Aufsätze

"Das Funktionieren von Märkten nur an der Rentabilität der Unternehmen zu messen, verkürzt die Realität"

"Aufgabe und Gewinn" - dieses Thema lässt sich reduzieren auf die Frage: Ist Rentabilität das allein wirksame Kriterium für den Erfolg eines Unternehmens oder eines Marktes? Oder gibt es zu dieser notwendigen Bedingung noch eine weitere hinreichende Bedingung? Diese Frage zu stellen heißt, sie zu bejahen. Es muss noch eine hinreichende Bedingung geben, und diese liegt im Falle von Unternehmen in einer Idee, der Mitarbeiter und Management sich mit Hingabe widmen. In einem Alltagsbeispiel ausgedrückt: Michael Schumacher wurde nicht Rekordweltmeister, weil er Millionär werden wollte, sondern weil er von dem unbedingten Willen beseelt war, der Konkurrenz seinen Auspuff zu zeigen.

Ein lebendes Element der Marktwirtschaft

Die Beschränkung auf das Kriterium der Rentabilität, wie sie in der Diskussion um nationale und europäische Bankenstrukturen bisweilen stattfindet, ist für mich auch einer der Hauptgründe dafür, dass sich diese Diskussion immer wieder so fruchtlos im Kreise dreht. Und wenn gar die Brüsseler Kommission der Auffassung ist, dass sie das Funktionieren von Märkten ausschließlich an der Rentabilität der anbietenden Unternehmen in diesen Märkten messen sollte, dann verkürzt sie die Realität einer Marktwirtschaft auf die relativ primitive Deutung eines Wirtschaftsdarwinismus, nach dem die Wirtschaft nur nach der Regel "Fressen und gefressen werden" funktioniert. Ich bin der festen Überzeugung, dass auch eine Marktwirtschaft deutlich komplexeren Regeln unterworfen ist. Und ein lebendes Element dieser Marktwirtschaft, ein Element, das diese These stützt, das sind die Volksbanken und Raiffeisenbanken in Deutschland.

Entscheidungskompetenz in der Region

Volksbanken und Raiffeisenbanken sind aufgabenorientierte Institute. Ihre Aufgabe lässt sich in drei Elemente gliedern: in ihre Mission, ihre Vision und ihre Strategie. Ihre Mission ist es, dazu beizutragen, die wirtschaftliche Selbstbestimmung, die auf eigener Leistungsfähigkeit beruht, zu fördern, auszubauen und zu stärken. Dass wirtschaftliche Selbstbestimmung auf eigener Leistungsfähigkeit beruhen muss, ist keine Tautologie. Das Sozialstaatsgebot beispielsweise fordert auch, dass die Bürger ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Selbstbestimmung haben müssen. Aber das ist wie gesagt die Aufgabe des Staates.

Wir fördern wirtschaftliche Selbststimmung, die auf eigener Leistungsfähigkeit beruht, und das bezieht sich nicht nur auf unser Verhältnis zu unseren Mitgliedern und Kunden, sondern das hat auch Auswirkung auf das Selbstverständnis innerhalb unserer Gruppe. Entscheidend ist, dass unsere Institute ihren Auftrag ohne externe Stützung erfüllen können. Das ist auch eine Aussage über notwendige Strukturen vor Ort, aber natürlich auch über die nachgelagerten Verbundstufen sowohl im Bereich der Verbundunternehmen als auch im Bereich der Verbände-Struktur.

Die Vision der Volksbanken und Raiffeisenbanken ist, dass sie als von einer Privatinitiative getragene lokale Anbieter für unsere Mitglieder und Kunden in den regionalen Märkten bestmögliche Finanzdienstleistungen, flächendeckend bereitstellen, und zwar in einer Weise, dass die Menschen unsere Banken als Teil der wirtschaftlichen Gemeinschaft empfinden und darüber froh sind, dass es uns gibt.

Jetzt kann man fragen, geht es nicht auch ein bisschen bescheidener? Ich fürchte nein! Denn so steht es in unserer Satzung, so steht es im Gesetz. Das muss also unsere Ambition sein. Und wer unsere Organisation kennt, der weiß auch, dass Menschen gerade in den dezentralen Regionen es als Verunsicherung bis hin zur Kränkung empfinden können, wenn Wirtschaftsunternehmen und Entscheidungszentren aus ihren Regionen abgezogen werden. Das heißt im Umkehrschluss, sie freuen sich darüber,

- dass möglichst viel Entscheidungskompetenz in den Regionen erhalten bleibt,

- dass möglichst viel Selbstbestimmung auch in der Unternehmenssphäre erhalten bleibt,

und wenn sie dann über Teilhabe an diesen Unternehmen zu dieser Selbstbestimmung beitragen können - und das ist die Entscheidung zur Zeichnung eines Anteils an einer Volksbank und Raiffeisenbank - dann ist das letztlich auch eine Aussage zu einer Systemfrage. Wir wollen Dezentralität in Deutschland erhalten. Unternehmerisch gesehen ist das die Aufgabe der Volksbanken und Raiffeisenbanken und letztlich der Wille der Mitglieder, die uns tragen.

Widersprüchliche Prinzipien vereinigen

Das ist die Vision und daraus folgt die Strategie. Kurz gefasst besteht unsere Strategie darin, dass wir in einem permanenten Optimierungsprozess versuchen müssen, die Vorteile eines dezentralen Netzwerkes mit den Vorteilen einer konzentrierten Leistungs- und Serviceerstellung zu verbinden. Es ist ein permanenter Kampf, diese zum Teil durchaus widersprüchlichen Prinzipien so zu vereinigen, dass daraus die Beste aller möglichen Welten entsteht, nämlich dezentrale Kompetenz vor Ort im Vertrieb, in der Kundenbetreuung und in effizienten Produktionsprozessen und in effizienten Service- und Abwicklungsprozessen durch die Bündelung dieses großen Potenzials, das von 16 Millionen Mitgliedern und etwa 30 Millionen Kunden generiert werden kann. Das ist die Kernstoßrichtung der Strategie unserer Gruppe.

Daraus folgt die Ausrichtung der Volksbanken und Raiffeisenbanken auf lokale Märkte in einem flächendeckend zellularen System mittelständischer autonomer Banken. Durch Bündelung aller nachgelagerten Aktivitäten zu einem Maximum an Effizienz sollen die Volksbanken und Raiffeisenbanken vor Ort in die Lage versetzt werden, in ihren heimischen Märkten ihren Kunden und Mitgliedern den bestmöglichen Service bieten zu können. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg, wenn ich mir die Vergangenheit anschaue und auch die Erwartungen an die Zukunft.

Als weiteres Element brauchen wir in unserer Organisation eine entsprechende Willensbildung, die auch gelebt wird. Dazu gehört eine entsprechende Integration der heute noch über 1 300 Mitglieder des BVR in einen Willensbildungs- und demokratischen Entscheidungsprozess. Dieser muss es den Mitgliedern ermöglichen, tatsächlich den Nutzen der Gesamtheit zu erkennen, mitgenommen zu werden bei den Anpassungsprozessen, die notwendig sind, und dennoch ihre individuelle Würde als autonomes Mitglied des gesamten Verbundes gewahrt und sogar ausgebaut zu wissen.

Ein weiteres Element ist die Erhaltung und der Ausbau unserer Investitionskraft. Dass der Bankenmarkt in Bewegung ist, muss an dieser Stelle nicht erläutert werden. Und ein Markt, der in Bewegung ist, der bietet Chancen. Für diese Chancen müssen wir bereit sein, nicht nur auf deutscher, sondern auch auf europäischer Ebene. Wir haben da in der Vergangenheit auch einige gute Beispiele praktizieren können - Stichwort Norisbank, jetzt gerade wieder eine Aktivität in Italien.

Dafür ist Investitionskraft an der richtigen Stelle notwendig. Wenn ich mir die Investitionskraft allein der genossenschaftlichen europäischen Wettbewerber - und das sind durchaus Wettbewerber - anschaue, dann müssen wir uns hier in Deutschland noch ein wenig anstrengen, um angesichts dieser Dimensionen, die mittlerweile beispielsweise in Frankreich geschaffen wurden oder sogar im wesentlich kleinen Österreich realisiert wurden, mithalten zu können.

Sicherstellung der Bonität jedes einzelnen Mitgliedes

Ein entscheidendes Element unserer Strategie ist auch die Sicherstellung der Bonität jedes einzelnen Mitgliedes durch Sicherungseinrichtung und natürlich die Optimierung der Bonität jedes einzelnen Mitgliedes durch eine weitere, ständige Verbesserung der Bonität der Gruppe insgesamt. Das heißt, dass das einzelne Mitglied von der Stärke der Gruppe insgesamt profitieren kann, wie umgekehrt natürlich die Stärke der Gruppe nur denkbar ist, durch die Stärke der einzelnen Mitglieder. Dies ist die zentrale Aufgabe der Sicherungseinrichtung unserer Organisation. Und die Ratingprozeduren - eine läuft zur Zeit, eine ist bereits abgeschlossen - bestätigen uns auch, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind - aber hier bedeutet Stillstand Rückschritt. Wir müssen weiterkommen, wir versuchen eben, unsere Bonität ständig zu verbessern.

Kriterium der marktgerechten Vergütung

Eine solche Strategie hat natürlich Auswirkungen auch auf den Umgang mit dem Thema Gewinn, und zwar unter den Aspekten Gewinnverteilung, Gewinnverwendung und Gewinnziele.

Die Gewinnverteilung ist in der genossenschaftlichen Bankengruppe ein besonderes Thema. Es geht letztlich um die Frage, wo sollten die Gewinne in welcher Höhe anfallen? Hier haben wir das Kriterium der marktgerechten Vergütung von entsprechenden Leistungen als die Untergrenze, die im Austausch zwischen den Verbundunternehmen und den Volksbanken und Raiffeisenbanken gelten muss. Aber darüber hinaus geht es darum, zu regeln, dass hier ein gerechter Ausgleich stattfindet. Das kann neben Provisionsregelungen auch über Dividendenausschüttungen erfolgen.

Das Ringen um diesen gerechten Ausgleich kann man ja bisweilen als produktive Reibung beschreiben. Manchmal ist das Produktive an diesen Reibungen vielleicht nicht immer auf den ersten Blick erkennbar, aber ich glaube schon, dass man uns in mittelfristiger Betrachtung attestieren wird, dass wir gerade auch in dieser Frage über ein hohes Maß an Kohäsion verfügen. Dies gilt es zu stärken und zu festigen - in einem Prozess permanenter Bemühungen.

Dann kommen wir zum Thema Gewinnverwendung. Es eignet sich sehr gut, um noch einmal zu verdeutlichen, dass sich die Volksbanken und Raiffeisenbanken als Teil der Marktwirtschaft empfinden und keinen sozialromantischen Utopien nachträumen, wie sie mit Blick auf die Genossenschaftsbewegung beispielsweise in Frankreich unter dem Begriff économie sociale bisweilen gehegt werden.

Wir sind marktwirtschaftliche Unternehmen, die sich dem Wettbewerb stellen, die sich aber dennoch in ihrer Gewinnverwendung ihrer Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft durchaus bewusst sind und dieses auch praktizieren und leben - gerade gegenüber der lokalen Gemeinschaft. Allein im Jahr 2005 haben die Volksbanken und Raiffeisenbanken über die Zahlung einer - mehr als marktgerechten - Dividende hinaus über 80 Millionen Euro für wohltätige Einrichtungen und soziale Zwecke aufgewandt. Das sehen wir auch als Teil der Verpflichtung unserer Gruppe als gesellschaftliches Engagement für die Region.

Zum Schluss das Thema Gewinnziele: Die Gewinnziele der Organisation richten sich nicht nach dem Grundsatz der Maximierung, wohl aber nach dem Grundsatz der Angemessenheit. Jetzt kann man lange akademisch darüber streiten, wo da besonders unter mittel- bis langfristigen Gesichtspunkten der Unterschied liegen mag. Ich glaube schon, dass gerade unter kurzfristigen Gesichtspunkten von einer unterschiedlichen Interpretation von Gewinnzielen auch unterschiedliche Entscheidungen und Handlungen ableitbar sind.

Grundsatz der Angemessenheit

Eine Differenzierung zwischen Gewinnmaximierung und Angemessenheit des Gewinnes kann durchaus eine hilfreiche Interpretationsmöglichkeit des jeweiligen Handlungsspielraums der Institute liefern. Unser Ziel heißt Angemessenheit. Langfristig und für die Gruppe insgesamt bedeutet dies eine Vorsteuerrendite von 15 Prozent. Es wird Einheiten geben, die deutlich mehr realisieren, und es gibt auch welche, die weniger realisieren, aber in der Gruppe insgesamt bleibt es das erklärte Ziel, auf eine Vorsteuerrendite von 15 Prozent zu kommen.

Wofür brauchen wir eine solche Vorsteuerrendite? Nun, um unsere Mission zu erfüllen! Dafür zu sorgen, dass wirtschaftliche Selbstbestimmung und Dezentralität in Deutschland nicht nur erhalten, sondern auch gefördert wird.

Dr. Christopher Pleister , Vorsitzender, Appeal Panel, Single Resolution Board, Brüssel
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