Leitartikel

Bloß keine Passivität

Es war ein Stoßseufzer der Erleichterung, der dieser Tage durch die Flure deutscher Finanzinstitute hallte. Die Bundesregierung ließ sich endlich überzeugen, der Kreditwirtschaft Deponien für ihre toxischen Wertpapiere einzurichten. Wie schwer dieser Entschluss den politisch Handelnden gefallen ist, lässt sich leicht erahnen. Schließlich gilt es im Superwahljahr als grob unpopulär, dem Steuerzahler tatsächliche oder auch nur potenzielle Belastungen in Milliardenhöhe aufzubürden. Aber gibt es eine Alternative? Leider haben es bisher weder signifikante Staatsbeteiligungen an systemrelevanten Banken noch großzügige SoFFin-Garantien für ungedeckte Schuldverschreibungen vermocht, die Kreditvergabe der Banken untereinander und an die kapitalmarktnahen Unternehmen der Realwirtschaft zu reanimieren. Gewiss hätte nach amerikanischem Vorbild der Banken-Defibrillator bis an die Grenze jeder haushalterischen Belastbarkeit aufgedreht werden können. Jüngste Meldungen aus den USA legen immerhin nahe, dass sich die Lebenszeichen im dortigen Bankenmarkt verstärken. Doch würde das murrende deutsche Wahlvolk, dem in diesem Jahr noch ein deutlicher Anstieg der Arbeitslosenquote zugemutet wird, das nötige Verständnis und die gebotene Geduld aufbringen? Hätte die (Kredit-)Wirtschaft noch so viel Durchhaltevermögen? Ein Scheitern will keiner riskieren.

Trotzdem hatte die Branche lange flehen, drohen und schimpfen müssen, damit die Kanzlerin und ihre Minister endlich die finanzwirtschaftliche Blutwäsche mittels Bad Banks angehen. Dabei wurde wohl auch in den höchsten politischen Kreisen lange übersehen, dass es eben nicht nur der übliche Kreditmüll ist, der die Bankbilanzen aufgrund von Fehlern in der Risikoeinschätzung ihrer Schuldner unterlief. Diesen Schrott muss der Staat nicht abnehmen, denn dafür gibt es genügend Verwerter. Kniffelig ist die Refinanzierung von jenem Teil des Kreditbestands, der unter sonnigerem Kapitalmarkthimmel geschickt strukturiert und fein tranchiert verbrieft wurde. Hier geht seit letztem Herbst gar nichts mehr. Richtig kniffelig wird es aber erst jetzt, wenn die Anleger der kurzlaufenden Verbriefungen ausgezahlt werden müssen. Glaubt man den Schätzungen von Marktkennern, so stehen in den kommenden Monaten etwa 150 Milliarden Euro im Feuer. Zwei Bad-Bank-Modelle durchlaufen derzeit den ministeriellen Beauty Contest. Eine Variante besticht durch rechtliche Einfachheit und die Auslagerung der Problempapiere in eine außerbilanzielle Zweckgesellschaft, die andere Variante schlägt die Übertragung der toxischen Papiere auf eine Anstalt öffentlichen Rechts im jeweiligen Konzern vor. Eines qualifiziert beide Modelle: Jede Bank bleibt für ihr Portfolio verantwortlich. Wichtig ist vor allem, dass sobald als möglich eine Entscheidung getroffen wird. Denn solange keine Klarheit herrscht, bleibt die Verunsicherung an den Märkten erhalten.

"Vertrauen ist der Anfang von allem", warb ein großes deutsches Geldhaus in den neunziger Jahren für sich. Banal, aber richtig. Doch noch immer argwöhnen die Banken einander und parken ihre Liquidität lieber bei der Notenbank, als einem anderen Institut über Nacht Geld zu leihen. So hängen die Banken - die kranken wie die gesunden, die einlagenstarken wie die kapitalmarktbasierten - heute passivseitig am Tropf der EZB. Diese hat zur Vermeidung von Liquiditätsengpässen in der Kreditwirtschaft sogar ihre Mindestanforderungen für die zu hinterlegenden Sicherheiten gelockert und akzeptiert jetzt auch Papiere mit einem Rating von "BBB minus". Allein zwischen November und Dezember 2008 schossen die Zentralbank-Guthaben der Banken und Bausparkassen von 54,7 auf 102,6 Milliarden Euro, wie die Bundesbank-Statistik ausweist. Das entspricht immerhin einer Steigerung um rund 87 Prozent. Gleichzeitig sanken die Kredite an in- und ausländische Banken von 3 424,1 auf 3 308,2 Milliarden Euro. Bis Ende Februar 2009 schmolz der Bestand weiter auf 3 281,8 Milliarden Euro ab.

Zwar müht sich die EZB redlich, den Kreislauf durch die Infusion billiger Liquidität wieder in Gang zu bekommen, doch bleiben die Wirkungen bescheiden. Ein Grund: Das bereitgestellte Geld bleibt in den Banken, denn der Markt verlangt für ihre Kredite - neue wie alte - aktuell eine Unterlegung mit mehr Eigenkapital, statt fünf bis sechs Prozent Eigenkapitalquote heute acht bis neun Prozent. In der Konsequenz müssen entweder Risikoaktiva abgebaut oder neues Kapital aufgetrieben werden. Schon erheben erste Mahner ihre Stimme - sowohl jene, die Inflationsgefahren dämmern sehen, als auch jene, die japanische Verhältnisse fürchten. Der ostasiatische Inselstaat hat sich trotz faktischer Null-Zins-Politik seiner Notenbank seit über einem Jahrzehnt nicht von der Rezession erholt. Und nur weil die japanischen Verbraucher ihr Geld zusammenhalten, sank das Damoklesschwert der Inflation noch nicht auf die Volkswirtschaft hernieder. Doch wie lange hält dieser Zustand noch an?

Hierzulande können sich die Banken mit Kundeneinlagen glücklich schätzen - seien es Sparguthaben von privaten Haushalten oder Sichteinlagen zum Beispiel der Wohnungswirtschaft wie im Falle der Aareal Bank. Um immerhin 2,3 Prozent von 532,0 auf 544,1 Milliarden Euro nahmen laut Bundesbank die Spareinlagen zwischen November und Dezember 2008 zu. Gleichwohl kommen auch die einlagestarken Institute nicht ohne den Kapitalmarkt aus. Doch hier ist Liquidität derzeit teuer, weil die Investoren, zu denen im Wesentlichen Versicherungen, Pensionskassen, Versorgungswerke und Zentralbanken gehören, vorsichtig bleiben. Ein Blick in die Statistik der Bundesbank offenbart Grauenvolles. Bis zum 15. September 2008 war das Ersetzen fälliger Passiva weitgehend schmerzfrei. So erreichte der Bruttoabsatz an Bankschuldverschreibungen im vergangenen Jahr mit 961,3 Milliarden Euro sogar eine neue Höchstmarkte. Dabei verdoppelte sich die Emission von ungedeckten Papieren mit 382,8 Milliarden Euro gegenüber 2007, und auch Hypothekenpfandbriefe ließen sich mit 51,3 Milliarden Euro besser platzieren als je zuvor. Abzüglich gleichzeitiger Fälligkeiten oszillierte der jährliche Nettoabsatz zwischen 2005 bis 2007 um die Marke von 40 Milliarden Euro. Im Jahr 2008 wechselte jedoch das Vorzeichen: minus 45,7 Milliarden Euro. Schwierig waren vor allem die Monate September, Oktober und Dezember, in denen der Nettoabsatz aller inländischen Bankschuldverschreibungen zwischen minus 23,5 und minus 44,2 Milliarden Euro betrug - absolute Negativrekorde. Und hier zeigt sich, dass vor allem ungedeckte Papiere faktisch unverkäuflich sind. Minus 13,6 Milliarden Euro betrug deren Nettoabsatz im September 2008, minus 17,4 Milliarden Euro im Oktober, minus 27,3 Milliarden Euro im Dezember. Für das Gesamtjahr bleibt ein Minus von 6,4 Milliarden Euro. Dagegen haben sich Hypothekenpfandbriefe geradezu wacker geschlagen. Netto wurden im vergangenen Jahr immerhin 6,1 Milliarden Euro abgesetzt - so viel wie seit 2003 nicht. In den Monaten nach der Lehman-Pleite blieben unterm Strich immerhin noch plus 955 Millionen Euro, allerdings mit abnehmender Tendenz. Schließlich überstiegen im Januar 2009 die Fälligkeiten den Neuabsatz um 1,8 Milliarden Euro.

Von den Ende Januar 2009 umlaufenden Bankschuldverschreibungen im Wert von 1 885,2 Milliarden Euro entfallen 148,7 Milliarden Euro auf Hypothekenpfandbriefe und 877,4 Milliarden Euro auf ungedeckte Papiere. Davon sind innerhalb der nächsten zwölf Monate Bankschuldverschreibungen in Höhe von 557,3 Milliarden Euro fällig. Innerhalb der nächsten zwei Jahre müssen sogar 853,0 Milliarden Euro zurückgezahlt werden. 62,2 Milliarden Euro davon betreffen zu ersetzende Hypothekenpfandbriefe, was immerhin 42 Prozent des aktuellen Umlaufs entspricht. Bei ungedeckten Papieren, von denen 394,5 Milliarden Euro zurückgenommen werden müssen, liegt die Fälligkeitsquote bei 45 Prozent.

Die Lage ist ernst. Denn noch immer ist die Investitionsbereitschaft der Anleger unbefriedigend. Zögern lässt sie die Angst vor den negativen Folgen einer möglichen Rating-Herabstufung der Emittenten. Diese würden Neubewertungen nach sich ziehen, welche bis auf die Bilanz der Investoren durchschlagen, gleichwohl die Buchverluste vielleicht nie realisiert werden müssen. Der Ausfall eines großen Versicherungskonzerns oder einer Pensionskasse würde das ohnehin fragile Finanzsystems noch weiter erschüttern. Dass angesichts dieser Brisanz der Staat zunächst mit Garantien und Notbeteiligungen hantiert sowie als Ultima Ratio Enteignungen nicht ausschließen will, ist richtig. Aber das Reparaturvermögen staatlicher Eingriffe in funktionsgestörten Märkten sollte nicht überschätzt werden. Zweifellos haben die SoFFin-Garantien für maximal dreijährige ungedeckte Bankschuldverschreibungen zumindest eine gewisse, wenn auch längst nicht ausreichende Investorennachfrage erzeugt. Nicht zu übersehen sind jedoch die damit einhergehenden Verzerrungen im Markt. Denn Staatsgarantiertes verdrängt die gedeckte Refinanzierung. Zwar honorieren die Investoren die Staatshaftung mit einem Spread um die 30 Basispunkte, doch für den Emittenten kommen noch die Kosten für die Inanspruchnahme der Garantie in Höhe von 70 Basispunkten hinzu. Wesentlich günstiger wäre es für die Banken, wenn sie sich stärker über gedeckte Papiere wie Pfandbriefe refinanzieren könnten. Diese sind als kleinteilige, individuell zusammengestellte Papiere mit einem Spread von 65 bis 80 Basispunkten aus Emittentensicht deutlich günstiger und bieten dank strenger und zu Jahresbeginn sogar noch verschärfter Gesetzgebung auch für die Investoren ein sehr hohes Maß an Sicherheit. Die Ausweitung der Liquiditätsreserve, also des Sicherheitspuffers zur Bedienung fälliger Pfandbriefe, von 90 auf 180 Tage sollte das Vertrauen der Ratingagenturen und Investoren in den Pfandbrief weiter stärken.

Lediglich bei der Liquidität der Pfandbriefe müssen die Anleger Abstriche machen. Was ihnen aber offensichtlich weniger Sorge bereitet, denn Jumbo-Pfandbriefe - die liquide Alternative, sofern das Market Making funktioniert - ist derzeit deutlich teurer zu emittieren. Während die Postbank zu Jahresbeginn ihren Jumbo-Hypothekenpfandbrief noch mit einem Spread von 85 Basispunkten platziert bekam, mussten andere Emittenten die Aufstockung bestehender Hypotheken-Jumbos mit Aufschlägen von um die 100 Basispunkte bezahlen. Eingedenk des erheblichen Aufwands für die Strukturierung und die Road Shows ist das wohl nur als Akt der Verzweiflung zu werten. Daran lässt sich jedoch ermessen, welche verheerenden Folgen die Ausweitung der Staatsgarantien auf fünfjährige Laufzeiten hätte. Der Pfandbrief würde dadurch noch weiter an die Wand gedrückt und auf das langfristige Laufzeitenband reduziert. Dabei sorgen gerade die wachsenden Inflationsängste dafür, dass Investoren Kurzläufer tendenziell bevorzugen und sich mit langlaufenden Papieren weniger wohlfühlen. Die so dringend nötige Erholung des Kapitalmarktes würde durch die faktische Schwächung des Pfandbriefs nur noch schwieriger.

Ohnehin ist es keinesfalls so, dass die Staatsgarantien die Probleme des Marktes gelöst hätten - gemildert vielleicht. Trotzdem bleiben die Herausforderungen der Passivseite anspruchsvoll und verlangen eine deutlich aktivere Steuerung. Dabei kommen nicht alle Herausforderungen aus dem Markt. Auch die Regulierer in Europa rühren kräftig mit. Für neuerlichen Diskussionsstoff sorgt das Ansinnen der EU-Organe, stille Einlagen nicht mehr als Kernkapital anzuerkennen. Sollte dieses Vorhaben in den nächsten Jahren umgesetzt werden, hätte das für zahlreiche Institute dramatische Folgen auf deren Passivastruktur. L. H.

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