Im Blickfeld

Mehr Mut für Menschen mit Behinderung

Wohnprojekte für Menschen mit Behinderung - das ist an sich nichts Neues. Allerdings zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass fast alle diese Projekte als abgeschottete und isolierte Vorhaben konzipiert wurden: Ein Areal beherbergt dann ausschließlich Menschen mit Behinderung. Während das Thema Inklusion beispielsweise im Bildungswesen längst eine Rolle spielt, findet es in der Immobilienwirtschaft faktisch nicht oder zumindest viel zu selten statt.

Sicherlich erfordern Wohnprojekte, in denen behinderte und nicht behinderte Menschen auf einem Areal zusammenleben, für einen Projektentwickler einen erhöhten Aufwand. So wird ein Bauherr in der Regel einen spezialisierten Partner brauchen, der als Träger die Betreuung der behinderten Bewohner übernimmt. Aber der Mehraufwand lohnt sich - Inklusion ist ein Thema, das alle angeht. Projektentwickler sollten sich dem nicht verschließen. Viele Entwickler versuchen bei größeren Projekten doch ohnehin längst, breite Kreise der Bevölkerung anzusprechen, indem sie auf einen Mix verschiedener Wohnformen von der Eigentumswohnung über die frei finanzierte Mietwohnung bis hin zur geförderten Mietwohnung setzen. Warum nicht einen Schritt weiter gehen und gezielt über Wohnungen beispielsweise für geistig behinderte Menschen nachdenken?

Dabei stellt sich die Frage, wie solche Wohnungen räumlich verortet werden können. Denkbar ist auch hier eine gewisse Mischung: Von Häusern, die ausschließlich behinderten Menschen vorbehalten sind und verteilt in dem Wohngebiet integriert sind, über Häuser, die beispielsweise in Erdgeschosszonen für Behinderte offen stehen, darüber aber nicht. In beiden Fällen entstehen Nachbarschaften zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen.

Eine komplette Atomisierung der Wohnungen, also beispielsweise eine oder zwei Wohnungen in jedem Einzelgebäude vorzusehen, dürfte hingegen tendenziell weniger sinnvoll sein - die Wege werden länger, der Betreuungsaufwand für den entsprechenden Partner wächst. Je nach Projektgröße ist aber auch dies denkbar.

Insgesamt gilt: So wünschenswert das Thema Inklusion bei Immobilienprojekten erscheinen mag - es bleibt ein mutiges Konzept, auch aus wirtschaftlichem Blickwinkel. Nicht jeder gesunde Mensch ist offen genug, bewusst die Nachbarschaft von behinderten Menschen zu suchen. Entwickler müssen sich bewusst sein, dass die Wohnungsnachfrage aus der sogenannten Normalbevölkerung in solchen Fällen sinkt - wir halten es für wahrscheinlich, dass die Zahl der Interessenten durchaus um mehr als zehn Prozent niedriger liegt als bei konventionellen Projekten, eine ähnliche Lagegunst und Architekturqualität vorausgesetzt. Aber Menschen, die sich hier abschrecken lassen, will man dann ja letztendlich auch gar nicht als Bewohner in einem solchen Projekt haben.

Martin Venjakob, Regionsleiter Köln/Bonn, NCC Deutschland GmbH, Fürstenwalde

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