Leitartikel

Städtebauförderung darf nicht sterben

Als 1959 Bernhard und Michael Grzimek ihren oscarprämierten Dokumentarfilm über die Tierwelt der Serengeti in die Kinos brachten, war das der Höhepunkt und Abschluss einer jahrelangen Forschungsarbeit. Zwar haben letztlich sogar die beiden Experten die ökologischen Dimensionen unterschätzt, doch sensibilisierten sie die Öffentlichkeit in Europa und Amerika nachhaltig für die Bewahrung der Artenvielfalt. Heute scheint es, als seien dergestalt engagierte Streiter erneut dringend gefragt. Doch diesmal ist nicht die afrikanische Steppe, sondern die Lebensqualität deutscher Städte bedroht. Seit Jahren werden die rigorosen Kürzungen der staatlichen Förderung beklagt und wird vor dramatischen Folgen für die soziale Stabilität in den Kommunen gewarnt. Nichtsdestotrotz soll die Leidensfähigkeit der Städte und Gemeinden offensichtlich weiter strapaziert werden. Waren im Haushaltsplan für das Jahr

2011 ursprünglich 610 Millionen Euro für die Städtebauförderung vorgesehen, so sind sie mittlerweile auf 455 Millionen Euro gekürzt worden. Im Haushalt 2012 sollen nach dem Willen der Bundesregierung lediglich 266 Millionen Euro eingeplant werden. Das sind nochmals 41 Prozent weniger als die aktuell schon zusammengestrichene Förderung. Damit stünden nach Berechnungen der Wohnungsunternehmen beispielsweise in Berlin lediglich 4,36 Euro pro Kopf zur Verfügung - weniger als ein Tagesticket der örtlichen Verkehrsbetriebe kostet. Für das durchaus erfolgreiche, mittlerweile aber von 95 auf 28 Millionen Euro gestutzte Programm "Soziale Stadt" entfielen auf jeden Hauptstädter sogar nur 24 Cent. Kann man da guten Gewissens noch von Förderung sprechen?

In der Wohnungswirtschaft und in Kommunen gärt es seit Längerem. Für leise Töne sind ihre politischen Interessenvertreter zwar ohnehin nicht bekannt, doch die jetzt vorgelegte "Bochumer Erklärung" des GdW ist in ihrer Eindringlichkeit ungewöhnlich. Vor schleichendem Verfall und sozialer Spaltung wird darin gewarnt. Und in deutlichen Worten wird beklagt, dass es im politischen Raum offensichtlich am Konsens über die gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Bedeutung starker Städte fehle. Der Adressat dieses Vorwurfs ist nicht schwer zu erraten. Vor allem der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Peter Ramsauer, hat sich den Unmut zugezogen. Ihm wird nachgesagt, die Prioritäten seiner Aufgaben genau in der Reihenfolge zu setzen, wie sie im Namen seines Ministeriums aufgereiht sind. Sogar der Vorwurf der wahltaktischen Budgetplanung wird erhoben: "Im Gegensatz zum Verkehr, wo ein Stück unfertige Autobahn oder eine nicht ausgebaute Zugverbindung sofort und direkt große Empörung auslösen, werden die Folgen einer gekürzten Städtebauförderung in den Städten erst mit Verzögerung sichtbar. Dafür werden sie aber umso schwieriger und nur mit immensem Aufwand zu reparieren sein." Wird dem Mann Unrecht getan? Aschebewölkter Flugverkehr, Dauerärgernis Bahn und jetzt E10-Chaos sind schließlich auch ruhmvolle Herausforderungen.

Dass die Städtebauförderung aus volkswirtschaftlichen und fiskalischen Gründen sinnvoll ist, bewies jüngst eine Studie der Hochschule für Technik Stuttgart, in der die Multiplikatorwirkung der Städtebauförderung in Baden-Württemberg analysiert wurde. Ihre Ergebnisse haben sogar die Erwartungen der Wohnungswirtschaft übertroffen. Demnach löst der Einsatz von einem Euro Fördermittel private Investitionen in Höhe von 8,47 Euro aus. Dabei zeigte sich, dass die Höhe des Quotienten von der Mitwirkungsbereitschaft der Eigentümer und Betroffenen in den Wohnquartieren abhängt. So ist der Wirkungsgrad der Förderung in alten Gewerbe- und Industriestandorten mit 16,67 Euro am höchsten, während er in dörflich geprägten Gebieten am niedrigsten ist. Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse wächst in der Wohnungswirtschaft und in den Städten das Unverständnis, warum sich das ministeriale Förderinteresse auf den Infrastrukturausbau im ländlichen Raum konzentriert, statt auf die sozialen Brennpunkte in den Städten. Dass die Vernachlässigung der Stadtentwicklung einen dramatischen Dominoeffekt auslösen kann, an dessen Ende der Niedergang ganzer Quartiere steht, hat jetzt eine internationale Studie des Max Planck Instituts belegt. Darin wird eine aus Amerika stammende Theorie experimentell überprüft, demzufolge bereits ein zerschlagenes Fenster in einem leerstehenden Haus oder Müll auf der Straße die öffentliche Wahrnehmung des gesamten Stadtviertels nachhaltig negativ beeinflussen und eine schrittweise Verwahrlosung sozialer Normen auslösen kann. Soll heißen: Wer Müll auf der Straße liegen sieht, ist eher geneigt, seinen eigenen dazuzuwerfen. Aus ihren Ergebnissen schlussfolgern die Forscher, der Substanzerhalt und die soziale Durchmischung der Städte kosten weniger als die Bekämpfung der Kriminalität, die sich andernfalls verstärken würde. 2011 feiert die Städtebauförderung ihr 40-jähriges Jubiläum. Sie ist eine Erfolgsgeschichte, die es fortzusetzen gilt.

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