Aufsätze

Europa in der Schuldenfalle - Beschäftigungsrückgang durch Schuldenabbau von Privathaushalten

Die Staatsverschuldung der europäischen Länder ist das prägende Element der Debatten um die Eurokrise. In der wirtschaftlich prosperierenden Phase nach der Euroeinführung haben aber beispielsweise Spanien und Irland ihre Staatsschulden stark reduzieren können, während die Verschuldung der öffentlichen Haushalte in Deutschland zugelegt hat. Auf der anderen Seite ist die private Verschuldung in Deutschland leicht gesunken, während Haushalte in den anderen Ländern Europas, besonders in jenen mit einem damals stark wachsenden Immobiliensektor, ihre Verbindlichkeiten erhöht haben.

Gestiegenes Schuldenniveau

Inzwischen sehen sich Länder in ganz Europa sowohl einer hohen privaten als auch öffentlichen Verschuldung gegenüber. Die fünf größten Volkswirtschaften in Europa - Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien - zeigen in allen realwirtschaftlichen Sektoren Schuldenniveaus, die relativ zur Wirtschaftsleistung deutlich über den Werten aus Mitte der neunziger Jahre liegen. Die einzigen Ausnahmen dieser Entwicklung stellen deutsche Privathaushalte und italienische Staatsschulden dar (Abbildung 1).

Die anfänglichen Versuche, die Eurokrise zu lösen beziehungsweise abzumildern, stellten zuvorderst auf eine Reduzierung der öffentlichen Schulden ab. Die harten Sparmaßnahmen in Griechenland, Spanien, Irland oder Portugal haben mindestens kurzfristig ein weiteres Einbrechen der Bruttoinlandsprodukte in diesen Ländern mitverursacht, da die staatliche Nachfrage zurückgegangen ist. Im Zuge weiterer Rettungspakete und der sich verschlimmernden Situation in den Krisenländern hat sich die europäische Rettungspolitik neben strikten Sparmaßnahmen schließlich auch wachstumsfördernden Maßnahmen zugewandt.

Während die öffentliche Verschuldung und Wege aus diesen hohen Schulden täglich in den Medien diskutiert werden, wird die Verschuldungssituation des nichtfinanzwirtschaftlichen Unternehmenssektors weitaus weniger beleuchtet. Allerdings ist gerade dieser Unternehmenssektor für den Großteil der Investitionen in einem Land verantwortlich. Koo (2009) zeigt, wie beispielsweise die stagnierende japanische Wirtschaft seit dem Zusammenbruch der Vermögenspreisblase Ende der achtziger Jahre unter der Restrukturierung der Unternehmensschulden leidet.

Abbildung 1 verdeutlicht, dass von den großen europäischen Volkswirtschaften insbesondere Spanien von einem starken Anstieg von und einem hohen Niveau an Unternehmensschulden gekennzeichnet ist. Gleichzeitig ist Spanien das einzige Land, in dem Unternehmen begonnen haben, ihre Schulden gegenüber dem Vorkrisenniveau zurückzuführen.

Haushaltsschulden und der sogenannte Deleveraging-Prozess

Die privaten Haushalte, der dritte institutionelle Sektor der Volkswirtschaften, haben ein durchweg niedrigeres Schuldenniveau als der nichtfinanzwirtschaftliche Unternehmenssektor. Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise wurde die Verschuldung der Privathaushalte im Zusammenhang mit dem Entstehen und Platzen der Immobilienpreisblasen betrachtet. Die Auswirkungen der Haushaltsschulden auf die aktuelle gesamtwirtschaftliche Entwicklung werden in den meisten jüngeren Analysen der Krise im Euroraum aber eher nachrangig behandelt. Dabei stellt der private Konsum in der Regel den wichtigsten Bestandteil des Bruttoinlandsprodukts dar.

Neben den traditionellen Einkommens- und Vermögenseffekten, die den Konsum privater Haushalte maßgeblich bestimmen, gibt es noch einen zusätzlichen sogenannten Schuldenabbau-, oder Deleveragingeffekt. Dieser wirkt zusätzlich zu den beiden erstgenannten Effekten und ist umso höher, je höher das Schuldenniveau der Haushalte relativ zu ihrem Einkommen ist. Neue empirische Forschungsarbeiten, die diese Effekte für die USA betrachten, sind Mian und Sufi (2012) und Dynan (2012).

Mian und Sufi (2012) analysieren, wie sich die Verschuldung von Haushalten auf ihren Konsum auswirkt, und wie dieser Konsumrückgang, der in einem Rückgang der aggregierten Nachfrage mündet, die Beschäftigung beeinflusst. Für ihre Untersuchung verwenden sie Daten auf County-Ebene in den USA und unterscheiden zwischen Beschäftigung, die an handelbare Güter geknüpft ist und Beschäftigung, die an nichthandelbaren Gütern hängt. Über diese Trennung gelingt es den Autoren die Auswirkung der regionalen Verschuldung auf die regionale Beschäftigung im nicht-handelbaren Sektor zu isolieren. Wenn die Bevölkerung in einem County ihren Konsum einschränkt, dann leiden darunter Friseure, Haushaltsangestellte, Restaurants und Einzelhändler. Lokale Unternehmen, die für den gesamten amerikanischen Markt produ zieren, sind von diesem regional begrenzten Konsumrückgang jedoch nicht betroffen.

Verbesserung der Haushaltsbilanzen über reduzierten Konsum

Über diesen Mechanismus zeigen die beiden Forscher, dass etwa zwei Drittel des Rückgangs der amerikanischen Beschäftigung auf den Konsumrückgang der Haushalte zurückzuführen ist, der an der Verschuldungssituation hängt. Eine Mikrofundierung dieses Ansatzes liefert Dynan (2012) mit amerikanischen Haushaltssurveydaten. Bei ihrer ökonometrischen Schätzung für Konsumausgaben kontrolliert die Autorin für Veränderungen im Einkommen und im Vermögen. Trotz der Kontrolle für diese beiden Faktoren bleibt der Einfluss der Verschuldung auf den Konsum signifikant und negativ. Einen weiteren Erklärungsansatz für die schwache Wirtschaftsentwicklung infolge der hohen Haushaltsverschuldung liefern Eggertsson und Krugman (2012). Die Autoren modellieren einen exogenen Schock auf die maximale Kredithöhe von verschuldeten Haushalten. Wenn sich in ihrem Modell ein Land in der Liquiditätsfalle befindet, kann der Konsumrückgang der verschuldeten Haushalte aufgrund dieses sogenannten Deleveraging-Schocks nicht ausreichend durch einen Anstieg des Konsums der Gläubigerhaushalte ausgeglichen werden. Deleveraging führt somit zu einem Rückgang der aggregierten Nachfrage.

Diese empirischen und theoretischen Arbeiten sind unter dem Eindruck des Deleveraging in den USA entstanden. Allerdings sind die Probleme in einigen europäischen Ländern ganz ähnlicher Natur. So wiesen insbesondere Spanien, Irland und Großbritannien, ganz ähnlich den USA, auch ein sehr starkes Wachstum der Kreditvergabe und der Immobilienpreise vor Beginn der Finanzkrise auf. Das Schuldenniveau der privaten Haushalte lag bei teilweise über 100 Prozent im Verhältnis zum BIP. Dies legt nahe, dass europäische Haushalte, den amerikanischen vergleichbar, infolge des Schocks der Finanzkrise ihre Haushaltsbilanzen über reduzierten Konsum verbessern müssen.

Über verminderte aggregierte Nachfrage verschlechtert sich infolge auch die Beschäftigungssituation in diesen Ländern, was den ursprünglichen Deleveraging-Prozess weiter verstärken dürfte. Für die Messung des Effekts der Verschuldung auf die aggregierte Nachfrage werden hier zwei Variablen verwendet: der Beitrag der Konsumausgaben privater Haushalte zum Wirtschaftswachstum sowie die eher indirekte Größe der Beschäftigtenquoten.

Kreditwachstum und der Konsumbeitrag zur BIP-Entwicklung

Der Zusammenhang zwischen Kreditwachstum beziehungsweise (De)leveraging und dem Konsumverhalten der europäischen Haushalte lässt sich anhand von Daten der EZB nachweisen. Je höher das Kreditwachstum von Quartal zu Quartal ist, desto höher ist der Beitrag des Konsums der Haushalte in dem jeweiligen Land und Quartal zum BIP-Wachstum. Obwohl der Großteil der Haushaltskredite in Europa aus reinen Immobilienkrediten besteht, lässt sich die positive Beziehung von Krediten zu Konsum nicht bestreiten. Abbildung 2 zeigt diese Beziehung für neun Länder im Euroraum.

Ein nominaler Schuldenabbau der Haushalte ist nur in wenigen Quartalen zu beobachten, allerdings sind diese Quartale von einem negativen oder sehr geringen Beitrag der Konsumausgaben zum BIP-Wachstum gekennzeichnet. Unterstellt man eine Inflation von etwa zwei Prozent bedeutet auch ein nominales Kreditwachstum von 0,5 Prozent pro Quartal eine reale Entschuldung. Der Vergleich von Wachstumsraten unter 0,5 Prozent und über drei Prozent zeigt sehr deutlich, dass ein hohes Kreditwachstum gleichzeitig mit steigenden Konsumausgaben erfolgt und dass die reale Entschuldung zu Konsumzurückhaltung führt.

Dieses Verhalten ist noch ausgeprägter, wenn ausschließlich die hauptleidtragenden Länder der Eurokrise betrachtet werden. Für Spanien, Irland und Portugal ergeben sich hochsignifikante Korrelationskoeffizienten von etwa 80 Prozent für die Beziehung zwischen Kreditwachstum und dem Konsumbeitrag zum BIP-Wachstum. Das Land mit dem nächsthöchsten Koeffizienten für den Zeitraum zwischen 2000 und 2011 ist Italien (65,6 Prozent). Die bislang eher robusten Euroländer Deutschland, Frankreich und die Niederlande zeigen ebenfalls hochsignifikante Korrelationen, die jedoch deutlich geringere Werte einnehmen (32 bis 49 Prozent).

Entgegen möglicher Argumentationen, dass die Verschuldung der Haushalte einen geringen Einfluss hat, da die Schulden des einen Haushalts Vermögen des anderen Haushalts darstellen, zeigt Abbildung 2 sehr deutlich, dass die Verschuldung des Haushaltssektors von großer Bedeutung für das Wirtschaftswachstum in Europa ist.

Verschuldung und Arbeitslosigkeit

Über die Beziehung von exzessiven Schulden zum Rückgang in Konsum und aggregierter Nachfrage lässt sich der Bogen zu steigender Arbeitslosigkeit in Spanien und anderen Ländern spannen. Die hohen Arbeitslosenquoten beziehungsweise der Rück gang der Beschäftigung werden in Debatten in Deutschland oftmals mit strukturellen Problemen und mangelnder Wettbewerbsfähigkeit erklärt. Der aufgezeigte Zusammenhang legt jedoch nahe, dass ein verschuldungsbedingter Nachfragerückgang auch seinen Beitrag zu der prekären Beschäftigungssituation leistet.

Die Beschäftigung eines Landes reagiert meist mit etwas Verzögerung auf die aggregierte Nachfrage. Dabei treten zwei Effekte auf: Einerseits werden bei einem Konsumrückgang weniger Beschäftigte im Handels- und Dienstleistungssektor benötigt, andererseits wirkt sich der Konsumrückgang auch auf die Produzenten der Konsumgüter aus, die weniger Angestellte benötigen. Die Elastizität der Beschäftigung auf die aggregierte Nachfrage ist somit ausschlaggebend für den Grad des Anstiegs der Arbeitslosigkeit.

Der zweite, eher indirekte, Indikator für den Zusammenhang zwischen aggregierter Nachfrage und der Verschuldung des Haushaltssektors ist somit die Veränderung der Beschäftigung zwischen 2008 und 2010. Die Höhe der Veränderung der Verschuldung in den Jahren vor der Krise kann hierbei als die Größe des Schocks interpretiert werden, der die Haushalte beim Ausbruch der Krise getroffen hat.

Je stärker die Schulden von Haushalten vor der Krise angestiegen sind, umso stärker ist der Anpassungsdruck in dem jeweiligen Land bei einer Verlangsamung oder einer Umkehr des Schuldenanstiegs. Zudem müssen die Haushalte ein konsequenteres Deleveraging betreiben, wenn ihre Schulden vor der Krise stärker angestiegen sind. Abbildung 3 a verdeutlicht die Relation zwischen dem Schuldenwachstum vor der Krise und den Auswirkungen des Deleveraging auf die folgende Entwicklung der Beschäftigung.

Das absolute Schulden niveau des Haushaltssektors relativ zum BIP stellt eine weitere Möglichkeit zur Messung des Deleveraging-Effekts dar. Je höher das Schuldenniveau zu Beginn der Krise ist, desto stärker müssen sich die Haushalte in ihrem Konsum einschränken. Dies wird in Abbildung 3b ersichtlich.

Hoher Erklärungsgehalt der Haushaltsverschuldung

Das einzige Land mit einem Anstieg der Beschäftigungsquote ist Deutschland. Gleichzeitig ist Deutschland auch das einzige Land, in dem der Haushaltssektor seine Verschuldung vor der Krise reduziert hat. Umgekehrt weisen die Nationen mit dem höchsten Schuldenwachstum vor der Krise die gravierendsten Rückgänge der Beschäftigung seither aus. Die Varianz der Auswirkungen auf die Beschäftigung steigt mit zunehmendem Anstieg der Verschuldung, ein Bestimmtheitsmaß R2 von 67 Prozent bestätigt aber den hohen Erklärungsgehalt der Haushaltsverschuldung für die Problematik auf den Arbeitsmärkten in den betroffenen Ländern.

Das Niveau der Haushaltsverschuldung ist ebenso hoch signifikant bezüglich des Einflusses auf die Veränderung der Beschäftigung während der Krise. Der Erklärungsgehalt dieser Variable ist jedoch etwas geringer, da die Länder historisch gesehen unterschiedliche Schuldenniveaus hatten. Abbildung 3 a veranschaulicht im Gegensatz zu Abbildung 3 b somit zusätzlich, wie stark die jeweiligen Volkswirtschaften bei einem Schuldenstopp oder Deleveraging von ihrem gewohnten, kreditunterstützten Wachstumspfad abweichen müssen.

Situation aller Sektoren beachten

Mit diesem Aufsatz wird auf die wichtige Rolle der privaten Haushaltsverschuldung sowohl beim Entstehen von Finanz- und besonders Immobilienkrisen als auch bei deren Überwindung hingewiesen. Derzeit befinden sich viele europäische Länder in einem recht ähnlichen Deleveraging-Prozess der privaten Haushalte wie dem der USA nach der Subprime-Krise und dem Japans Anfang der neunziger Jahre. Während sich die Situation in den USA - abgesehen von der derzeitigen Debatte über den Fiscal Cliff - unter anderem aufgrund starker Interventionen der US-Regierung und der Fed anscheinend relativ gut entwickelt, dient Japan sicherlich eher als drohendes Beispiel eines Landes mit hoher Verschuldung des privaten und öffentlichen Sektors, bei gleichzeitig niedrigen Wachstumsraten und stetiger Deflation.

Erforderlich ist deshalb eine breitere Perspektive in der öffentlichen Debatte, die nicht nur die Staatsverschuldung berücksichtigt, sondern ein umfassendes Bild der Verschuldungssituation aller Sektoren der Ökonomien geben soll. Speziell wirkt sich der derzeitige Deleveraging-Prozess überschuldeter europäischer Haushalte sehr negativ auf die Entwicklung der aggregierten Nachfrage und folglich auch der Beschäftigungsentwicklung aus. Diesen negativen Effekt auf die Beschäftigungsentwicklung abzufedern, aber gleichzeitig den Prozess des Schuldenabbaus zu ermöglichen, sollte eine Priorität europäischer Wirtschaftspolitik werden.

Literatur

Dynan, K. (2012): "Is a household debt overhang holding back consumption?" Brookings Papers on Economic Activity, 2012 (1): 299-344.

Eggertsson, G. B. and Krugman, P. (2012): "Debt, Deleveraging, and the Liquidity Trap: A Fisher-Minsky-Koo approach". Quarterly Journal of Economics, 127 (3): 1469-1513.

Jauch, S. and Watzka, S. (2012): "The Effect of Household Debt on Aggregate Demand - The Case of Spain". CESifo Working Paper Series, No. 3924. August 2012.

Koo, Richard C. (2009): The Holy Grail of Macroeconomics. John Wiley & Sons. Singapore.

Mian, A. R. and A. Sufi (2012): "What explains high unemployment? The aggregate demand channel". National Bureau of Economic Research Working Paper Series, No. 17830. February 2012.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X