Aufsätze

Basel III und das einheitliche Regelwerk in der EU

Bei dem Entwurf der Kommissionsdienststellen, der landläufig als CRD IV bezeichnet wird, geht es nicht nur um Basel III. Dieser Entwurf für einen Gesetzgebungsvorschlag behandelt auch die Umsetzung eines einheitlichen Regelwerks in der Bankenregulierung, die Harmonisierung aufsichtlicher Maßnahmen und Corporate Governance in der Finanzindustrie. Im Folgenden wird aber nur auf Basel III und das einheitliche Regelwerk eingegangen.

Erstmals auch ein Verordnungstext

An diesem einheitlichen Regelwerk oder auch Single Rule Book liegt es, dass die oft gehörte Bezeichnung "CRD IV" irreführend ist. Es handelt sich nämlich bei diesem Vorhaben nicht nur um eine weitere Überarbeitung der Capital Requirements Directive (CRD), also der Kapitalanforderungsrichtlinie.

Vielmehr umfasst der Entwurf neben einem Richtlinientext erstmals auch einen Verordnungstext. Das ist - zumindest im Bereich der Bankenregulierung - neu und daher erklärungsbedürftig. Im Folgenden liegt deshalb ein besonderer Schwerpunkt auf dem einheitlichem Regelwerk und dem Instrument der Verordnung.

Zunächst aber einige Worte zur Vorgeschichte des Projekts: Mit CRD II und III hat es seit dem Beginn der Finanzkrise bereits zwei wichtige Änderungen der Bankenrichtlinie gegeben. Mit Elementen wie der Überarbeitung der Großkreditregeln, der Marktrisikoanforderungen und den Anforderungen an Hybridkapital waren diese Änderungen aber in weiten Teilen bereits vor der Finanzkrise vorbereitet worden. Und sie wären auch ohne die Krise erfolgt, selbst wenn ihre Inhalte sehr wesentlich von Lehren aus der Finanzkrise bestimmt wurden.

Zwei der wesentlichsten Lehren aus der Krise wurden bisher nicht adressiert. Einerseits sind das die bisher einmaligen Unterstützungsleistungen der öffentlichen Hand für den Kreditsektor. Diese verlangen nach einer besseren Liquiditäts- und Kapitalausstattung der Institute. Und hier bietet die Ende letzten Jahres getroffene Basel III-Vereinbarung den richtigen Ausgangspunkt. Andererseits hat die Krise Schwächen des Aufsichtssystems und Mängel in der Umsetzung des europäischen Aufsichtsrechts offengelegt. Die Kommission hat daher in ihrer Mitteilung vom 4. März 2009 angeregt, diese Probleme durch die Schaffung eines europäischen Aufsichtssystems und eines einheitlichen Regelwerks für die Institute zu adressieren. Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben sich im Juni 2009 der Meinung der Kommission angeschlossen.

Das neue europäische Aufsichtssystem wurde bereits durch Maßnahmen außerhalb der CRD geschaffen. Das einheitliche Regelwerk und die Umsetzung von Basel III verlangen aber noch eine grundlegende Überarbeitung der Bankenrichtlinie. Hierzu haben die Kommissionsdienststellen bereits im Frühjahr 2010 ein Konsultationspapier vorgelegt. Seitdem haben wir den Basel-III-Prozess eng begleitet und mögliche Änderungen des Aufsichtsrechts eingehend mit den Mitgliedstaaten diskutiert. Wir haben auch eine umfassende Folgenabschätzung vorbereitet. Diese befasst sich insbesondere mit den Auswirkungen von Basel III auf die europäische Wirtschaft und bewertet diese positiv. Ohne der Veröffentlichung über Gebühr vorzugreifen, basiert dieses positive Bild auf einer Abschätzung des Nutzens von Maßnahmen, die der Vermeidung von Finanzkrisen dienen und einer realistischen Abschätzung der langfristigen Elastizität des Eigenkapitalangebots.

Enge Begleitung des Basel-III-Prozesses

Die Kommission plant, noch vor Ende des Sommers dem Parlament und dem Rat einen entsprechenden Gesetzgebungsvorschlag zu unterbreiten. Insofern an dieser Stelle der wichtige Hinweis, dass diese Ausführungen lediglich meine persönlichen Einschätzungen wiedergeben und sich auf die vorbereitenden Arbeiten der Dienststellen der Kommission beziehen. Der letztendliche Vorschlag der Kommission setzt eine Entscheidung des Kollegiums der Kommissare voraus, die noch aussteht.

Damit zum ersten der beiden inhaltlichen Bereiche des Vorschlags: Wie erwähnt hat sich der Europäische Rat der Meinung der Kommission angeschlossen, dass im Finanzaufsichtsbereich ein einheitliches Regelwerk geschaffen werden sollte. Die Gründe liegen in dem heutigen unbefriedigenden Zustand des europäischen Aufsichtsrechts. Dieses besteht aus einem komplizierten, vielstufigen Gebilde aus europäischen Rechtsakten und deren nationaler Umsetzung in Gesetzen, Verordnungen und Verwaltungsanweisungen. Es nimmt nicht Wunder, dass diese Situation einer einheitlichen Qualität des Aufsichtsrechts und einer einheitlichen Rechtsanwendung nicht zuträglich ist. Aufsichtsarbitrage und Wettbewerbsverzerrungen sind mögliche Folgen. Da gibt es die gewollten nationalen Wahlrechte in den Richtlinien. Es gibt aber auch gewollte und ungewollte Umsetzungsfehler im nationalen Recht. Und es gibt erhebliche Unterschiede in der Auslegung des Rechts auf europäischer und nationaler Ebene.

Unbefriedigender Zustand des europäischen Aufsichtsrechts

Die Kommission muss die korrekte Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben überwachen. Aber wie soll man angesichts von 400 Seiten CRD-Richtlinientext 27 nationale Gesetze und Verordnungen in 23 Sprachen sinnvoll überprüfen? Und wie können die neugeschaffenen europäischen Aufsichtsbehörden die nationale Anwendung des Aufsichtsrechts koordinieren, wenn die nationalen Behörden nicht ein Gesetz, sondern letztlich 27 verschiedene anwenden? Und ist es eigentlich effizient, wenn 27 nationale Behörden regelmäßig monatelang 27-mal mit kleinen Abweichungen dasselbe tun, nämlich neues Europarecht umsetzen? Es lässt sich unschwer erraten, wie ich diese Fragen beantworten würde. Glücklicherweise sieht der EU-Vertrag mit der Verordnung bereits ein Instrument vor, um die genannten Probleme zu lösen!

Dazu sei gesagt, dass eine Verordnung unmittelbar in den Mitgliedstaaten gilt. Eine Richtlinie dagegen bedarf eines Umsetzungsrechtsaktes in jedem einzelnen Mitgliedstaat. Sie ist nur für die Mitgliedstaaten verbindliches Recht, nicht aber für das einzelne Kreditinstitut. Die Idee der Richtlinie ist, den Mitgliedstaaten lediglich zu erreichende Ziele vorzugeben, ihnen die Wahl der Form und der Mittel zur Zielerreichung aber anheimzustellen. Nun hat sich die CRD bereits in der Vergangenheit von dieser Idee zunehmend entfernt und hat den Mitgliedstaaten bereits in der Vergangenheit sehr detaillierte Vorgaben gemacht, was von den Kreditinstituten zu verlangen ist. Diese Vorgaben sind, ihrem Wortlaut nach, auch in weiten Teilen als Anforderungen an die Institute formuliert.

Ein Grund warum man dennoch an dem Instrument der Richtlinie festgehalten hat, besteht in den über 100 Wahlrechten, die die Mitgliedstaaten bei der CRD-Umsetzung ausüben konnten. Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass mit dem einheitlichen Regelwerk, das unter anderem auf die Streichung aller Wahlrechte mit einigen wenigen Ausnahmen abzielt, ein wesentlicher verbleibender Grund für die Nutzung einer Richtlinie ohnehin entfällt.

Wie wird nun die Welt für die Institute aussehen, wenn das einheitliche Regelwerk in Kraft tritt? Zunächst einmal sollte nicht die gesamte Richtlinie in eine Verordnung überführt werden. Der gesamte Bereich der Genehmigung des Geschäftsbetriebs, der laufenden Beaufsichtigung durch die zuständigen Behörden und der aufsichtlichen Maßnahmen gegen Institute, einschließlich der sogenannten zweiten Säule des Baseler Rahmenwerks1) steht in enger Beziehung mit dem nationalen allgemeinen Verwaltungsrecht und dem nationalen Unternehmensrecht. Deshalb erscheint es insgesamt opportun, in diesem Bereich weiterhin den Mitgliedstaaten "Form und Mittel" der Umsetzung anheimzustellen und ihnen dadurch eine gewisse Anpassung an das nationale Rechtssystem zu ermöglichen. Dieser Bereich sollte also in einer Richtlinie verbleiben. Es sei noch erwähnt, dass damit auch die etablierte Anwendung der zweiten Säule unangetastet bleiben kann, und zwar einschließlich des bewährten Grundsatzes einer "proportionalen", dem einzelnen Institut und seiner Größe und Komplexität angemessenen Umsetzung.

Nur Teile der Richtlinie als Verordnung

Die gesamten Säulen 1 und 3 (Kapitalanforderungen, aufsichtliches Berichtswesen und Offenlegungspflichten) dagegen sollten in eine EU-Verordnung überführt werden. Für grenzüberschreitend tätige Institute würde damit eine erhebliche Vereinfachung einhergehen, da sie nicht mehr in jedem der 27 Mitgliedstaaten einzeln mit der jeweiligen örtlichen Wahl der "Form und Mittel" auseinandersetzen müssten. Für die kleineren, nur national oder regional tätigen Institute besteht der Nutzen des einheitlichen Regelwerks eher indirekt in einem einheitlicheren Wettbewerbsumfeld, soweit Institute aus anderen Mitgliedstaaten durch Filialen oder das Internet mit ihnen heute oder in der Zukunft in Wettbewerb treten; und in einer einheitlicheren Aufsicht und Regulierung in Europa, die Vorbedingungen für ein verbessertes Finanzstabilitätsumfeld schafft und dem Bedarf für Unterstützungsleistungen für größere Institute, die ihnen zur Last fallen könnten, vermeidet.

Änderungen für die Institute

Dagegen dürfte sich für die kleineren Kreditinstitute in ihrem "täglichen Aufsichtserlebnis" nicht viel ändern. Stark vereinfacht würden die Institute in Zukunft mit einer EU-Verordnung anstelle der Solvabilitätsverordnung des Finanzministeriums konfrontiert.2) Auch diese EU-Verordnung würde in deutscher Sprache verfügbar sein. Und diese Verordnung würde auch weiterhin von Bundesbank und BaFin auf die Institute angewandt. Die deutsche Aufsicht würde zudem weiterhin in einem ersten Schritt die Regeln auslegen, Rundschreiben herausgeben und sich dabei auch weiterhin mit den anderen europäischen Aufsehern abstimmen und gegebenenfalls auf europäische Leitlinien einigen.

Neu sind die sogenannten technischen Standards, die von der neugeschaffenen Europäischen Bankaufsichtsbehörde entwickelt werden und direkt auf die Institute anwendbar sein werden. Der Natur nach sind diese ebenfalls Verordnungen. Dass es solche technischen Standards geben wird, ist aber kein Resultat der Entscheidung für eine Verordnung. Das Instrument der technischen Standards ist bereits mit den CRDÄnderungen im Zusammenhang mit der Schaffung der europäischen Aufsichtsbehörde eingeführt worden. Es würde auch technische Standards geben, wenn es bei einer Richtlinie bliebe. Man kann aber sagen, dass sich deren Anwendung vereinfacht, wenn nicht mehr nationales Recht zwischen der Richtlinie und den technischen Standards steht (siehe Abbildung).

Ebenso haben sich die Mitgliedstaaten schon für die Abschaffung der allermeisten Wahlrechte in der CRD ausgesprochen, bevor die Nutzung einer Verordnung anstelle einer Richtlinie diskutiert wurde. Wie gesagt legt diese Entscheidung umgekehrt aber nahe, eine Verordnung zu nutzen. Das heißt allerdings nicht, dass in einer Verordnung nicht gezielt einzelne nationale Wahlrechte erhalten bleiben können. So wollen wir jedenfalls der Kommission empfehlen, die wichtigen nationalen Umsetzungsspielräume bei der Risikogewichtung des Realkredits beizubehalten. Andere nationale Wahlrechte, die aus unserer Sicht erhalten bleiben sollten, betreffen zum Beispiel Beteiligungsportfolios von IRB Banken, die vorübergehend den Standardansatz benutzen dürfen oder den Anwendungs- beziehungsweise Konsolidierungsbereich der Eigenkapitalanforderungen innerhalb von Institutsgruppen. Aber die Zahl solcher beizubehaltenden Wahlrechte wird sehr klein sein.

Basel III: Schrittweise Einführung mit Übergangsfristen

Damit zu Basel III: Zunächst einmal - die Regeländerungen im Bereich Kapitalanforderungen und Kapitaldefinition werden ebenfalls in die neue Verordnung integriert werden. Außerdem wird die EBA eine wichtige Rolle dabei spielen, die kohärente Anwendung der neuen Regeln in der EU sicherzustellen.

Was den Zeitplan angeht, möchte die Kommission den Vorschlag noch vor Ende des Sommers vorlegen. Daran werden sich die Diskussionen mit Rat und Parlament anschließen, die hoffentlich zu einer Annahme des Textes um die Jahresmitte 2012 führen werden. Die ersten Teilbereiche der Regeln würden dann Anfang 2013 tatsächlich verbindlich zur Anwendung kommen. Und wenn ich von den ersten Teilbereichen spreche, dann meine ich damit, dass die Regeln zum Teil schrittweise, im Einklang mit der Baseler Vereinbarung, eingeführt werden - so zum Beispiel die neue Kapitaldefinition mit mehrjährigen Übergangsfristen. Ebenso werden wir natürlich auch die Beobachtungsphasen, die der Baseler Ausschuss für einige Elemente vorsieht, sehr ernst nehmen.

Was nun mögliche europäische Besonderheiten gegenüber Basel III angeht, muss ich noch einmal betonen, dass die eigentliche Entscheidung der Kommission über den Inhalt des Vorschlags noch aussteht. Daher hier nur meine persönliche Sicht auf die Dinge: Zunächst einmal haben wir den Baseler Prozess sehr eng begleitet und man muss sagen, dass die Ergebnisse vielen besonderen europäischen Anliegen bereits sehr weitgehend Rechnung tragen. So weist die Kapitaldefinition hinreichend Flexibilität für rechtsformspezifische Besonderheiten auf. Oder in den Liquiditätspuffern sind grundsätzlich die in Europa wichtigen Pfandbriefe anrechenbar, auch wenn ich mir hier eine großzügigere Berücksichtigung durchaus hätte vorstellen können. Man könnte diese Aufzählung fortsetzen und müsste zu dem Ergebnis kommen, dass die Baseler Vereinbarung durchaus zufriedenstellen kann und es daher ermöglichen wird, die europäischen Regelungen sehr eng an ihren Vorgaben zu orientieren.

Besondere Lösungen für Detailfragen

Nichtsdestoweniger gibt es einige Detailfragen, für die wir besondere Lösungen brauchen. Bei den Liquiditätsanforderungen müssen wir ein geeignetes Instrument in der Gesetzgebung finden, das es uns ermöglicht, eine harmonisierte Anforderung für die Deckung des kurzfristigen Bedarfs in 2015 in Kraft zu setzen und damit auch das Heimatlandprinzip auf die Liquiditätsaufsicht auszudehnen. Gleichzeitig müssen wir die Baseler Beobachtungsphase bis 2014 ernst nehmen und sicherstellen, dass eine solche Liquiditätsanforderung nicht in Kraft tritt, bevor alle Lehren aus dieser Beobachtungsphase gezogen wurden. Insbesondere müssen wir während der Beobachtungsphase intensiv mögliche Indikatoren von Marktliquidität studieren, um die Anforderungen an die Zusammensetzung der Liquiditätspuffer stärker entsprechend der tatsächlichen Marktliquidität verschiedener Wertpapiere auf Europas Finanzmärkten zu konfigurieren.

Anders gelagert ist die Frage einer einheitliche Hebelrate oder Leverage Ratio. Hier ist die Definition einer einheitlichen verbindlichen Anforderung für alle Institute zu diesem Zeitpunkt nicht möglich. Wohl ist es aber möglich, das Instrument in Säule 2 einzuführen, Erfahrungen damit zu gewinnen und zu einem späteren Zeitpunkt die Diskussion wieder aufzunehmen, ob die Kalibrierung einer einheitlichen Anforderung durchführbar und wünschenswert ist.

Was das Kontrahentenrisiko angeht, so haben wir ja bereits in einer öffentlichen Konsultation angedeutet, dass uns die Behandlung kreditbezogener Bewertungsanpassungen in der Baseler Vereinbarung nicht überzeugt. Hier halte ich es für durchaus denkbar, dass der Kommissionsvorschlag es ermöglichen könnte, solche Bewertungspassungen gegen die Kapitalanforderung für einen Kontrahenten aufzurechnen. Wenn ich jetzt von Kontrahentenrisiko spreche, wird deutlich, dass mögliche Abweichungen von Basel eher im Detail liegen werden.

Der Autor legt seine persönliche Meinung dar, die nicht notwendigerweise der der Kommission entspricht.

Der Beitrag basiert auf einer Rede des Autors anlässlich des Bundesbank Symposiums "Bankenaufsicht im Dialog" am 17. Mai 2011 in Frankfurt. Die Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt worden.

Fußnoten

1) Anforderungen an die interne Organisation und das Risikomanagement der Institute sowie die aufsichtliche Überprüfung dieser Anforderungen.

2) Hinsichtlich der Eigenkapitalanforderungen ist es im Wesentlichen die Eigenmitteldefinition, die nicht in der Solvabilitätsverordnung geregelt ist; diese ist aber infolge von Basel III ohnehin grundlegend zu überarbeiten und könnte in ihrer gegenwärtigen Form ohnehin nicht bestehen bleiben.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X