Schwerpunkt

Aktuelles Kapitalmarktumfeld: Zwischen Niedrigzins und Inflationsangst

Das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends war durch Strukturverschiebungen in der globalen Wirtschaft, eine Zusammenballung von Jahrhundertkrisen und einer Hinterlassenschaft ungelöster Strukturprobleme gekennzeichnet, die auch das kommende Jahrzehnt prägen werden. Dennoch haben die Renditen deutscher Bundesanleihen den Trend nach unten fortgesetzt. Für den Anleger in staatlichen deutschen Rentenpapieren lässt sich mittlerweile eine Frage formulieren, die ähnlich wie die Schwierigkeit der Navigation von Odysseus zwischen Skylla und Charybdis wirkt: Wie positioniert man sich zwischen Niedrigzins und Inflationsangst und sind denn tatsächlich stark steigende Zinsen zu erwarten oder wird man mit vergleichsweise niedrigen Renditen für "sichere" Staatsanleihen leben müssen?

Ängste vor einer japanischen "Lost Decade"

Die Frage nach der langfristigen Zinsentwicklung deutscher Bundesanleihen ist enorm wichtig für den institutionellen Anleger, vor allem in Deutschland, wegen des bisherigen Safe-Haven-Status der Bundesanleihen, aber auch weltweit. Aktuell interessiert die Frage nach der Haltbarkeit vor allem vor dem Hintergrund der Belastungen im Zuge der staatlichen Rettungspakete für die Euro-Staaten, die auf die staatlichen Rettungspakete für die Banken folgten.

Gleichzeitig kam und kommt immer wieder ein Gespenst aus der Truhe, das sich Inflation nennt, und auf das deutsche Anleger, auch geschichtlich bedingt, äußerst sensibel reagieren. Viele befürchten, dass die strukturellen Verschiebungen nach der Kreditkrise nur mehr durch Inflation zu heilen seien. Im krassen Gegensatz dazu stehen aber die japanischen Erfahrungen nach 1991: Angesichts der bevorstehenden demografischen Entwicklung, der Sorge vor langfristig niedrigeren Potenzialwachstumsraten verstummen deswegen auch nicht die Ängste vor einer japanischen "Lost Decade" in Europa (Abbildung 1).

Derzeit sind die deutschen Zinsmärkte an einem Scheideweg angelangt, und es gibt sowohl Argumente für steigende wie auch für sinkende Zinsen. Zusätzlich resultieren Risiken, das ist die Erfahrung insbesondere der letzten zwölf Monate (Euroschulden-Krise, US debt ceiling), aus Weichenstellungen der Politik. Man wird sich auf eine Phase insgesamt niedriger Zinsen einstellen müssen. Der Trend der Zinsen nach unten wird durch einen neuen Seitwärtstrend der Renditen abgelöst werden.

Der Abwärtstrend der Renditen bei US-Treasuries wurde Anfang der achtziger Jahre durch die stabilitätsorientierte Politik des damaligen FED-Chefs Paul Volcker eingeleitet, der für die US-Zentralbank den Status einer stabilitätsorientierten Notenbank zurückgewann - einen Status, den die damalige Deutsche Bundesbank über die gesamte Nachkriegszeit fest inne hatte. Nach den beiden Ölkrisen der siebziger Jahre schafften Energiediversifikation, Energiesparen, neue Explorationen einen fast 20-jährigen Trend stabiler bis fallender Ölpreise, der sich entlastend auf die Inflationsraten auswirkte. Diese beiden Faktoren sorgten nicht nur für deutlich niedrigere Inflationsraten als in den siebziger Jahren, sondern auch in der Folgezeit für eine dauerhafte Verankerung niedriger Inflationserwartungen und eine verbesserte Kostensituation von Privaten und Unternehmen.

Beide Faktoren dürften zumindest in den nächsten Jahre in ihrer Bedeutung deutlich zurückgedrängt werden. Weder haben die heutige US-amerikanische Notenbank FED noch die Europäische Zentralbank EZB eine vergleichbare stabilitätsorientierte Glaubwürdigkeit wie die FED und Deutsche Bundesbank in den achtziger Jahren noch dürfte es erneut zu einer lang anhaltenden Periode stabiler oder gar sinkender Öl- und Rohstoffpreise kommen.

Epochaler Wechsel bei den Notenbanken

Ein epochaler Wechsel bahnt sich derzeit bei den Notenbanken an. Die führenden Notenbanken laufen Gefahr, ihren Kredit als Hüter der Geldwertstabilität zu verspielen. Die FED hat mit ihren beiden "Quantitative Easing"-Programmen die Geldschleusen geöffnet, und die Bilanz der FED hat sich auf ein Volumen von fast drei Billionen US-Dollar aufgebläht. Die FED wird immer mehr zu dem Getriebenen der Politik und der Märkte, der sämtliche ökonomischen oder auch politischen Fehlentwicklungen doch bitte mit einem Schwall von Geld wegspülen will und soll. Die EZB mag die Zinsen aktuell leicht erhöht haben, um den Eindruck zu erwecken, sie sei wie die Bundesbank der Stabilität verpflichtet. Der Ankauf von Staatsanleihen aus Euro-Peripheriestaaten, noch mehr aber der problematisch zu nennende Umgang mit Collaterals (Stellung von Sicherheiten bei der Gewährung von Krediten) und die Diskussion über "freiwillige Forderungsverzichte" lassen eher vermuten, dass die EZB vor entscheidenden Herausforderungen steht, ihre Glaubwürdigkeit nicht gänzlich zu verlieren. Die jüngsten Entscheidungen zur Akzeptanz griechischer Collaterals zeigen, dass sich die EZB, durch die vom früheren Bundesbankpräsidenten Weber zu Recht so heftig kritisierten Beschlüsse zum Ankauf von Staatsanleihen, in eine von den Regierungschefs der Eurozone abhängige Position gebracht hat.

Damit werden bei den Marktteilnehmern die Erinnerungen an die siebziger Jahre wach. Damals wie heute wurden wirtschaftspolitische Grundsätze für ein vermeintlich "höheres" Ziel (Stabilisierung der Wirtschaft und des Wachstums, Arbeitslosigkeit damals, Rettung der Finanzmärkte und des Euro heute) über Bord geworfen, staatliche Schuldenaufnahme nicht begrenzt und mittels negativer Realzinsen am kurzen Ende des Geld- und Kreditmarktes Strohfeuer gezündet, die zu einem dramatischen Kredibilitätsverlust der Notenbanken führten. Dies schürt bei Marktteilnehmern und Bürgern die Angst vor künftiger Inflation.

Bei der Rohstoffpreisentwicklung ist zu beachten, dass der Aufstieg der Emerging Markets, insbesondere der BRIC-Staaten, die Koordinaten in der Weltwirtschaft verschoben hat. Neue riesige Märkte mit großem Energiehunger überfordern die kurzfristig mögliche Mobilisierung von Energiereserven, der Preis tritt als Regulativ auf. Anders als in den siebziger Jahren ist der Anstieg der Energiepreise derzeit nicht politisch motiviert und damit zeitlich begrenzt, sondern Folge ökonomischer Trends. Es ist keine lang anhaltende Periode stabiler oder sinkender Rohstoffpreise mehr zu erwarten, sondern ein anhaltender langfristiger Trend zu steigenden Preisen, der von der wirtschaftlichen Entwicklungsdynamik der Emerging Markets, allen voran Chinas, getrieben wird. Zusätzlich könnten Ölpreise mit erneut zunehmender Bedeutung der Exporteure am Persischen Golf stärker Gegenstand von politisch motivierter Marktmacht werden beziehungsweise durch politische Zuspitzungen in wenigen bislang stabilen Regionen befeuert werden.

Faktoren für niedrige Zinsen

Diesen Faktoren für zunehmende Inflationsbefürchtungen stehen andere gegenüber, die auch für die kommenden Jahre als Treiber für niedrige Zinsen erhalten bleiben. Der Prozess zur Öffnung der Märkte, die Effizienzgewinne vor allem im Bereich der Schwellenländer und im Dienstleistungssektor sowie weiterhin ein nur moderater Anstieg des Lohndrucks aufgrund des hohen weltweiten Wettbewerbs. Dazu die Notwendigkeit der westlichen Staaten, ihre Haushalte zu konsolidieren sowie den daraus resultierenden Wachstumseinbußen mit inflationsdämpfenden Effekten. Von daher lässt sich erwarten, dass die Inflationsangst ein ständiger Begleiter bleiben wird, die tatsächlichen Inflationsgefahren aber limitiert sind.

Es ist nicht zu erwarten, dass die Inflation so hoch sein wird, dass es zu einer Rückkehr in die Zinsbandbreiten der achtziger und neunziger Jahre am langen Ende kommt. Neben moderaten Lohnzuwächsen und internationalem Wettbewerbsdruck sind auch noch weitere Argumente für niedrige oder sinkende Zinsen in den westlichen Industrieländern intakt oder treten sogar in den Vordergrund. Insbesondere das Thema Demografie wird zunehmend an Bedeutung gewinnen und die Nachfrage nach solide eingeschätzten langlaufenden Anleihen steigen lassen. Zudem wird es in einer Welt im Wandel und zwei Jahrhundertkrisen in einem Jahrzehnt (Internet-Bubble, Kreditkrise) nach wie vor Länder mit "Safe-Haven-Status" geben.

Allerdings, das zeigt die Euroschulden-Krise, werden immer weniger Länder diesen Status halten können. Deutschland wird zumindest noch in den nächsten Jahren (danach abhängig von der Entwicklung in der aktuellen Euroschulden-Krise) eines davon sein.

Niedrigzinsumfeld bei Bundesanleihen

Wägt man die genannten Argumente ab, lässt sich beim aktuellen Renditeniveau von unter drei Prozent bei zehnjährigen Bundesanleihen Folgendes konstatieren: Der Abwärtstrend der Renditen in Deutschland dürfte zu einem Ende gekommen sein. Es wäre aber illusorisch, zu erwarten, dass eine Bandbreite von sechs bis neun Prozent bei den Renditen von zehnjährigen deutschen Staatsanleihen, die während des Großteils der achtziger und neunziger Jahre galt, noch einmal erreicht werden kann. Die hauseigenen Szenarioanalysen kommen zum Ergebnis, dass sich die Bandbreite in den nächsten zehn bis 20 Jahren auf ein Niveau von zwei bis 5,5 Prozent verschieben dürfte, wobei aus heutiger Sicht die Bandbreite zwischen drei und vier Prozent zeitlich dominieren dürfte.

Damit sollten insgesamt auch längerfristig ein Niedrigzinsumfeld für vergleichsweise sichere Staatsanleihen wie deutsche Bundesanleihen bleiben, das heißt der Investor muss seine Ertragserwartungen dauerhaft nach unten anpassen oder aber bereit sein, zusätzliche Risiken jenseits der Staatsanleihen zu nehmen.

Steigende Marktausschläge und Differenzierung

Da weder die Ursachen noch die Nachwirkungen der letzten Krise vollständig verarbeitet sind, kann sich die Konjunkturentwicklung als Verstärker auf unvollständig abgearbeitete Kapitalmarktproblemfelder auswirken. Die Fähigkeit der Politik, an diesen Stellen effizient gegenzusteuern ist limitiert, sodass die kurzfristigen Marktausschläge eher stärker werden dürften.

Zudem zeigt die aktuelle Euroschulden-Krise auch, dass es selbst innerhalb von Staatsanleihen der Euro-Länder zu weit größeren Differenzierungen kommen könnte, was rational ist. Für Spanien oder Italien ist die Phase sinkender Zinsen vorbei und die künftige Renditebandbreite wird höher als diejenige sein, die bislang nach Einführung des Euro zu verzeichnen war (Abbildung 2).

Allerdings lassen die denkbaren langfristigen Lösungsmöglichkeiten für die Euro-Krise höchst unterschiedliche Auswirkungen auf die Rendite von Bundesanleihen erwarten. Die präferierte Lösung ist eine durch Kombination von Reformen, Sparen, Privatisierung und Rückgewinnen von Wachstumskräften in den Empfängerländern. Wenn dies scheitert, bleibt entweder der Weg in die Transferunion oder das tatsächliche Scheitern eines oder mehrerer Mitgliedsländer. Je nachdem, welcher Pfad eingeschlagen wird, wären die Auswirkungen auf deutsche Renditen diametral entgegengesetzt. Während ein Verschärfen der Krise zu weiter sinkenden Renditen und dem Betonen des "Safe-Haven-Status" führen würde, würde ein Weg in die Transferunion wohl mittelfristig auch zu fallenden Kursen und steigenden Renditen für Bundesanleihen führen. Da viele dieser Entwicklungen politisch entschieden und nicht nur dem Spiel der Kräfte von Angebot und Nachfrage überlassen werden, ist für eine anhaltend hohe Volatilität an den Märkten gesorgt.

Diversifikation als Schlüssel

Für den Kapitalanleger empfiehlt sich wie für Odysseus das Festhalten an den alten Tugenden der Navigation. An den Kapitalmärkten heißt dies zu allererst Diversifikation. Mischung und Streuung von Kapitalanlagen, das Nehmen unterschiedlicher Risiken sind das A und O, um sich gegen unerwartete Entwicklungen abzusichern, denn den immer richtig liegenden Ratgeber gibt es nicht und wird es nicht geben.

Wichtig ist das Ausnutzen des gesamten Spektrums der möglichen Renteninvestments - Bundesanleihen alleine werden nicht reichen, vor allem dann nicht, wenn definierte Verpflichtungen erfüllt werden müssen. Diversifikation nach Regionen und Währungen, Investitionen in Covered Bonds, Corporates, inflationsindexierte Anleihen, Beimischung von High Yield und Emerging-Markets-Anleihen, aber auch Investition in liquide Aktien, Wertsicherungskonzepte, Private Equity, Immobilien und das Erschließen weiterer Assetklassen wie Infrastruktur und Investments in erneuerbaren Energien und neuen Technologien.

Bleibt längerfristig ein Niedrigzinsumfeld für vergleichsweise sichere Staatsanleihen wie deutsche Bundesanleihen, muss der Investor seine Ertragserwartungen dauerhaft nach unten anpassen oder bereit sein, zusätzliche Risiken jenseits der Staatsanleihen zu nehmen. Der zu erwartende Mehrertrag wird also mit zusätzlichem Risiko erkauft. Dieses Verlustrisiko immer in einem überschaubaren und für den Investor verträglichen Rahmen zu halten, bleibt eines der großen Herausforderungen im Vermögensmanagement.

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