Aufsätze

Der Fluch des billigen Geldes

Europa ist zu einer "Notverordnungs-Demokratie" verkommen. Der Kommentator der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, hat mit dieser Bezeichnung ins Schwarze getroffen.1) Bei jeder der zahlreichen Rettungsaktionen entsteht neues Recht. Die mit "heißer Nadel" gestrickten Abmachungen relativieren in rascher Folge die Geschäftsgrundlage des Euro: die Verträge von Maastricht. Von Anfang an wurden sie von niemandem ernst genommen. Und Sanktionen mit europäischem Bundeszwang sind dem Völkerrecht ohnehin fremd.

Die politischen Rituale bei den Rettungseinsätzen in Europa gleichen dem Pokerspiel in den Tarifrunden: Die Staats- und Regierungschefs beziehungsweise ihre Finanzminister treffen sich zu hochdramatischen Nacht- und Nebelaktionen. In den Morgenstunden - wenn sie vor Übermüdung Euro und Dollar nicht mehr auseinander halten können, wie einst Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy - verkünden sie, man habe einen Kompromiss gefunden, der von allen getragen werde und schon deshalb "alternativlos" sei. Durch die ständig voneinander abweichenden "Einigungen-auf-den-kleinsten-gemeinsamen-Nenner" verkommt die gemein same Finanzverfassung Europas - die Stabilitätskriterien der Maastrichtverträge - zur bloßen Verhandlungssache. Jedes Mal fällt eine andere, von zunehmender Willkür geprägte Ad-hoc-Entscheidung.

Pokern anstatt arbeiten?

Geld darf nicht "locker sitzen". Es muss knapp und teuer sein, um sich der allgemeinen Wertschätzung zu erfreuen. Die bloße Geldwirtschaft macht für sich allein genommen keinen Sinn. Die sogenannte "Finanzindustrie" ist keine Industrie. Und die sogenannten "Finanzprodukte" sind auch keine Produkte. Auch hat das sogenannte "Investment Banking" viel mit Spekulation, aber wenig mit realer Investition zu tun. Kein Volk kann allein davon leben, dass die Bevölkerung sich gegenseitig Geld leiht. Finanzplätze wie London, in denen es nur noch um das Geld geht, gleichen dem Turm von Babylon. Trotz ihrer schwindelerregenden Höhe lässt sich die Spirale der Geldgeschäfte nicht von der Bodenhaftung in der Realwirtschaft ablösen. Wachstum hat naturgegebene Grenzen.2) Die bloßen Finanztransaktionen, wie sie in der Londoner City betrieben werden, umso mehr. Kein Volk kann pokern, anstatt zu arbeiten.

Wie Maße und Gewichte ist die amtliche Währung als solche wertneutral. Geld ist eine Maßeinheit im Austausch von Waren und Dienstleistungen. Es ist ein Zahlungsmittel mit Annahmezwang und dient der Wertaufbewahrung wie ein "Sparschwein" oder ein Girokonto. Pecunia non olet - Geld stinkt nicht. Ja, es ist gar kein Rechtsträger und daher auch nicht schuldfähig. Der Euro ist deshalb weder "Teuro"3) noch "Tatort". Er trägt keine Schuld an der Krise in Europa.4) Seine Abschaffung würde an der unübersehbaren Misere kein Jota ändern.

Zieht man den berühmten "Geldschleier" weg, kommen dahinter ganz andere Verursacher der Krise zum Vorschein: Wer trägt denn die Schuld am Verfall des Rechts vor allem im Bankensektor? Heerscharen unbeaufsichtigter Schattenbanken! Derivate und Derivate von Derivaten, fraudulöse Schneeball-Verbriefungen bei Wertpapieren von gigantischen Ausmaßen! Wer trägt die Schuld am parlamentarischen Populismus bei der Aufstellung der Haushalte? Wer an der "beggar-thy-neigbour-policy" in den sogenannten Olivenländern Europas? Der persische Imperator Xerxes ließ das Meer auspeitschen, als er die Seeschlacht von Salamis verloren hatte. Weil niemand die Stabilitätskriterien im Vertrag von Maastricht ernst genommen hat und europaweit die Staatsschulden sich dem BIP nähern oder es sogar übersteigen, wollen die Euro-Gegner nun die Geldscheine und Münzen auspeitschen.

Als "heilige Kuh" verehrt: die Banken

Am Anfang stand eine weltweite Deregulierungs-Orgie vor allem auf den Finanzmärkten. Massiv vorangetrieben wurde sie von Ronald Reagan, dem Namensgeber der "Reagonomics",5) aber auch von Margaret Thatcher, die durch Friedrich August von Hayek stark beeinflusst war. Pate stand der übertriebene Freiheitsgedanke des Neolibe ralismus, den Milton Friedman und seine "Chicago-Boys" unter dem Machthaber Pinochet in Chile ausprobierten.6) In Deutschland wurde der Finanzmarkt ebenfalls als "heilige Kuh" verehrt, gab es doch vier Finanzmarkt-Förderungsgesetze: 1990, 1994, 1998 und 2004.7)

Schlechtes Recht verdrängt das Gute. Bill Clinton war es, der 1999 den Glass-Steagall Act abgeschafft hat. Die strikte Trennung der konventionellen Einlagenund Kreditgeschäfte (Commercial Banking) vom riskanten Börsengeschäft und dem Handel mit Wertpapieren (Investment Banking) wurde nach der Weltwirtschaftskrise von 1931 eingeführt. Das Gesetz sollte verhindern, dass die Banken auf eigene Rechnung Kundeneinlagen aufs Spiel setzen können. Paul Volcker ist es 2011 schließlich gelungen, die US-Administration auf den Pfad der Tugend zurückzuführen und als Präsidentenberater das Trennbankensystem wenigstens anfangsweise wieder einzuführen.8) Fünf Jahre nach der Krise von 2008 hat Deutschland die Volcker-Rule endlich auch zum Gesetz erhoben. Man wollte aber nur dem Oppositionsführer, Peer Steinbrück, im Wahlkampf den Wind aus den Segeln nehmen, der das vehement forderte.9)

Gewiss ein Schritt in die richtige Richtung, doch andere müssen folgen. Geld ist kein Spielgeld, und Banken sind keine Spielbanken. Spiele und Wetten haben in Geldinstituten nichts verloren, auch nicht zur Absicherung von Währungsrisiken.10) Vom Glücksspiel geprägte "Geldgeschäfte" gehören in die Spielcasinos und die Wettbüros, die eine staatliche Lizenz für die Ausübung ihres Gewerbes benötigen. Geldinstitute haben diese Lizenzen nicht. Darüber sollte man schon de lege lata nachdenken, bevor man über neue Verbotstafeln diskutiert. Doch wer traut sich zu, den Sumpf der aleatorischen Geldgeschäfte in den Kreditinstituten auf dem Rechtsweg trocken zu legen? Und wo kein Kläger, da kein Richter.

Alle Banken "too big to fail"

Das Konkursrecht für Banken ist ein weiteres Stichwort. Das Geldwesen ist keine Privatsache, sondern eine öffentliche Angelegenheit. Für die Währung besteht Annahmezwang. Banken sind daher zumindest halbstaatliche Gebilde. Sie dürfen mit Geld handeln, es aber nicht herstellen. Sie unterstehen besonderen Gesetzen, einer strengen Bankenaufsicht und müssen sich den Eingriffen der Notenbanken in die Finanzmärkte beugen, die ihnen durch die Leitzinsen ganz gewaltig die Preise verderben können. Banken sind daher immer und in jedem Fall "too big to fail". Als Teil des Systems darf man auch kleine Bankhäuser nicht einfach untergehen lassen.

Alle Banken, ob groß oder klein, sind einem öffentlich-rechtlichen Konkursrecht zu unterwerfen: Die systemkonforme Abwicklung von Geldinstituten hat grundsätzlich durch die die Aufsicht führende Notenbank zu erfolgen - und zwar unter ungeschmälertem Anlegerschutz und unter vollem Gläubigerschutz.11) Davon ist man weit entfernt. Einige der Banken werden gerettet, andere gehen unter. Und wer mehr als 100 000 Euro eingelegt hat, verliert dabei neuerdings sein Geld - nur weil er in Zypern wohnt und das Geld zufällig nicht auf zwei Banken verteilt hat. Das verstehe, wer es vermag.

"Ferro ignisque" - mit Feuer und Schwert - ist insbesondere das Krebsgeschwür der Konzernbildung zu bekämpfen. Wie unter einer riesigen Welle wird das Gesellschaftsrecht unter dem sich überstürzenden Konzernrecht begraben. Zur Haftungsbeschränkung tritt die "Haftungsgliederung", die keinerlei Berechtigung hat. Ohne Konzern gäbe es kein Outsourcing, keine ausgelagerten "Zweckgesellschaften", keine Briefkastenfirmen, keine sonstigen Umgehungstatbestände wie etwa das Off-Shore-Banking et cetera.

Seiner amorphen Rechtsnatur nach ist die Konzernbildung ein "Missbrauch der Gestaltungsformen des Bürgerlichen Rechts"12). So werden das Firmenrecht vernebelt und die Haftung marginalisiert. Niemand weiß doch, wem er gegenüber steht, wenn er ein Auto bei einem rechtlichen Konstrukt wie der "BMW-Group" kauft. Der Erwerb eigener Aktien13) oder wechselseitiger Beteiligungen14) gehört ohnehin in die Pathologie des Aktienrechts.15) Man muss das Übel an der Wurzel packen. Doch dieses Thema kann hier nur als Merkposten festgehalten werden.

Der Haushalt muss ausgeglichen sein

Große Dinge sind einfach, so schon Konrad Adenauer. Die Ausgaben des Staates sind - zeitgleich! - durch Steuern und Beiträge zu finanzieren. Staatshaushalt und Nebenhaushalte müssen ausgeglichen sein. So simpel schaut die Lösung aus. Doch ist das Leben etwas komplizierter. Deshalb gibt es keine Regeln ohne Ausnahmen. Und wie man weiß, versteckt sich der Teufel nicht in den Grundsätzen, sondern in den Details. Schon Adam Smith hat Staatsanleihen ausnahmsweise akzeptiert, wenn sie der Finanzierung von öffentlichen Investitionen dienen. Die klassische Nationalökonomie hat also die Ausnahme von der Regel zugelassen, dass Staatsausgaben durch Steuern und Abgaben gedeckt sein müssen.

Die Staatsschulden dürfen die investiven Ausgaben aber niemals überschreiten, und zwar ohne Wenn, ohne Aber und ohne irgendwelche Übergangsfristen - Punkt. Das muss zur unabdingbaren Geschäftsgrundlage der 17 Euro-Staaten gemacht werden, will und soll sie eine Stabilitätsgemeinschaft sein. Mitgliedstaaten, die nicht mitmachen wollen, haben kein Stimmrecht in EU und insbesondere EZB. Vor allem erhalten sie keine Mittel aus der gemeinsamen Kasse der EU. Mit anderen Worten muss Artikel 115 GG auf den alten Stand von 1949 gebracht, "ohne Skonto" unter allen Mitgliedern der EU durchgesetzt werden.

Trotzdem ist es notwendig, den Tatbestand der Staatsüberschuldung in der europäischen Finanzverfassung rechtlich zu fixieren: Wenn Zins und Tilgung mehr als drei Jahre in Folge stärker wachsen als die Steuereinnahmen und Beiträge, muss die Regierung beim Staatspräsidenten die drohende Überschuldung anzeigen. Im Einvernehmen mit dem Rechnungshof verhängt der Präsident dann eine Haushaltssperre. Die Kennziffer aus Steuereinnahmen und Beiträgen geteilt durch die Last von Zinsen und Tilgung muss also größer sein als Eins. Ist sie es nicht, dürfen im Parlament keine neuen Ausgaben mehr beschlossen werden. Das gilt insbesondere auch für die Diäten der Parlamentarier. Rechtsmittel ist sowohl die Organklage vor dem Verfassungsgericht des Landes als auch die Staatsklage der übrigen Beitrittsländer vor dem dem EuGH. Eine "Bail-Out-Klausel" braucht man dann nicht mehr. Wenn ein Staat einem anderen unbedingt bilateral "aus der Patsche" helfen will - und dafür die erforderlichen Mehrheiten vorhanden sind -, warum soll man ihn daran hindern?

Der Gesetzgeber muss klug sein, aber auch mundfaul, der Verfassungsgeber zweimal. Und noch etwas: Gesetze müssen beständig sein, Verfassungen zweimal. Die europäische Finanzverfassung darf kein Verfallsdatum tragen. Lykurg hat deshalb den Spartanern die Zusage abgerungen, an dem Gesetzeswerk, das er ihnen auferlegt hat, solange keine Änderungen vorzunehmen, solange er auf Reisen sei. Dann hat er sich eingeschifft und ist als Tourist an die Westküste der heutigen Türkei gesegelt, ohne je in seine Heimat zurückzukehren.

Das Geld ist da ... aber "die Pferde saufen nicht". Auf dieses Diktum aus dem Englischen griff schon 1967 der Wirtschaftsprofessor Karl Schiller zurück.16) Die Steigerung des Bruttoinlandsproduktes erreicht in den meisten Ländern Europas auch heute nicht die Dimensionen, um von selbst und ohne Sparmaßnahmen aus der Staatsverschuldung gleichsam "herauswachsen" zu können. Die Schuldenstände sinken nicht. Sie bleiben gleich oder steigen sogar. Wie zuvor die USA ist auch Europa vom Regen in die Traufe geraten: Die Bankenkrise wurde zur Staatskrise, und die Staatskrise wurde zur Notenbankkrise.

Auf dem Rücken der Sparer

Inzwischen weiß es auch die Boulevard-Presse: Geld gibt es fast umsonst.17) Die Zinsen wurden marginalisiert. Und das geht voll zulasten der Sparer!18) Wie Nikolaus Piper, Amerika-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, berichtet, erwirbt die amerikanische Federal Reserve Bank, monatlich 45 Milliarden Dollar an Schuldentiteln direkt aus dem Haushalt der USA.19) Weitere 45 Milliarden Dollar an Schuldenübernahmen aus den parafiskalischen Nebenhaushalten kommen monatlich hinzu. Die EZB, die Bank of England und Japans Notenbank verfolgen den gleichen Kurs.

Was tun, wenn die EZB ihre Statuten beugt und auf dem Rücken der Sparer im Euroraum die Staatsverschuldung zum Nulltarif einführt und die Anleihen sogar aufkauft? Was tun, wenn für überschuldete Haushalte keine "Überziehungszinsen" mehr gezahlt werden müssen? Man muss das Abstimmungsverhalten in den Entscheidungsgremien der EZB unter die Lupe nehmen. Die Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft e. V. (ASM) hat das getan und ähnlich dem Vertrag von Lissabon ein doppeltes Stimmrecht für die EZB vorgeschlagen. Auf ihrer Jahresversammlung 2012 in Tübingen hat sie einstimmig die nachfolgende Resolution angenommen:20)

1. Die Bundesregierung wird aufgefordert, darauf hinzuwirken, dass ein Viertel der Mitglieder des EZB-Rates grundsätzlich nicht überstimmt werden kann. Gleiches gilt für Mitglieder, die mehr als ein Drittel der Anteile am Kapital der EZB eingebracht haben.

2. Die Bundesregierung wird weiter aufgefordert, dafür einzutreten, dass die Stimmrechte von Euro-Ländern ruhen, die Mittel aus dem Europäischen Stabilitäts-Mechanismus ESM erhalten.

3. Die Einführung eines Rotationsverfahrens bei der Besetzung des EZB-Rates lehnt die ASM ab.

Das gemeinsame Geld, den Gebrauch des Euro, braucht man niemandem zu entziehen. Vom bloßen Umlauf des Euros in Mitgliedsländern der Währungsgemeinschaft geht keine Gefahr aus.

Die Easy-Money-Policy hat im Mietrecht ein abschreckendes Beispiel. So wie die Mieter gegenüber den Vermietern politisch regelmäßig bevorzugt werden, ähnlich werden von der Notenbank die Schuldner gegenüber den Gläubigern nicht nur mit gewaltigen Zinsvorteilen überschüttet. Wie der Wohnungsmarkt in den Ballungsgebieten trocknet folgerichtig auch der Markt für Spareinlagen aus. Sparen und Investieren geraten in ein ökonomisches Ungleichgewicht. Die EZB hat ihre gesetzliche Aufgabe als Währungshüter mit der Rolle der "Hausbank" in der EU vertauscht. Ihr Ziel ist es, den 17 Euro-Staaten möglichst billig möglichst viel Geld zu verschaffen.

Systematische Konkursverschleppung

Und genau das führt zu einer systematische Konkursverschleppung bei denen, die sich zu dem Aberglauben verleiten ließen, man könne seine alten Schulden los werden, wenn man neue macht. Schon John Maynard Keynes war klar: Das funktioniert nicht, wenn man keinen Gläubiger mehr findet, der zahlt. Um nach 1918 die deutschen Staatsschulden abzubauen, verlangte Keynes von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs folgerichtig, den Besiegten die Reparationszahlungen vollständig zu erlassen.21) Und nirgends hat er den Besiegten geraten, noch mehr Schulden zu machen, als sie ohnehin schon hatten.

Keynes selbst war alles andere als ein Keynesianer: Wenn weltweit oder in Europa Schulden auf eine Gemeinschaft umgelegt werden sollen, darf das nicht die Notenbank durch "Easy Money", sprich Geldentwertung oder Sparer-Enteignung bewerkstelligen. Dafür muss ein gemeinsamer Währungsfonds, also ein Umlagesystem geschaffen werden. Daran besteht kein Zweifel. Keynes war sogar Mitbegründer des Internationalen Währungsfonds (IMF), der 1944 in Bretton Woods genau für diesen Zweck aus der Taufe gehoben wurde. Richtig verstanden hat Keynes nicht einfach nur sagen wollen, man müsse in der Not Schulden machen. Er meinte vielmehr, es sei falsch, in der Not öffentliche Investitionen zu kürzen. Im Gegenteil müsse man alles daran setzen, diese nach dem Vorbild des "New Deal" von Theodore Roosevelt hochzufahren. Wenn einem nichts Besseres einfalle, sei es immer noch besser "Pyramiden zu bauen" als gar nichts zu tun oder, noch schlimmer, öffentliche Aufträge sogar zu stornieren.

Der Tatvorwurf

Kurzum, in Griechenland muss man die arbeitslosen Jugendlichen dienstverpflichten, um Bäume in abgeholzten Gegenden zu pflanzen, um Alleen zu schaffen, um die Strände zu säubern, um die Eisenbahnstrecken zu modernisieren et cetera. Und wer dann noch arbeitslos ist, muss eine in den Unternehmen Griechenlands zwangsweise einzuführende Lehre im dualen Ausbildungssystem absolvieren und zwar ohne Einrede der Zumutbarkeit, wenn er diese nicht nachweisen kann. Zivildienste, soziales Jahr, da kann man sich vieles einfallen lassen. "Wer mit Tränen sät, wird mit Jubel ernten", sagt der Psalmist. Und das sagt auch Keynes, allerdings mit weniger prägnanten Worten.

Zuletzt eine ketzerische Frage: Wozu braucht man überhaupt eine europäische Notenbank? Geht es nicht auch ohne? In der Schweiz ist die Zentralbank noch heute in privatem Besitz. Die Bank of England ist die älteste Notenbank der Welt. Die "Old Lady" in der Throat Needle Street entstand anno 1695. Davor gab es Vergleichbares nicht. "Schlechtes Geld verdrängt das gute" von ganz alleine.22) Eine unabhängige Notenbank, die ihre Statuten beugt, um gewaltige Umverteilungsprozesse einzuleiten, braucht man dazu nicht. Das kann man ohne Zentralbank haben.

Die Notenbank soll die Preise stabil halten. Und Zinsen sind auch Preise, die möglichst stabil zu halten sind. Exzessiv verbilliges Geld ist ein schwerer Fluch. Durch die Niedrigzins-Politik der Notenbanken werden Millionen Sparer in gigantischem Ausmaß depraviert. Die Schuldner - vor allem also die Banken und natürlich der Staat - teilen sich, was ihnen in den Schoß fällt. Aber auch die Rentner sind mit dabei. Denn die private Altersvorsorge gerät in die Klemme. Versicherungen sind institutionelle Großanleger. Sie müssen die ihnen anvertrauten Einzahlungen auf die Altersvorsorge verantwortungsvoll und sicher anlegen. Und das können sie nicht. Mündelsichere Staatsanleihen gehören der Vergangenheit an. So etwas gibt es gar nicht mehr.

Die Rechts- und Wirtschaftsbeziehung zwischen Gläubiger und Schuldner wurde mit Vorsatz und System aus der Balance gebracht. Das ist der Kern der globalen Niedrigzins-Politik. Bei gleichbleibender Geldentwertung zahlen die Sparer die Zeche der Banken- und Finanzkrise. Alan Greenspan, der legendäre Notenbank-Chef in den USA, hat diese unverantwortliche Form der "Staatsfinanzierung-durch-die-Hintertüre" der Notenbank hoffähig gemacht. Die EZB und andere setzen die "Konkursverschleppung-mit-Mitteln-der-Geldpolitik" in weit radikalerem Zuschnitt fort. Das ist der Tatvorwurf.

Diesmal ist es anders: Es ist nicht die Inflation. Es trifft nicht die Verbraucher. Nein, es sind die gegen Null tendierenden Zinsen. Diesmal trifft es die Sparer. Die Verantwortung dafür liegt bei der Europäischen Zentralbank. In diesen Tagen schaut alle Welt dabei zu, ob dies der Bundesbank und dem Bundesverfassungsgericht gelingt. Beide Institutionen gelten den Deutschen wegen ihrer Unabhängigkeit nach wie vor als Hort staatlicher Stabilität,23) obwohl sie weite Teile ihrer früheren Kompetenz an die Europäische Zentralbank, EZB, und an den Europäischen Gerichtshof, EuGH, abgeben mussten.

Hauptsacheverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht

Vor dem Verfassungsgericht trat die Bundesbank nicht als Klägerin, sondern als Sachverständige auf, und zwar vertreten durch ihren Präsidenten Jens Weidmann. Und sein Wort hat Gewicht. In dem laufenden Rechtsstreit geht es nicht um die dramatische Entwertung der Spareinlagen, weil die Leitzinsen von einem historischen Tiefpunkt auf den anderen absinken. Strittig ist vielmehr, dass die EZB darüber weit hinaus geht und in unbegrenztem Umfang Staatsanleihen der 17 Euroländer aufkaufen will. Notleidende Staaten erhalten "Fresh Money", das sie sich anders nicht mehr beschaffen könnten. Das Geld ist also nicht nur viel zu billig. Schlimmer noch, es wird durch die EZB viel zu viel davon im Umlauf gebracht. Vulgo: Die Notenpresse läuft heiß, weil sie dazu missbraucht wird, die Haushaltslöcher in 17 Euro-Staaten zu stopfen.

Am 11. und 12. Juni fand die mündliche Anhörung vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe statt. Jetzt steht das Urteil an. Die Notenbank darf ihre geldpolitischen Maßnahmen niemals im Voraus ankündigen. Ihre Politik darf nicht berechenbar sein. Kein Finanzminister darf sich in Sicherheit wiegen, die EZB werde seine Staatsanleihen aufkaufen und ihm so aus der Klemme helfen. Um das sicherzustellen, müssen fünf Bedingungen erfüllt sein:

1. Die EZB darf ihre Anleihenkäufe nicht in Aussicht stellen oder sogar in Voraus ankündigen.

2. Sie darf nur Anleihen erwerben, deren Laufzeit bereits zu einem wesentlichen Teil verstrichen ist.

3. Die Verzinsung muss durch den Markt bewirkt worden sein und darf nicht durch die Intervention der mit hoher Geldschöpfungs- und Marktmacht ausgestatteten Währungshüterin verzerrt werden.

4. Die Anleihe muss weiter zu einem wesentlichen Teil im Markt verbleiben und 5. sie muss vor dem Ende der Laufzeit dem Markt wieder vollständig zugeführt werden.

Mit einer solchen Offenmarkt-Politik der Zentralbank kann man leben. Wohlgemerkt wäre das nur ein Pflock der Geldwertstabilität, der nur mit Hilfe der Richter in Karlsruhe in die Erde gerammt werden kann. Und noch ist das Urteil ja nicht gefallen. An dem Fluch der niedrigen Zinsen und der Geldentwertung auf Millionen Sparkonten ändert es natürlich nichts. Solange die Länder im Rat der EZB stimmberechtigt bleiben, deren Haushalte mit den Stabilitätskriterien des Vertrags von Maastricht nicht zu vereinbaren sind - und das ist leider die Mehrheit -, wird man auf das Opium der Staatsschulden nicht verzichten, schon gar nicht wenn die Anleihen von der Notenbank regelmäßig aufgekauft werden. Mehr als eine halbe Billion, nämlich 524 Milliarden Euro stehen bereits auf der Agenda der EZB24) und wenn es mehr werden, dann wird der Tag von ganz alleine kommen, an dem man den Euro zu Grabe tragen muss.

Anmerkungen

1) Vgl. Süddeutsche Zeitung v. 28. April 2013.

2) Vgl. "Grenzen des Wachstums, Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit", 1972.

3) Bei vier Prozent Inflation verlor man früher vier Pfennig auf die Mark, umgerechnet also rund zwei Cent auf den Euro. Die Inflationsrate von "nur" zwei Prozent seit dem Wechsel zum Euro hat sich daher umgerechnet nicht etwa halbiert, sondern ist gleichgeblieben. Der Euro ist nicht stabiler, als die D-Mark es war, was der frühere EZB-Chef Jean-Claude Trichet - unwidersprochen - in vielen seiner Reden zu suggerieren versuchte.

4) Vgl. die sehr lesenswerte Untersuchung von Starbatty mit dem leider sehr missverständlichen Titel: "Der Euro als Tatort", 2013.

5) Hier handelt es sich um ein sogenanntes Kofferwort aus dem Eigennamen "Reagan" und "oeconomics".

6) Darunter wird eine Gruppe chilenischer Wissenschaftler verstanden, die unter dem Einfluss von Milton Friedman und James Buchanan in der Zeit zwischen 1956 und 1970 in Chicago ihr Studium absolviert haben.

7) Das 4. Finanzmarkt-Förderungsgesetz vom 21. Februar 2001 (BGBl I S. 2010) erwies sich als besonders fatal, weil es im Bereich der Finanzmärkte die Rechtsunwirksamkeit von Spiel und Wette zu Fall brachte. Vgl. Hettlage, Kreditwesen, 2010, 564ff., (566): "Das aleatorische Risiko ..."

8) Zu Paul Volcker und zur Volcker-Rule vgl. Piper, Cicero, 8/2012, S. 74ff.: "Die Geduld des Fischers".

9) Vgl. den gemeinsamen Antrag von SPD und Grünen zur Neuregelung der Finanzmärkte, BT-Drucksache 17/11878.

10) Vgl. dazu Hettlage, Kreditwesen, 18-2009, S. 887ff.: "Kreditinstitute sind keine Spielbanken".

11) Vgl. Hettlage, Kreditwesen, 20-2011, S. 1062ff. (1063): Vom "Spielgeld zum Schwundgeld ...".

12) Vgl. § 10 der steuerlichen Abgabenordnung.

13) Besonders kritisch dazu bereits Ritter, Aktiengesetz, 2. Auflage 1939, § 52 und § 65 AktG (1937).

14) Von Anfang an kompromisslos ablehnend Hettlage, Die schweizerische Aktiengesellschaft (SAG), Jg. 39 (1967), S. 33 ff.: "Die Begründung von wechselseitigen Beteiligungen auf dem Wege der gegenseitigen Aktienübernahme nach dem schweizerischen Obligationenrecht"; ders., ebenda, Jg. 43 (1971), S. 15 ff.: "Die wechselseitigen Beteiligungen in der Neugestaltung des schweizerischen Aktienrechts".

15) So schon sehr früh Aellig, SAG, Jg. 20 (1948), 210 ff.: "Aus der Pathologie der Aktiengesellschaft: Gesellschaft ohne Substanz".

16) Englisches Sprichwort: "Man kann die Pferde zur Tränke führen, aber saufen müssen sie selbst."

17) Vgl. Abendzeitung vom 24. Mai 2013: "Zinsen so günstig wie noch nie".

18) Vgl. Bild vom 14. Mai 2013: "Sorge um unser Geld".

19) Vgl. Piper, Süddeutsche Zeitung vom 15. Mai 2013: "An der Wählscheibe".

20) Vgl. die Tagesordnung der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft für die Mitgliederversammlung v. 18. Dezember 2012 in Tübingen, S. 6.

21) Vgl. Keynes, "Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrags" (von Versailles), 1920 (deutsch 1921).

22) "Bad money drives good money out of circulation." Erkenntnis des englischen Geschäftsmanns und Politikers Thomas Gresham (1519 bis 1579).

23) Vgl. Marsh, Die Bundesbank, Geschäfte mit der Macht, 1992 (englisch unter dem Titel: "The Bank That Rules Europe", 1992), S. 23: "Sie (die Bundesbank) ist Gottheit und Dämon zugleich".

24) Zum 31. Dezember 2012 wies die EZB bereits Anleihen aus europäischen Krisenstaaten in Höhe von 209,7 Milliarden Euro aus.

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