badische Genossenschaftsverband auf die Arbeitsteilung mit dem Spitzenverband BVR. Denn nicht zuletzt vor dem Hintergrund eines anhaltenden Kostendrucks und strukturbedingten Rückgangs des Zinsgeschäfts investieren die genossenschaftlichen Primärbanken seit Jahren verstärkt in den Vertrieb der Produkte ihrer Verbundpartner und bescheren diesen hohe Zuwachsraten.

"Regionales Sprachrohr"

Zu Recht erwarten die VR-Banken daher als Vertriebs- und Know-how-Zentren des Finanzverbundes eine regelmäßige Bewertung und Überprüfung der Erlösströme zwischen Primärinstitut und Verbundunternehmen. Hier ist primär der Bundesverband gefordert, im Rahmen des verbundpolitischen Netzwerks die Interessen seiner kreditgenossenschaftlichen Mitglieder zu wahren. Die Regionalverbände übernehmen dabei als "Netzwerker" die äußerst wichtige Funktion einer Kommunikations- und Schaltzentrale. Sie sind als "Knotenpunkte" das verbindende Element zwischen Primärstufe und Verbundunternehmen und vertreten als "regionales Sprachrohr" die Interessen und Leistungsanforderungen ihrer Mitglieder in den entsprechenden Gremien des Finanzverbundes.

Ein Beispiel hier: Um den Willensbildungsprozess auf Ebene der Zentralen zu optimieren, haben die badischen Primärinstitute unter Federführung des Genossenschaftsverbandes ihre Anteile an der DZ Bank beziehungsweise an der Fiducia IT AG gebündelt und in zwei Holding-Organisationen eingebracht, deren Geschäftsbesorgung dem Verband obliegt.

Ob interne oder externe Interessenvertretung - eines darf nicht übersehen werden: Die Informationen müssen stets bidirektional fließen. Das bedeutet, die Regionalverbände sind nicht nur Sender von Botschaften nach außen, sie stehen als Empfänger von Informationen ebenso in der Pflicht, Inhalte für die Mitglieder aller Sparten zu bewerten, aufzubereiten, gegebenenfalls zu komprimieren und verständlich zu kommunizieren. Nur so entsteht eine gemeinsame Basis für eine nutzenbringende Vertretung genossenschaftlicher Interessen auf allen Ebenen.

Fakultatives Dienstleistungsangebot

Die Dezentralität der Genossenschaftsorganisation hat sich in der Vergangenheit bewährt und wird auch in Zukunft ein Erfolgsfaktor bleiben - trotz oder gerade wegen der Globalisierung. Der künftige Auftrag an die genossenschaftlichen Regionalverbände aber - das ist schon jetzt deutlich zu spüren - leitet sich eindeutig von der Entwicklung wirtschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen ab, und zwar nicht mehr nur im nationalen, sondern auch im europäischen Kontext. Veränderte, komplexere Strukturen auf Ebene der genossenschaftlichen Primärstufe erfordern von den Regionalverbänden ein hochspezialisiertes und marktfähiges Dienstleistungsangebot, vor allem im fakultativen Bereich.

Der Auftrag der Interessenvertretung innerhalb der Organisation wird an Bedeutung gewinnen, ebenso die Funktion des Verbandes als "Netzwerker" sowohl auf horizontaler wie auf vertikaler Ebene. Die Erfüllung seiner Aufgaben verlangt von einem Genossenschaftsverband unternehmerisches Handeln und stetige Entwicklungsfähigkeit. Die Nähe der Regionalverbände zu ihren Mitgliedern ist und bleibt ein entscheidender Standort- und Wirtschaftsfaktor für die Primärinstitute, wobei die optimale Struktur eines Regionalverbandes letztlich von Zahl, Größe und Votum seiner Mitglieder abhängig ist. Die Genossenschaftsverbände werden dann erfolgreich sein, wenn ihnen der schwierige Spagat gelingt, aus Pflichtmitgliedern loyale Kunden zu machen.

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