Leitartikel

Trügerisches Schutzversprechen

Den Mietern droht der Mieterschutz. Wenn am 22. September die Deutschen zur Wahl ihres Bundestages schreiten, dann haben sie fast keine Wahl: Nahezu ausnahmslos jede Partei mit realistischen Chancen auf Parlamentsmandate hat eine Mietpreisbremse in ihr Programm geschrieben. Sicherlich sind viele der vollmundigen Vorhaben bloße Absichtserklärungen oder dienen als wahltaktisch eingeschlagener Pflock nur der Abgrenzung vom politischen Gegner. Doch zeigen die jüngsten Eingriffe in die Preisgestaltung auf den Wohnungsmärkten Hamburg, Berlin und München durch die jeweilige Landesregierung, dass über die politischen Lager und Konstellationen hinweg die verschärfte Regulierung ernst gemeint wird. In der nächsten Legislaturperiode ist also kaum mit einem kontroversen Diskurs über das Für und Wider eines Mietlimits zu rechnen, sondern eher mit einem Wettbewerb der vermeintlichen Wohltaten.

Tatsächlich ist das Stimmungsbild in der Bevölkerung ein ambivalentes, wie jüngst die Allensbacher Demoskopen herausfanden. Demnach sehen nämlich nur 38 Prozent der Deutschen die Mieten als zu hoch an, aber 40 Prozent halten sie für angemessen und zehn Prozent sogar für günstig. Der Rest ist unentschlossen. Allerdings haben hier auch die Eigenheimbesitzer, private Kleinvermieter, Investoren und Wohnungsgenossen geantwortet, die naturgemäß ein etwas anderes Verhältnis zu Mieten haben als die Mieter. Von denen, die Miete zahlen, meinen 47 Prozent, dass es zu viel ist. Für 38 Prozent ist sie angemessen und immerhin noch sieben Prozent finden, dass sie günstig wohnen (Rest sind Enthaltungen). Erwartungsgemäß steigt mit der Größe der Kommune auch der Anteil derer, die das lokale Mietniveau als zu hoch ansehen. Doch erst in den Großstädten mit mehr als einer halben Million Einwohner stellt diese Gruppe die Mehrheit. Befragt, ob die eigene Mietbelastung als hoch oder zu hoch empfunden wird, antworteten in den Großstädten jedoch nur 49 Prozent mit Ja - nirgendwo sonst ist dieser Wert niedriger.

Wie die Situation auf den von Angebotsmangel gekennzeichneten Mietwohnungsmärkten verbessert werden kann? Während etwa jeder zweite Großstädter mehr Neubau als Mittel der Wahl ansieht, folgt in den Mittelstädten nicht einmal jeder Dritte und auf den Dörfern gerade einmal jeder Fünfte dieser Meinung. Trotz des deutlichen Nachfrageüberhangs in den großen Ballungszentren dieser Republik hält man gerade dort von staatlicher Mietpreisbegrenzung relativ wenig. In den Groß- und Mittelstädten liegt die Zustimmung zu diesem Wahlkampfthema Nummer eins nur bei gut 50 Prozent. Dagegen halten in den traditionell von selbst genutztem Wohneigentum geprägten Dörfern und in den Kleinstädten bis 20 000 Einwohnern 57 Prozent die Mietpreisbremse für das angemessene Instrument. Eine Erklärung könnte die Mietstruktur liefern. Denn erhöht haben sich vor allem die Nebenkosten, allen voran die Energiepreise. Während laut Allensbach nur bei 38 Prozent der Befragten in den zurückliegenden zwölf Monaten die Kaltmiete erhöht wurde, müssen 74 Prozent inzwischen mehr für die Nebenkosten aufwenden. Da die Kaltmiete in den größeren Städten in der Regel einen höheren Anteil an den Gesamtmietkosten hat als die Nebenkosten, fallen letztere weniger ins Gewicht als auf dem Lande.

Tatsächlich ließe sich ein solch starkes Instrument ordnungspolitisch nur bei Marktversagen rechtfertigen. Dafür gibt es aber bislang keine Anzeichen. Vielmehr belegt der Anstieg der Wohnungsbaugenehmigungen um 9,6 Prozent in der ersten Hälfte dieses Jahres, dass sich Investitionen in den Markt nach Jahren der Stagnation wieder lohnen. Gleichzeitig beginnen die Spitzenmieten für Wohnungen zu sinken, was dafür spricht, dass die Nachfrage wieder auf ein steigendes Angebot trifft. Zusätzlich befeuert wird der Neubau vom niedrigen Zinsniveau. Wohnungen werden dadurch vor allem für institutionelle Investoren als Kapitalanlage attraktiver, sodass derzeit sehr viel Geld in den Wohnungsmarkt drängt. Damit könnte noch deutlich mehr als bisher neu gebaut werden. Doch gerade in den Großstädten ist bereits ein hoher Grad an Verdichtung erreicht und neues Bauland knapp. Mehr freie Flächen innerorts gibt es in vielen Klein- und Mittelstädten, wo allerdings oft wenig Bedarf für zusätzlichen Neubau besteht. In einer aktuellen Studie prognostiziert das Institut der deutschen Wirtschaft Köln für 240 der 402 Landkreise und kreisfreien Städte einen Nachfragerückgang bei Wohnungen bis zum Jahr 2030. Ob besser Neubau zu fördern oder Mieten zu deckeln sind, ist für diese Kommunen überhaupt nicht relevant. Hier stellt sich vielmehr die Frage, wie mit dem durch Abwanderung und schrumpfender Gesamtbevölkerung wachsenden Leerstand und den damit einhergehenden Folgekosten, schon heute und in Zukunft umzugehen ist. Darauf geben die Wahlkämpfer erschreckend wenig Antworten.

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