RISIKOMANAGEMENT

DER MARKT FÜR NOTLEIDENDE IMMOBILIENKREDITE ERWACHT AUS SEINEM DORNRÖSCHENSCHLAF

Andre Barth, Foto: Arcida Advisors

Die Finanzkrise 2007 war eine Zäsur, nicht nur für die internationalen Immobilienmärkte. Davor und während dieser Zeit erregte der Markt für leistungsgestörte Kredite auch außerhalb der Fachöffentlichkeit Aufsehen. Doch seit 2009 ist es um notleidende, immobilienbesicherte Darlehensforderungen ruhig geworden. Der einsetzende Superzyklus bei Immobilien in Deutschland und der weltweite gesamtwirtschaftliche Aufschwung haben bei Projektentwicklern, Investoren und Finanzierern nur selten einen Gedanken an das Thema aufkommen lassen. Nach Überzeugung des Autors verdichten sich mittlerweile jedoch die Hinweise, dass eine Kombination verschiedener Faktoren zu einer ernst zu nehmenden Veränderung des Marktumfeldes führen könnte. Das Erwachen des Marktes für leistungsgestörte Darlehen in Deutschland dürfte bevorstehen. Red.

Um es gleich vorwegzunehmen: Die heutige Ausgangssituation mit Blick auf den Distressed-Debt-Markt unterschiedet sich erheblich von der Finanzkrise. Vergleichbare Verwerfungen wie 2008 sind in Deutschland wohl eher nicht zur erwarten. Im Gegensatz zu damals liegen die Ursachen heute nicht nur in der Finanzwirtschaft begründet.

Zusammenspiel kurz-, mittel- und langfristiger Faktoren

Vielmehr sorgt ein Zusammenspiel aus unterschiedlichen kurz-, mittel- und langfristigen Faktoren für strukturelle Veränderungen und Herausforderungen in der Immobilienfinanzierung, wobei eine Mischung aus real- und finanzwirtschaftlichen Mechanismen ihre (negative) Wirkung entfaltet.

Betroffen ist ein Großteil der immobilienwirtschaftlichen Wertschöpfung von Banken über alternative Finanzierer bis hin zu Projektentwicklern, Bestandshaltern und Investoren. Letztlich wird die Branche insgesamt und nicht nur in Teilbereichen ergriffen.

Nach Jahren des stetigen Wachstums scheint sich der Immobilienzyklus seinem Ende zu nähern. Wie genau diese Phase ausläuft, darüber gehen die Meinungen auseinander. Moderate Szenarien mit einem stagnierenden beziehungsweise sinkenden Preisniveau in einzelnen Assetklassen erscheinen gegenwärtig am wahrscheinlichsten.

So geht das Research-Team der Deutschen Bank in seinem mittleren Szenario von einem Ende der Boomphase im Jahr 2024 aus. Gründe für die sich eintrübenden Marktaussichten liegen danach vor allem in möglichen externen Schocks wie einer Ausweitung des Krieges in der Ukraine, weiteren Sanktionen mit Auswirkungen auf den Energiesektor oder einer neuen Corona-Variante, die tiefgehende staatliche Eingriffe zur Pandemiebekämpfung notwendig macht.

Branchenübergreifend wenig rosige Aussichten

Doch selbst ohne eine weitere Verschärfung durch solche Ereignisse sind die Rahmenbedingungen weder für Investoren, Projektentwickler und Bauunternehmen noch für die meisten anderen Wirtschaftssektoren rosig. Die pandemie- und kriegsbedingten Unterbrechungen der globalen Lieferketten haben nämlich nicht nur in der Baubranche Spuren hinterlassen.

Ressourcenknappheit ist fast überall ein relevanter Einflussfaktor. Zudem hat mit der aufkommenden Inflation eine andere, beinahe vergessene Komponente in der Realität der entwickelten Volkswirtschaften wieder Einzug gehalten. Dabei trägt auch die laxe Geldpolitik der Notenbanken ihren Teil zu dieser Entwicklung im Euroraum bei. Das Statistische Bundesamt sieht die Inflationsrate in Deutschland, gemessen am harmonisierten Verbraucherpreisindex, bei einem Plus von 7,3 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat.

Aktuell spüren vor allem Projektentwickler und Bauunternehmer Preisdynamik und Materialengpässe. Baukostensteigerungen von 50 Prozent und mehr sind keine Seltenheit mehr. Es kommt zu Projektverzögerungen - allein das kann bei optimistisch kalkulierten Projekten zu notleidenden (Non-Performing Loans, NPL) oder zumindest problembehafteten Kreditpositionen (Sub-Performing Loans, SPL) führen.

Auch Staatshilfen müssen zurückgezahlt werden

Selbst bei Bestandsgebäuden kann es im Zuge ausbleibender Mieterzahlungen infolge der Corona-Pandemie zu Störungen in den Kreditbeziehungen kommen. Denn ausbleibende Zahlungsströme und sinkende Mietniveaus haben über kurz oder lang Auswirkungen auf die Bewertung der Immobilie, auch wenn die Insolvenzpflicht unter anderem für gewerbliche Mieter vorübergehend ausgesetzt wurde.

Zudem wird häufig verdrängt: Auch Staatshilfen müssen zurückgezahlt werden - darauf hat nicht zuletzt die Bundesbank bereits mehrfach hingewiesen. Insolvenzgründe sind nicht mehr länger "unbeachtlich". Diese Fakten setzen die Mieter weiter unter Druck.

Die Anfälligkeit des Immobiliensektors liegt auch in einer Kombination aus hohen Bewertungen - ebenfalls bedingt durch das strukturell niedrige Zinsniveau - und einem hohen Fremdkapitaleinsatz. Wie die Neue Züricher Zeitung auf Basis von Zahlen des Schweizer Bonitäts- und Kredit Research Instituts I-CV darstellt, wird gerade bei börsennotierten deutschen Immobilienunternehmen der Loan-to-Value (LTV) häufig nur durch Aufwertungsgewinne auf der Eigenkapitalseite auf einem verträglichen Niveau gehalten.

Mit dem Aufkommen alternativer Finanzierer ist der Leverage bei Immobilienprojekten tendenziell weiter gestiegen. Während Banken strikten regulatorischen Vorgaben unterliegen, können Kreditfonds mit deutlichen höheren Beleihungsausläufen von bis zu 80 oder gar 90 Prozent arbeiten.

Zinswende wirft ihren Schatten voraus

Die Problematik hoher LTVs wird mit dem Blick auf die Zinslandschaft deutlich. In Anbetracht der Inflation ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Europäische Zentralbank (EZB) immer stärkeren Druck für eine Anhebung der Zinsen spürt - erste Zeichen und Ankündigungen gibt es bereits.

Das gilt umso mehr, als die Notenbanken der Vereinigten Staaten (Fed) und Großbritanniens (Bank of England) die Zinsen bereits deutlich ambitionierter anheben als ihr (kontinental-)europäisches Pendant. Will die EZB eine Verschiebung von Investitionskapitalströmen in "risikoärmere" festverzinsliche Anlagen in anderen Währungsräumen vermeiden, muss sie reagieren. Es zeigt sich letztlich einmal mehr, dass der Glaube an immerwährend niedrige Zinsen schon immer falsch war.

Ein steigendes Zinsniveau hat mittelfristig jedoch Auswirkungen auf die Bewertung einer Immobilie und schlägt unmittelbar auf die Zahlungsbereitschaft potenzieller Käufer durch. Bei Projekten mit hohen Ankaufsfaktoren und hohem Leverage, gegebenenfalls auch noch in B-Lagen und mit Vermietungsschwierigkeiten, ist die Finanzierung schnell gestört.

Bereits bei Neufinanzierungen ist der Einfluss der steigenden Inflation zu sehen: Die von Banken angebotenen Zinskonditionen sind rapide gestiegen, alleine um das Inflationsrisiko abzufedern, und das ganz ohne eine Leitzinserhöhung durch die EZB. Bei alledem zeigt sich die hohe Interdependenz der geschilderten Faktoren deutlich - sie treten selten allein auf und hängen teilweise auch voneinander ab.

ESG: steigender Druck von Politik ...

In einem ohnehin durch zahlreiche Herausforderungen geprägten Finanzierungsumfeld müssen sich die Marktakteure einer weiteren Aufgabe stellen: Die Europäische Union (EU) hat mit Offenlegungsverordnung und Taxonomie den Stellenwert des umwelt- und klimabewussten sowie gesellschaftlich verantwortungsvollen Investierens hervorgehoben.

Immobilien, die den einschlägigen Standards institutioneller Investoren und Finanzierer nicht genügen, werden perspektivisch Bewertungsabschläge und in der Folge sinkende Marktwerte im Vergleich mit ESG-konformen Immobilien hinnehmen müssen. Risiken, die sich aus einer unzureichenden Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten ergeben, sind in derzeit laufenden Finanzierungen oftmals noch nicht oder zumindest nicht adäquat eingepreist.

... und Aufsicht

Es ist aber zu erwarten, dass Nachhaltigkeitsaspekte auch von den Bankenaufsehern immer mehr in den Fokus gerückt werden. Bereits im Merkblatt der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken aus dem Jahr 2019 lassen sich erste Schlüsse hierzu ziehen. Auch hat die EZB-Bankenaufsicht ab dem Jahr 2022 im Rahmen des Überprüfungs- und Bewertungsprozesses (SREP) Nachhaltigkeitsrisiken bei den Risikomanagementpraktiken der von ihr beaufsichtigten Banken zu überprüfen.

Sollten die Erwartungen der EZB dabei nicht erfüllt werden, ist es der Zentralbank möglich, Risikokapitalzuschläge bereits für das Jahr 2023 anzuordnen. Banken werden also nach und nach gezwungen, Nachhaltigkeitsrisiken im Rahmen von Finanzierungen zu berücksichtigen.

Neben der zunehmenden Wahrscheinlichkeit von notleidenden und problembehafteten Immobilienkrediten steht auch zu erwarten, dass der regulatorische Druck auf die Finanzierer zunehmen wird. Die Europäische Kommission arbeitet mit ihrem NPL Action Plan an verpflichtenden Vorgaben, um einen Sekundärmarkt für NPLs zu schaffen und gleichzeitig Kreditnehmer zu schützen.

Im Zuge dessen werden Finanzierer ab einem noch festzulegenden Schwellenwert an problembehafteten Krediten in ihrem Portfolio aktive Verwertungs- und Abwicklungsstrategien umsetzen müssen. Die meisten Finanzierer haben die dazu erforderlichen Kapazitäten seit der Finanzkrise jedoch deutlich reduziert und sind zum jetzigen Zeitpunkt kaum in der Lage, entsprechende Vorgaben zu stemmen.

Die lange Frist: Refinanzierungszins, Megatrends und Demografie

Einige der strukturellen Faktoren werden ihre Wirkung auf den Immobilien- und Finanzierungsmarkt erst langfristig entfalten. Die Leitzinsentwicklung bleibt mit Blick auf die üblichen zehnjährigen Laufzeiten aber hochrelevant. Finanzierungen, die zwischen den Jahren 2016 bis 2019 abgeschlossen wurden, unterliegen historisch niedrigen Zinssätzen.

Zwischen 2026 und 2029 steht in diesen Fällen in der Regel eine Refinanzierung an. Bedingt durch hohe Preise und Liquiditätsschwemme befinden sich zahlreiche Vollfinanzierungen in diesen Kredittranchen. Hier kann es bei einem leichten Nachgeben des Immobilienmarktes oder einem moderaten Zinsanstieg durchaus zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten kommen.

Zu glauben, dass wir aktuell nur eine vorübergehende Zinsdebatte erleben, könnte sich als gefährlicher Trugschluss erweisen. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) hat bereits im Sommer 2021 auf verschiedene fundamentale Faktoren hingewiesen, die eine nachhaltige Rückkehr von Inflation und Zins begünstigen.

Dabei führt die KfW Faktoren wie Arbeitskräfteverknappung, De-Globalisierung und das "Entsparen" der Babyboomer-Generation an. Entfaltet auch nur ein Teil diese Faktoren seine Wirkung, macht ein einfaches Beispiel die Implikationen deutlich: Selbst ein Anstieg des Refinanzierungszinssatzes auf 2,5 Prozent entspräche etwa einer Verdopplung des Zinsniveaus in den Jahren 2016 bis 2019.

In Kombination mit den bereits genannten Herausforderungen kann so etwas sowohl einzelne Projekte als auch ganze Immobilienunternehmen in Schieflage bringen.

New Work: B-Lagen könnten leiden

Neben der Zinsentwicklung stellen vor allem gesellschaftliche Effekte einzelne Immobilien-Assetklassen vor Herausforderungen. Der Trend zu "New Work" verlangt insbesondere von Unternehmen mit hochqualifizierten Beschäftigten innovative Arbeitsplatzkonzepte.

Im Zuge dessen sieht das Makler- und Beratungshaus JLL einen steigenden Bedarf für hochwertige Büroflächen und steigende Spitzenmieten in Toplagen. Unter dieser Entwicklung könnten insbesondere Objekte in B-Lagen beziehungsweise solche mit mangelnder räumlicher Flexibilität und technischer Ausstattung leiden.

Auch der vielfach als "sichere Hafen" gepriesene deutsche Wohnimmobilienmarkt ist langfristig mit einem erheblichen demografischen Wandel und der fortschreitenden Urbanisierung konfrontiert. Dabei wird nicht nur die Gesamtnachfrage für Wohnraum zurückgehen.

Gleichzeitig wird der Bedarf für altersgerechtes Wohnen steigen, was einen entsprechenden Investitionsbedarf gerade bei Bestandsimmobilien mit sich bringt. Lokal werden sich Bedarf und Marktentwicklung mit hoher Wahrscheinlichkeit höchst unterschiedlich gestalten.

Im Zuge der Urbanisierung dürften vor allem Metropolregionen weiter an Bedeutung gewinnen, während infrastrukturell schwächere B- und C-Städte an Bedeutung verlieren.

Der Markt für Kreditdienstleister wird professioneller

Allen aufgezählten Risiken zum Trotz bewegen sich die Herausforderungen in einem handhabbaren Rahmen. Politik und Regulierungsbehörden haben ihre Hausaufgaben gemacht und versuchen, Entwicklungen präventiv zu begegnen.

Beispielsweise werden neue gesetzliche Rahmenbedingungen für das Management leistungsgestörter Kredite diskutiert und aufgestellt: Der bereits erwähnte NPL Action Plan ist nur eine von mehreren Maßnahmen, die es Kreditgebern ermöglichen sollen, vorausschauend mit Distressed-Debt-Situationen umzugehen, damit sie sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können.

Mit der Richtlinie (EU) 2021/2167 bereitet die Europäische Union den Boden für eine Professionalisierung des Marktes für Kreditkäufe und anschließender Verwaltung ab dem 1. Januar 2024 vor. Der europäische Gesetzgeber möchte mit der Schaffung eines einheitlichen gesetzlichen Rahmens für Kreditdienstleister und Kreditkäufer die Entwicklung eines europäischen Marktes für notleidende Kredite unterstützen.

Dafür sollen die "Teilnahmevoraussetzungen" und die Spielregeln aufseiten der Kreditkäufer festgelegt werden. Es wird Kreditkäufer erlaubt sein, externe Kreditdienstleister zu beauftragen, diese werden aber einem Erlaubniszwang mit strengen Voraussetzungen unterliegen, um eine professionelle Betreuung der verkauften Kredite sicherzustellen. Auch wird den Kreditdienstleistern ein enger gesetzlicher Rahmen gesteckt werden, indem sie sich bei der Bearbeitung bewegen dürfen, um die Interessen und Rechte der Kreditnehmer zu schützen.

Die Professionalisierung des Kreditservicing in Verbindung mit steigenden Ansprüchen an ESG-Standards wird die gesamte Branche nachhaltig verändern. Wenn die Verwertung von Problemkrediten künftig erfolgreich und gesellschaftlich akzeptiert sein soll, muss sie anerkannten hohen Standards genügen.

Belange aller involvierten Parteien einbeziehen

Das bedeutet auch, dass nicht die kurzfristige Gewinnmaximierung im Vordergrund stehen darf. Vielmehr sollten die Belange aller involvierten Parteien, auch und insbesondere der Kreditnehmer, einbezogen und mitbedacht werden. Das ist auch der erfolgversprechendste Ansatz, wenn es darum geht, die Reputation sowohl der Finanzierer als auch der Kreditkäufer sowie Kreditdienstleister zu wahren.

Schließlich eröffnet ein aus dem Dornröschenschlaf erwachender NPL-Markt antizyklisch agierenden Investoren auch eine Chance. Der Markt wird, gemessen an seinem Gesamtvolumen, zwar eine Nische bleiben, in Anbetracht eines zunehmend komplexen Marktumfeldes gehört die Beimischung von NPL-Produkten jedoch zu einer breit diversifizierten Investmentstrategie dazu.

 
Andre Barth , Managing Partner , Arcida Advisors GmbH, Frankfurt am Main
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