Aufsätze

Corporate Governance und Unternehmensorganisation

Die Bedeutung der Organisation für die Unternehmensführung kann am besten mit dem altbekannten Satz umschrieben werden: Organisation ist nicht alles, aber ohne Organisation ist alles nichts. Der Begriff Organisation wird hier im umfassenden Sinne verstanden, das heißt von Corporate Governance bis zur Ablauforganisation. Zunächst daher einige Bemerkungen zu der viel diskutierten Corporate Governance.

Aufgabenverteilung zwischen den Organen

Lord Cadbury, der frühere Chairman des Softdrink- und Süßwarenherstellers Cadbury, war einer der Ersten, der sich mit der Corporate Governance befasste. Er hat sie wie folgt definiert: "Corporate Governance is the system by which companies are directed and controlled." Dabei geht es hauptsächlich um die Aufgabenverteilung zwischen den Organen eines Unternehmens, das heißt der Hauptversammlung, dem Aufsichtsrat und dem Vorstand.

Die verschiedenen aktuellen Überlegungen und Diskussionen haben die Tendenz, die Rechte der Hauptversammlung und des Aufsichtsrates gegenüber dem Vorstand zu stärken, um so den Einfluss der Eigentümer besser zu gewährleisten. Dies scheint teilweise berechtigt. Eine stärkere Ausweitung der Rechte der Hauptversammlung halte ich besonders bei großen Publikumsgesellschaften jedoch für falsch. Man kann schließlich ein Unternehmen nicht über eine breite Aktionärsdemokratie führen. Zurzeit wird ja sogar diskutiert, beispielsweise die Gehälter des Vorstandes von der Hauptversammlung festlegen zu lassen.

Viel wichtiger scheint es zu sein, dass die Aktionäre einen Verwaltungsrat wählen, der in ihrem Interesse wirklich die Verantwortung wahrnimmt und den Vorstand kontrolliert. Es gibt in der Struktur der Aktionäre heute allerdings sehr starke Entwicklungen in Richtung größerer Anteile von Institutional Investors und Hedge-Fonds, die aufgrund ihrer substanziellen Beteiligungen an den Unternehmen ihren Eigentümereinfluss ausdehnen wollen. In diesem Fall ist das auch sinnvoll.

Andererseits lässt sich bei großen Publikumsgesellschaften die Tendenz beobachten, dass einzelne Aktionäre (oft mit nur einer Stimme) ihre Rechte missbrauchen und sich in den Hauptversammlungen mit allen möglichen Themen zu Wort melden. Das verlängert die Hauptversammlungen unnötig. Hier sollte man Regelungen zur Beseitigung dieses Missbrauches schaffen. Insbesondere in dieser Beziehung muss die Stellung des Leiters der Hauptversammlung gestärkt werden.

Mehr Rechte für den Aufsichtsrat

Beim Aufsichtsrat dagegen sollten diesem Gremium im Verhältnis zur jetzigen deutschen Gesetzgebung mehr Rechte eingeräumt werden. Die derzeitigen Aufgaben des Aufsichtsrats betreffen im Wesentlichen die Befassung mit allem, was die Hauptversammlung zu beschließen hat, alle Vorstandsangelegenheiten und die Informationsrechte. Formell ist nach der jetzigen Gesetzgebung der Vorstand fast autonom. Er kann neue Strategien festlegen oder große Akquisitionen vornehmen. Diese allumfassenden Kompetenzen werden allerdings durch die Satzungen und Geschäftsordnungen oft eingeschränkt, indem Geschäfte festgelegt werden, die der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen. Dies ist sicher sinnvoll.

Probleme entstehen allerdings dadurch, dass aufgrund der deutschen Mitbestimmungsgesetze den Arbeitnehmern und den Gewerkschaften als Mitgliedern des Aufsichtsrates automatisch mehr Rechte eingeräumt werden. Deshalb finden heute oft getrennte Sitzungen der Kapitalseite statt, und es werden dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats informell mehr Kompetenzen und Einflussmöglichkeiten zugestanden. Man bewegt sich damit allerdings oft im rechtsfreien Raum.

Das deutsche Mitbestimmungsgesetz ist daher generell problematisch. Man bringt die Arbeitnehmerseite zum Teil in eine schwierige Position, da sie einerseits laut Gesetz die Unternehmensinteressen vertreten muss, andererseits von Mitarbeitern und Gewerkschaften mit oft sehr einseitigen Interessen abhängt. Die Mitbestimmung führt dazu, dass Vorstandsmitglieder zum Teil zu opportunistischem Verhalten tendieren. Sie wollen die Arbeitnehmerseite nicht verärgern, um beispielsweise ihre Vertragsverlängerung zu sichern. Wenn sich auch sehr oft eine vernünftige und positive Mitarbeit der Arbeitnehmerseite feststellen lässt, besteht eben doch die Gefahr, dass durch sie wichtige Entscheidungen blockiert oder verhindert werden.

Unabhängig von diesem spezifisch deutschen Problem sollte der Aufsichtsrat auf jeden Fall gestärkt und beispielsweise an allen strategischen Entscheidungen stärker beteiligt werden. Dazu gehören wichtige Akquisitionen oder der Eintritt in neue Geschäfte oder Investitionspläne. Es gibt einen Punkt, der viel zu wenig beachtet wird, aber von erheblicher Bedeutung ist. Er betrifft die Aufgabe des Aufsichtsrats, insbesondere die langfristigen Aspekte und Auswirkungen von Geschäftsentscheidungen auf das Unternehmen zu diskutieren und die Ergebnisse der Diskussion in den Entscheidungsprozess einzubringen. Dies ist deshalb notwendig, weil eine langfristige Politik von überragender Bedeutung für das Unternehmen ist und weil Vorstände und Führungskräfte durch den heutigen Druck der Finanzwelt sowie durch die zunehmende Verschärfung des Wettbewerbs infolge der Globalisierung immer wieder dazu neigen, eher kurzfristig zu denken.

Überregulierungen vermeiden

Ganz allgemein sollte die heutige Diskussion über das Thema Corporate Governance nicht zu allzu vielen Regelungen führen. Überregulierungen sind immer problematisch und können die unterschiedlichen Verhältnisse in den Firmen nie entsprechend berücksichtigen. Außerdem kann auch mit vielen Regelungen Fehlverhalten letztlich nicht vermieden werden. Deshalb ist es viel wichtiger, dass die richtigen Personen in die Aufsichtsräte delegiert werden. Dabei geht es nicht um Fachleute (diese müssen im Unternehmen vorhanden sein), sondern um Persönlichkeiten mit Charakter sowie einer allgemeinen Lebens- und Geschäftserfahrung, die auch in schwierigen Situationen zum Unternehmen und zum Vorstand stehen, andererseits aber auch handeln und Vorstände abwählen, wenn dies notwendig erscheint.

Generell noch ein Wort zu den Unternehmensverfassungen in anderen Ländern, wie zum Beispiel der Schweiz, Großbritannien, USA, Frankreich. Diese Verfassungen lassen mehr Flexibilität zu, weil beispielsweise Aufsichtsratsmitglieder aktiv in der Geschäftsführung sein können oder aber reine Aufsichtsfunktionen wahrnehmen. Damit kann man sich besser den tatsächlichen Verhältnissen in der Eigentümerstruktur oder den vorhandenen Persönlichkeiten anpassen. Eine Gefahr besteht dann allerdings darin, dass Unsicherheiten hinsichtlich der Kompetenzen und Aufgaben einzelner Personen entstehen, wenn die Dinge nicht klar geregelt sind.

Die Schweizer Regelung ist pragmatisch und vernünftig. Dort hat der Verwaltungsrat im Prinzip die Oberleitung des Geschäftes, kann aber an seinen Präsidenten, einen Delegierten des Verwaltungsrats oder aber an einen Präsidenten der Generaldirektion alle Kompetenzen delegieren, die er für richtig hält und die er sich nicht selbst vorbehalten möchte. In vielen Ländern, in denen die Position des Aufsichtsratsvorsitzenden und des Chief Executive von ein und derselben Person bekleidet sein kann, ist zurzeit eine Diskussion darüber entbrannt, ob die Ämter prinzipiell getrennt werden müssen. Dieser Diskussion wird zu viel Bedeutung eingeräumt. Es kommt auch hier wieder auf die beteiligten Personen und die Geschäftsordnungen an.

Ich selbst habe bei Nestlé sieben Jahre beide Positionen innegehabt. Wenn dies der Fall ist, ist es sehr wichtig, dass ein Verwaltungsrat oder ein Präsidium des Verwaltungsrats existiert, der oder das aus Personen besteht, die im Zweifelsfall unabhängig und klar handeln, wenn sie mit dem Verwaltungsratspräsidenten nicht einverstanden sind. Dadurch wird dessen Macht automatisch eingeschränkt. Ferner ist in diesem Falle dafür zu sorgen, dass es im Unternehmen eine adäquate Nachfolgeplanung gibt, die jederzeit eine geeignete Persönlichkeit zur Übernahme der Unternehmensleitung vorsieht, falls mit dem Präsidenten etwas passiert. Im Übrigen ist in meinem Falle auch dadurch eine zusätzliche Sicherheit eingebaut worden, dass ich auf eigenen Wunsch jeweils nur für ein Jahr bestellt wurde.

Zum Vorstand als das dritte Organ (neben Aufsichtsrat und Hauptversammlung) im Unternehmen nur eine Bemerkung: Ich halte nicht viel von dem deutschen Gesetz (das im Übrigen auch einmalig ist), dass der Vorstand ein reines Kollegium ist und die Verantwortung für das Unternehmen gesamtheitlich wahrnimmt. Solche Systeme führen oft zu Grabenkämpfen zwischen den einzelnen Vorstandsmitgliedern oder auch zu einem Verhalten, das an ein Ressort gebunden und nicht gesamtverantwortlich ist. Ich bin hier wie auf allen Ebenen des Unternehmens immer für ein Team mit Spitze und nicht für ein Team als Spitze. Ich bin für einen kollegialen Führungsstil, aber nicht für eine Verwischung der Verantwortung.

Natürlich setzt mein Vorschlag voraus, dass der Vorstandsvorsitzende eine verantwortungsvolle Person ist, die nicht die Interessen ihres eigenen früheren Ressorts zu stark in den Vordergrund stellt, sondern objektiv im Gesamtinteresse des Unternehmens handelt und entscheidet. Oft gibt es in Vorständen auch eine so genannte Doppelspitze, das heißt einen technischen und einen kaufmännischen Direktor. Auch davon halte ich aus den gleichen Gründen wenig. Ich zitiere in diesem Zusammenhang ein türkisches Sprichwort, das heißt: "Zwei Kapitäne bringen ein Schiff zum Sinken."

Ein Team mit Spitze

Es ist wichtig, und ich möchte es wiederholen: Unternehmen benötigen Teams mit Spitze - und nicht Teams als Spitze. Professor Malik hat dazu Folgendes gesagt: "Praktisch alle großen Leistungen, vor allem das, was man Durchbrüche zu nennen pflegt, waren die Leistungen einzelner Menschen, manchmal Einzelner mit Helfern, aber so gut wie nie von Teams. Das gilt für sämtliche Kunstrichtungen: Weder gibt es in der Musik Teamkompositionen noch Werke der Weltliteratur, die in Teams entstanden wären; weder ist Teammalerei bekannt, noch haben die großen Bildhauer im Team gearbeitet. Im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Meinung gilt das auch in so hohem Maße für die Wissenschaft, dass man es ernst nehmen sollte. Die bedeutenden Werke der Philosophie, der Mathematik, der Natur- und der Geisteswissenschaften sind, von ganz wenigen Ausnahmefällen abgesehen, von Einzelnen geschaffen worden."*

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