Leitartikel

Unter Beobachtung

Ohne sie geht nicht viel in dieser Republik- zumindest nicht im Wirtschaftsalltag. Sie testieren und untersuchen, prüfen und beraten, fusionieren und wickeln ab, bewerten und verwalten. Es gibt kaum einen Vorgang, bei dem sie nicht mitwirken. Wirtschaftsprüfer sind eine Macht. Eine solche Fülle an Einflussmöglichkeiten ist dem gewöhnlichen ebenso wie dem unternehmerisch tätigen und dem politisch engagierten Menschen per se verdächtig. Gehen dann Dinge schief, wird aus Verdacht schnell Misstrauen. Warum hat man das nicht gesehen? Oder wollte man es gar nicht sehen? Schützt man hier Mandanten? Oder gibt es gar Interessenkonflikte? Ansatzpunkte für kritische Töne gibt es einige: Enron, Holzmann, Flowtex, Comroad, Hypo Real Estate - die Liste der angeblichen Verfehlungen der Prüfer ist lang und wird im Rahmen einer Krise für gewöhnlich immer länger. Haben Wirtschaftsprüfer gar versagt?

Um diese Frage beantworten zu können, muss man zunächst einmal die Aufgaben und Befugnisse von Wirtschaftsprüfern betrachten. So heißt es in § 43 der Wirtschaftsprüferordnung (WPO): "Der Wirtschaftsprüfer hat seinen Beruf unabhängig, gewissenhaft, verschwiegen und eigenverantwortlich auszuüben. Er hat sich insbesondere bei der Erstattung von Prüfungsberichten und Gutachten unparteiisch zu verhalten." Und weiter: "Der Wirtschaftsprüfer hat sich jeder Tätigkeit zu enthalten, die mit seinem Beruf oder mit dem Ansehen des Berufs unvereinbar ist. Er hat sich der besonderen Berufspflichten bewusst zu sein, die ihm aus der Befugnis erwachsen, gesetzlich vorgeschriebene Bestätigungsvermerke zu erteilen. Er hat sich auch außerhalb der Berufstätigkeit des Vertrauens und der Achtung würdig zu erweisen, die der Beruf erfordert." § 57b der WPO ergänzt: Der Prüfer für Qualitätskontrolle und seine Gehilfen, die Mitglieder der Kommission für Qualitätskontrolle (§ 57e) und die Bediensteten der Wirtschaftsprüferkammer sind, auch nach Beendigung ihrer Tätigkeit, verpflichtet, über die ihnen im Rahmen der Qualitätskontrolle bekannt gewordenen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren." Daraus schließt die breite Öffentlichkeit, dass ein guter Abschlussprüfer nie etwas übersieht, bei der Erfassung aller Tatbestände nichts subjektiv weglässt und aus all dem auch noch immer die richtigen Schlüsse zieht. Doch diese Erwartungshaltung kann selbst der Beste aller Wirtschaftsprüfer unmöglich erfüllen. Denn er bewegt sich zunächst einmal immer nur im Rahmen der Gesetze, soll heißen, Kernaufgabe ist es, zu überwachen, ob der Jahresabschluss unter Beachtung bestimmter Vorschriften wie beispielsweise IFRS ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Lage des Unternehmens vermittelt. Dabei wird immer nur der Blick nach hinten, in die Vergangenheit erlaubt. Dass der Prüfer sich dabei nicht nur auf die ihm vorgelegten Zahlenwerke verlässt, sondern sich durchaus auch eigene Gedanken zu Geschäftsmodellen, Tragfähigkeiten, Zukunftsperspektiven und den handelnden Personen macht, ist wünschenswert und für seine Rolle als "Berater" des Aufsichtsrats sicherlich auch unbedingt erforderlich, aber (noch) nicht Teil des Testats. Abschlussprüfung ist keine Bilanzgarantie. Leider!

Denn natürlich gibt es immer wieder Wirtschaftssubjekte, die entweder Tatsachen verschleiern beziehungsweise verschönern wollen oder ganz bewusst und auch legal Gesetzeslücken ausnutzen. Ein mittlerweile klassisches Beispiel hierfür sind die Zweckgesellschaften, mit denen Banken außerhalb der Bilanz und damit außerhalb des haftenden Eigenkapitals Geschäfte mit mitunter enormen Risiken angehäuft haben. Abschlussprüfer sehen dies natürlich, müssen dies auch analysieren und eventuell mit einem Vermerk im Abschlussbericht erwähnen. Doch sie können es nicht verbieten, denn damit würden sie in die Geschäftspolitik des Unternehmens eingreifen, was weit über ihre Kompetenzen gehen würde.

Aber sollten die Abschlussprüfer in solchen Fällen nicht laut aufschreien und über die ihrer Meinung nach bestehenden Missstände hinweisen? Grundsätzlich wäre so etwas im Sinne der Verhinderung von Schieflagen und der Aufklärung von Mitarbeitern, Kunden und Aktionären natürlich zu begrüßen. Aber wo sind die Grenzen? Hohe Positionen in Zweckgesellschaften sind per se noch nicht verwerflich, sondern werden erst dann zu Problemen, wenn es zu Ausfällen kommt. Diese vorherzusehen, bedürfe hellseherischer Fähigkeiten. Zudem birgt es die Gefahr, mit den Erwartungen daneben zu liegen. Und welcher Unternehmer oder verantwortliche Manager möchte sich schon von seinem Abschlussprüfer die Zukunft, den Börsenwert, die Geschäftsstrategie zerreden lassen? Zudem scheint es nahezu unmöglich, hierfür das richtige Maß zu finden, beispielsweise Auftritte der Prüfer auf Hauptversammlungen zuzulassen, andere Äußerungen aber abzulehnen. Denn im Interesse des eigenen Unternehmens und des eigenen (guten?) Rufs würden Abschlussprüfer natürlich mitunter den äußerst eng zu ziehenden Rahmen dessen, was gesagt werden darf und was nicht umgehen und Lücken in den Vorschriften ausnutzen. Dann doch lieber Schweigepflicht.

Und doch gibt es trotz aller gesetzlichen Zwänge einiges, was anders gemacht werden kann. Der Abschlussprüfer der Zukunft sollte noch sehr viel mehr als heute Berater und Gesprächspartner der Unternehmensführung und der Aufsichts- oder Verwaltungsräte sein. In diesen Gesprächen darf es dabei keineswegs nur um rückwärtsgerichtete Betrachtung gehen, sondern Zukunftsthemen wie Geschäftsmodelle, Risikotragfähigkeit et cetera müssen stärker zum Thema werden. Das fordert natürlich ganz andere Analysetechniken als bisher. Das alles geschieht in einem Umfeld, in dem die Regulierungsvorschriften immer detaillierter undinternationaler werden. Der Wunsch nach einheitlicheren Bilanzierungsstandards wird zwar gehört, aber wohl zumindest mittelfristig ein Wunsch bleiben. Und auch der Wettbewerb wird sicherlich nicht geringer werden. Der Kampf um Mandate wird mit höchster Intensitätgeführt, eine lebenslange Beziehung zwischen Abschlussprüfer und Unternehmen gibt es nur noch höchst selten. Inzwischen gehen mehr und mehr Unternehmen dazu über, regelrechte Pitches zwischen den Prüfungsgesellschaften durchzuführen. Das alles erhöht natürlich den Druck, und vielleicht verspricht sich mancher Auftraggeber davon auch ein gewisse Gewogenheit des Abschlussprüfers. Diesem immer zu widerstehen, ist schwer, aber wichtig, denn sonst drohen Abhängigkeiten und Interessenkonflikte. Und auch eine noch eindeutigere Trennlinie zwischen Prüfungs- und Beratungsgeschäft beispielsweise in Steuerfragen würde der Zunft sicherlich gut zu Gesicht stehen. Unter Beobachtung bleiben sie allemal.

Ist es also unter Berücksichtigung all dessen immer noch ein erstrebenswertes Berufsziel, Wirtschaftsprüfer zu werden? Hans Wagener, dem Mandanten bescheinigen, ein exzellenter Abschlussprüfer zu sein und der das Amt des Vorstandssprechers von PwC zum 1. Juli an seinen Nachfolger übergibt, würde sicherlich sagen: Ja!

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