Wettbewerbsfaktor Prozessgestaltung

Potenziale und Grenzen elektronischer Bewertungshilfen

Seit dem Jahr 2000 wurden in Deutschland große Wohnungsgesellschaften beziehungsweise Wohnungsbestände veräußert. Zum Großteil wurden Wohnungsbestände der öffentlichen Hand (Bund, Länder, Kommunen) privatisiert. Aber auch Industrieunternehmen trennten sich von ihren Beständen. Auf der Käuferseite tauchten meist internationale Finanzinvestoren auf. Dabei stellte sich die Frage, wie die Wohnungsbestände im Rahmen eines Ankaufprozesses bewertet werden können. Die Branche hatte den Eindruck, dass internationale Investoren nach Deutschland kamen und davon ausgingen, dass die 1 000 oder 10 000 gekauften Wohnungen zu 100 Prozent an die Mieter veräußert werden könnten.

Doch nicht alle Gebäude, Bewohnerschaften und Standorte eignen sich für die Mieterprivatisierung im engeren Sinne. Bei der Portfoliobewertung wird explizit differenziert zwischen Häusern, die sich für den Weiterverkauf als Ganzes eignen und Wohnhäusern, die sich für die Mieterprivatisierung (Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen) eignen. Doch da zeigen sich die Grenzen der elektronischen Bewertungshilfen. Eigene Bewertungstools müssen an die jeweiligen Wohnportfolios angepasst werden.

Die Schwierigkeit liegt darin, dass die Wohnungsbestände eine heterogene Struktur (unterschiedliche Baujahre, Bautypen, Wohnungsgrößen, Zimmerzahl, Gebäudetype) aufweisen und die Bestände in unterschiedlichen Orten und Regionen liegen.1) Eine Einzelbewertung aller Immobilien ist auch aus Kostengründen bei Großtransaktionen nicht darstellbar. Dazu kommt im Rahmen des Bieterverfahrens ein sehr enges Zeitfenster2), in dem näherungsweise belastbare Werte für die Wohnungen ermittelt werden müssen und die Bestände auf Umwandlungsfähigkeit (Privatisierung 2. Ordnung <- Eigentumsbildung im Bestand/Mieterprivatisierung)3) untersucht werden.

Bewertungsansätze für künftige Privatisierungsmaßnahmen

Durch die Verallgemeinerung der Kriterien lassen sich Bewertungsansätze für künftige Privatisierungsmaßnahmen von Wohnungsgesellschaften (Privatisierung 1. Ordnung - Veräußerung ehemaliger öffentlich-rechtlicher Unternehmen/ Privatisierung von Volkseigentum) finden. Derzeit sind noch über drei Millionen Wohnungen in Deutschland im Eigentum von staatlichen Körperschaften.4)

Aufgrund der Komplexität von Portfoliotransaktionen werden Bieterverfahren stark strukturiert.5) Die Verkäuferseite stellt bei Großtransaktionen ein Verkaufsteam (Vendor Due Diligence) zusammen. Im Rahmen der Due Diligence sollen die Chancen und Risiken der Transaktion untersucht werden. Fachleute aus den Bereichen kaufmännische, steuerrechtliche, rechtliche, umweltrechtliche und technische Due Diligence sowie andere Disziplinen werden herangezogen. Da hier das Asset aus Wohnimmobilien besteht, werden bei der Due Diligence neben Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern, Bankern auch Immobilienexperten und Architekten für die technische Due Diligence eingesetzt. Ebenso stellt die Käuferseite, zumindest im fortgeschrittenen Stadium des Bieterverfahrens, ein Due-Diligence-Team zusammen (Buy Side Due Diligence).6)

Um ein Gebot abzugeben, entwickeln die jeweiligen Bieter (in der Praxis häufig Private-Equity-Fonds) mit ihren Beratern Finanzierungsmodelle (strukturierte Finanzierung, Laufzeiten, Verschuldungsgrad, Leverage-Effekt), welche den Ankaufsgremien der finanzierenden Banken als Entscheidungshilfe für den Ankauf dienen.7)

Der Wert der Wohnungsgesellschaften ergibt sich in erster Linie aus den bestehenden Assets der Gesellschaften. Dies sind die Wohnungen und die damit verbundenen Mietverträge und Mieterträge. Daher liegt hier bei der Due Diligence Real Estate das besondere Augenmerk. Da bei den Bewertungen der Wohnungen auch die Privatisierungsfähigkeit der Wohnungen (Privatisierung 2. Ordnung) untersucht wird, kommt man - abgesehen vom Zeitfenster - mit den normierten Bewertungsverfahren nur bedingt weiter. Es müssen daher neue Ansätze und Methoden entwickelt werden.

Einschätzung von Privatisierungspotenzialen

Die Schritte Analyse (Objektauswahl), technische Vorbereitung der Mieterprivatisierung und Verkaufsaktivitäten gilt es zusammenhängend abzuleiten. Hier wurde eine Methode entwickelt, wie im Rahmen eines Due-Diligence-Prozesses eine Bewertung unter Mieterprivatisierungsaspekten von großen Wohnungsbeständen ermöglicht wird. Diese beinhaltet folgende Aspekte:

- vertretbare Zeit (Transaktionen im Bieterverfahren haben meist ein sehr enges Zeitfenster),

- vertretbare Kosten (anstatt Einzelbewertung nun Portfoliobewertung),

- Untersuchung der Privatisierungsfähigkeit: Marktebene (Analyse Mikro-/Makromarkt), Objektebene (Eignung des Haustyps) und Bewohnerebene (Bonität, Kaufkraft, Status),

- Festlegung von Privatisierungsprioritäten (Aufstellung eines Kriterienkataloges/Scoringmodells),

- Verkaufspreise und Preisgestaltung bei Mieterprivatisierung je Zielgruppe (Mieter, Leerwohnungskäufer, Kapitalanleger),

- Festlegung von Abverkaufszeiträumen bei Mieterprivatisierung,

- Festlegung von Abverkaufsquoten bei Mieterprivatisierung,

- Vervielfältiger bei Globalverkauf.

Um die Preise zu verifizieren, wird einerseits von Marktpreisen sowie andererseits von eine Vergleichsrechnung "Mieter bleibt Mieter und zahlt Miete" und der "Belastung/Kapitaldienst nach Erwerb der bisherigen Mietwohnung" ausgegangen.

Abverkaufsszenario bei Mieterprivatisierung

Bei der Planung der Abverkäufe ist beispielsweise zu berücksichtigen, dass je nach Zielgruppe (Mieter, Leerwohnungskäufer, Kapitalanleger) unterschiedliche Abverkaufsverläufe zu erwarten sind. So spielen sich meist die Verkäufe an die Mieter zu Beginn einer Privatisierungsmaßnahme ab. Aufgrund von Vorzieheffekten kommt es häufig im Folgejahr zu einer Zunahme der Fluktuation. Aufgrund der Differenzierung der Kaufpreise je nach Zielgruppe lässt sich durch die Kombination der Preise mit dem Abverkaufsszenario auch die Liquiditätsplanung durchführen.

Zusätzlich werden noch weitere Aspekte untersucht: Desktop-Bewertung oder Drive-by-Bewertung, Vergleichsobjekte aus Mieterprivatisierungen, Preise im Ist-Zustand des Gebäudes, Preise nach Sanierung, Annahmen zum Gebäudezustand, Mieterprivatisierungsempfehlung, Annahmen zur Fluktuation, über Bestandsmieten und über Mieten bei der Neuvermietung.

Von Fall zu Fall muss das Modell an die vorgegebene Datenlage (Datenbanken, Datenraum) und (externen) Anforderungen angepasst werden. Diese Methode der Real Estate Stuttgart wird als "Priva-tisierungs-Analyse-Modell" (kurz PAM) bezeichnet.

Durch die Entwicklung dieses Modells ergibt sich eine bei diversen Großtransaktionen erprobte Methode, die bei der Bewertung nicht nur den Fokus auf den Verkehrswert beim Ankauf legt, sondern auch einen Teil der Exitstrategie des jeweiligen Investors steuern kann. Die ermittelten Preise und Daten aus der Ergebnisdatenbank dienen den Investoren für ihre Investitionsmodelle. Sie helfen bei der Preisbildung und Entscheidungsfindung über den Ankauf des Portfolios beziehungsweise der Gesellschaft.

Durch die Bereitstellung von Einzelpreisen, Verkaufsquoten und Abverkaufszeiträumen lassen sich die künftigen Cash-Flows planen. Zusätzlich können die Abverkaufsszenarien und ermittelten Werte den finanzierenden Banken wichtige Grundlagen zur Finanzierung geben. Bei erfolgreichem Zuschlag im Rahmen des Bieterverfahrens kann relativ schnell mit der Einzelprivatisierung begonnen werden. Dies dient der Gewinnung von Liquidität oder kann Teil der Refinanzierung sein.

Je nach vorhandenen Rahmenbedingungen kann das PAM bei neuen Wohnimmobilientransaktionen angepasst und verwendet werden. Auch außerhalb von Bieterverfahren dient es einem Bestandshalter zur Analyse seines Wohnungsportfolios.

Hier kann verhältnismäßig schnell und zielgenau untersucht werden, welche Wohnungsbestände sich für die Mieterprivatisierung eignen. Das Modell wurde bei der Bewertung und Analyse von rund einer Million Wohnungen fortlaufend entwickelt und hat das große Potenzial, bei der Wertentwicklung von großen Wohnungsbeständen entscheidend beizutragen.

Fußnoten

1) Vergleiche Heuer, Jürgen: Die Wohnungsmärkte im gesamtwirtschaftlichen Gefüge in Kompendium der Wohnungswirtschaft, Jenkis, Helmut (Hrsg.), München 1991, S. 22f.

2) Vergleiche Gondring, Hanspeter/Wagner, Thomas: Real Estate Asset Management, München 2010, S. 341.

3) Vergleiche Buchner, Florian: Begründung und Verwaltung von Wohnungs- und Teileigentum in: Spezielle Betriebswirtschaftslehre der Immobilienwirtschaft, Murfeld, Egon (Hrsg.) 6. Aufl., Hamburg 2010, S. 971 ff.

4) Vergleiche Gondring, Hanspeter/Wagner, Thomas: Real Estate Asset Management, München 2010, S. 350.

5) Vergleiche May, Andreas/Makowski, Gästa: Rechtliche Aspekte von Immobilieninvestitionen in Praxishandbuch Immobilien-Investitionen, Schäfer, Jürgen/Conzen, Georg (Hrsg.), 2. Aufl., München 2011, S. 374.

6) Vergleiche Siepmann, Axel: Veräußerung von Immobilienportfolios im Rahmen strukturierter Verfahren in Praxishandbuch Immobilien-Investitionen, Schäfer, Jürgen/Conzen, Georg (Hrsg.), 2. Aufl., München 2011, S. 374.

7) Vergleiche Gondring, Hanspeter/Wagner, Thomas: Real Estate Asset Management, München 2010, S. 232f. und Reis, Johannes: Due-Diligence-Real-Estate - Ein strukturierter Analyseprozess zur ganzheitlichen Beurteilung von Immobilien, Masterthesis, Norderstedt 2005, S. 100.

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